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Amts- und Anzeigeblatt für den Bezirk (Lalw.
65. Jahrgang.
Erscheint Di-n S t-g , Donnerstag und Samstag. Die Einrückungsgebühr beträgt im Bezirk und nächster Umgebung S Psg. die Zeile, sonst IS Psg.
Samstag, den 19. Juli 1890.
Abonnement-preiS vierteljährlich in der Stadt ro Pfg. urck 20 Pfg. Trägerlohn, durch d'e Post bezogen MV. .1. 15, sonst i« ganz Württemberg Mk. 1. 35.
Tages Neuigkeiten.
Stuttgart, 16. Juli. In der Nacht vom lletzten Samstag auf Sonntag wurde im Bureau des Werkmeisters Baun, Katharinenstraße Nr. 18 ein Einbruchsdiebstahl verübt und hiebei 360 Geld, sowie eine goldene und eine silberne Uhr, je mit gleicher Kette, gestohlen. Der Verdacht lenkte sich auf einen Arbeiter Bauns, welcher von Feuerbach gebürtig ist und hier wohnte. Derselbe hielt sich gestern mit seiner Braut in Feuerbach auf und wurde dort durch zwei von hier abgeschickte Fahnder festgenominen. Die Uhren und einen Teil des Geldes hatte derselbe .noch im Besitz, der größere Teil des Geldes war verausgabt.
Stuttgart. Beim Fundamentgraben auf dem Metzger Eberleschen Anwesen m der Calwerst r a ß e sind Ueberreste von Mammut vorgefunden worden. Schon vor einigen Jahren fand man än demselben Platze, als ein Eiskeller gegraben wurde, vorgeschichtliche Tierüberreste. Die Funde werden dem königl. Naturalienkabinet überwiesen.
Ludwigsburg, 16. Juli. Ein hiesiger etwa ckOjähriger Konditoreigehilfe geriet gestern abend in Neckarweihingen beim Baden im Neckar in eine tiefe Stelle außerhalb des sicheren, durch deutlich erkennbare Pfähle abgesteckten Badeplatzes und ertrank, obgleich er des Schwimmens wohl kundig war. Sogleich angestellte Rettungsversuche waren leider ohne Erfolg, und als nach etwa einer Stunde der Leichnam endlich gefunden wurde, blieben die vor- .genommenen Wiederbelebungsversuche erfolglos.
Tübingen, 15, Juli. Ein gefährliches Subjekt befindet sich zur Zeit in der Person des etwa 20 Jahre alten, schon viel bestraften Weingärtners P. M. aus Rottenburg hier in Haft. Vor einigen Wochen hat derselbe in Rheinfelden bei Basel eine -ältere Frauensperson, bei welcher er vorher gebettelt.
im Laden überfallen, gewürgt und sie durch Schläge auf den Kopf mit einem großen Pflasterstein tätlich verwundet. Doch konnte die Frau, die während der Vernehmung starb, noch eine Beschreibung von dem Mörder machen. Der Thäter, ein vielfach bestrafter Dieb, hat sich in der letzten Zeit in der hiesigen Gegend umhergetrieben und verbüßt jetzt hier eine Strafe wegen Diebstahls. Der Umsicht und umfassenden Thätigkeit des 1. Staatsanwalts Degen hier ist es gelungen, in dem Häftling den Mörder von Rheinfelden festzustellen; er hat bereits ein umfassendes Geständnis abgelegt.
Tübingen, 16. Juni. Ein schreckliches Unglück hat sich heute früh in der Familie des Taglöhners Schreiner am Osterberg zugetragen. Während früh morgens die ihrer Entbindung entgegensehende Mutter von ihrem Manne ins Klinikum verbracht wurde, kam das Bett, in dem zwei Kinder, ein Zjähriges Mädchen und ein etwa 1 jähriger Knabe schliefen, in Brand und fand der heimkehrende Vater das jüngere Kind tot mit ziemlich stark verkohltem Gesicht vor. Das Mädchen erlitt unbedeutende Brandwunden am Kopf und wurde in die medizinische Klinik verbracht.
