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— Das nahe bevorstehende Erlöschen des Sozialistengesetzes kündigt sich bereits an. Am 30. Juni ist in Leipzig der sogen, kleine Belagerungszustand zu Ende gegangen, der seit 1881 alljährlich erneuert wurde. Eine Erneuerung für das noch laufende Vierteljahr des Bestandes des Sozialistengesetzes war nicht beantragt worden. Es wird sonach für zahlreiche Ausgewiesene fortan die Rückkehr gestattet sein.
Tages-Ueuisttreiten.
(Amtlich es.s. Bei der am 20. Mai. und den folgenden Tagen bei der K. Regierung für den Schwarzwaldkreis vorgenommenen niederen Dienstprüfung im Departement des Innern ist für befähigt erklärt worden: August Christian Kern von Calw.
Stuttgart. Man schreibt dem „Schwäb. Merkur": Die Beitrittserklärungen zum Verein für Feuerbestattung zu Stuttgart laufen in großer Anzahl ein und haben bereits das erste Hundert wenige Tage nach dem ersten Aufruf überschritten. Bemerkenswert, weil unerwartet, ist die große Teilnahme der Frauen. Aus dem ganzen Lande sprechen Zuschriften die aufrichtige Genugthuung darüber aus, daß diese wichtige Angelegenheit endlich auch in Württemberg in Fluß gekommen sei.
Stuttgart, 30. Juni. Wegen vorsätzlicher Brandstiftung,' stand am Samstag, den 28. Juni, der 17jährige Bäcker P. F. Chr. Henßler von hier vor der I. Strafkammer. In der Nacht vom 7. zum 8. Mai d. I. brach im Hinterhause der Witwe Brude, Alleenstr. 18, worin der Bäcker Lieb sein Geschäft treibt, Feuer aus, worüber seiner Zeit berichtet wurde. Während die Bäcker bei der Backarbeit waren und das Dienstmädchen in der Kammer schlief, wurde die letztere durch ein verdächtiges Schleichen auf der Treppe geweckt, was sie m große Angst versetzte. Bald darauf bemerkte sie, daß es draußen brenne; sie stand rasch auf und machte Lärm. Das Feuer war in der Kammer der Bäcker und ehe die Feuerwehr recht eingreifen konnte, war das Mobiliar verbrannt und das Gebäude schwer beschädigt. Der Verdacht der Brandstiftung fiel sofort auf den Angeklagten, welcher bis zum 5. Mai bei Bäcker Lieb in Arbeit gestanden hatte und mit Unfrieden geschieden war. Er hatte Drohungen gegen seinen Meister ausgestoßen. Der Angeklagte konnte sich über ein Alibi in der betreffenden Nacht nicht ausweisen, dagegen sagte eine Zeugin aus, ihn vor dem Brande in der Gegend desselben gesehen zu haben, was er energisch leugnete. Das Gericht war aber von seiner Schuld hinlänglich überzeugt. I. Staatsanwalt Elben beantragte 3 Jahre Gefängnis. Das Urteil lautete 2 Jahre 6 Monate Gefängnis.
Kirchheim u. T., 29. Juni. Seit heute nachm. 4 Uhr steht das Hauptgebäude der Müller- 'schen Wollspinnerei in Oethlingen in Flammen. Das Feuer brach auf dem Dachraum aus und verbreitete sich sehr schnell, so daß die herbeieilenden Feuerwehren von Oethlingen, sowie Kirchheim u. a. Nachbarorten zu thun haben, um die benachbarten Wohngebäude und Fabrikanlagen zu retten. Günstig wirkt der Umstand, daß der Wind, welcher von S.W. kommt, die Flammen von den anderen Gebäuden
wegtreibt.. Der Schaden ist jedenfalls ein sehr bedeutender, um so mehr als eine große Anzahl neuer Maschinen in der letzten Zeit aufgestellt worden und erst seit 14 Tagen im Gange ist. Auf die Nachricht von dem Brand eilte der Oberamtmann und Oberamtsbaumeister auf den Brandplatz, um die Löscharbeiten zu leiten.
Das Münsterfest zu Ulm.
Die Sonntags-Extrazüge nach Ulm wie die fahrplanmäßigen waren alle überfüllt, viele benützten den Orient-Expreßzug. Auf dem Bahnhof und in den Straßen der Stadt empfing die Ankommenden ein bewegtes Treiben, so bunt und lebhaft, wie es Ulm seit Menschengedenken nicht gesehen. An hohen Gästen waren eingetroffen, J.J. K.K. H-H- der Prinz und die Prinzessin Wilhelm mit Prinzessin Paul ine, Herzog Albrecht von Württemberg, S. H. Prinz Weimar, Prinz Friedrich Leopold von Preußen, mit ihm Graf Waldersee, vorher schon der württ. Ministerpräsident Dr. Frhr. Mittnacht und der preuß. Kultusminister v. Goßler. Der glänzende Empfang der hohen Herrn brachte eine neugierige und freudig erregte Menge auf die Beine.
