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Amis- und Anzeigeblatt für den Bezirk (Lalw.
65. Jahrgang
Erscheint Dien s ta g , Donnerstag und Samstag. -Dir EinrücknngSgebühr b-trSgl im Bezirk und nSchster Umgebung S Pig. di- .-seile, sonst IS Pkg.
Samstag, den 26. Juli 1890.
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Tages-Neuiakeiten.
(Amtlich es.) Seine Königliche Majestät haben am 20. Juli d. I. allergnädigst geruht, auf die Stelle des dienstaufsichtführenden Amtsrichters bei dem Amtsgericht Hall den Oberamtsrichter Fromm ann in Calw seinem Ansuchen gemäß zu versetzen.
— Wie im Inseratenteil des heutigen Blattes ersichtlich, wird im „Unteren Bad" in Liebenzell am nächsten Dienstag abend der weitbekannte und allüberall gerne gehörte Konzertsänger Karl Diezel, unter Mitwirkung dortiger Musikfreunde, ein Konzert geben, das unzweifelhaft gut besucht werden wird. Hr. Diezel gehört zu den gottbegnadeten Sängern, welche einer besonderen Reklame nicht bedürfen.
Aidlingen, 22. Juli. Diesen Morgen fing eine Frau, die Futter holen wollte, in unmittelbarer Nähe des Orts einen ziemlich großen, seit längerer Zeit angeschossenen Rehbock, dem ein Lauf gänzlich abgeschossen war, an einem Ackerrain und übergab denselben den hiesigen Jagdpächtern. Dieselben wollen den abaeschossenen Lauf, wenn es möglich ist, einrichten lassen und dadurch das Thier am Leben erhalten.
Stuttgart, 23. Juli. Der Sonderzug sächsischer Kameraden, welche die Schlachtfelder von Wörth, Weißenburg und Metz besuchen wollen, ist heute vormittag 10 Uhr 20 Min. angekommen, empfangen von dem Präsidium des Württ. Kriegerbundes und den Vorständen der militärischen Vereine. Bauinspektor Dobel hielt eine kurze Begrüßungsansprache und brachte ein Hoch auf die sächsischen Kameraden aus. Der Vorstand des Dresdener Jäger-, Schützen- und Kriegervereins Riedel erwiederte dankend. Seine Hoheit Prinz Herrmann zu Sachsen- Weimar, Ehrenpräsident des Württemb. Krieqcr- bundes, wird mit dem Schnellzug 12 Uhr 5 Min. von Friedrichshafen hier eintresfen, und abends die Krieger in.der Liederhalle mit hohem Besuch beehren. — Für heute mittag ist ein Spaziergang auf den Hasenberg und ein Rundgang durch die Stadt in Aussicht genommen.
Heilbronn, 24. Juli. Heute früh kurz nach 3 Uhr wurden die Einwohner hiesiger Stadt durch die Sturmglocken aus dem Schlafe geschreckt. In der Wilhelmsstraße 5 war in dem einstöckigen, als Ladenkomptoir und Magazin benützten Hintergebäude des Kaufmanns I. Bechtle ein Schadenfeuer aus- ebrochen, das erst entdeckt wurde, als die Flammen ereits zum Dache hinausschlugen. Vom Gebäude blieb das Stockwerk zwar stehen, litt aber sehr durch die Wasserströme der Hydranten.
Heidenheim, 23. Juli. Um der Aufzucht von Jungvieh und Fohlen Vorschub zu leisten, will die hiesige Viehzuchtgenossenschaft eine Fohlen- und Viehweide einrichten, falls sich nicht sämtliche 6 Vereine des Gaues, die dem großen Genofsenschaftsverbande angehören, dahin einigen, eine solche für den ganzen Verband ins Leben zu rufen. Inzwischen wird der hiesige Bezirk allein Vorgehen, und es ist zu diesem Behuf« ein Areal von 90—100 Morgen von der K. Staatsdomänen-Verwaltung auf der Domäne Falkenstein in Aussicht gestellt. Dieselbe wird in nächster Zeit auf -ein Falkenstein und dem Wangenhof die Wasserleitung einrichten lassen.