Sulz a. N., 15. Juli. Ein schlafender Knabe befindet sich zur Zeit in Teichlingen. Derselbe, welcher 10 Jahre alt ist, kam vor 14 Tagen vom Feld heim, klagte über Unwohlsein und legte sich zu Bette. Während dieser Zeit hatte er ohne Unterbrechung geschlafen, war unempfindlich gegen äußeren Reiz, wie Reiben mit Bürsten u. drgl., und mußte künstlich ernährt werden. Gestern erst ist er aufgewacht, das Bewußtsein hatte sich in kleinem Maße eingestellt, aber über die Sprache kann er nur in kleinem Maße verfügen. Demnach hat man es hier mit einem krankhaften Zustand zu thun, welcher auch schon anderwärts bei älteren Personen wahrgenommen worden ist.
Oberndorf, 14. Juli. Hier ist die Influenza wieder eingekehrt. In der Waffenfabrik Mauser erkrankten gegen 70 Personen. Die Erkrankungen sind bis jetzt leichterer Art.
Kirchheim u. T., 15. Juli. In der vergangenen Nacht gegen halb 11 Uhr wurden die Bewohner der Stadt durch die Feuerzeichen aus dem Schlafe aufgeschreckt. Es brannte in der Bierbrauerei zur Sonne im Brauereigebäude. Das Feuer griff so schnell um sich, daß an eine Rettung des Gebäudes nicht mehr gedacht werden konnte und so brannte dasselbe mit den Maschinen und Vorräten bis auf den Grund nieder. Die 4 Brauburschen, welche in dem abgebrannten Gebäude schliefen, mußten erst von dem Besitzer geweckt werden und konnten kaum das nackte Leben retten, ihre sämtlichen Habseligkeiten sind verbrannt. Die Gefahr für die umliegenden Gebäude war bedeutend uud würde das Unglück ohne Zweifel sehr groß geworden sein, wenn nicht Windstille geherrscht hätte. Der angestrengten Thätigkeit der hiesigen Feuerwehr gelang es auch das Feuer auf seinen Herd zu beschränken und ist es ihr zu verdanken, daß das Vorderhaus mit Wirtschaft, sowie die Nachbarhäuser erhalten blieben. Ueber die Entstehungsursache des Brandes weiß man bis jetzt noch nichts Näheres.
Heidenheim, 14. Juli. Der Bezirks-Bienenzuchtverein hielt gestern eine Versammlung in Bolhcim. Die Urteile der Imker über das bisherige Bienenjahr lauten: Wenig Schwärme, noch weniger Honig und dabei starke Völker. Ueber die Anwendung von Kunstwaben wurde lebhaft diskutiert. Der Schwarmautomat und das Apiol wurden ebenfalls besprochen und vorgezeigt. Ersterer hat sich nicht als probat erwiesen und auch letzteres entspricht den gehegten Erwartungen vielfach nicht. Endlich wurde beschlossen, tüchtigen Mitgliedern zum Erproben von Neuerungen Beiträge zu gewähren und kleine Vorlesungen über
Aenillelon.
Das TotensiHiff. """""""
Bericht über eme Kreuz- und Querfahrt auf jenem „Der fliegende Holländer" .genannten Seegespenst; gesammelt aus den Papieren des seligen Obermatrosen Geoffroy Fenton aus Poplar
von W. Klark Wusselk.
(Fortsetzung.)
