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schlachten, in welchen General Wervers totesmutige Truppen die Heiligkeit des heimischen Herdes schützten, vor der wilden Gier der zügellosen Scharen Bourbaki's. Wahrlich in jenen Tagen der Entscheidung mochte das Herz des auf der Spitze des Kaiserstuhles schauenden und lauschenden Deutschen zu schlagen aufhören vor geheimer Angst um das Schicksal seines geliebten Vaterlandes.
Diese Zeit des Blutes und des Schreckens wie der höchsten Freude über die beispiellosen Siege deutscher Waffen ist es, deren Gedächtnis wir alljährlich feiern und welche uns heute wieder ganz besonders lebendig vor der Seele steht. Und daß dies in jedem Jahre neu geschieht, geht sicherlich nicht hervor aus eitler Selbstüberhebung und kleinlicher Ruhmsucht oder gar, wie man da und dort hören kann, um im Herzen der deutschen Jugend den Haß großzuziehen gegen das Nachbarvolk, sondern wir feiern das Gedächtnis glorreicher Tage in dankbarem Aufsehen zu Gott, dessen gnädiger Beistand alles zum guten Ende geführt hat, mit berechtigtem Stolz auf die unvergleichlichen Thaten deutscher Tapferkeit und zur Mahnung für die Jugend, stets im Auge zu behalten, was die deutsche Nation vermag, wenn sie einig ist in allen ihren Gliedern. Und thut heute vielleicht Einigkeit unserem Vaterland weniger not als vor 20 Jahren, heute, wo Feinde drohen von außen, welche nur durch die gefürchtete Macht eines ganzen Volkes in Waffen abgehalten werden, ihre bösen Absichten zur That umzusetzen, Feinde im innern, deren Zukunftsideale sich nur durch Ströme von Blut und Haufen rauchender Trümmer verwirklichen lassen.
In der That, mein Deutschland, Einigkeit thut not, so sehr wie nur irgend einmal! Vor 20 Jahren ja da warst Du einig, als Du auszogest, um die Unabhängigkeit und die Ehre des Vaterlandes zu verteidigen, als Dein oberster Kriegsherr Gott zum Zeugen anrufen konnte, daß weder er noch sein Volk den Krieg gewünscht oder hervorgerufen hätten.
In seinem Armeebefehl vom 2. August 1870 schrieb König Wilhelm: „Ganz Deutschland steht einmütig in den Waffen gegen den Nachbarstaat, der uns überraschend und ohne Grund den Krieg erklärt hat. Es gilt die Verteidigung des bedrohten Vaterlandes, unserer Ehre, des eigenen Herdes. Ich übernehme heute das Kommando über die gesamte Armee und ziehe getrost in einen Kampf, den unsere Väter in gleicher Lage einst ruhmvoll bestanden. Mit Mir blickt das ganze Vaterland vertrauensvoll auf Euch. Gott der Herr wird mit unserer gerechten Sache sein."
