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81. Jahrgang.
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Samstag, de« 11. August
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Zllustr. Sonutagsblatt-
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Englands Sorge nm dar Wiche Brat.
Bon Tag zu Tag stärker macht sich die Wirkung unseres U-Boot-Krieges in England geltend. Der Inselbewohner, dem seit Jahrhunderten die halbe Welt tributpflichtig ist und der sich vom Schweiße der unterjochten und erbarmungslos ausgesogenen Völker reichlich und bequem nähren konnte, sieht sich gezwungen, den Leibriemen enger zu schnallen. Noch hungert er zwar nicht, aber das tägliche Brot, das ihm heute zusteht, ist rationiert und schlecht. Ein Blick in die englische Presse der letzten Woche zeigt uns in vielen hundert Einzelstimmen aus dem englischen Lande und dem Puplikum, wie der Druck der Er- nährungsschwierigkeiten auf dem Inselreiche lastet. Vornehmlich ist es das Brot, das in seinem jetzigen minder- wertigen, ja gesundheitsschädlichen Zustande entrüstete Klagen Hervorrust, und dessen Beschaffung für die Zukunft Gegenstand größter Besorgnis ist. Das Brot ist vielfach so schlecht, daß fortdauernd größere Mengen einfach vernichtet werden müssen. Der Sekretär der Londoner Bäckermeister-Innung erklärte z. B. kürzlich, daß in Crowdon ein Bäcker 7200 Pfd. Brot in die öffentliche Berbrennungs- anstait schicken mußte; drei Bäcker in Clapham mußten es mit 780 Stück vterpsündigen Broten ebenso machen. In Lauer Hill wurden 1100 Laibe vernichtet; aus Acion und Harrow Road waren 25 Klagen eingelaufen: ein Bäcker hatte 40, ein anderer 38 Sack von dem schlechten Mehl vernichten lasten müssen. Ein Bäcker im Ostend von London mußte 1200 LaM Brot an «inen Schweinehändler zur Bersütterung an Vieh verkaufen. Schuld an diesen Uebelständen ist die Entwicklung von „proxe" (jedenfalls feuchte Klebrigkeit und Wasserstreisen im Brote).
Die Bäcker-Innung von South Essex hielt vor kurzem eine Tagung ab und verlangte vor allem eine Aenderung der Streckungsvorschriften, da jeder Müller mit Mehl gerade das vermische, was ihm einsalle, „selbst Affennüffr". Durch die Entwicklung des „xromxe" sei allein in London-Westens in 47 Fällen. 12,5 To. Mehl vergeudet worden. Der Rückgang im Brotkonsum sei nicht auf Einschränkung im Brotessen zurückzu- führen, sondern nur eine Folge der Ungenießbarkeit des Brotes.
Die „Morning Post* vom 11. Juli bringt einen Be
rich! über eine Sitzung des Stadtrates von Aberdoon, während der Bürgermeister, der gleichzeitig Vorsitzender der Bäckermeister-Bereinigung von Grsßbritanien ist, die Mitteilung machte, daß die Streckung des Mehls 30 bis 50 o. H. betrage, und auch bestätigte, daß die Klagen der Bäcker im ganzen Lande die gleichen seien. Er verlangte erhöhten Wcizen-Import an Stelle der Mischung des Mehls mit Mais-, Bohnen- und Rußmehl, da ärztliche Autoritäten nachgewiesen hätten, daß die jetzigen Mehlmischungen und die hohe Ausmahlung gesundheitsschädlich seien, und daß es besonders in den Industriekreisen zu schweren Folgen kommen werde, wenn das Brot nicht von Weizenmehl allein hergestellt werde. Nicht Müller und Bäcker seien an dem schlechten Brot schuld, sondern der Lebensmitteldiktator!
Die Aussichten aus Besserung dieser drückenden Verhältnisse sind nicht gerade vielversprechend. Dis Einfuhr ist durch die Tätigkeit der deutschen U-Boote sehr in Frage gestellt, sie ist zudem durch nicht sehr glänzende Ernteer- wartungen der England beliefernden Getreidehändler noch verschlechtert. Und auch die Aussichten auf die inländische Ernte sind keineswegs befriedigend. Die Zeitung der englischen Getreidehändler „Corn Trade News" vom 29. Juni enthielt die Mitteilung, daß man von dem Plan, das Gras-(Weide-)land umzupflügen insofern abgekommen sei, als nur noch 2 Millionen Acres mit Weizen angebaut würden und weitere 2 Millionen mit Kartoffeln usw. bestellt werden sollen. „Morning Post" und „Times" griffen den Plan einer zwangsweisen Durführung dieser Maßnahme durch „Tomitez" als ungeeignet an, da dte „Eömttes" das Land nicht so genau kennen könnten wie die eigenen Besitzer, und daß deshalb die Gefahr bestehe, wertvolles Grasland nutzlos zu zerstören. Mit welcher Zurückhaltung der Plan der Umpflügung von Weideland in England ausgenommen wurde, zeigt eine Aeußerung der „Morning Post" vom 11. Juli: „Angesichts der ungeheuren Arbeit, die das umslügen von 4 Millionen Acres bedeutet, und der Schwierigkeit der Beschaffung der erforderlichen Arbeitskräfte, dürfte trotz der englischen Zähigkeit aus diesem Plane auch nicht viel mehr werden als im Jahre 1916."