Ulm, 23. Juli. Am letzten Sonntag machte sich ein junger Bursche durch großen Geldverbrauch bemerklich und wurde deshalb auf der Polizei zur Rede gestellt. Er wollte der Sohn eines Viehhändlers in Bopfingen sein, gab aber statt seines eigenen Namens denjenigen eines frühem Schulkameraden, dessen Vater, wie sich später herausstellte — höherer Beamter ist, an. Die angebliche Heimatbehörde des Festgenommenen, dessen Angaben über den Zweck seiner Reise kein Glauben beigemessen werden konnte, wurden von dem Vorfall in Kenntnis gesetzt, und es lief die Nachricht ein, daß der Vater hierherkommen werde, um zu sehen, was seinem Sohne zugsstoßen sei. Kurz vor Ankunft des Herrn, dessen Namen der Schlingel mißbraucht hatte, bequemte er sich zu dem Geständnis, daß er unwahre Angaben gemacht; er sei Dienstknecht bei einem Oekonomen im Oberland und von diesem beauftragt gewesen, eine Kuh an den Metzger abzuliefern, und er habe sich sodann mit dem
Erlös von 216 flüchtig gemacht. Von diesem Betrag hatte er bei seiner Festnahme — einen Tag nach dem Verkauf der Kuh — schon über 108 verjubelt.
Saarbrücken, 21. Juli. Eine italienische Räuberbande hatte sich in letzter Woche im Köller- thaler Walde, einem verrufenen Stück des Hundsrückens, im Kreise Saarbücken gelegen, niedergelassen. Die Räuber waren mit Dolchen, Revolvern und anderen Mordwaffen ausgerüstet und stammten wirklich aus dem Lande Rinaldo Rinaldini's: es waren echte, unverfälschte Italiener. Sie hatten gehofft, in einer Glas- oder Eisenhütte Beschäftigung zu finden, und als ihnen dies mißlang, schlugen sie sich seitwärts in den Köllerthaler Wald und verlegten sich auf den Straßenraub, auf Einbruchsdiebstähle und dergleichen in das Banditenfach einschlagende Arbeiten mehr. Im Allgemeinen bewahrten sie dabei die sprichwörtliche Höflichkeit der italienischen Räuber. Sie nahmen den Leuten einfach ihr Geld uud ihre Wertsachen ab, und ließen sie dann unbehelligt weiter ziehen. Nur einem einzigen Manne ist es schlimmer ergangen. Dieser war den Wünschen der Herren Räuber in keiner Weise entgegengekommen, weshalb sie ihn neben seinem Ge- leer auch seiner gesamten Kleidungsstücke beraubten. Splitternackt, wie Adam das Paradies, mußte der Aermste den Köllenthaler Wald verlassen. Endlich eröffneten nun aber die Bewohner des Köllerthals unier polizeilicher Leitung ein großes Treibjagen auf die ungebetenen Gäste aus dem Süden, und es gelang, die Mehrzahl der Räuber festzunehmen. Nunmehr liegt die Bande in Banden und im Köllerthaler Walde herrscht wieder die alte Sicherheit.
Danzig. Ein Beispiel wüsten Aberglaubens trat dieser Tage in einer Verhanolung vor der Strafkammer des Landgerichts zu Tage. Die Frau eines Steinsetzers war am Kindbettsieber erkrankt und sollte auf Anordnung des Arztes nach einem Krankenhause überführt werden. Indessen die Frauen in ihrer Umgebung erklärten, sie wäre von einer Frau Rickert behext und wenn sie Blut von der Hexe einnehme.
Jeuilleton.
Das Hotonschiff.