Die Frage, was für ein Schiff es in Wirklichkeit sei, zermarterte unaufhörlich mein Gehirn. Daß es eine übernatürliche Existenz hatte, daß Der, welcher sich Vanderdecken nannte — was, der Tradition gemäß, der Name des Phantomschiffkapitäns war, obgleich erwiesen worden, daß er in Wahrheit Bernhard Fohke geheißen — ich sage, daß er und die Anderen, die ich gesehen, namentlich der Mann Prius, etwas Gespensterhaftes an sich hatten, etwas, das sie weit aus dem Bereiche gewöhnlicher Menschlichkeit entfernte, trotz der majestätischen Haltung, der edlen Erscheinung, der voll- und wohlklingenden, dem fernen Gewitterrollen vergleichbaren Stimme des Kommandanten- dies konnte ich, als ich mich so gedankenversunken auf meinem Lager ausstreckte, ebensowenig bezweifeln als das Pochen meines eigenen Herzens. Ich erkannte aus dem, was ich in den wenigen, von mir hier verlebten, ereignis- und schreckensreichen Stunden gehört und gesehen, mit zweifelloser Gewißheit, daß ich mich an Bord des Fliegenden Holländers befand, des Phantomschiffes, des Totenschiffes, des Seegespenstcs oder wie es sonst verschiedentlich benannt worden.
Andererseits gab es so Vieles, was mich wieder irre machte, daß ich wirklich in Gefahr war, den Verstand zu verlieren: Wenn Vanderdecken im Jahre 1653 von Batavia abgesegrlt war, warum sprach er denn davon, als wenn es letztes Jahr .gewesen? Wenn das Totenschiff ein geisterhafter, unfühlbarer Gegenstand, ein ge
spensterhaftes Wesen war, woher kam dann das Substantielle dieses Fahrzeuges, das, von den lauten Echos seines Materials widerhallend, es in Bezug auf Seetüchtigkeit mit jedem Schiff erster Klaffe aufnehmen konnte? Wenn es sich fett 143 Jahren in der Nähe von Agulhas Herumgetrieben, wie war es zu erklären, daß es Oel und Docht für die Laternen, Kleider gleich den meinen und denen, in welchen ich die Besatzung gesehen, Branntwein, fast neue Decken, wie die von mir benutzten, und andere Vorräte mehr barg? Die von dem Kapitän hervorgeholte Flasche Branntwein hatte mich überzeugt, daß die Mannschaft aß und trank, wie andere Menschen cs auch thun und thun müssen.
Diese und andere Punkte ließen sich nicht ganz mit der festen Ueberzeugung vereinigen, daß das Schiff, auf dem ich mich befand, dieselbe Barke war, welche des göttlichen Bannfluches und vor Allem des Unheils wegen, das sie über alle ihren Weg kreuzenden Fahrzeuge brachte, von Jedermann gefürchtet wurde. Ich würde Alles, was ich besaß — obgleich dies leider, wenn ich auch noch die paar Habseligkeiten verlor, die ich auf dem Saracen zurückgelaffen, wenig genug gewesen sein würde — für die Erlaubnis, auf Deck gehen zu dürfen, hingegeben haben, aber ich wagte es nicht, aus Furcht, Vanderdeckens Mißfallen hervorzurufen. So lag ich denn für mehrere Stunden vollständig wach in meiner schwarzen, kerkerhaften Koje, beobachtete das abscheuliche phosphorische Flimmern, das mich so unheimlich umspielte, lauschte dem Heulen des Windes, der sich allmählich zu einem Orkan gesteigert hatte, und achtete auf das fürchterliche Rollen des Fahrzeuges, dessen wildes Knarren und Knirschen im Innern dem Donner der draußen brausenden See eine hirnverwirrende Klangfarbe verlieh. Doch niemals während all dieser einsamen Nachtstunden schlug der Ton eines menschlichen Rufes oder das Echo eines Fußtrittes an mein Ohr. Ich schlief endlich ein, doch nicht vor Anbruch der Morgendämmerung, die sich mir durch ein unbestimmtes Hellerwerden, eine Art aschenfarbigen Zwielichts, bemerkbar machte, das zur Decköffnung und durch einen offenen Raum der Kajüten- thüre hereinströmte.
(Fortsetzung folgt.)