Teil des Raumes. Die Petitionen um Aufhebung des Jesuitengesetzes sind diesmal auf 7'/» Seiten, die um Beibehaltung auf 5 Seiten verzeichnet. Der Petitionssturm in dieser Angelegenheit übertrifft an Amfang alles bisher dagewesene.
Ausland.
Rom, 31. Jan. Kammer. Heute fand die Beratung des Gesetzentwurfs, betreffend die Anwendung der provisorischen Erhöhung der Ein- aangszölle und Steuer auf die Fabrikation von Alkohol statt. Die Sitzung war erregt, Saal und Tribünen überfüllt. Alle Minister waren anwesend. Grimaldi verteidigt das Gesetz. Crispi erklärte, das vorliegende Gesetz stehe in voller Harmonie mit dem Türmer Programm und zählte die Ersparnisse auf, welche die Regierung fortzusetzen bemüht sei. Die frühere Finanzpolitik der Rechten sei nicht besser als die gegenwärtige. Die Politik bis 1876 sei sehr verschieden von der gegenwärtigen, sie sei eine servile Politik dem Auslande gegenüber gewesen. (Lärm. Mehrere Deputierte der Rechten, sowie der Minister Finali verließen auf diese Worte hin ihre Plätze.) Der Präsident ermahnte zur Ruhe. Crispi verlangte eine unzweideutige Abstimmung, wie man sie einem Ehrenmanne schuldig sei, der gegen seine eigene Neigung auf seinem Platz verbleibe, man muffe aus der gegenwärtigen Lage herauskommen. Das Votum der Kammer werde im Inlands wie im Auslande ein Echo finden und darüber entscheiden, ob Italien eine starke Regierung wolle, oder eine Regierung, welche aufs neue ins Zögern und in Unentschlossenheit verfalle. Luzzatti erklärte, nach diesen Ausführungen Crispi's, welche diejenigen beleidigten, welche er in seinem Leben aufs höchste verehrt habe und die ihrem Lande stets treu gedient hätten, stimme er gegen den Gesetzentwurf. Ministerpräsident Crispi erklärte, er habe niemand beleidigen wollen, am wenigsten Minghetti. Die Vertrauensfrage wurde darauf mit 186 gegen 123 Stimmen abgelehnt. Crispi erklärte, er werde vom Könige weitere Befehle erbitten, und ersuchte die Kammer, sich zu vertagen, was bis 8'/-, Uhr geschah. Crispi begab sich nach dem Quirinal, um dem Könige das Entlassungsgesuch des Ministeriums zu überreichen. — Nach der „Franks. Zeitung" brach die Krisis, welche schon lange latent war, aus, weil die Gemäßigten Crispi verließen. Die Häupter derselben trugen privatim Crispi ihre Unterstützung in der Frage der Sperrzölle an, wenn er Ersparungen von fünfzehn Millionen im Kriegs- und Marinebudget zugestehen würde. Crispi gab eine ausweichende Antwort, doch schienen Sie Gemäßigten bereit, die Sperrzölle zu bewilligen, als Crispi in der Kammer plötzlich eine Philippika gegen die Finanz- und die auswärtige Politik der Rechten, die er als Knechtschaft den Fremden (Frankreich) gegenüber qualifizierte, hielt. Die Kammer brach in einen Entrüstungssturm aus. Der Bautenminister Finali verließ die Ministerbank. Der Budgetausschuß-Präsident Luzzatti protestierte.
— Als Crispi nach der Sitzung vom 31. Jan. um 10 Uhr abends dem König seine Entlassung überreichte und über das Geschehene berichtete, soll der König gesagt haben: „Ich weiß schon, was geschehen ist, und bin darüber trostlos. Mit Bedauern
empfange ich die Entlassung, die Sie mir überreichen. Ich behalte mir vor, zu entscheiden, was jetzt zu thun ist."
