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verneurs rc., jetzt eingerichtet sei. Wir sind im Ver­trage mit England nicht zu kurz gekommen; wir haben für das, was wir mit unserem Gelde und Menschenmaterial behaupten können, genug erhalten. Früher hat man gleichzeitig an zu vielen Stellen an­gefangen, das war der Fehler. Wir sind diese ge­fährliche Ueberlast losgeworden, wobei ich aber meinen Amtsvorgänger nicht kritisieren will. Witu war in seinem Wert übertrieben worden, es verlor an Wert, als im Verlaufe der Verhandlungen hervortrat, daß wir die vorgelagerten Inseln Manda und Patta nicht erhalten könnten, was ich des guten Hafens wegen gewünscht hätte. Schon vor dem Vertrag war Witu als Kompensationsobjekt ausersehen. Unsere An­sprüche auf Sansibar waren nicht stichhaltig, wir mußten den Küstenstreif haben, ohne viel Geld auf­wenden zu können, also war das Aufgeben von Sansibar kein großes Opfer. Mein Vorgänger teilt meine Ansicht; im Oktober 1889 schrieb er, die Freundschaft Salisburys sei wertvoller als ganz Witu, an anderer Stelle schrieb er: Die Freundschaft Eng­lands ist mir wichtiger als Sansibar und Ostafrika. Der Vertrag mit der ostafrikanischen Gesellschaft ent­spricht den Interessen dieser und des Reiches zugleich. Daß man von des Sultans Oberhoheit losgeworden, sei schon ein hoher Gewinn. Nur der Not gehorchend, haben wir die Kolonie in die Verwaltung des Reichs genommen, weil selbst nach der Ansicht der ostafrika- nischen Gesellschaft ohne diese Uebernahme durch das Reich nichts erzielt worden wäre. Die Schutztruppe darf nicht verringert werden, wohl aber in ihrer Or­ganisation umgestaltet werden, der Offiziersbestand muß verringert werden. Das Schicksal der Offiziere liegt der Regierung am Herzen. In absehbarer Zeit werden die Einnahmen Ostafrikas die Verwaltungs­kosten decken. Freiherr v. Soden hätte den Gouver­neurposten nicht übernommen, wenn er nicht an die Zukunft des Schutzgebietes glaubte. Wißmann und Emin bleiben hoffentlich im Dienste Afrikas, es ist Raum genug für ein unabhängiges Nebeneinander­arbeiten ; selbstverständlich muß Soden die Oberleitung haben. Wir hoffen, den kolonialen Besitz zum Wohle des Reiches zu fördern. Richter (freis.): Der Ent- rüstungssturm, den der Reichskanzler erwähnt habe, entstamme nur einem kleinen Kreise lauter Schreier ohne großen Einfluß. Ihm scheine es, als ob der Reichskanzler den Strömungen in den Kolonialkreisen doch mehr Rechnung getragen habe, als es einer nüchternen Kolonialpolitik entspreche. Ob Emin und Wißmann noch im Dienste bleiben könnten, sei zwei­felhaft. Redner macht aufmerksam auf den Gegensatz zwischen Emin und Wißmann, wie er in den letzten Weißbüchern hervortrete. Es sei bedauerlich, daß Oechelhäuser gegen England mißgestimmt sei, der Kernpunkt der Beurteilung der Kolonialpolitik für die Freisinnigen sei aber die Stellung zu England, er freue sich daher über des Reichkanzlers freundliche Stellung zu diesem Lande. Deutschland habe die Hauptaufgabe, seine Stellung in Europa zu behaup­ten. Reichskanzler Caprivi erklärt, er bedaure, daß Richter sich so schlecht über Wißmann ausgesprochen habe, dem man so viel verdanke, die Streitigkeiten mit Emin seien noch unaufgeklärt. An der ferneren

Debatte beteiligen sich Vollmar (Soz.) und Kar- dorff (Freikonservativ).