Um 4 Uhr Samstag nachmittag begann, wie das Programm verheißen, der Festzug der Schul - jugend; derselbe unterschied sich von anderen derartigen Umzügen nur durch seine Länge ; denn mehr als 5000 Kinder, nahmen daran teil. Sie zogen in bester Laune mit ihren Festmünzen geschmückt, die Lehrer an der Spitze, 12 Musikkorps voran, durch Neu- und Altstadt zum Münsterplatze, wo sich der Zug, strahlenförmig dein Hauptportal zu aufstellte und der ganze große Chorus anstiminte: „Herr, Dir ist niemand zu vergleichen". Zwischen 8 und 9 Uhr war eine große Kundgebung der Bürgerschaft, welche trotz des eintretenden Regens auch zur Ausführung kam. Unter Begleitung sämtlicher Musikkapellen, sang auf dem Münsterplatze fast ganz Ulm, denn alles was gehen und stehen konnte war zusammengeströmt, den Choral „Nun danket alle Gott" und das Lied „Deutschland, Deutschland über Alles". Um 9 Uhr begann mit dem vorbestimmten Zeichen, dem Anschlägen der Schwörglocke, die Beleuchtung des Münsters. Auf der Gallerie über der Portalvorhalle blitzte es zuerst auf, von Stockwerk zu Stockwerk pflanzte es sich fort, im Netzwerk des Gerüstes, hinter der zierlichen Filigranarbeit der Pyramide fuhr es empor bis zum obersten Kranze, wo es mit besonderer Kraft aufflammte und die Spitze mit der Kreuzblume in fast blendende Glut setzte; es war ein unvergleichlich schöner Anblick. Erst nach etwa einer Viertelstunde erloschen die Flammen; langsam leerte sich der Platz, aber durch die Straßen zog noch lange eine begeisterte Menge.
Der Festtag am Sonntag wurde durch das Läuten der Schwöralocke aber auch durch strömenden Regen eingeleitet. Trotzdem brachten die Züge und zahlreiche Fuhrwerke kolossale Menschenmengen zur Stadt. Bald hieß es, daß der Festzug auf den Nachmittag verschoben werden müsse, aber auch diese Hoffnung wurde vereitelt und dessen Verlegung auf Montag nachmittag 3 Uhr angezeigt.
Am Nachmittag gab die Stadt den hohen und
höchsten Herrschaften und ihren Suiten ein Prunkmahl auf dem Rathaus.
Um 5 Uhr vereinigte ein ebenfalls von: Stadtrat gegebenes Münsterfestessen die Vertreter der Feststadt mit der wohl beinahe vollzählig erschienenen Kammer der Abgg. (die Mitglieder der Ersten Kammer wohnten dem Prunkmahl auf dem Rathaus bei) und den Deputationen der Schwesterstädte im Gasthof zum Greifen. Von Seiten der K. Staatsregieruna wohnte Se. Exz. der Herr Staatsminister des Innern, v. Schund mit Mitgliedern der Oberregierung und anderen höheren Beamten seines und anderer Departements diesem Mahle an.
Zuerst erhob sich der älteste Stadtrat Prokurator Schall, um m Vertretung des durch anderweitiae- Pflichten verhinderten Oberbürgermeisters v. Heim, die Gäste herzlich willkommen zu heißen und ihnen zu danken für ihre Teilnahme, die zur Verherrlichung des Festes so viel beitrage. An diesem Ehrentag, dessen man in fernsten Zeiten noch gedenken werde, schlage das Herz aller Ulmer höher vor Freude und Stolz, daß es gelungen, den Dom zu vollenden in seiner ganzen Schönheit, wie die alten Meister ihn in Gedanken geschaut. Neben der göttlichen Hilfe, die das gewaltige Bauwerk ohne Unfall gelingen ließ, neben den Männern, die den Gedanken der Vollendung dieses hehren Domes zuerst erfaßt und vertreten und in ganz Deutschland Sympathien dafür erworben, habe die Stadt heute ganz besonders der mächtigen Förderung zu gedenken, die Seine Majestät der König dem Werke des Münsterbaus gewidmet und durch Seine Regierung gleichfalls habe gewähren lassen. Der Redner schloß mit einem- Hoch auf Seine Majestät der König und die allergnädigste Landesmutter Ihre Majestät die Königin. Stadtpfarrer Ernst lenkte darauf die Gedanken auf das weitere Vaterland uno brachte ein Hoch auf den Schirmherr des Reichs, den Kaiser aus! .Rechtsanwalt Schott brachte Seiner Königlichen Hoheit dem Prinzregenten von Bayern,, der in Würdigung der freundnachbarlichen Beziehungen dem Münsterturm Gönner und Förderer gewesen. Dank und Huldigung. Stadtrat Wiegand gedachte der Unterstützung, die der Münsterbau sowohl von der Kgl. Staatsregieruna als von den Ständen erfahren, die 1856 erstmals 9000 fl. und seitdem Jahr für Jahr rund 10000 für das Vollendunaswerk in den Etat eingestellt. In schwungvollen Worten erwiederte dann Präsident v. Hohl' auf die Worte ehrender Anerkennung für sie so gerne gewährten. Beihilfen. Unsere Gedanken führen uns zurück in die ruhmreiche Vergangenheit dieser herrlichen Landesstadt, die auch in der Gegenwart wieder eine blühende Stätte der Kultur, des Fortschrittes, der Industrie- und des Handels ist. Wie schön steht sie da in dem reichen Schmuck, den ihre Bürger ihr gegeben;'das schönste Denkmal edeln religiösen Bürgersinnes, aber auch ein Wahrzeichen des wiedererwachten nationalen. Geistes. Kaum 2 Jahrzehnte nach der Wiedervereinigung des Vaterlandes ist es vollendet, ein Jahr nach dem schönen Landesfest einer viertelhundertjährigen segensreichen Regierung, dem nun dies schöne Dombaufest sich angeschlossen, zur Freude unseres Königshauses, zur Freude unseres Heimatlandes, zur Freude- des ganzen deutschen Reichs. Zu der glücklichen Vol-
konnte, war ich über die augenscheinliche Bestürzung, in der sich die Leute befanden, doch weniger erstaunt als dies wohl zu anderen Zellen der Fall gewesen wäre. Stimmung und Gemütsverfassung der ganzen Besatzung waren in dieser Nacht derart, daß auch nicht die kleinste Barke, die den Ozean befuhr, sich ihren Blicken bieten konnte, ohne ihren abergläubischen Instinkt zu reizen, bis ihnen die Haare zu Berge standen.
