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Amts- und Anzeigeblatt für den Bezirk Lalw

63. Jahrgang.

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Erscheint Dienstag, Donnerstag und SamStag. Di- Einrückungsgebü'hr beträgt im Bezirk und nächster Um­gebung S Pig. di- -seile, sonst 12 Psg.

Tages-Ueuigkeiten.

Calw, 2. Nov. Letzten Freitag Abend 8 Uhr hielt Herr Dekan Braun zur Vorfeier des Reformationsfestes im wohlbesetzten Vereinshaussaal einen Vortrag über Ablaß und Buße.

Am 31. Oktober 1517 schlug Luther an der Thüre der Schlvßkirche Wittenbergs die 95 Sätze über den Ablaß an und in diesem Akte sah er selbst später den Beginn der Reformation. Dadurch wer­den wir auf die Frage gelenkt, was denn eigentlich der Ablaß ist. Um sie zu beantworten, muß man in die Geschichte der alten Kirche zurückgreifen. In der Zeit der Verfolgungen, als es mit der Sitte in der Kirche am strengsten gehalten wurde, war auf schwere offenkundige Sünden der Ausschluß aus der Gemeinde gesetzt. Die Wiederaufnahme eines reumüt­igen Sünders erfolgte nur unter der Bedingung auf­richtiger Buße. Diese mußte durch demütigende Zeichen kundgegeben werden (Weinen vor den Kirchthüren; Bitten um Verwendung einzelner Gemeindeglieder; Fasten rc.) und geschah unter demütigenden Formen. Diese Zeichen und Formen wurden im Verlauf der Zeit zur Hauptsache gemacht und nun als Strafen -aufgefaßt, durch deren Uebernahme der Reumütige Genugthuung leistete und sich den Frieden der Kirche erwarb. Es entwickelte sich bald ein System solcher Kirchenstrafen, welche nach erfolgter Beichte und Ab­solution den Sünvern auferlegt wurden, aber auf Grund vermehrter guter Werke (Schenkungen an Kirchen, Kirchen- und Klosterbauten) von den kirch­lichen Behörden nachgelassen oder erlassen werden konnten. Dieses Nachlassen oder Erlassen verdienter Kirchenstrafen ist der Ablaß. Er gewann eine große Bedeutung als die Vorstellung vom Fegfeuer auf­kam, einem qualvollen Reinigungsfeuer, in welchem die Seelen der Gläubigen nach dem Tode die Sünden­

Dienstag, den 4. November 189V.

strafen abzubüßen haben sollen, welche sie zu Lebzeiten nicht abbüßen konnten. Die Macht Ablaß zu erteilen, wurde dem römischen Bischof zugesprochen, der auch im eigenen und im allgemeinen Volksglauben eine Macht über das Fegfeuer erhielt, so daß er wenigstens durch seine Fürbitte und die Vermittlung der Heiligen einzelnen Seelen die Strafen des Fegfeuers ganz oder teilweise erlassen konnte. Es wurde zu diesem Zweck die Lehre von dem Schatz der Kirche benützt. Die überfließenden Verdienste Christi und der Heiligen bilden einen Gnadenschatz guter Werke, der sich immer mehrt, und dessen Gnaden solchen zugewendet werden können, welche es durch ihre guten Werke für sich oder sogar für die Seelen Verstorbener verdienen.

Im Mittelalter kam das neue hinzu, daß die guten Werke, denen Ablaß verheißen war, durch an­dere Personen verrichtet, dann auch durch Geld ab­gelöst werden konnten (Ausrüstung eines Kreuz­fahrers, Spenden an bestimmte Kirchen), eine Wend­ung der Sache, die dem heil. Stuhl viel Geld ein­trug. Auf diesem Wege verschaffte sich Papst Leo X. die Mittel zum Ausbau der Peterskirche, und Kur­fürst Erzbischof Albrecht von Mainz ließ sich die Haupt­agentur für Deutschland bei diesem Geschäft über­tragen, in der Absicht, auch für sich selbst einen Ge­winn herauszuschlagen, mit dem er eine große Schuld bei dem Bankhaus Fugger in Augsburg bezahlen wollte (er hatte sie gemacht um eine Sportel von 30000 Goldgulden an den Papst entrichten zu können.)