Graf Waldersee übergab schon am 4. d. M. die Geschäfte des Großen Generalstabs an den Oberquartiermeister Grafen Schlieffen II., da sein Nachfolger noch nicht ernannt ist, und verabschiedete sich mit bewegter Stimme von den Offizieren, indem er erwähnte, der Kaiser habe ihn an eine andere Stelle versetzt; als Solvat gehorche er, ohne zu fragen warum. Graf Waldersee ist bereits nach Altona abgereist.

Tages-Neuiakeiten.

* Calw, 9. Febr. Am gestrigen Sonntag fand im Thudium'schen Saal eine Versammlung des Evangelischen Bundes statt, in welcher Pro­fessor Dr. Thoma aus Karlsruhe (Vorstand des badischen Hauptvereins) einen Vortrag hielt überVer­säumnisse und Aufgaben des Protestantismus in der Gegenwart." In gewandter und überzeugender Weise entwickelte der Redner zunächst die Gefahren, die dem Protestantismus von Seiten des Sozialismus und des Romanismus drohen. Vor 20 Jahren sei eine erregte Zeit, eine Zeit des allgemeinen Schwunges gewesen, wie Lenzeswehen sei es durch das deutsche Volk gegangen, als die Einheit des Vaterlandes er­rungen war. Heute aber sei das Volk ganz anders gestimmt, ein gewisser Rückgang finde in allen unfern Verhältnissen statt, eine Ermattung sei eingetreten und 2 Gewitter sehe man drohend heraufsteigen, den Sozialismus und Ultramontanismus. Wir leben in einer Zeit wie zur Reformationszeit; dort waren auch 2 brennende Fragen zu lösen, Bauernkrieg und Re­formation, jetzt drohe wieder eine doppelte Gefahr, eine Gegenreformation durch Sozialismus und Romanis­mus. Der Sozialismus sei nicht bloß eine wirtschaft­liche Frage, sonst würde.« durch die Industrie be­zwungen werden; die kirchliche Frage sei eine Macht­frage, wer herrschen soll im deutschen Staat. Zu­nächst könnte man also vom Staat die Lösung der kirchl. Frage erwarten, aber es seien diese Fragen auch Sache der Protestanten, denn der Staat sei eine Gottesordnung im allerstrengsten und höchsten Sinn, er sei die Organisation der Kultur. Die Führer der Sozialdemokratie haben eine ganz andere Weltanschau­ung, eine andere Sittlichkeit, sie wollen alle christliche Moral und Religion umstoßen; die Mittel der römischen Kirche seien sittlich und religiös; aber von anderer Art als der Protestanten; die Erziehung sei eine ganz andere, es werde eine große Kluft zwischen Protestan­ten und Katholiken befestigt, wovon Redner Beispiele von Baden anführt. Im weiteren behandelte der Redner die Wahlbündnisse der Ultramontanen mit den Sozialdemokraten, die Zusammensetzung des deut­schen Reichstags, die Haltung der Regierung im Kulturkampf, die neue Sperrgeldervorlage und kam hienach zu dem Ergebnis, die ev. Kirche könne sich nicht auf Fürsten und Menschen verlassen, sondern nur auf sich selbst und auf ihren Herrgott. Der Protestantismus sei leider zerrissen in eine Anzahl von Landeskirchen, in Parteien und Sekten, er ge­nieße also kein großes Ansehen in dieser machtprunken­den Gegenwart, der Katholizismus dagegen sei Mode

habe ich da« Recht verwirkt, menschliche Gestalt zu haben und Gefühle zu besitzen! Wenn ich's nur ändern könnte! Aber ich bin töricht, dergleichen zu reden ich will den albernen Leuten nicht den Gefallen thun, mich über sie zu ärgern!"

Mein liebster Fritz! Wa« er dazu sagen würde, wenn er den Brief sähe, den sein harter, grausamer Vater mir geschrieben! Ihn ausgeben als ob das so leicht gethan wäre! Ich soll es ihm versprechen wie schlau ausgedacht. Freilich wenn es sein Glück gilt! Aber nein aufgeben kann ich Fritz nicht das Einzige, was ich thun kann und will, ist, diese Stadt zu verlassen wenn ich eine Klavierstunde nach der andern verliere, bleibt mir ohnehin kein anderer Ausweg!..