Ueber die Ernteaussichten berichten die „Corn Trade News" von Iuni-Fnli, daß der Winterhafer fast ganz ausfällt und daß der Winterweizen stark gelitten hat. Die
langanhaltende Trockenheit hat das Wachstum der Sommersaaten stark behindert Die Haserernte ist sehr ungünstig, weil Wurmfraß schwere Schäden angerichtet hat.
Alle diese Erscheinungen wirken zusammen, um Eng- land mit banger Sorge für die Zukunft zu erfüllen. Noch herrscht der Wille zur Kriegführung bis zum Endsiege anscheinend vor, wie lange aber wird es noch dauern, bi», dank der Tätigkeit unserer U-Boote, das tägliche Brot dem Engländer derart beschnitten ist, daß der Hunger des Volkes die machtpolitischen Träume seiner Regierenden auseinanderreißt.
Der Weltkrieg.
Dev amtliche Tagesbericht.
Srsjjr, Hi»-ti»»rtikr. 10. Aug. Amtl. WTB. Drcchtd.
Westlicher Kriegsschauplatz.
Heeresgruppe Kronprinz Rupprecht.
In Flandern schwankte gestern die Kampstätigkeit der Artillerien bei wechselnder Sicht in ihrer Stärke. Sie nahm abends allgemein zu, hielt während der Nacht an und steigerte sich heute in den frühesten Morgenstunden zwischen der Pser und der Lus zu starkem Trommelfeuer.
I« Breite« Abschnitte» östlich ««d südöstlich von Hpern haben daranf starke feindliche Jufan- teriesvgriffe eingesetzt.
Im Artois war oer Aruüeriekampf beiderseits von Lens und südlich der Scmpe sehr lebhaft. Abendgriffe« die Engländer vom Wege Monchy—Pellt es bis znr Ttraße Arras—Cambrai in dichte« Masse« an. Unser Vernichtungsfeuer schlug verheerend in ihre Bereitstellungsräume. Die vorbrechende« Ttnrmwelle« erlitte« im Abwehrfeuer «nd Nahkampf mit nuferen kampfbewährte» Regimentern schwerste Verluste und wnrde« überall znrückgeworfen.
Nördlich von Saint Quentin entrissen b andenburgische Bataillone den Franzosen einige Grabenli lien in 1200 Meter Breite. Gegenangriffe des Feindes scheiterten. Ueber 150 Gefangene blieben in unserer Hand.
Dunkle pfacle.
Roman von Reinhold Ortmann.
B (Nachdruck verboten.)
Auch wenn Bernhard Rüthling an der Kasse nicht ausdrücklich zwei Plätze in der letzten Stuhlreihe verlangt hatte, würde mau ihm kaum wesentlich bessere gegeben haben, denn die Vorstellung hatte bereits begonnen, und der heiße, für eine solche Menschenansammlung viel zu niedrige Raum war nahezu gefüllt.
Editha, die sich ganz schwarz gekleidet hatte, behielt den dichten Schleier, der ihre Züge schon aus geringer Entfernung völlig unkenntlich machte, vor dem Gesicht, unbekümmert um die verwunderten Blicke der Umsitzenden, me eine solche Verhüllung in einem Theatersaal mit Recht einigermaßen befremdlich finden mochten. Nicht weniger Aderbar freilich mußte ihnen die Miene des breit- ichulterigen Herrn mit dem runden, roten Gesicht erscheinen, der durch die Gläser seines Zwickers den Theaterzettel mrnrunzelnd und mit so grimmig zusammengepreßten -Luppen studierte, als erwarte er, die schlimmsten Nachrichten darauf zu entdecken.
linde seinen Namen nicht", raunte er seiner ver- WEierten jungen Nachbarin zu. „So viel Schamgefühl iwelnt er doch wenigstens gehabt zu haben, ihn zu ver- Ichweigen. Aber ist er denn überhaupt hier? Hast du ihn ichon gesehen?"
n. dNit einer Kopfbewegung nur deutete Editha, derm A^n seltsam groß durch die Maschen des Schleiers R-der rechten Seite der Bühne hin, und als Bernhard Ruthlings Blick der angegebenen Richtung folgte, er mne, daß seine Tochter besser zu suchen ver- '^oen hatte als er. Denn in der durch einen Seiten- ^bildeten kleinen Nische dicht vor dem Proszenium üEin junger Mann, den er trotz der Entfernung sogleich als seinen Neffen erkannte.
