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Amis- und Anzeigeblatt für den Bezirk (Lalw.
65. Jahrgang.
^Erscheint Di en s t a g , Donnerstag und SamStag. Die Einrückungsgebühr beträgt im Bezirk und nächster Umgebung 9 Pfg. die Zeile, sonst 12 Pfg.
Donnerstag» den 9. Oktober 1890.
Abonnementspreis vierteljährlich in der Stadt Pfg. und 20 Pfg. Trägerlohn, durch d'e Post bezogen Mk. 1. 15, sonst i« ganz Württemberg Mk. 1. 35.
Tages-Neuigkeiten.
Stamm heim, 7. Okt. Eine traurige Kunde durcheilte gestern unfern Ort. Der ledige Michael Kober, 25 Jahre alt, ging mit einem Freund, der wieder in die Garnison einrücken mußte, am Sonntag Nacht auf den Bahnhof Althengstett. Dort stieg er mit demselben in den Zug ein, hielt sich aber im Abschiednehmen zu lange auf, so daß er vom Kondukteur am Aussteigen verhindert werden mußte, da der Zug schon in Bewegung war. Dessen ungeachtet sprang Kober am Tunnel doch aus dem Wagen. Am Bahndamm wurde später der Körper des Unglücklichen mit zerschmetterter Hirnschale aufgefunden. Die Leiche wurde zunächst nach Althengstett und nachdem eine Untersuchungskommission an Ort und Stelle den Thatbestand ausgenommen hatte, hieher übergeführt. Der Verunglückte war Bräutigam und wollte diesen Herbst noch in ven Ehestand treten.
— Auf eine bei dem K. Ministerium der auswärtigen Angelegenheiten, Abteilung für die Verkehrsanstalten, eingelaufene Bitte einer Anzahl Interessenten um Beschleunigung des Baus der Eisenbahn von Nagold nach Altensteig ist der nachstehende Bescheid erteilt worden: „Der auf Grund des Gesetzes vom 28. Juni 1889, betreffend die Beschaffung von Geldmitteln für den Eisenbahnbau in der Finanzperiode 1889/91 im Juli 1889 errichteten Etsenbahnbausektion Nagold konnten mit Rücksicht auf den Mangel an iechnischem Personal nur zugeteilt werden ein Abteilungs-Ingenieur als Vorstand, ein Bauführer, ein Geometer und ein Hilfsgeometer. Es war daher von Anfang an nicht m Aussicht zu nehmen, daß die über 15 Irin lange Bahnlinie Nagold—Altensteig im Jahre 1890 zur Eröffnung kommen würde, um so weniger, als die Bahn von dem Bahnhof in Nagold ab auf ^eine. Strecke von 2 Irin unter schwierigen Verhältnissen selbstständig ohne Benützung der Staatsstraße zu -führen ist. Die Hauptarbeiten für die Bahn sind
demzufolge auf der Markung Nagold vorzunehmen, weshalb die Detailplane für diese Markung vor denjenigen der übrigen Markungen bearbeitet und so gefördert wurden, daß in Nagold zu Beginn des Sommers mit den Grunderwerbungen anfangen werden konnte. Diesen stellten sich aber Hindernisse entgegen, so daß in einer nicht unerheblichen Anzahl von Fällen das nach den gesetzlichen Bestimmungen geraume Zeit in Anspruch nehmende Zwangsenteignungsverfahren einzuleiten war. Die in dem Verfahren zur Feststellung des Plans gegen diesen erhobenen Einwendungen haben in einer am 18. September d. I. zwischen den Vertretern der K. Eisenbahnverwaltung und den Beteiligten stattgehabten Verhandlung sämtliche im Vergleichswege ihre Erledigung gefunden. Es kann deshalb nunmehr demnächst zu der Feststellung der Entschädigung für die zu enteignenden Grundstücke geschritten und die Enteignungs-Verfügung erlassen werden, worauf dann die Bauarbeiten auf der Markung Nagold wohl noch in diesem Jahre werden vergeben und begonnen werden kö.nnen. Auch soweit die Straße zur Schienenauflage benützt wird, ergab sich die Notwendigkeit vielfacher Verhandlungen, teils über die Anlage von Haltepunkten und von Privatgeleise-Anschlüssen, teils über Einsprachen gegen die projektierte Lage der Bahn. Es sind jedoch auch für diesen Teil der Bahn die Plane nunmehr fertig gestellt und dem Reichs-Eisenbahn-Amt vorgelegt, so daß die Inangriffnahme der Arbeiten nächstes Frühjahr rechtzeitig wird erfolgen können."