Die Persönlichkeit Tetzels und sein Treiben, wovon Redner eine anschauliche Beschreibung gab, machte den Uebergang zu Luthers bekanntem Auf­treten, und im Anschluß an den ersten der 95 Sätze stellte Redner der katholischen Ablaßpraxis die ernste evangelische Lehre von der Buße gegenüber, welche, ein inneres Selbstgericht, nicht geschäftsmäßig abge­macht werden kann, sondern eine Lebensaufgabe des

AbonnementSpreir vierteljährlich in der Stadt ro Pfg. und 20 Pfg. Träqerlohn, durch die Post bezogen Mk. 1. 15, sonst iv ganz Württemberg Mk. 1. 35. ,

Christen bleibt. Die Aufforderung, durch innere Ein­kehr bei sich selbst und beständige Selbsterneuerung ein rechtes Reformationsfest zu feiern, schloß den in­haltsreichen, mit gespannter Aufmerksamkeit aufge­nommenen Vortrag.

Stuttgart, 31. Okt. 'HeuteNachmittag 1'/, Uhr ist der König von seinem Aufenthalt in Fried­richshafen und Bebenhausen mittelst Extrazugs zum Winteraufenthalt wieder hier eingetroffen. Der König, welcher sehr wohl aussieht, wurde von dem zahlreichen Publikum, welches sich vor dem Bahnhof aufgestellt hatte, lebhaft begrüßt. Auch für diesen Winter scheint der König wieder dem Theater sein lebhaftes Interesse zuwenden zu wollen, wenigstens hat auf allerhöchsten Befehl die Neueinstudierung verschiedener älterer Werke zu erfolgen. Am 6. November soll auch das Ballet Die Puppenfee" hier erstmals in Scene gehen. Das Offizierkorps des XIII. Armeekorps will am 5. Nov. dem scheidenden General v. Alvens leben ein Abschiedsessen geben, welches im Königsbau abgehal­ten werden soll. Es sind 230 Couverts vorgesehen.

Die neuentdeckte Höhle bei Bissingen. Der Teckbote erhält folgende vom Entdecker der Bissinger Höhle (Lehrer Ochsenwadel) herrührende Beschreibung des Hergangs der Entdeckung: Wer je einmal von Ochsenwang aus gegen Schopfloch ge­wandert, hat gewiß auch im Vorbeigehen die wunder­baren trichterförmigen Einsenkungen beobachtet, die sich in der Nähe der Torfgrube befinden. Auch ich saß einst dort droben am Rande eines dieser Trichter, fernab vom Geräusche der Welt, das Herz erquickt vom warmen Sonnenschein und würziger Berglüfte und gedachte sinnend der alten Sage von der an dieser Stelle versunkenen Stadt Oberkirchheim. Ich sah dem Bächlein zu, das sich so ruhig daherschlängelt und plötzlich inmitten des Trichters spurlos ver­schwindet, und sein Rauschen beim Falle in die Tiefe

Jeuilleton.

Das Totenschiff.

^Bericht über eine Kreuz- und Querfahrt auf jenemDer fliegende Holländer" genannten Seegespenst; gesammelt aus den Papieren des seligen Obermatrosen Geoffroy Fenton aus Poplar

von W. Klark Wusfekk.

(Fortsetzung.)

