Beilage zumCalwe» Woch-nblatt" Nr. 95.

Aus dem

Entwurf eines Gesetzes,

betreffend Abänderungen und Ergänzungen der Gesetze über die Verwaltung der Gemeinden»

Stiftungen «nd sonstigen öffentlichen Körperschaften»

dürften namentlich folgende Bestimmungen unserer Leser Interesse in Anspruch nehmen, weshalb wir dieselben zum Abdruck bringen.

Vom Ortsvorsteher,

Art. 1.

Der Ortsvorsteher wird von den wahlberechtigten Gemeindebürgern (Art. 12 ff. des Gesetzes vom 16. Juni 1885, betreffend die Gememdeangehörigkeit, Reg.-Blatt S. 257) auf Lebenszeit gewählt. Die Wahl bedarf der Bestätigung, welche in Gemeinden erster Klasse durch Uns selbst, in den übrigen Ge­meinden durch die Kreisregierung erteilt wird.

Art. 2.

Wählbar zum Amte des Ortsvorstehers ist jeder Deutsche, welcher das 25. Lebensjahr zurückgelegt hat, sofern in seiner Person weder der Ausschließungsgrund des Z 31 des Strafgesetzbuchs vom 15. Mai 1871 (Reichs- Gesetzblatt S. 127), noch eine der Voraussetzungen zu­trifft, welche nach Art. 14 Ziffer 15 des Gesetzes vom 16. Juni 1885, betreffend die Gemeindeangehörigkeit, den zeitweisen Ausschluß von den gemeindebürgerlrchen Wahl- und Wählbarkeitsrechten begründen.

Von dem Erfordernisse des zurückgelegten 25. Lebensjahrs kann aus besonderen Gründen bei der Bestätigung des Gewählten Dispensation erteilt werden.

Art. 3.

Die Bestimmung des Wahltermins und die Leitung der Wahlhandlung kommt dem Vorstand des Oberamts zu, welcher in Gemeinschaft mit dem von ihm bestellten Protokollführer, dem ältesten Gemeinde­ratsmitglied und dem Obmann des Bürgerausschusses die Wahlkommission sowohl für die Sammlung, als für die Zählung der Stimmen bildet.

Als gewählt gilt derjenige, welcher verhältnis­mäßig die meisten der giltig abgegebenen Stimmen erhalten hat. Im Fall der Stimmengleichheit kann jedem der mit den meisten Stimmen bedachten Be­werber die Bestätigung erteilt werden.

Im übrigen finden die für die Gemeinderats­wahlen bestehenden Vorschriften auf die Wahl des Ortsvorstehers mit der Maßgabe entsprechende An­wendung, daß über Beschwerden gegen die Giltigkeit der Wahl in Gemeinden erster Klasse durch das Mini­sterium des Innern, in den übrigen Gemeinden durch die Kreisregierung entschieden wird.

Art. 4.

Hat der Gewählte mehr als zwei Dritteile aller abgegebenen Stimmen auf sich vereinigt, so darf vie Bestätigung nur versagt werden, wenn sich der Disciplinarhof für Körperschaftsbeamte in der vollen Besetzung mit 7 Mitgliedern (Art. 58) dahin ausge­sprochen hat, daß der Gewählte zur Bekleidung des Amtes untauglich ist.

Art. 5.

Im Falle der Versagung der Bestätigung ist eine neue Wahl vorzunehmen.

Ist auch auf die zweite Wahl die Bestätigung nicht erfolgt, so ist die Königliche Staatsregierung befugt, die erledigte Stelle einstweilen durch einen von ihr zu bestellenden Amtsverweser auf Kosten der Gemeinde verwalten zu lassen. In diesem Falle ist spätestens nach Ablauf eines Jahrs ein neues Wahlversahren einzuleiten.

Art. 6. -

Der Betrieb des Wirtschaftsgewerbes bleibt den Ortsvorstehern untersagt. Ausnahmen von diesem Verbot können aus besonderen Gründen durch die Kreisregierung zugelassen werden.

Vom Gemeinderat.

Art. 8.

