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und Anzeigeblatt für den Bezirk Lalw. 65. Jahrgang.

Erscheint Di-nStag, Donnerstag und SamSt-g. Die Einriicknngsg-bühr beträgt im B-gil und nächster Um­gebung 9 Pfg. die Heile, sonst 12 Pfg.

Samstag, den 13. September 1890.

ÄbonnementSpreis vierteljährlich in der Stadt -0 Pfg. mH 20 Pfg. Trägerlohn, durch d^e Post btzvgen Mt- 1. lb, sonst 1« ganz Württemberg Mk. 1 . 35.

Deutsches Reich.

Kiel, 11. Sept. Der Kaiser fuhr gestern nacht unter dem Salut der Kriegsschiffe mit einer Dampfbarkasse von derHohenzollern" nach der Jensenbrücke, begab sich zu Fuß an den Bahnhof und reiste samt Gefolge um 11 Uhr mit Sonderzug nach Berlin.

Charlottenburg, 11. Sept. Der Kaiser ist mit Graf Moltke und Gefolge um Ws Uhr hier eingetroffen, während die Ankunft der Kaiserin um 7 Uhr 35 Min. erfolgte. Beide Majestäten, so­wie Prinz und Prinzessin Leopold, der Herzog und die Herzogin von Connaught, Graf Moltke und das Gefolge reisten um 8 Uhr 10 Min. nach Breslau weiter.

Breslau, 11. Sept. Das Kaiserpaar ist um 2 Uhr hier eingetroffen und wurde von der gesamten Generalität und den Spitzen der Behörden -empfangen. Am Bahnhofe war eine Ehrenkompagnie des Grenadier-Regiments Nr. 11 anwesend. Das Kaiserpaar begrüßte den Prinzen Georg von Sach­sen und den Korpskommandeur Lewinski. Nach dem Abschreiten der Ehrenkompagnie fuhren die Majestäten nach dem Schloß, von Leibkürassieren es­kortiert, und wurden vom Magistrat und von Ehren­jungfrauen begrüßt. Eine Deputation der Hochschule, der Vereine und Innungen bildeten Spalier. Es herrschte ununterbrochen großer Jubel.

Der PostdampferReichstag." Nach -einem Telegramm desReuter'schen Bureau" aus Sansibar vom 9. September ist die Meldung der Times" von einem zu befürchtenden Wrackwerden des deutschen PostdampfersReichstag" durchaus un­begründet; das Schiff liege vielmehr an geschütztester Stelle im Hasen von Dar-es-Salaam und lösche seine Ladung. Bei der nächsten Springflut sei das Wieder- flottmerden desselben zu erwarten.

In Hamburg herrscht große Besorgnis

über das Ausbleiben des seit 3 Wochen in Valparaiso fälligen Hamburger PostdampfersVirgilia" der Pacisic-Linie. Die chilenische Regierung sandte einen Kriegsdampfer aus, um Nachforschungen über den Verbleib derVirgilia" anzustellen, lieber das Er­gebnis derselben ist aber noch nichts bekannt.

, Der Aufruf zur Gründung einer Moltke-

stiftung auf den 26. Oktober d. I., an dem der Generalfeldmarschall sein 90. Lebensjahr vollendet, ergeht jetzt in den Blättern. Nach einer kurzen Er­innerung an die weltgeschichtlichen Thaten des großen Schlachtendenkers heißt es in dem Aufruf:Um dem Dankgefühle, welche alle beseelt, Ausdruck zu geben, was könnte geeigneter sein, als an den Tag, der ihn gebar, an die Stätte, an welcher seine Wiege stand, eine Stiftung zu knüpfen, die seinen Namen trägt! Im Norden Deutschlands, in der Stadt Parchim, steht sein Geburtshaus: es anzukaufen, für eine würdige Erhaltung Sorge zu tragen, das er­scheint uns als eine Pflicht der Pietät. Es dürfte ferner dem nationalen Empfinden entsprechen, ein größeres Kapital zusammenzubringen und es dem ge­feierten Feldherrn für wohlthätige Zwecke, die nach seiner Bestimmung mit der Geburtsstätte in Beziehung zu setzen sein würden, zur Verfügung zu stellen." In der Hoffnung, daß dieser Gedanke überall in deutschen Landen freudige Aufnahme finde, richtet der Aufruf an alle nationalgesinnten Männer ohne Unterschied der Parteistellung die Bitte, an allen Orten Sammlungen zu veranstalten und die Erträge dem Schatzmeister, Fabrikbesitzer Jordan zu Par­chim, zugehen zu lassen. Unterzeichnet sind Reichs­tagsabgeordnete fast aller Parteien, auch der frei­sinnigen und des Zentrums, und sonstige bekannte Namen vorwiegend aus Norddeutschland.