Und wie zu Beginn des Krieges die Ungerechtigkeit auf Seiten unserer Feinde war, so blieb es auch während des ganzen Verlaufes. Mit welchem glühenden Hasse, mit wie verwerflichen Mitteln wurde von den Franzosen gekämpft! Erzählt uns doch die Geschichte dieses Krieges von Dutzenden von Fällen, in denen auf Parlamentäre, auf Krankenträger, auf Verwundetentransporte, auf Aerzte in Ausübung ihres Berufes geschossen wurde. In wie zahlreichen Fällen wurden Gefangene geplündert, vom Volke und selbst von den Behörden mißhandelt, in unbarmherzigster Weise der Kälte und dem Hunger preisgegeben. Hundertundfünfzig Offiziere und dar
unter mehrere Generale entwichen aus deutscher Gefangenschaft, indem sie ihr Ehrenwort brachen und die republikanische Regierung der nationalen Verteidigung setzte Treu und Glauben so sehr außer Kurs, daß sie solche ehrlose Handlungen sogar noch belohnte. Ueberall war der deutsche Soldat, der nach Kömg Wilhelms ausdrücklicher Erklärung nicht mit den Bürgern Frankreichs, sondern mit den französischen Soldaten Krieg führte, vom Meuchelmorde bedroht; mit voller Genehmigung der Regierung verwandelte sich der Landmann, der sich soeben noch freundlich mit unfern Kriegern unterhalten hatte, in den Mörder des arglosen Deutschen, oder er verriet unsere Truppen den Franktireurs, welche sie Erschöpften und Uebermüdeten im Schlafe überfielen und die Wehrlosen grausamem Tode überlieferten. Während der Führer unserer Armeen den Bewohnern Frankreichs die feierliche Versicherung gab, sie würden fortfahren eine vollkommene Sicherheit ihrer Personen und ihres Eigentums zu genießen, solange sie sich nicht selbst durch feindliche Unternehmungen gegen die deutschen Truppen des Rechtes auf diesen Schutz beraubten, strotzten die französischen Zeitungen von Lügen und Verleumdungen über die barbarische Kriegführung der Deutschen, verbreiteten sie Märchen von unerhörten Grausamkeiten, Vergewaltigung, Diebstahl und Plünderung, welche die fremden Krieger auf französischem Boden verübten. Bis zu welchem Grade des Fanatismus der Haß der französischen Bevölkerung gediehen war, lehrt uns die Geschichte der Erstürmung von Bazeilles, woselbst die Weiber zu den Waffen griffen und die Zerstörung der Citadelle von Laon, welche durch Verrat nach der Uebergabs der Festung erfolgte und die außer 50 deutschen Soldaten 300 französischen Mobilgardisten den Tod brachte. Daß bei einer derartigen Verwilderung aller Zustände Gegenmaßregeln von Seiten der deutschen Heeresleitung nicht ausblieben, war nur ein Akt der Gerechtigkeit und notwendig, wenn der deutsche Soldat nicht mutlos werden sollte in einem Kampfe, der die äußerste Anspannung aller seiner Kräfte erforderte. Schon längst ist es durch das Forschen nach' geschichtlicher Wahrheit festgestellt worden, daß die Kriegführung auf deutscher Seite trotz aller dieser Reizungen vollkommen den Grundsätzen der Menschlichkeit und der Würde unseres Volkes entsprach. Nur dem Gebote der Ehre und der Pflicht gehorchend, wurde der Krieg gerade so lange fortgesetzt als nötig war, um einen ehrenvollen Frieden zu erhalten und diesen Frieden zu einem dauernden zu machen.
Auf zwei Jahrzehnte ununterbrochenen Friedens schauen wir heute zurück, eines Friedens freilich, welcher uns schwere Lasten und Opfer auferlegt, so schwer, daß wir nicht ohne Besorgnis in die Zukunft blicken. Und doch will uns auch der teuerste Frieden immer noch nicht zu teuer erkauft erscheinen, wenn wir an die unermeßlichen Opfer an all das Blut und den Jammer selbst eines glücklichen Krieges denken, während wir das fürchterliche Elend eines unglücklich geführten Krieges gar nicht auszudenken vermögen. Von welchen Szenen des Schreckens und der Todesnot wissen sie nicht zu erzählen die Männer, deren auch wir eine große Zahl in unserer Mitte haben, die Männer, durch deren kühne Verachtung der Ge
fahr und selbstlose Hingabe von Bürt und Gesundheit wir die Erinnerung so glorreicher Tage feiern dürfen. Und nimmer noch hat in diesen Stunden das deutsche Volk es versäumt, den Veteranen von 70 und 71 den Zoll wärmster Dankbarkeit abzustatten.