— Wie man der „Pol. Korr." aus Petersburg meldet, hat der zweite Sohn des Zaren, Großfürst Georg, bei einem Fall aus einem Mastkorb des Panzerschiffes „Pamjat Azowa" Kontusionen in der Hüftengegend erlitten, welche ihn verhindern, den Großfürsten-Thronfolger bei dessen Ausflügen auf indischem Gebiet zu begleiten. Der Zustand des des jungen Großfürsten erfordert Schonung, ohne jedoch zu Besorgnissen Anlaß zu geben.
Tages-Ueuigkeiten.
Calw. Der Bericht über die Generalversammlung des Landw. Bezirksvereins erscheint in nächster Nummer.
sAmtliches aus dem Staatsanzeiger.j Se. Majestät der König haben den Portepeefähnrich Voll st etter, Friz, im Grenadierregiment König Karl Nr. 123 zum Sekondlieutenant allergnädigst zu ernennen geruht.
Stuttgart, 1. Febr. Die Witwe des auf dem Bahnhof zu Darmstadt verunglückten Restaurateurs des Kaiserhofs in Stuttgart, L. Pfalz, hat, wie man hört, die hessische Ludwigsbahn auf Zahlung einer Jahresrente von 12 000 ^ verklagt. — Heute fand im Stadtgarten eine zahlreich besuchte Versammlung desWerkmeisterverbands vom Neckarkreis statt.
Stuttgart, 2. Febr. Die Anmeldungen zum Bezug zu der durch 'das Altersversicherungsgesetz normierten Altersrenten gehen sehr langsam ein, bis jetzt nur 243 aus dem ganzen Lande. So viel sich bis jetzt übersehen läßt, dürfte das Maximum der über 70 Jahre alten Pensionäre in den einzelnen s)berämtern die Zahl 40 nicht übersteigen.
Stuttgart, 2. Febr. Die Fische des Feuersees sind in bedauerlicher Weise dezimiert worden. Auf der Seite nach der Guttenbergstraße hin kann man die toten Fische, darunter recht ansehnliche Exemplare, zu Hunderten zählen. Es ist dies darauf zurückzuführen, daß infolge des geringen Wasserstandes und der anhaltenden großen Kälte der See so ziemlich ausfror. Die Fische auf die Wassertümpel unter der Eisdecke beschränkt waren und somit elend zu Grunde gehen mußten. Wir wollen hier die Frage nicht aufwerfen, ob es, um eine Eisbahn herzustellen, erst nötig war, das Wasser des Sees abzulassen; Thatsache aber ist, daß bei der kolossalen Dicke des Eises die Gefahr des Einbruchs als eine ganz minimale bezeichnet werden muß. Hoffentlich werden die Fischkadaver entfernt, denn dieselben verbreiten bereits einen pestilenzialischen Gestank, durch den die Anwohner sehr belästigt werden.
Stuttgart, 3. Febr. Gestern abend sprach Dr. De ah na, Vorstand des Leichenverbrennungs- Vereins, im Bürgerverein der unteren Stadt, Berg und Pragvorstadt (Königsbad) über die Leichenverbrennung. Stadtpfarrer Kopp sprach gegen die Neuerung aus Gründen des Gefühls und der Aesthetik, wie der christlichen Sitte. Der Vorstand des Bürgervereins hob hervor, daß die Stadt Stuttgart dem
nächst daran sei, einen neuen Friedhof anzulegen oder den alten zu vergrößern; beides sei so kostspielig, daß die Leichenverbrennung als Wohlthat für Stuttgart, wie für alle großen Städte zu begrüßen sei. Mehrere der Anwesenden meldeten ihren Beitritt zum Verein an.
— Die „Volksztg." schreibt: Ueber einen. Preßunfug nämlich das „Totschweigen", beschwert: sich die „Schwäbische Tagwacht" und schiebt dieses Laster selbstverständlich ausschließlich der Bourgeoisie- Presse in die Schuhe. Daß auch die sozialdemokratische Presse auf diesem Gebiete nicht ""„links" ist, haben wir des öfteren zu bemerken Veranlassung gehabt. Wir empfehlen z. B. unserer werten Kollegin, die eine so abgesagte Feindin der Lüge ist, ihren Lesern mitzuteilen, daß das Schwurgericht in Konstanz in seiner letzten Session fünf Sozialdemokraten wegen Meineids zu Zuchthausstrafen verurteilen mußte.
