eine andere Sache. Für uns Elsässer ist er ein tauber „Don Quixote".
Mainz, 2. März. Ein russischer Kavallerieoffizier und Großgrundbesitzer GrafLeonidasEnnatzky, welcher zufolge einer Wette um 20000 Rubel es unternommen hat, in 80 Tagen von Samara an der Wolga durch Mitteleuropa mit dem Schlitten oder Wägen nach Paris zu fahren, ein Weg von 750 Meilen, ist gestern abend mit seinem Dreigespann, einer Troika, hier eingetroffen und heute früh weitergefahren. Für den Weg nach Paris welcher über Luxemburg und Rheims genommen werden soll, stehen noch 15 Tage zur Verfügung. Bedingung ist, daß Ennatzky mit mindestens einem Pferde in Paris ankommt. Ursprünglich war der Wagen, der zugleich als Schlitten benutzt werden kann, mit vier Pferden bespannt, eines wurde an der deutsch-russischen Grenze verkauft. Es sind kleine russische Steppenpferde, neun Jahre alt, hager und unansehnlich, aber feurig und sehr ausdauernd. Die Anstrengungen der weiten Reise, die über Kiew-Breslau-Dresden- Chemnitz-Aschaffenburg ging, merkt man ihnen kaum an. Die Pferde erhalten zusammen jeden Tag 50 Pfund Haber, 10 Pfund Brot und 30 Pfund Heu; es wird nur einmal gefüttert und nur nachts gerastet. Der Zirkus Salomonsky soll für jedes der drei Pferde 12 000 Rubel geboten haben, der Eigner will sie aber nach Rußland mit der Eisenbahn zurückbefördern.
Aus Naumburg a. S., 2. März, wird der Frkf. Ztg. berichtet: „Nachdem wiederholt zwischen Offizieren des 2. Bataillons des 36. Regiments und der Polizei, sowie den Bürgern Reibereien gewesen waren, ist es in vergangener Nacht zu einem förmlichen Angriffe seitens des Militärs auf Polizei und Bürger gekommen. Ein Lieutenant in Zivil hatte sich aus unbekannten Gründen gegen 12 Uhr über einen oder mehrere Naumburger erzürnt. Er holte sich militärische Hilfe, kleidete sich in einem Kaffee um und lieferte nun den nichtsahnenden Nauinburgern eine förmliche Schacht. Unter „Marsch, Marsch, Hurrah!" mit aufgepflanztem Seitengewehr und gefälltem Bajonett, Tambour voran, stürmten die Soldaten über die Lindenstraße, Herrenstraße und den Markt. 6 bis 8 Personen wurden verwundet, ein Steuerbeamter durch einen Bajonettstich im Gesicht, ein 12jähriges Mädchen durch Kolbenschlag an der Hüfte u. s. w. Ein Polizeisergeant erhielt von dem Lieutenant einen Säbelhieb über das Kinn. Wenn diese unglaublich klingenden Mitteilungen nicht auf das zweifelloseste bestätigt wären, möchte man sie für unwahr halten. Wie wir hören, ist bereits die strengste Untersuchung angeordnet. Ein Teil der angegriffenen Zivilisten suchte sofort bei dem Bataillonskommandeur Einlaß zu erlangen, was der Posten verhinderte.
Berlin, 4. März. Bei der heute abend in der Philharmonie abgehaltenen Generalprüfung der Genossenschaft der freiwilligen Krankenträger erschien die Kaiserin, die vom Kriegsminister und vom Kultusminister empfangen wurde. Der Vorsitzende Wichern (Hamburg) hielt eine Begrüßungsrede, worauf ein Rundgang mit Besichtigung der ausgestellten Gerätschaften stattfand. Nach emem dreimaligen Hoch auf die Kaiserin verabschiedete sich dieselbe. Die Pro
fessoren v. Esmarch, v. Bramann, Generalstabsarzt v. Coler, Fürst Pleß, mehrere höhere Militärs und Sanitätsoffiziere wohnten der Prüfung bei. Es waren 600 Krankenträger anwesend.