Bericht über eine Kreuz- und Querfahrt auf jenein „Der fliegende Holländer" genannten Seegespenst; gesammelt aus den Papieren des seligen Obermatrosen Geoffroy Fenton aus Poplar
von Zö. Klarst Wusse kl.
(Fortsetzung.)
„Ich habe Grund, mich meiner Fahrt durch den Kanal zu erinnern," fuhr er fankter fort, als ob ihm sein Sinn für Höflichkeck Vorwürfe mache; „ich kam dem Geschwader Ihres Admirals Ayscue auf Sehweite nahe und eine seiner Fregatten machte sich das Vergnügen, mich zu verfolgen, aber meine Braave war zu flink kür sie und bei Eintritt der Dämmerung sahen wir von dem Engländer nur noch seine oberen Raacn."
Bei diesen Worten fuhr mir abermals ein Schauer von Furcht — wie sehr ich sie auch zu überwinden gehofft hatte - durch alle Glieder, als wenn die Atmosphäre einer Todesgruft mir den Athem versetze. Jetzt war es mir unmöglich, die wahre Sachlage zu verkennen. Wenn dieser Mann und seine Matrosen nicht tot und, wie Kapitän Skevington vermutet, verteufelt waren, so bestand doch durchaus kein Zweifel, daß das eigentliche Leben in ihnen mit jenem Fluche, den Vandcrdeckens Gottlosigkeit'auf Schiff und Besatzung herabbeschworen, aufgehört hatte. Zeitdauer war in ihren Gehirnen zum Stillstand gekommen, für sie war es für immer und ewig das Jahr des Herrn 1653; der Begriff der Zeit war in der Ewigkeit der auf sie gekommenen Strafe ertränkt worden.
O geheimnisvolles Rätse, des göttlichen Willens! Wie herzüberwältigend war es, dies erkennen zu müssen! Wie schaurig das Loos dieser elenden Geschöpfe, trotzdem es durch ih'.e Unwissenheit, daß der Kampf nimmer enden sollte, in etwas gemildert war, trotzdem sie augenscheinlich von der Hoffnung besessen waren, bald das Kap zu umschiffen und in nicht ferner Zeit diejenigen in ihre Arme zu schließen, die leider schon seit einem Jahrhundert in Staub und Asche zerfallen waren.
Ich heftete meine unruhigen Blicke auf Vandcrdeckens Antlitz und rang konvulsivisch die Hände, während ich mir im Stillen das mächtige Kapitel Weltgeschichte vergegenwärtigte, das seit seiner Zeit geschrieben, und mir den mächtigen Aschenhaufen vorstellte, der in seinem Geiste alle zu ihrer Zeit wunderbaren und noch jetzt in dem Gedächtnis der Menschheit fortlebenden Ereignisse, olle die Jahre von der Stunde seiner Veidammung bis zum Momente unseres Zusammentreffens bedeckte, wie Lava und Schlacken die Felsen einer au6 einer vulkanischen Eruption entstandenen Insel: Den Frieden des Jahres 1654, den späteren Krieg 1665 — Ruyter in Sheerneß, Chatham und am Kap der guten Hoffnung — das Besteigen des englischen Thrones durch einen Statthaller aus Vandcrdeckens Heimat — den Frieden von Ryswyk — Malplaquet — die halb-gallische Gründung einer batavischen Republik! — und noch deS Vielen, was meinem Gedächtnis entschwunden war — Alle- dies ebenso wenig für diesen Mann existirend als für irgend ein menschliches Geschöpf, da« zur nämlichen Stunde seinen Geist aushauchte, als das Totenschiff auf seiner letzten Reise von der Insel Java heimwärts segelte.
Sechzehntes Kapitel.
Sarrderdecken zeigt mir sei» HrschenK für Margarethche«.
In diesem Augenblick stieg Prius auf das Hüttendeck und benachrichtigte den Kapitän, daß das Frühstück fertig sei.