Heute freilich vermissen wir diejenigen, zu denen noch vor wenigen Jahren wir alle mit tiefster Ehrfurcht emporgeblickt haben, die Fürsten aus dem Hohenzollernhause, welche unsere Heere einst von Sieg zu Sieg führten und welche bis zu ihrem letzten Atemzug hellleuchtende Vorbilder getreuester Pflichterfüllung geblieben sind. Entlastet von Staatsgeschäften pflegt der Mann, welcher so lange der Schrecken und die Bewunderung des Weltballs gewesen, der Ruhe; den kraftlosen Händen des greisen Lenkers so vieler Schlachten ist das lorbeerumkränzte Schwert entfallen. An der Stelle jener beiden erhabenen Herrschergestalten auf dem Kaiserthrone steht jetzt der Sohn und Enkel, der, sich begnügend mit dem Waffenruhme seiner Vorfahren, mit nicht geringerer Pflichttreue an die größten friedlichen Auf- aben herangetreten ist, die je eines Fürsten Geist eschäftigten. Auf friedlichem Wege bekämpfen will er die unheimlichen Mächte, welche in dem sozialen Elend großer Massen liegen, indem er, das Uebel an der Wurzel angreifend, es versucht, die Hungrigen zu speisen, die Nackten zu kleiden, den Kranken Trost und Erquickung zu bringen, den Alten und Gebrechlichen einen frohen Lebensabend zu bereiten. Bewundernd schauen wir auf zu dem Kaiser, der so Großes unternommen und der bei all den ungeheuren Aufgaben im Innern nicht vergißt durch jede mögliche Stärkung unserer Wehrkraft dem Reiche nach außen seine ihm gebührende Stellung zu wahren und aus demselben eine wenn nicht geliebte, so doch von jedem mutwilligen Störer des Friedens gefürchtete Macht zu schaffen. Schön und herrlich ist das Ziel das sich der erhabene Monarch gesteckt hat,, steil und dornig der Weg, der zu demselben empor führt, und wir wünschen ihm von ganzem Herzen, daß sein ernstes Streben, die Wohlfahrt seines ge- sammten Volkes zu fördern, mit Erfolg gekrönt sein möge und daher rufen wir einmütig: Seine Majestät Kaiser Wilhelm II. lebe hoch!
Stürmisch und begeistert fiel die Versammlung in das Hoch ein. Frisch und rein erklang hierauf der Männerchor „Dir möcht ich diese Lieder weihen" von Kreutzer, vorgetragen vom Liederkranz. Nach dem Gesang trugen Schüler des Reallyceums und der Volksschule für das Fest passende Gedichte vor. Nun entfaltete sich auf dem Brühl ein Leben und Treiben, das sich zu einem Volksfeste im wahren Sinn des Wortes gestaltete. Die Schulkinder machten verschiedene Spiele, die Jugend vergnügte sich mit Spiel und Tanz und Jedermann freute sich des geordneten, heiteren Lebens. Die Stadtmusik ließ verschiedene muntere Weisen erschallen, die viele Zuhörer anlockten. Um 6 Uhr zog der großartige Zug wieder auf den Marktplatz zurück, wo nach dem allgemeinen Gesang von dem Lied „Nun danket alle Gott" Hr. Rektor vr. Weizsäcker in einer trefflichen Ansprache ein schwungvolles Hoch auf das deutsche Vaterland ausbrachte, in das mit Begeisterung eingestimmt wurde. Damit hatte die vom Wetter außerordentlich begün-
gemächlich bis zehn oder fünfzehn zählen konnte, ehe die unwiderstehliche Gewalt der nächsten Woge es wieder emporzog. Oftmals habe ich während der sechs Tage dieses Schauspiel genossen und mich über dieses merkwürdige Beispiel von des Schiffes nautischen Eigenschaften gewundert.
Gerade jetzt offenbarte sich der gegen den Tod gefeite Charakter dieser Barke am augenfälligsten: Die Riesengewalten der Natur, mit denen es gekämpft, zogen sich langsam geschlagen zurück, der überwundene Orkan ließ das schaurige Donnern seiner unsichtbaren Artillerie wenn auch noch nicht schweigen, so doch allmählich schwächer werden, die Seen schlugen wie Mauerbrecher gegen seine Seiten, jedoch mit nach und nach abnehmender Heftigkeit, und das siegreiche Schiff, dessen Verdeck von Wasser strömte, durch dessen Takelwerk eine jubilierende Musik schmetterte, während seine Segel wie die Backen eines zum Angriff blasenden Trompeters aufgeschwollen waren, hob und senkte, dehnte und reckte sich auf den Höhen und in den Tiefen dieser Wasserwüste, jeder Nerv seines Körpers straff gespannt zu einem Kampfe, der sich abermals und abermals wiederholen sollte, während sich die Helle rings um den Horizont zu einer zarten Sonnenklarheit verstärkte, die dem Rande der noch über uns hängenden Wolkenschicht entströmte. Der Wind schwächte sich zu einem Pfeifen und Sausen ohne die Beimischung donnernden Geheuls und die Wellenböschungen zeigten sich minder gewaltig.
