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Amis- und Anzeigeblatt für den Bezirk Lalw
65. Jahrgang.
^Erscheint Di en s ta g , Donnerstaa und SamStag. Die Einrückungsgebühr beträgt im Bezirk und nächster Umgebung s Pfg. die Zeile, sonst 12 Pfg.
Dienstag, den 7. Oktober 189V.
AbonnementspreiS vierteljährlich in der Stadt 20 Pfg. und 20 Pfa. Lrägerlohn, durch d<e Post bezogen Mk. 1. lb, sonst i» ganz Württemberg Mk. 1. Sü.
Amtliche Wekanutmachrmgen.
Amtliche Kekanntmachung
Betreffend Maßregeln zur Bekämpfung der Maul- und Klauenseuche.
Nach einer Mitteilung des großh. Bad. Be- zirksamts Pforzheim vom 3. Okt. d. I. wurde die Abhaltung des auf 7. d. M. anberaumten Oktober- Viehmarktes in Pforzheim verboten.
Calw, den 4. Oktober 1890.
K. Oberamt. Amtmann Bert sch.
Deutsches Reich.
Berlin, 2. Okt. Die Feierlichkeiten zum Erlöschen des Sozialistengesetzes sind allenthalben ohne erhebliche Störungen der Ordnung vorübergegangen. Das hat wohl auch niemand anders erwartet, nachdem die Führer ihren Einfluß in dieser Richtung geltend gemacht haben. Auch den thaten- lustigsten „Genossen" mußte es natürlich auch darum zu thun sein, nicht gleich in der ersten Stunde des Ablaufs des Gesetzes den Beweis von der Notwendigkeit der Erneuerung desselben oder eines anderweiten Ersatzes zu liefern. Ob die Bewegung auch ferner stets den gesetzlichen Boden innehalten oder aber die Staatsgewalt zu schärferen Abwehrmaßregeln herausfordern wird, das ist die große Frage der Zukunft, die heute auch der Scharfblickendste nicht wird beant- rvorten können.
Berlin, 2. Okt. Der „N. A. Z." zufolge begab sich der Reichskanzler, General v. Caprivi, heute abend nach Friedrichshafen, um sich Seiner Majestät dem König von Württemberg vorzu
stellen und gleichzeitig dem Ministerpräsidenten Freiherrn v. Mittnacht den Besuch, den dieser dem Reichskanzler bei seinem Amtsantritt gemacht, zu erwiedern. Auf dem Rückwege nach Berlin gedenkt der Reichskanzler S. K. H. dem Großherzog von Baden seine Aufwartung zu machen. Der Besuch bei S. K. Hoh. dem Prinz-Regenten von Bayern erfolgt erst, wenn derselbe seinen Sitz wieder dauernd in München genommen hat.
Stuttgart, 4. Okt. Der Herr Reichskanzler General v. Caprivi ist in Begleitung seines Adjutanten gestern mittag 12 Uhr 35 Min. mit dem Berliner Schnellzug hier angekommeü. Zu seinem Empfang hatten sich auf dem Bahnhofe der kgl. preuß. Gesandte Graf v. Eulenburg und Legationsrat v. Kleist eingefunden. Der Reichskanzler nahm mit den Herren das Mittagsmahl im Wartsaal 1. Klasse ein. Um 1 Uhr 40 Min. setzte der Reichskanzler in Begleitung des Grafen Eulenburg seine Reise nach Friedrichshafen fort. Se. Kgl. Hoh. Prinz Wilhelm, welcher sich mit dem Adjutanten Rittmeister Bieber mit dem gleichen Auge in besonderem Wagen ebenfalls nach Friedrichshafen begab, begrüßte den Reichskanzler vor der Abfahrt.
Friedrichshafen, 3. Okt. Heute abend vor 6 Uhr traf von Stuttgart kommend der Reichskanzler General der Infanterie von Caprivi, begleitet von dem K. Preußischen Gesandten Grafen zu Eulenburg und dem persönlichen Adjutanten Hauptmann Ebmeyer hier ein. Am Bahnhofe hatten sich der Generaladjutant Generallieutenant Freiherr v. Molsberg, der Ministerpräsident Fkeiherr v. Mittnacht und der Kriegsminister Generallieutenant v. Steinhell zur Begrüßung eingefunden. Der Herr Reichskanzler fuhr mit seiner Begleitung in das Hotel zum Deutschen Haus, wo ihm als Gast Seiner Maje
stät des Königs Ouartier bereitet ist. Später folgte er einer Einladung des Herrn Ministerpräsidenten in dessen Villa. Empfang und Tafel bei Ihren Königl. Majestäten finden morgen statt. Sonntag früh reist der Reichskanzler nach Baden-Baden, wo er vom Großherzog zur Tafel geladen ist und am Montag nach Darmstadt zum Besuch des Großherzogs von Hessen.
München, 2. Okt. (Graf Moltke Ehrenbürger von München.) Anläßlich des 90. Geburtstages des Grafen Moltke wurde in den städtischen Kollegien seine Ernennung zum Ehrenbürger der Stadt in Anregung gebracht. Das Kollegium der Gemeindebevollmächtigten hat bereits heute früh einen dahingehenden Beschluß in geheimer Sitzung gefaßt und der Magistrat wird sich mit Einstimmigkeit demselben anschließen. Bei der Verehrung, die der greise Feldmarschall in allen Schichten der Bevölkerung und bei allen Parteien genießt, wird die Künde von dieser Ehrung gewiß überall große Freude Hervorrufen.
Ausland.