Diejenigen Personen, welche im Besitze der württembergischen Staatsangehörigkeit und der bürger­lichen Ehrenrechte stehen, sich nicht im Konkurs be­finden und mindestens den vierten Teil der gesamten für Gemeindezwecke zu machenden Umlagen auf Grund­stücke und Gefälle, Gebäude uud Gewerbe entrichten (Höchstbesteuerte), sind ohne Rücksicht auf den Besitz des Gemeindebürgerrechts kraft persönlichen Rechts befugt, an den Verhandlungen des Gemeinderats über die Feststellung des Gemeinde-Etats, sowie über diejenigen weiteren Angelegenheiten des Gemeinde­haushalts, bezüglich deren die Beschlüsse des Gemeinde­rats der Zustimmung des Bürgerausschusies bedürfen, mit Sitz und Stimme teilzunehmen. Dieselbe Be­

fugnis steht unter der Voraussetzung der vorbezeich- neten Veranlagung für Gemeindezwecke dem Staat und der Hofdomänenkammer zu.

Bei Bemessung der Höhe der Steuerleistung ist dem Ehemann die für die Ehefrau, dem Vater oder der Mutter, welchen die Nutznießung der Ver­mögens der Kinder zukommt, die für die letztere zu entrichtende Steuer anzurechnen. Bei gemeinschaftlichen Grundstücken, Gebäuden oder Gewerbeunternehmungen wird jedem Teilnehmer die seinem Anteil und, wenn die Anteilsberechtigung der einzelnen Teilnehmer nicht feststeht, die der Zahl der letzteren entsprechende Quote der auf das betreffende Steuerobjekt entfallenden Steuer in Anrechnung gebracht.

lieber das Zutreffen der in Abs. 1 und 2 be­zeichnten Voraussetzungen erkennt vorbehaltlich des Beschwerderechts der Beteiligten der Gemeinderat.

Art. 9.

Die in Art. 8 bezeichnten Höchstbesteuerten können an den Beratungen und Abstimmungen des .Gemeinderats in eigener Person oder durch einen be­vollmächtigten Vertreter teilnehmen.

Die Vertretung ist notwendig

1) für den Staat- und die Domänenkammer;

2) für Bevormundete;

3) für diejenigen, welche nicht mehr unter Alters­vormundschaft stehen, aber das fünfundzwan­zigste Lebensjahr noch nicht zurückgelegt haben;

4) für Frauenspersonen.

Die Vertreter müssen sich im Besitze der würt­tembergischen Staatsangehörigkeit und der bürgerlichen Ehrenrechte befinden, männlichen Geschlechts sein und das fünfundzwanzigste Lebensjahr zurückgelegt haben. Dieselben sind an Instruktionen ihrer Vollmachtgeber dem Gemeinderat gegenüber nicht gebunden.

Art. 10.

Die in Art. 8 bezeichnten Höchstbesteuerten, be­ziehungsweise deren Vertreter, sind zu den Verhand­lungen des Gemeinderats über die daselbst genannten Gegenstände von Amtswegen zu laden, wenn sie in der Gemeinde wohnen oder einen hier wohnhaften Bevollmächtigten zur Empfangnahme der Ladung auf­gestellt haben.

Vom Bürgerausschuft.

Art. 11.

Die Mitglieder des Bürgerausschusses werden auf vier Jahre gewählt. Je nach zwei Jahren tritt die Hälfte aus und wird durch eine neue Wahl er­setzt, wobei die Austrctenden wieder gewählt werden können.

Wählbar sind alle Personen, welche sich im Besitze der gemeindebürgerlichen Wahl- und Wählbar­keitsrechte befinden, mit Ausnahme der Mitglieder des Gemeinderats und der Gemeindebeamten.

Auf die Wahl und Verpflichtung der Bürger­ausschußmitglieder, sowie auf die Vornahme außer­ordentlicher Ergänzungswahlen finden die diesfalls für die Gemeinderatsmitglieder bestehenden Vorschriften entsprechende Anwendung.

Wird einem Mitglied des Bürgerausschusies ein Gemeindeamt übertragen, so hat es für den Fall der Annahme dieses Amtes aus dem Bürgerausschuß auszutreten.

Art. 12.

Die Mitglieder des Bürgerausschusies wählen ^ je auf die Dauer von 2 Jahren aus ihrer Mitte , einen Obmann und einen Stellvertreter desselben.

Die Wahl erfolgt unter der Leitung des (der Sitzordnung nach) ersten Bürgerausschußmitglieds in geheimer Abstimmung nach verhältnismäßiger Stimmen­mehrheit. Im Falle der Stimmengleichheit entscheidet das Los.

Auf Ersuchen des Bürgerausschusses kann der Ortsvorsteher die Leitung der Wahlhandlung, jedoch ohne Stimmrecht, übernehmen.

Art. 13.