Ungeiähr sieben Uhr Abends hatte sich der Sturm gänzlich gelegt und es blies dann eine ruhige Brise aus Westsüdwest. Die Meeresschwellung rollte langsam aus der Richtung, aus der es so gestürmt, und verursachte, daß die Braave auf das Widerlichste rollte, doch ließ dies einigermaßen nach, nachdem man eingerefft und Segel gefetzt hatte. Ich beobachtete letzteren Vorgang mit tiefem Interesse. Vanderdecken stand auf dem Hinterdeck und gab seine Befehle an Van Vogelaar auf dem Halbverdeck. Die Matrosen gingen mit echt holländischem Phlegma und Bedächtigkeit an'S Werk und nahmen sich gehörig Zeit, die Reffseifinge aufzuknüpfen, trugen dann die Vorder- und Hauptknechte zum Kabestan und schritten ohne ein fröhliches Lied düster und schweigend einher. Da war nichts von Lebhaftigkeit und Munterkett zu spüren,. nichts von dem Springen, Hüpfen und jener herzwarmen
Fröhlichkeit, wie sie bei einer Schiffsmannschaft, auf die jetzt nach einem sechstägigen schrecklichen Kampfe mit finsteren Stürmen und peitschenden Wogen zum ersten Male wieder ein hellbestirnter Himmel herabschien, der aus den wenigen langsam dahinfliehenden Abendwolken in alter Pracht emportauchte, als naturgemäß und selbstverständlich zu erwarten gewesen wäre.
Ach, man sah nur zu deutlich, wie tot und leblos ihre Körper waren, wie sie sich nur unter Einfluß des ihnen innewohnenden übernatürlichen Lebens bewegten. Sie setzten ihre Top-, Bram- und Besansegel, hißten dann ihr Klüver- oder Fockjtag- segel und ließen die Hörner des Sprietsegels fallen. Die Backbordhälse waren noch zugesetzt und das Schiff war nördlich gegen die Küste gerichtet, die jetzt ungefähr zweihundertfünfzig bis dreihundert Seemeilen von uns entfernt lag. Dies alles bot ein wildes, aufregendes Schauspiel, das einer gewissen Feierlichkeit, aber auch eines Elementes des Furchterregenden nicht entbehrte.
Die Dämmerung ist in jenen Gegenden nur von kurzer Dauer, und es war schon beträchtliche Zeit finster, ehe sie ihr Geschäft des Segelbeisetzens beendet hatten. Während des Sturmes mit seinem Gefolge, dem Schaum- und Sprühregen, war das phosphorescierende Geflimmer der Planken verborgen gewesen, aber jeP, wo Ruhe und Frieden herrschte und keine andere Bewegung zu spüren war als die, welche die lange, sanft wiegende Schwellung hervorbrachte, glühten jene Kirchhofslichter von Neuem auf und erschienen Einem wie die Augen unzähliger Würmer, die an einer Fäulnis vor hundertfünfzig Jahren aus- und einkrochen. Es war ganz sicher, daß Vanderdecken und seine Maats diese» neblige, matte, feurige Schimmern auch sehen mußten, denn die bleichen Lichter zitterten dem Deck entlang, blinften an den Masten, schienen mü genügender Kraft an den Setten, um — wie ich bemerkt hatte, als das Totenschiff sich dem Saracen nahte — auf den schwarzen Wassern einen Hellen Widerschein hervorzuzaubern; in der That, es muß der Besatzung aufgefallen sein, ebenso wie es Jmogene und mir auffiel, denn sie sahen ja Alles, was wir sahen — die Sterne, die Sonne, das Meer, die Segel, di«. Richtung des Kompasses — kurz, was immer zu sehen sein mochte.
(Fortsetzung folgt.)