-"Enials war ihm deutlicher zum Bewußtsein ge- kommen als m diesem Augenblick, wie wenig der nachgelassene Sohn seines in Armut und Dnrst'gkeit ans dem
Leben geschiedenen Vetters schon in seiner äußeren Erscheinung das Gepräge eines soliden und strebsamen Kaufmanns trug. Die zierliche, weiße Gestalt, das lockige dunkle Haar und das blasse, bartlose Gesicht mit dem fast frauenhaft feinen Munde, der hochgewölbten Stirn und dem eigentümlich versonnenen, schwermütigen Ausdruck entsprachen viel eher der Vorstellung, die man sich von dem Aussehen eines Künstlers macht, als dem Typus eines Börsenbesuchers. Und Bernhard Rüthling schalt sich in der Stille seines Herzens, daß er kurzsichtig und verblendet genug gewesen war, jemals irgendwelche Hoffnungen auf einen Menschen zu setzen, der einem soliden Geschäftsmann schon äußerlich so wenig Vertrauen einzuflößen vermochte.
Wie es ihm jetzt ums Herz war, wäre er am liebsten gleich aufgesprungen, um ihn am Arm zu packen und ihn draußen wegen seiner schmachvollen Handlungsweise zur Rede zu stellen. Aber Editha hatte ihm unterwegs das Versprechen abgenommen, daß er nichts tun würde, um Günter ihre Anwesenheit in dem Kabarett zu verraten. Und als ein Mann, der jede seiner Versprechungen unverbrüchlich erfüllte, mußte er sich darum wohl beherrschen, wie sauer es ihm auch ankam und wie wenig behaglich ihm das geduldige Verweilen in dieser ungewohnten Umgebung war.
Die Vorträge auf der Bühne interessierten ihn nicht im mindesten. Je mehr die in übersprudeinder Laune vorgetragenen lustigen Lieder und Duette dem Publikum gefielen, je lauter rings um ihn her der Beifall ertönte, desto tiefer wurden die Falten auf seiner Stirn, und desto zorniger preßten sich seine Lippen zusammen. Hier und da warf er einen verstohlenen Blick auf Editha; aber sie sab bewegungslos wie eine Statue, und der dichte Schleier verhinderte ihn. den Ausdruck ihres Gesichts zu erkennen.
Wieder hatte sich unter jubelndem Applmis die Gardine geschloffen und der langmähnige junge Mann an dem Flügel, der die Stelle des Orchesters vertreten mußte, intonierte ein munteres, prickelndes Vorspiel, das den Stammgästen des Kabaretts wohl gut bekannt sein mußte,
da es hier und da in Bernhard Rüthlings Umgebung verständnisvoll mitgesummt wurde.
„Endlich die Martini!" sagte jemand laut. „Paß auf, ob ich dir zu viel von ihr gesagt habe. Sie ist ein Prachtweib, das nicht einen, sondern zwanzig reizende Teufelchen im Leibe hat."
Bernhard Rüthling gewahrte, wie seine Tochter zusammenzuckte.
„Wollen wir doch lieber gehen?" fragte er, von innigem Mitleid mit seinem armen Kinde ergriffen. Aber sie schüttelte nur den Kopf. Und für einen unauffälligen Aufbruch wäre es zudem wohl auch schon zu spät gewesen; denn eben ging wieder mit leisem Rauschen die Gardine, auseinander, und in einem prächtigen, etwas phantastischen Gesellschaftskleids trat die Sängerin auf die Bühne heraus.
Sie war keineswegs die blendende Schönheit, die Editha vielleicht zu sehen erwartet hatte. Von berückender Anmut war allein ihre biegsame, zugleich schlanke und üppige Gestalt, deren Reize das mit kluger Berechnung ersonnene Kostüm auf das wirkungsvollste betonte. Ihr Gesicht dagegen war unregelmäßig und in den Einzelheiten beinahe unschön. Erst als es sich bei dem dröhnenden Beifall, der ihr Erscheinen begrüßte, zu einem halb dankbaren, halb schelmischen Lächeln verzog, gewann es einen > eigenen Reiz. Und als sie nun zu singen begann, mit einer wohlklingenden, frischen, aber sehr kleinen Stimme, die einen größeren Raum als den niedrigen Saal des Kabaretts wohl kaum auszufüllen vermocht hätte — als ein sehr lebhafte- Mienen- und Gebärdenspiel jedem Wort des von ihr vorgetragenen, ausgelassenen „Champagnerliedes" seine besondere, tiefere Bedeutung zu geben schier, da atmete ihre zierliche, bewegliche Gestalt so viel sprühende. Leben, da blitzten die dunklen, lachenden Augen so r>. - führerisch lockend aus dem übermütigen Gesicht, daß d - hinreißende Wirkung, die sie mit ihrem Gesang auf i. Zuhörer übte, wohl begreiflich wurde.
(Fortsetzung folgt.)