— Man schreibt dem „Albb." von Stuttgart, 2. Febr. Nachdem laut „F. Z." Herr Sonnemann gestern den Verfasser des incriminenten Artikels über sie angeblichen Vorgänge im hiesigen Ulanen-Kasino genannt hat und auch, wie wir hören, die hiesige Staatsanwaltschaft davon unterrichtet ist, liegt für uns kein Grund mehr vor, den Namen des Verfassers zu verschweigen, der in den nächsten Tagen doch genannt würde. Er ist der auch als Feuilletonist bekannte Herr Willy Widmann.
Tübingen, 1. Febr. Gestern ereignete sich in der einsam gelegenen Mühle in Aich ein schweres Unglück. Mühlebesitzer Burghardt, welcher an dem großen Wasserrad eine Arbeit verrichtete, geriet ausgleitend unter dasselbe und wurde von ihm erdrückt, so daß sofort der Tod erfolgte.
Tübingen, 2. Februar. Wie der Schlachthausbericht vom Jahr 1890 ergiebt, hat auch hier die Lebenshaltung der Bevölkerung sich verschlechtert. Es wurden nur 1910 Tiere geschlachtet gegen 2048 im Jahr 1889. — Ein übel beleumundetes Individuum, das wegen Beleidigung noch eine Gefängnisstrafe von 5 Wochen absitzen sollte, hat sich der Verbüßung dieser Strafe durch Selbstmord entzogen. Es ist dies der Sattler R., der sich, nachdem er schon einige Tage mit unbekannten: Aufenthalt von hier abwesend war, am Sonntag mittag auf der Achalm erschoß.
Reutlingen, 31. Jan. Seit längerer Zeit schon treibt sich hier ein gewisser Jos. Zwießele, lediger Schlosser und Eisendreher von Ravensburg, beschäftigungslos und bettelnd herum. Gestern erst wieder aus dem Gefängnisse entlassen, trank er sich einen Rausch an, verführte in der Albvorstadt grobe Excesse und als ihm dies der Polizeimann Schradin. verwies, vergriff er sich thätlich an demselben unter den heftigsten Beschimpfungen der Polizei, des Staats und Rufen: „Es lebe die Republik, die Freiheit!" u. s. w. Polizeimann Schradin mußte sich mit der Waffe des Menschen erwehren, und als man ihn verhaften wollte legte er sich, um sich schlagend, auf den Boden, so daß er nur mittelst Handkarren weiterbefördert werden konnte. Unter Gesang und Geschrei wurde er zur Polizei gebracht. Bezeichnend ist, daß der Mann aus guter Familie stammt und leicht eine eigene, geordnete Existenz haben könnte. Die Freiheit gefällt ihm aber besser, deren er sich nun wieder auf einige Zeit beraubt sehen wird.
10. Kapitel.
Sobald sich die Thür hinter Matthias geschlossen hatte, sagte Taubert lebhaft: „Dieser Mann interessiert mich wirklich — er hat sicherlich ein Geheimnis zu wahren, und fast möchte ich behaupten, dasselbe steht im Zusammenhang mit den Persönlichkeiten, welche wir suchen."
Varley lachte laut.
„Ein guter Spaß," meinte er dann, „unser armer, kranker Matthias, der Gott dankt, wenn er nichts von der Welt hört, und sich um Niemanden bekümmert!"
„Aber daß er in Auflegung geriet, als von Rockwald die Rede war, habe ich ganz deutlich bemerkt," beharrte der Detektive.