Herrenberg, 4. Okt. Zur Pflege nationaler Interessen wurde eine deutsche Partei hier gegründet, der bis jetzt 50 Mitglieder beigetreten sind.
Stuttgart, 6. Okt. Wie aus Berlin telegraphiert wird, begiebt sich Se. Kgl. Hoheit Prinz Wilhelm von Württemberg am 9. Oktober, also am Donnerstag, nach Berlin. Man bringt diese Reise mit der Neubesetzung der Stelle 13. Armeekorps in
Verbindung. Wie man hört, soll die Ernennung des kommandierenden Generals am 15. Oktober erfolgen.
Stuttgart. Der Wintergarten am K. Schloßgebäude geht seiner Vollendung entgegen. Ebenso zeigt der obere Anlagensee, der seit einiger Zeit trocken gelegt ist, schon bedeutende Spuren seiner Neuein- sassung in Zement. Bald werden sich die Fluten wieder in seinen „ausgetrockneten" Raum ergießen, und die Schwäne, Enten und Trompetergänse rc. ihrer jetzigen, in Ermangelung des gewohnten feuchten Elements entstandenen großen Trübsal enthoben sein.
W. Ldztg.
Stuttgart, 7. Okt. Kartsffelmarkt: Zufuhr 800 Zentner. Preis 2 ^ — -iZ bis 2 50 pr. Ztr. Krautmarkt: 4000 Stück Filder- kraut 12—14^ per 100 Stück. Mo st ob st: Wilhelmsplatz. 5000 Ztr. Preis 5 30 ^ bis 6 ^
30 -H.
Cannstatt. Der Indianer-Truppe des Buffalo Bill wurde 500 Platzgeld und 300 ^ für eine Wirtschaft innerhalb ihres Unternehmens angesetzt. Für die weiter zugelassenen drei Wirtschaften wurde beim öffentlichen Aufstreich Platzgeld erlöst : für die Weinbude 405 Bierwirtschaft 502 <^, Kaffeezelt 202 Die Konkurrenz bei der Verpachtung war sehr groß.
Eßlingen, 5. Okt. In vergangener Woche kam der Sohn einer Witwe nach zweijähriger Dienstzeit vom Militär zurück. Die Freude der Mutter war groß, denn sie braucht den Sohn zur Fortführung ihres Geschäftes sehr nötig. Aber zu dieser Freude kam noch eine weitere angenehme Ueberraschuizg; der Sohn zog den Beutel und legte seiner Mutter 300 ^ auf den Tisch. Er hatte sich ein Volkssestloos gekauft und eine Kalbel gewonnen, die er im Heimweg von der Garnison in Cannstatt übernommen und sogleich um 360 ^ verkauft hatte.
Reutlingen, 2. Okt. In der Nacht vom Dienstag auf Mittwoch verübten einige mutwillige
Jeuilleton.
Das Totenschiff.
Bericht über eine Kreuz- und Querfahrt auf jenem „Der fliegende Holländer" genannten Seegespenst; gesammelt aus den Papieren des seligen Obermatrosen Geoffroy Fenton aus Poplar
von W. Klark Hl«sfekt.
(Fortsetzung.)