Den Brief auf den Tisch werfend, begann Lilly Maitland die Kleider, die auf dem Bette lagen, zusammenzufalten und in den Koffer zu legen; dabei fiel ihr eine Photographie Fritz Wilton« in die Hand, und leise aufschluchzend preßte sie die Lippen auf das kleine Bild und flüsterte:

Mein einzig Geliebter mein Fritz, muß es denn sein muß ich Dich lassen?"

Wie um diese Frage zu beantworten, griff das junge Mädchen nochmal« nach dem Brief und las halblaut vor sich hin:

An Fräulein Lilly Maitland, dahier!

Wie mein Sohn, Herr Fritz Wilton, uns mitteilt, beabsichtigt er, Sie zu heiraten und kann ich diesen seinen Entschluß nur auf Ihre Koketterie zurückführen. Sie wissen sehr wohl, daß Ihre Verhältnisse in keiner Weise, mit denen unserer hochangesehenen Familie übereinstimmen, und werde ich die mir geeignet erscheinen­den Maßregeln ergreifen, um meinen Sohn Ihrem gefährlichen Einfluß zu entziehen- Ohne sociale Gleichstellung ist keine ersprießliche Ehe denkbar und wären Sie nicht jeden Zartgefühls bar, dann hätten Sie nicht Ihre Stellung als Klavierlehrerin meiner Töchter benutzt, um meinen Sohn in Ihre Schlingen zu ziehen. Indem ich den Betrag von 40 Dollars für die bis jetzt erteilten Unterrichtsstunden beischließe und mir Quittung darüber erbitte, gebe ich Ihnen anheim, über die meinen Töchtern bi« jetzt gewidmete Zeit anderweitig zu verfügen und teile Ihnen zugleich mit, daß ich meinen Sohn auf einige Zeit von hier entfernen werde.

geworden. Die Stellung der Landesbischöfe, welche die Stützen der protestantischen Kirche waren und sein sollten, sei eben anders geworden, da die meisten Staaten paritätisch seien. Der Protestantismus sei eine Geistesmacht und werde sich auch mächtig zeigen ; es sei dies die Macht der Persönlichkeit und die Kraft der ev. Gemeinde. Der Protestant Habs die Pflicht und Aufgabe, nicht bloß das Christentum zu kennen, sondern auch mit Wort und That zu bekennen, die Protest. Kirche gebe jedem das Recht des allgemeinen Priestertums; die in der evang. Kirche herrschende Mannigfaltigkeit solle aber nicht vergeudet werden. Mit der christlichen Persönlichkeit hänge eng zu­sammen die christliche Familie; das Familienleben habe aber leider notgelitten, die Bibel soll wieder Hausbuch werden. Die ev. Gemeinde soll sich der Pflege der Verwaisten, der Lehrlinge u. s. w. an­nehmen; sie sollte ein einheitlicher Verein sein; alles Sektenwesen würde wegfallen, wenn wir eine wirk­liche ev. Gemeinde hätten. Zum Schluß sprach Redner noch die Hoffnung aus, es möchte eine einzige deutsche ev. Kirche entstehen und es dürfe dieser Gedanke nicht aufgegeben, sondern es müsse auf Verwirklichung desselben gedrungen werden. Der Vorstand des hie­sigen Zweigvereins, Hr. Helfer Eytel, drückte dem Redner für den inhaltsreichen, beinahe 2 Stunden dauernden Vortrag den geziemenden Dank aus und knüpfte hieran einige Mitteilungen über die Haupt­versammlung des Evangelischen Bundes in Stuttgart. Zuletzt ergriff noch Hr. Dekan Braun das Wort, um in herzlicher Weise seine Freude darüber zu be­zeugen, daß der geehrte Gast aus Baden einen solchen Nachdruck auf die Persönlichkeit, auf die Bildung von Charaktern innerhalb der Protest. Kirche gelegt habe; jedermann müsse seinen Glauben auch mit der That bekennen, dann werde vieleS-besser werden. Die Versammlung war sowohl von hier als auch von den benachbarten Orten sehr stark besucht.