„Das will ich auch gar nicht bestreiten," nickte Varley; „der arme Schelm hat vor langen Jahren die unglückliche Frau, deren Tochter wir jetzt suchen, geliebt, obgleich er gesellschaftlich weit unter ihr stand, und dieser Liebe ist er treu geblieben, wenn auch Katharina Rockwald längst verschollen ist. Als vor etwa zwölf Jahren Major Dane, Katharina Rockwald's Vater starb und das Vermögen des alten Herrn der einzigen Tochter zufiel, weinte Matthias wie ein Kind darüber, daß Katharina, die sicherlich im Elend lebe, es nicht wagen dürfe, sich zur Erbschaft zu melden- Wenn Matthias gewußt hätte, wo Katharina zu finden wäre, würde er zu ihr gedrungen sein, aber auch er hat in den zwanzig Jahren, die seit ihrer Flucht verstrichen sind, nichts von ihr gehört."
„Hm — wie hoch beläuft sich denn das Dane'sche Vermögen?"
„Na, mit den inzwischen aufgelaufenen Zinsen mögen's immer 500000 Doll, sein."
„Das ist freilich schon der Mühe wert; es läßt sich kaum annehmen, daß die Erbin noch lebt, sie bätte doch sicherlich den Versuch gemacht, das Vermögen zu erheben."
„Wer weiß? Sie entfloh, um dem Tode durch Henkershand zu entgehen, und da» über sie verhängte Todesurteil bestand immer noch zu Recht. Im Laufe der Jahre freilich hat sich so mancher Anhaltspunkt gefunden, welcher dafür spricht, daß das Urteil anfechtbar ist, und mit dem Tode des alten Rockwald ist der erbittertste Verfolger Katharina's gelallen, so daß es heute nicht allzu schwer sein wird, eine
Revision des verwickelten Falles zu erlangen, aber wenn Katharina noch lebt, so weiß sie doch wahrscheinlich nichts von dieser Möglichkeit und so hält sie sich verborgen."
„Sie wollten mir ja erzählen, wie die Geschichte, welche zur Verurteilung der jungen Frau führte, sich eigentlich zugetragen, Herr Varley."
„Ach — ja — ganz recht. Also Katharina Dane war die einzige Tochter des Majors Dane vom Weidenhof — einem prächtigen alten Landsitz in der Nähe von Richmond — und eine Schönheit ersten Ranges. Der Abgott des Vaters, kannte Katharina keinen anderen Willen als den eigenen; daß sie dabei liebenswürdig und seelengut blieb, ist mir, der ich sie von klein auf gekannt, stets wie ein Wunder erschienen. Katharina war, wie alle unsere jungen Damen, eine brillante Reiterin, und ich habe nicht leicht ein schöneres Bild gesehen, als wenn sie in ihrem Jagdhabit von dunkelgrünem Sammet, einem kleinen Hut mit wallender weißer Feder auf dem üppigen, hellblonden, seidenweichen Haar, an des Vaters Seite durch den Wald ritt. Das Haar war auffallend lang, und wenn es sich, wie es manchmal geschah, beim schnellen Reiten löste, umwallte es sie wie ein goldener Mantel. Der alte Rockwald freilich pflegte zu sagen, Katharina habe es verstanden, aus jedem einzelnen Haar ihres Hauptes eine Zauberschlinge für seinen Sohn zu weben, und er habe in diesen unseligen Schlingen seinen Tod gefunden. — Als Katharina Dane 18 Jahre zählte, traf sie mit Jerome Rockwald zusammen und diese Begegnung ward für Beide entscheidend. Auch Jerome Rockwald war ein einziges Kind und mit allen Vorzügen und Fehlern eines solchen behaftet. Jeder Wunsch ward dem jungen Mann erfüllt — ein Nein kannte er nicht, und der sonst so strenge Vater ordnete seinen Willen unweigerlich dem des Sohnes unter. Zwischen den Familien der beiden jungen Leute herrschte seit Jahren tötliche Feindschaft; wie die Montccchi und Capuletti standen die Dane's und die Rockwald's einander gegenüber, und jeder Versuch der beiderseitigen Freunde, den alten Hader, dessen Ursache längst in: Vergessenheit gerathen, beizulegen, ließ die Flamme des Hasses neu und heftiger, emporlodern."
(Fortsetzung folgt.)