Berlin, 5. März. In der gestrigen Sizung der Medizinischen Gesellschaft konstatierte Prof. Liebreich vie erfolgreiche Anwendung seines Heilmittels bei Lupus, sowie den Mangel an Fiebern und anderen störenden Nebenerscheinungen nach den Einspritzungen. Prof. Bernhard Fränkel glaubt einer günstigen Wirkung des Mittels auf tuberkulöse Lungenprozesse sicher zu sein.
Ein neues Mittel gegen Lungentuberkulose? Der „B. B.-C." schreibt: In einem hiesigen (Berliner) Hospitale werden von dem bulgarischen Regimentsarzte Dr. Tranjen aus Sistowo Versuche mit einem Mittel dieses Arztes angestellt, welche bei Lungentuberkulose, einstweilen aber nur bei dieser, Erfolge ergeben haben, die bis jetzt von keinem andern Mittel erreicht worden sind. Das Medicament Dr. Tranjen's ist an sich bekannt, aber bei Tuberkulose bis jetzt noch nicht angewendet. Die Fälle, an denen Versuche gemacht wurden, sind nur solche, über deren tuberkulöse Natur auch nicht der mindeste Zweifel bestehen kann. Das Mittel wird subcutan gegeben, . hat indeß weder mit dem Koch'schen, noch mit dem Liebreich'schen Berührungspunkte. Die Fälle, welche behandelt sind, stehen zum Teil bereits seit Mitte Januar in Beobachtung. Es befinden sich unter ihnen solche, bei denen ein Symptom der Lungentuberkulose nicht mehr nachweisbar ist. Die Veröffentlichung seines Mittels hat sich Dr. Tranjen für einen Vortrag in einen: medizinischen Vereine resp. für eine medizinische Zeitung Vorbehalten.
Hamburg, 4. März. Die Verbreiter der falschen Nachricht über des Kaisers Erkrankung, die Börsenagenten Fritz Wolf und Max Arndt, werden 14 Tage von der Berliner Börse ausgeschlossen.
Göschenen, 1. März. Ein furchtbares Unglück hat sich letzten Donnerstag Nachmittags im Gotthardtunnel ereignet. Ein Kondukteur war mitten im Tunnel so unglücklich vom Zuge gefallen, daß er mit dem Oberkörper auf die Schienen zu liegen kam und die Räder dem Unglücklichen den Kopf vom Rumpfe schnitten. Als der Vorfall nach Göschenen gemeldet wurde, machte sich der dortige Bahnmeister in Begleitung von zwei Bahnarbeitern mittelst Draisine auf den Weg, um den Verunglückten hervorzuholen. Die drei hatten die Leiche des Kondukteurs noch nicht erreicht, da — ein lähmender Schreck durchfuhr die Glieder der wackeren Männer — kaum 100 Dieter von ihnen entfernt, bewegte sich ein Zug in schnellster Gangart gegen ihre Draisine! Zu spät, um sich zu retten, war im nächsten Augenblick das noch größere Unglück geschehen! Zerschmettert lag die Draisine umher; dem Bahnmeister waren die beide Beine abgefahren und seine beiden Begleiter mußten schwer verwundet unter den: Zuge hervorgezogen werden. Die Aufregung unter dem Bahnpersonal ist ob des unerhörten Vorfalles natürlich eine große, ebenso das Bedauern mit den Betroffenen, respektive deren Hinter- lassenen, ein allgemeines.-
London, 3. März. Stanley gedenkt am 17. April aus den Vereinigten Staaten zurückzukehren
und am 2. Mai eine Vorlesetour durch England zu beginnen, deren Dauer auf 2 Monate berechnet ist. Im Oktober beabsichtigt er nach Australien zu reisen. Nachdem das Stanley-Fieber sich einigermaßen in England abgekühlt hat, darf man ziemlich neugierig auf den Empfang sein, welchen er jetzt finden wird.
London, 4. März. Königin Viktoria, die am 23. d. die Reise nach Südsrankreich antritt, wird infolge der jüngsten Vorgänge keinen Aufenthalt in Paris nehmen.