* Calw, 9. Febr. Wir erfahren aus zuver­lässiger Quelle, daß der Ausschuß desEvangelischen Kirchengesangvereins für Württemberg" beabsichtigt, das in diesem Jahr stattfindende Kirchengesanasfest in hiesiger Stadt abzuhalten. Gestern war der Dirigent der Kirchengesangfeste, Hr. Seminaroberlehrer Hegele von Nagold, im Aufträge des Ausschusses hier, um mit den leitenden Faktoren die Sache zu besprechen und die notwendigen Vorgeschäfte zu erledigen. Die beteiligten Kreise sollen dem Anträge nicht ungünstig gesinnt sein. In diesem Frühjahr wird derLehrer­verein für Naturkunde" eine Versammlung im Schwarz­waldkreis abhalten und ebenfalls in unserer Stadt tagen. Dieser Verein zählt gegen 2000 Mitglieder.

" Calw. Ein Vortrag, der schon in vielen großen und kleinen Städten außerordentlichen Beifall gefunden hat, steht uns nächsten Donnerstag bevor: Der kühne Nordpolfahrer Kapitän Bade wird uns seine gefährliche Fahrt im Eismeer, den Untergang feines Schiffes Hansa und die entsetzlichen Beschwer­den und Gefahren einer 237tägigen Eisschollenfahrt erzählen und einen Eindruck davon geben, wie mensch­liche Kühnheit, Einsicht und Ausdauer oft durch die schrecklichste Not sich durchzuschlagen vermag. Man darf wohl für diesen Vortrag zahlreichen Besuch erwarten.

«Der Mann besinnt sich nicht einen Augenblick, mich zu beschimpfen," mur­melte Lilly zornig,warum auch, ich bin ja nur die Klavierlehrerin seiner Töchter, ich"

Ein Pochen an der Thür unterbrach Lillys nicht eben erbaulichen Gedanken­gang und die Stimme der Aufwärterin rief:Fräulein Maitland ein Herr wünscht Sie zu sprechen!"

Führen Sie den Herrn ins Wohnzimmer, ich komme gleich," entgegnet« Lilly, und nachdem sie die verweinten Augen mit Wasser gekühlt und ihr Haar ge bürstet, begab sie sich hinab ins Wohnzimmer, wo Fritz' sie erwartete.

O Fritz wie unrecht von Dir, hierher zu kommen," sagte sie vorwurfs­voll, während sie sich bemühte, den jungen Mann strafend anzusehen ein Vor­haben, welches leider durchaus mißlang.

Fritz Wilton blickte das junge Mädchen verblüfft an.

Das ist ein netter Empfang," meinte er kopfschüttelnd,weßhalb soll ich Dich denn nicht mehr besuchen, Lilly?"

Weil weil ach Fritz ich verlasse die Stadt," brachte sie stockend und leise hervor.

So, dann begleite ich Dich wohin gehen wir denn?" fragte Fritz gleich­mütig.

Davon kann nicht die Rede sein ich verlasse Richmond gerade, um Dir zu entfliehen," stammelte Lilly verwirrt.

Ei, das wird ja immer erbaulicher," rief Fritz nun doch ernstlich erschreckt, was ist denn geschehen, Lilly?"

Was wird geschehen sein," schluchzte sie,man beschimpft mich auf alle Weise man will Dich fortschicken, um Dich vor mir zu retten und"

Wer beschimpft Dich wer will mich fortschicken?" sagte Fritz gelassen.

Wer sonst, als Dein Vater. Er hat mir einen entsetzlichen Brief geschrieben und so halte ich cs für das Beste, Richmond zu verlassen, um ihm nicht im Wege, zu sein."

E. H. Wilton?

(Fortsetzung folgt.)