— Eine Meldung der Times aus Sansibar übermittelt folgende Einzelheiten über die Witu- Morde: Der S u l t a n ließ die Deutschen nach Witu kommen und alle entwaffnen. Künzel erging sich in heftigen Schmähungen gegen den Sultan und besiegelte damit sein und seiner Gefährten Schicksal. Vier Deutsche wurden außerhalb Witus, davon drei nach meilenweiter Verfolgung, getötet, zuletzt Künzel. Meuschell wurde verwundet und entkam. Die Mörder begaben sich nach Künzel's Lager und töteten den zurückgelassenen Karl Horn. Die deutschen Plantagen um Witu sind gänzlich verwüstet, der deutsche Pflanzer Behnke wurde getötet. Die Leichen sind noch unbeerdigt, aber unverstümmelt. Alle Einwohner des Bezirks einschließlich des Sultans sind an der ruchlosen That beteiligt.
Zeuilleton.
Das Totenschiff.
Bericht über eine Kreuz- und Querfahrt auf jenem „Der fliegende Holländer" genannten Seegespenst; gesammelt aus den Papieren des seligen Obermatrosen Geoffroy Fenton aus Poplar
von W. Klark Wusse kt.
(Fortsetzung.)
Der Windhauch — denn anders konnte man die Brise nicht nennen — kam mehr aus nördlicher Richtung, und das Schiff hielt, wie ich aus dem Stand der Sonne zu erraten vermochte, ungefähr Nordost. Dem Himmel entlang segelten weiße, glänzende Wölkchen, die sich hier und da zusammenballten und die verschiedensten Formen bildeten, während die Sonne, von diesem vorüberhuschenden Wolken- figuren umgeben, ihr Licht in mächtigen, blitzenden Streifen auf das Azurgewäffer des Ozeans herabsandte und es in glänzenden, Hellen Farben auffunkeln ließ.
„Eine gute Aussicht für eine frische Brise, Mynheer/ redete ich Vanderdecken -an, „vorausgesetzt, daß Form und Lage jener hohen Wolken und das schwache Dunkel luvwärts nicht täuschen."
„Jawohl," entgegnete er und ein flüchtiger, horizontaler Blick flog unter seinen Buschigen, runzeligen Brauen hervor nach dem Norden; „wäre es nicht wegen des mir von oben aus dem Mastkorb Gemeldeten, so würde ich schon längst die Steuerbordhälse zugesetzt haben."
„Ist irgend etwas in Sicht, Herr?" fragte ich und fürchtete, zu vernehmen, daß es ein Schiff sei.
Er antwortete: „Bei Sonnenaufgang ward von dem ober« Beobachtungs- . Posten aus das Funkeln eines nassen, schwarzen Gegenstandes sichtbar. ArentS war im Stande, ihn schon vom FockmarS aus vermittelst des Perspektivglases zu unterscheiden. Er berichtete mir, daß eS der Rumpf eine» verlassenen Schiffe« sei. Doch kann er sich auch täuschen. Ihr Auge ist scharf, Herr; wir brauchen Tabak höchst Lotwendig; doch möchte ich nicht gern unnütz« Zeit verschwenden und auf «in Fahr
zeug loksteuern, das vielleicht über und über mit Wasser gefüllt und so für uns un- besteigbar und demgemäß ohne Nutzen ist."
„Sie wünschen also, daß ich nach oben gehe und sehe, ob ich Ihnen über daS in Sicht gekommene Objekt Gewißheit verschaffen kann, Herr?"
„Wenn Sie so gut sein wollen!" antwortete er mit einem ernsten Neigen seines Hauptes.
„Kapitän Banderdecken," sagte ich, „ich würde mich glücklich fühlen, Ihnen auf irgend welche Weise nützlich sein zu können, und bedaure nur, daß Ihre Höflichkeit mir beinahe nie eine Gelegenheit gewährt, die Wahrheit dieser Worte zu beweisen."
Er verbeugte sich abermals und deutete auf das Teleskop, an das Arents ein Taljereep befestigt hatte, um eS so auf dem Rücken leichter nach oben zu bringen. Ich warf die Schlaff« über den Kopf und schritt nach vorn. An der Wetterfockwand angelangt sprang ich auf eine alte Kanone, von da auf die Regeling und schwang mich von hier in das Takelwerk. Doch nur mit der äußersten Vorsicht kletterte ich an diesem empor, denn die Bindsel der Webeleinen sahen ganz verfault, die Umhüllungen altersgrau und morsch aus und schienen dem Alter des Schiffes selbst nichts nachzugeben.
Endlich am Ziele angelangt, fand ich mich auf einer großen, runden Plattform, die wie ein Feld mit dem Grün von Moos und Gras bedeckt und von einer hölzemen, mir bis an die Achselhöhlen reichenden Brustwehr umgeben war. DaS Holzwerk war von außerordentlicher Dicke, entsprach jedoch vollständig dem übrigm Gebälk des Schiffes in Bezug auf Alter und Aussehen und zeigte Schießscharten für Musketen und Kleingeschütz.
Von hier aus bot sich mir ein weiter Umblick über die mächtige See, und denselben Moment, wo ich mein unbewaffnetes Auge von der Wmd- nach der Leeseite wandte, sah ich deutlich zwischen Krahnbalken und Klüsholz hindurch ein Etwas, daS ich sofort als die nasse Seite eines Schiffes erkannte, welches im strahlenden Sonnenschein hin und her schaukelte. DaS regelmäßige Auftauchen und Wieder- verschwinden de» Hellen, feurigen GefunkelS glich dem LoSbrennen eines Geschützes,