Besteht über einen Gegenstand, bezüglich besten die Zustimmung des Bürgerausschusses zu dem Be­schluß des Gemeinderats gesetzlich notwendig ist, eine ^ Meinungsverschiedenheit zwischen den beiden Kollegien, ^ welche sich auf anderem Wege nicht heben läßt, so s kann der Gemeinderat den Gegenstand zu wiederholter

Beratung in gemeinschaftlicher, unter der Leitung des Ortsvorstehers vorzunehmender Verhandlung beider Kollegien bringen, wobei nach absoluter Mehrheit sämtlicher vertretenen Stimmen darüber Beschluß zu fassen ist; dies muß dann immer geschehen, wenn es sich um -die Erfüllung einer Verbindlichkeit der Ge­meinde oder einer gesetzlichen Obliegenheit der Ge­meindeverwaltung handelt.

Durch den Beschluß der vereinigten Kollegien wird die betreffende Angelegenheit endgiltig erledigt, unbeschadet der Befugnis und Verpflichtung der Auf­sichtsbehörde, von Amtswegen die erforderliche Ver­fügung zu treffen, falls infolge des gefaßten Be- fchlusses eine Verbindlichkeit der Gemeinde oder eine gesetzliche Obliegenheit der Gemeindeverwaltung un­erfüllt bliebe.

Art. 14.

Die Vorschrift des Z 56 des Verwaltungs­edikts für die Gemeinden, Oberämter und Stiftungen vom 1. März 1822 (Reg.-Blatt S. 131), wonach der Gemeinderat in den daselbst bezeichnet«» Fällen das Gutachten des Bürgerausschusses einzuholen ver­pflichtet ist, wird aufgehoben.

Von der Aufsicht des Staats über die Ge­meindeverwaltung.

Art. 15.

In Gemeinden erster Klaffe ist der Jahresetat der Gemeinde nach seiner Feststellung durch die Ge­meindekollegien mit den bezüglich der Deckung eines etwaigen Abmangels gefaßten Beschlüssen dem Bezirks­amt in Abschrift vorzulegen. Das letztere hat die Vorlage zu prüfen und, wenn sich hiebei ein Anstand ergiebt, die geeignete Verfügung zu dessen Beseitig­ung zu treffen, nach Beseitigung des Anstandes aber, oder, wenn sich kein Anstand ergiebt, den Etat für vollziehbar zu erklären.

Wird innerhalb der Frist von zwei Wochen nach der durch Empfangsbescheinigung nachgewiesenen Vorlegung des Etats an das Bezirksamt von diesem nicht unter Bezeichnung der beanstandeten Punkte gegen den Etat oder gegen die beschlossene Gemeinde­schadensumlage Einsprache erhoben, so können letztere zum Vollzug gebracht werden. Eine Genehmigung des Etats oder der Gemeindeschadensumlage durch die Staatsbehörde ist nicht erforderlich.

Auf Ueberschreitungen des Etats, durch welche eine neue oder erhöhte Gemeindeschadensumlange not­wendig wird, finden vorstehende Bestimmungen ent­sprechende Anwendung.

Art. 16.

Außer in den besonders bestimmten Fällen ist die Genehmigung der Regierungsbehörde zur Giltig­keit der Beschlüsse des Gemeinderats und zur Voll­ziehbarkeit derselben notwendig:

1) wenn einer der Bezirksbeamten bei der Sache persönlich beteiligt fft;

2) wenn einem Mitglied des Gemeinderats eine neueoder erhöhte Besoldung, ein Wartgeld oder ein Ruhegehalt verwilligt wird, sofern der Betrag derselben und die Voraussetzungen ihrer Verwilligung nicht durch Ortsstatut bestimmt sind;

3) wenn in Gemeinden zweiter oder dritter Klaffe einem Mitglied des Gemeinderats oder Bürger­ausschusses eine einmalige Belohnung oder Verehrung aus der Gemeindekaffe gewährt wird;

4) wenn in Gemeinden zweiter oder dritter Klaffe die Hauptsumme des Etats durch unvorherge­sehene Ausgaben derart überschritten wird, daß eine neue oder erhöhte Umlage notwendig wird (vergl. Art. 15);

5) bei der Veräußerung von unbeweglichem Ver­mögen oder diesem gleichzuachtenden Rechten der Gemeinde, wenn der Wert des Veräußer­ten in Gemeinden erster Klaffe 5 000 ^ (vergl. übrigens Art. 24), in Gemeinden zweiter Klasse 2000 und in Gemeinden dritter Klaffe 1000 ^ übersteigt;

6) bei Kapitalaufnahmen, durch welche der Schul­denbestand der Gemeinde vermehrt wird, sofern es sich nicht um die bloß vorübergehende Ein-