Es beansprucht immerhin eine geraume Zeit, dies ausführlich zu berichten, obgleich sich diese Vorgänge alle in einen Zeitraum von dreißig Sekunden zusammen- > drängten. Es war, als wenn der kalte Mehltau des auf dem geenterten Schiffe ruhenden Fluches auf sie gefallen und ihre Zungen, Herzen und Seelen gelähmt hätte. Von der Seite, wo der sich an den fliegenden Holländer klammernde Schooner lag und unruhig auf dem Wasser auf und ab wogte, schallten laute mit ' leidenschaftlichen Zurufen gemischte Befehle in französischer Sprache zu den Enterern - auf unserem Verdeck herüber. Nach oberflächlicher Schätzung vermeinte ich Alles in 'Allem dreißig fremde Eindringlinge an Bord zu bemerken, von denen einige Neger waren. Alle trugen groteske Anzüge nach echt piratischer Manier, das heißt, so weit ich es in der Dunkelheit unterscheiden konnte: lange Stiefel, Schärpen, Blousen und leichte phrygische Brigantenmützen. Da standen sie nun, zu einem Haufen schreckgelähmter Gestalten vereinigt, mit entblößten, blitzenden Waffen. Einige starrten mit entsetzten Blicken nach dem Hinterdeck, wo, wie ich alsbald gewahrte, die Riesen- i figur Vanderdeckens, umgeben von seinen Steuerleuten und dem Bootsmann, wie eine Bronzestatue bewegungslos emporragte und stumm seine Augen auf sie richtete. Doch schrecklicher als das Höllengeflimmer auf Planken, Bollwerken und Masten, furchterregender als die gräßlichen Vermutungen, welche die allen Geschütze, Boote und das übrige Schiffsgeräte, soweit es in der Dunkelheit sichtbar ward, in dem ^Beschauer und umsomehr in dem Kopfe eines Matrosen wachriefen, war die

Gruppe flimmernder Gesichter, die starre Unbeweglichkeit, das Kirchhofschweigen der geisterhaften, unheimlichen Seemannsschar, wie sie den Bewegungen der Piratenab- teilung in gespenstischer Teilnahmlosigftit mit ihren Blicken folgte. ^

Ich fühlte eine Inspiration in mir! Und aus einer Art wirklicher Sympathie mit der Furcht und dem Schrecken, der auf den Gesichtern der Franzosen deutlich ausgeprägt war und augenscheinlich nur eines Zurufes bedurfte, um in panisches Entsetzen auszubrechen, rief ich aus dem Dunkel meines Hinterhaltes mit einer Stimme, welcher das Bewußtsein, ein großes Wagnis zu unternehmen, den Klang deS rollenden Donners verlieh:

sauvss-vous! Lsuvee-vous! 6'eet Io Uollamlais Volant!"

Ob es gutes Pariser Französisch und mit dem richtigen Accent gesprochen war, kümmerte mich wenig. Doch die Wirkung war eine gewaltige: Als wenn ein Blitz auf sie medergefahren wäre und Alles zerschmettert hätte, flog die gesammte Bande mit kreischendem, gurgelndem entsetzlichen Geschrei:lös Hollkinäais Volant! Ls llollanäais Volant!" nach der Seite, viele warfen ihre Waffen weg, um besser vorwärts zu kommen, cmporzuklimmen und über das Geländer zu springen. Nun, man sieht, daß dieser mein Warnungsruf ihren unbestimmten Befürchtungen ganz genau Ausdruck verliehen hatte, er machte die Panik nur noch allgemeiner, und unter Lauten des Entsetzens, aus denen die Worte meiner Schreckensbotschaft als Echo wiederballten, Überpurzellen sie sich wie flüchtende Ratten, die in ihrer Hast nicht achten, wo sie mit Kopf und Schwanz anrennen, und verschwanden.

Ich rille die Halbverdcckstreppe hinan, um zu sehen, was da solgte, und er­blickte zunächst die hohen Umriffe Vanderdeckens, der an dem das Vorderteil des Hinterdecks schützenden Geländer stand und mit verschränkten Armen und starrer Unbeweglichkeit auf den Schooner hinabschaute. Mehr an der Seite befanden sich die beiden Maats und Jans, Zeugen einer Scene, gegen deren Tumult, Lärm und wilde Auflegung sie taub und blind zu sein schienen.

Ich lugte über das Bollwerk. Di» beiden Schiffe lagen sich aneinander reibend Bug an Bug, und wie sich das gewaltige Ungetüm des Totenschiffes gegen den kleinen Schooner lehnte, glaubte man unwillkürlich, daß es ihn zermalmen und