Tages-Zleuigkeiten.

(Amtliches aus dem Staatsanzeiger.j Seine Königliche Majestät haben vermöge

allerhöchster Entschließung vom 10. September das Ritterkreuz erster Klasse des Friedrichs­ordens dem Oberamtmann Supper in Calw, allergnädigst verliehen.

* Calw. Im September haben wir nach Falb zwei kritische Tage zu erwarten. Es sind dies der 14. und 28. September. Während Falb den 14. als kritischen Tag dritter Ordnung bezeichnet, nennt er den 28. Sept. einen solchen erster Ordnung.

Stuttgart, 11. Sept. Zum Geburtsfest Ihrer Majestät der Königin schreibt der Staatsan­zeiger : Freudig bewegten Herzens begeht das württem- bergische Volk heute das Gevurtsfest JhrerMaje- stät der Königin. Mit dem Dank gegen die all­gütige Vorsehung, welche die geliebte Landesmutter an der Seite des Königlichen Gemahls gnädig durch dies Lebensjahr hindurch geführt und Ihr Gesundheit und Kraft erhalten hat zur Vollbringung der edlen Werke, die sich Ihre Majestät zu ihrer schönsten Lebensaufgabe gesetzt hat, verbinden sich die Segens­wünsche des württembergischen Volks für das ueuan- getretene Jahr. Die huldreiche Hilfe, die vom Un­glück schwer betroffene Landeskinder von der hohen Frau haben erfahren dürfen, die großartige Veran­staltung, die zum Besten religiös-sittlicher Gemeinde- zwecke weitere Kreise der Hauptstadt zu einem Fest der Wohlthätigkeit vereinte, eine neue Heimstätte der Barmherzigkeit sodann, die Ihrer Majestät ihr Ent­stehen verdankt, sind in dem Jahr, auf das wir zu­rückblicken, aufs neue beredte Zeugen geworden der unermüdlichen, treu besorgten Liebesthätigkeit der er­habenen Landesmutter, und doch treten sie vielleicht noch zurück hinter dem, was in der Stille jährlich den Armen und Bekümmerten an Hilfe und Trost von der königlichen Spenderin zufließt, hinter der ermuntern­den mithelfenden Teilnahme, die die große Zahl wohl- thätiger und gemeinnütziger Anstalten fortwährend von Ihrer Majestät erfahren dürfen, hinter dem segens­reichen Einfluß, den das leuchtende Vorbild von so

Jeuilleton.

Das Totenschiff. ------

Bericht über eine Kreuz- und Querfahrt auf jenemDer fliegende Holländer" genannten Seegespenst; gesammelt aus den Papieren des seligen Obermatrosen Geoffroy Fenton aus Poplar

von W. Kkark Massekk.

(Fortsetzung.)

Das Schneiden solcher Art Tabakkrautcs ist ein ziemlich ermüdendes Geschäft, und da Jans nun wohl begriff, wie es gemacht wurde, so nahm er das Messer selbst und trennte ungefähr einen Zoll davon ab, während das ganze Stück Alles in Allem vielleicht drei oder vier Zoll umfaßte. Mittlerweile fand ich Muße genug, meine Umgebung zu mustern.