Vielerlei verschiedene Ideen durchkreuzten mein Gehirn — darunter einige, die geradezu albern, ja thöricht waren und dem praktischen Blick eines Seemannes ein schlechtes Zeugnis ausstellten, obgleich mir jetzt, wenn ich darauf zurückschaue, ihre Absurdität nur ein Gradmesser ist für die Verzweiflung, in der ich mich damals befand. So phantasierte ich zum Beispiel folgendermaßen: „Gesetzt den Fall, Vanderdecken giebt mir und Jmogene Erlaubnis, das Wrack zu besteigen. Wir betreten das Wrack und erfinden Mittel und Wege und Entschuldigungen, unsere Rückkehr zu verzögern. Mittlerweile ist unmerkbar eine geraume Zeit verflossen und die auf Aenderung des Wetters deutenden Anzeichen gehen in Erfüllung, und zwar derartig, daß der Holländer leewärts von uns Hinweggetrieben wird. In dem darauf folgenden Dunkel der Nacht verlieren wir ihn ganz aus dem Gesicht, und ob die Matrosen, die uns ruderten, zur Braave zurücksegeln oder auf dem Wrack bleiben, das kann unS nichts verschlagen, denn wir hätten nun doch wenigstens nicht mehr die Planken der fluchbeladenen Barke unter unfern Füßen."
Während ich mir so mein Gehirn zermarterte, stahl sich mein heißgeliebtes Mädchen an meine Seite und ich erstattete ihr sogleich Bericht über meine Gedanken. Sie lauscht« gespannt.
„Geoffroy," sagte sie, „Du bist mein Kapüän. Befiehl, und ich werde Deinem Geheiße folgen."
„Mein Herzensschatz," erwiederte ich, „wenn Du wüßtest, in was für ein
elendes, nervöses Geschöpf mich dieses Totenschiff umgewandelt hat, es würde Dir dünken, daß ich der Leitung und Führung bedürfe und nicht Du. Doch jene Barke da drüben ist nichts für uns. Nein! Nein! Lieber an jenes kleine Boot dort geklammert als an einen Schiffsrumpf, den alle menschlichen Wesen, ja vielleicht sogar die Ratten verlaßen haben.
Einunddreißigstes Kapitel.
Der tote Steuermann.
Meine Schätzung bezüglich der Größe des entmasteten, dem Spiel der Wellen preisgegebenen Fahrzeuges erwies sich als richtig. Sein Gehalt belief sich auf ungefähr vierhundert Tonnen. Allmählich kamen wir ihm näher, und als die Entfernung nur noch einen Musketenschuß betrug, befahl Vanderdecken, das Topsegel gegen den Mast zu legen. Die Brise hatte sich ausgefrischt, muntere Schaumwellen tanzten auf dem Ozean einher, und unser Schiff rollte hilflos wie eine Eierschale auf seiner bewegten Oberfläche.
Daß in dem Wrack kein Mangel an Wasser vorhanden, war gewiß; doch da es das Aussehen eines Schiffes bot, welches schon seit einigen Tagen von seiner Besatzung verlassen worden, die es bereits damals in einem sinkenden Zustande glaubte, so war es zweifellos, daß das Leck auf seltsame, zufällige Weise, vielleicht durch das Eindringen und Davorlegen irgend einer Substanz, verstopft worden. Alle drei Maste waren ungefähr einen oder zwei Fuß über Deck abgebrochen und wahrscheinlich über Bord gegangen. Der Rumpf war dunkelbraun angestrichen, doch aus der Entfernung sah er mehr wie schwarz aus. Das Hinterteil war schmuck und hübsch, die Seitengalerien wurden von vergoldeten Figuren gestützt, und von hier schlängelte sich ein Goldstreifen die Seiten entlang bis zu den Bugs. Unter der Gilling traten bei jedem Emporheben des Sternes in großen, weißen Buchstaben die Worte „Prinz von Wales" hervor. Dieser Name besagte, daß es ein englisches Schiff war. Auf seinem Deck herrschte ein unbeschreibliches, wildes Chaos: da lagen die Urberbleibsel von Tauen, zerfetzten Eegeltüchern, Dauben von Booten und