— Ein „Aufschlitzer" treibt jetzt nach dem geheimnisvollen englischen Vorbilds, in dem Städtchen Küstrin sein Wesen. Dort ist dieser Tage eine Frauensperson schrecklich verstümmelt vorgefunden worden, und nach einer Bekanntmachung des Staatsanwalts scheint derselbe Mann- dieselbe Unthat schon um die Weihnachtszeit an zwei anderen Mädchen ausgeführt und noch bei zwei Anderen versucht zu haben. Der Thäter soll etwa 30 Jahre alt, von mittelgroßer Gestalt sein und einen blonden Schnurrbart haben.
Mur eine Wark koste: die Schachtel, enthaltend 50 Pillen, der echten Apotheker Mchard Brandt's Schweizerpillen in den Apotheken. Selbst bei täglichem Gebrauch reicht eine Schachtel für einen Monat, so daß die Kosten nur wenige Pfennige pro Tag ausmachen. Hieraus geht hervor, daß Bitterwässer, Magcntropfen, Salzpastillen, Nicinusöl und wie die vielen Mittel alle heißen, dem Publikum viel teurer als die echten Apotheker Mchard Brandt's Schweizerpillen zu stehen kommen, dabei werden sie von keinem anderen Mittel in der angenehmen, unschädlichen und sicheren Wirkung bei Magen-, Leber-, Gallen-, Hämorrhoidalleiden re. ec. übertroffen. Man sei stets vorsichiig, die echten Apotheker Mchard Brandt's Schweizerpillen zu erhalten, da täuschend ähnlich verpackte sogenannte Schweizerpillcn sich im Verkehr befinden. Die auf jeder Schachtel auch quantitativ angegebenen Bestandteile sind: Silge, Moschusgarbe, Aloe, Absynth, Bitterklee, Gentian."
Gottesdienst
am Sonntag, den 8. März.
Vom Turm: 139.
Vorm.-Predigt: Herr Dekan Braun.*)
1 Uhr Christenlehre mit den Töchtern. 5 Uhr im Vereinshaus: Vortrag über Bonifacius, den „Apostel der Deutschen": Herr Helfer Eytel.
*) Die Melodie für das Predigtlied, 130, Ein Lämmlein geht und trägt die Schuld, ist enthalten in den blauen Heftchen (Weitere Melodien zum Gebrauch in der ev. Kirchengemeinde Calw), welche bei Meßner K e f s e l b a ch für 5 .L zu haben sind und den Freunden des Kirchengesangs zur Anschaffung empfohlen werden.
Standesamt ßakw.
Gestorbene:
27. Febr. Heinrich Wilhelm Dollinger, 2 Jahre alt,
Sohn des August Dollinger, Kaufmanns.
28. - Johanne Christiane Heugle, ledig, 83 I. a. 28. „ Emma Sckwämmle, 3sts Jahre alt, Toch-
. ter des Friedrich Schwän: mle, Bäckermeisters.
3. März. Martin Hang, Oberlehrer in Bönnigheim,
65 Jahre alt.
4. , Jakob Friedrich Müller, Kaufmann, 80
Jahre alt.
Eines Abends nach beendeter Vorstellung hatte ich eben begonnen, die Waggons zur Weiterreise in Stand zu setzen und unser Gepäck aufladen zu lassen, als meine Gattin plötzlich heftig erkrankte. Sie hatte sich am Morgen über unsere Magd, die unverschämt geworden war und viel höheren Lohn verlangt hatte, geärgert — die Magd war davon gelaufen, und als nun Sarah einen heftigen Kolik-Anfall bekam und sich zu Bette legen mußte, stand ich wie verraten und verkauft inmitten der hilflosen Lilliputaner, während unser eigenes Kind — Gott had's selig, damals war es kaum sechs Monate alt — schrie, als ob es am Spieße stäke. Na, was wollte ich machen; ich packte wieder ab, brachte die Würmer zu Bett und schichtete zwischen den Waggons Holz und Reisig, um eine warme Suppe für Sarah zu kochen."