Kaum hatte Jans seine Pfeife angezündet und kaum war es von den In­sassen des Volkslogis bemerkt worden, als auS mehreren Theilen dieses düsteren Matrosenheims unheimliche Gestalten herbeigeschlichen kamen, die sich schnell um die Treppe versammelten, über deren Stufen der Bootsmann mit der Pfeife im Munde kehnte und das edle Kraut in kleine Schnittelzerlegte. Das Tageslicht fiel auf einige von ihnen mit voller Klarheit, während wiederum Andere nur in unbestimmten Umrissen aus dem schwachen Zwielicht hervortraten, zu dem sich der durch die Deck­öffnung eindringende Lichtstrahl weiterhin abschwächte. Aus reihenweise angebrachten Hängematten, die sich im Dunkel des Hintergrundes verloren, waren die Leute her­beigeeilt und selbst halbverhungerte Schiffbrüchige konnten keine größere Gier nach Nahrung zur Schau tragen als diese unglücklichen Kreaturen nach einer Pfeife von -em Tabak, den Jans noch zubereitete. Eine schrecklichere, wildere, ja gräßlichere Scene hätte auch die kühnste Phantasie sich kaum annähernd vorzustellen vermocht. Und zwar nicht nur, weil viele dieser bedauernswerten Geschöpfe halb nackt waren,

da sich bei meinem Eintritt die meisten noch ihren Hängematten geschwungen hatten, sondern vor Allem machten es ihre leichnamartigen Erscheinungen, bei deren Anblick man unwillkürlich meinte, daß ein Knchhof seine Toten wieder ausgespieen habe und daß sie, von einem ihnen Allen gemeinsamen Hunger, Verlangen oder Bedürfnis beflügelt und angetrieben, in Gruppen herbeigekommen waren, um bei aller Ver­schiedenheit des Gesichtsausdruckes denselben Wunsch kund zu thun. Alle, fünfzehn oder zwanzig Mann, drängten sich um Jans, der Rest hatte Wache auf Deck. Einige von ihnen waren spindeldürr mit bloßliegenden Rippen, Andere hatten starke Beine echt holländischer Art, einige zeigten sich kahlköpfig, während sich Andere einer solchen Haaresfülls erstellten, daß Haarbüschel und Bart aus Rücken und Brust Hin­abflossen. Manche präsentierten sich schwarzäugig und dunkelhaarig. Andere blau­äugig mit breitem Gesicht, doch Alle harmonierten in dem Aussehen eines LazaruS gleich vom Tode Auferstandcnen, der die Fesseln des Sarges gesprengt hat und lebendig tot in dieses Volkslogis eingedrungen ist mit einem Körper aus Grabeserde und einer Seele, die ein gräßlicher Fluch verfolgt.

Ich hatte die besondere Hoffnung gehegt, einige von ihnen während des Schlafes beobachten zu können, da ich mir nicht vorstellen konnte, welchen Anblick sie im Schlummer boten, ob sie auch von Träumen geängstigt wurden und welche Art Gesichtsausdruck dann an ihnen offenbar werde. Aber das Innere war zu dunkel, mir derartige interessante Studien zu gestatten, sogar wenn es mir erlaubt gewesen, genauer in die Hängematten zu lugen. Als sich endlich meine Augen an das Zwielicht der Talglampe gewöhnt und demgemäß verschärft hatten, sah ich als­bald, daß nicht viel vorhanden war, an dem meine Neugierde ihre Rechnung finden konnte. Hier und da stand eine Kiste oder Lade, an dm alten Seitenwänden hingen an Nägeln oder Haken Röcke, Hosen, WachStaffete und AehnlicheS in verschiedenster Faxon, und schwangen träge mit der Bewegung des Ganzen hin und her. Einige Ueberbleibsel von Schuhen und Stiefeln, ein oder zwei Segeltuchkabel und ein großer Korb, worin die Schüsseln und Kannen, deren sie sich beim Essen und Trinken