Gerade als ich das Feuer angezündet, kam eine schlanke große junge Frau mit einem Säugling auf dem Arm des Weges; sie sah totmüde aus und bat mit Thränen in den Augen, ob sie sich einen Augenblick ans Feuer setzen und sich wärmen dürste.
Selbstverständlich hatte ich nichts dagegen, ich kochte meine Sappe und brachte Sarah einen Teller derselben; als ich wieder ins Freie trat und die Fremde fragen wollte, ob sie vielleicht hungrig sei, sah ich sie in totenähnlicher Ohnmacht neben dem Feuer kauern. Ich sprengte ihr kaltes Wasser ins Gesicht und sie kam bald wieder zu sich; ich sab, daß sie halb verhungert war und daß ein Teller warmer Suppe ihr aushelfen würde. Nachdem sie sich gesättigt, wollte sie mir die Suppe bezahlen, aber ich hätte mich geschämt, Geld von ihr anzunehmen, und ich sagte ihr das."
„Es sieht ihm ganz ähnlich", siel Frau Jenkins mürrisch ein; „er verschenkt das Hemd vom Leibe, wenn ein Anderer es brauchen kann."
„Während das Kind der Fremden mit sichtlichem Behagen die warme Milch, die ich dem armen Ding gegeben, trank, hörten wir meine Frau im Wagen jammern und klagen. Ohne lange zu fragen, begab sich die Unbekannte ins Innere des Wagens und sie wußte die Kranke so geschickt zu betten und zu pflegen, daß Sarah glaubte, sie sei im Himmel. Am nächsten Morgen war sie bedeutend wohler; wir zogen weiter und waren überglücklich, als die Fremde sich erbot, uns zu begleiten
und meiner Frau bei den Kindern hilfreiche Hand zu leisten. Den Winter über blieb sie bei uns; sie pflegte unser armes kränkliches Kind mit rührender Treue, und ihre Schuld ist's nicht, daß wir dasselbe trotzdem nicht aufbrachten."
Der Zwerg wischte sich die Augen und auch Frau Jenkins weinte still vor sich hin; endlich faßte sich Jenkins und fuhr fort:
„Mit der Zeit freilich fiel es uns auf, daß die Fremde, die sich Lydia nannt^ und die, wie uns ihre feinen weißen Händen und ihre ganze Erscheinung zeigten, entschieden den höchsten Gesellschaftskreisen entstammte, ihr seltsam scheues Wesen, welches ich anfänglich auf den Umstand geschoben, daß sie noch nie mit Leuten unseres Schlages in Berührung gekommen, nicht ablegte. Sie war nicht dazu zu bringen, jemals einer Vorstellung beizuwohnen; sie trug beständig einen breitrandigen Hut, der ihr schönes Gesicht fast völlig beschattete, und wenn wir auf der Reise waren, verließ sie den Waggon nur in den seltensten Fällen und niemals, wenn wir einen Ort passierten. Auch schien sie nie das Bedürfnis zu haben, sich näher an uns anzuschließen; sie war uns dankbar für das Unterkommen, das wir ihr und ihrem Kinde gewährten, aber sie sprach nur das Nötigste und zog sich zurück wie die Schnecke in ihr Haus. Dabei war sie unermüdlich fleißig; sie nähte von früh bis spät für uns, und geradezu bezaubernd war die Art und Weise ihres Verkehrs mit den Kindern. Die Kleinen hingen an ihr, wie ich es nicht für möglich gehalteu
— unser Kind war nie fröhlicher und lustiger, als wenn Lydia es wartete und pflegte, und Alles in Allem war sie ein Segen für uns.
Meine Frau hatte freilich von Anfang an geheimes Mißtrauen gegen Lydia
— sie sagte, sie habe Etwas zu verbergen, und sie paffe ihr höllisch auf.
„Das that ich", nickte Frau Sarah, „ich fühlte, daß die Geschichte einen Haken hatte, und meine Schuld wars nicht, daß wir nicht schon damals den auf ihren Kopf gesetzten Preis verdienten."
(Forts, folgt.)