Nach wmigen Augenblicken unterschied ich auch in der That den Rumpf eines — wie mir schien — großen Schiffes gerade über Steuerbord. So well ich cs zu erblicken vermochte, war es dicht gebraßt und steuerte, als ob es hinter unserm Stern vorbeisegeln wollte. Man mußte, um es überhaupt genau zu sehen, ein wenig diesseits oder jenseits der geraden Richtung schauen, denn sobald man daS Auge darauf richtete, verschwand es, wie ein schwaches, fernes Licht auf dem Meere immer thut, wenn auf solche Weise beobachtet.
.Das kann ein Feind sein!" schrie ich, „zumal hier herum an Holländern und sogar Franzosen kein Mangel sein soll. Schnell, Jungens! Auf die Posten! Schickt den Bootsmann zu mir!"
Dann sprang ich eiligst an die Kajütenthür und rief laut nach Mister Hall. Dieser war aus einer Lade ringeschlummert und rannte nun, so jählings aufgeweckt, noch schlaftrunken auf die Leiter zu, wobei er hervorstieß: „Was giebt's? Was giebt'S denn?" Auf meine Antwort, daß ein großes Schiff direkt vor uns in Sicht sei, war er im Nu völlig wach, stürzte die Schiffstreppe herauf und schrie: „Wo? In welcher Richtung?"
Wenn überhaupt eine Brise vorhanden war. so konnte ich wenigstens keine spüren. Doch eine Art Windzug muß gewesen sein, dmn daS fremde Fahrzeug in der Dunkelheit draußen hielt ein gutes Luv, was deutlich anzeigte, daß es unter Fahrt war. Dagegen ruhten wir unsererseits bewegungslos auf dem ebenholz- schwarzen Ozean mit gebraßten Raam, eingezogenem Besansegel, den größten Teil der Etagsegrl herabgenommen. Während Mister Hall nach dem fremden Schiffe
hinausstarrte, kam der Bootsmann herbei, sich seine Befehle zu holen. Der Maat wandte sich aufgeregt nach mir herum und sagte: „Wir müssen uns fertig machen, uns zu Allem bereit halten und es dann in Geduld abwarten. Bootsmann, pfeifen. Sie alle Mann auf Deck! Und machen Sie Alles klar, Mister Fenton!"
Zum zweiten Mal während meiner Wache schrillte die Bootsmannspfeife über das Schiff, bis empor zu der Segelgewandung, aus deren Falten die Töne in ge- spensterhaften Echos zurückhallten. Wir waren kein Kriegsschiff und hatten keine. Trommeln, daher klang unser Ruf zum Kampfe weniger soldatisch. Doch jeder Einzelne fühlte, daß jener bleiche Schatten da drüben, der so plötzlich und wunderbar aus der Dunkelheit heraus wie eine sich blitzschnell auf einer Bergspitze bildende Wolke aufgetaucht war, für uns eine große Gefahr bergen könne.
So stürzten wir schnell und aufgeregt an's Werk, machten unsere winzigen Batterieen klar zum Gefecht, schlossen die Luckengitter, zogen die Präsenings an, öffneten das Magazin, entzündeten die Lunten, versahen unsere Kanonen mit Reservebodenstücken und Takeln, kurz machten uns fertig für Alles, was da kommen möchte. Dies bewältigten wir mit Hilfe zweier Laternen, die sehr behutsam gehandhabt wurden, da Mister Hall nicht wünschte, daß unsere Vorbereitungen beobachtet würden;, doch dieser Mangel an Licht hielt uns so lange auf, daß, als wir endlich vollständig fertig waren, sich das seltsame Fahrzeug mittlerweile unserm Steuerborddeck erheblich genähert hatte.
Sogar in dieser geringeren Entfernung verhinderte uns die Dunkelheit, etwa- Besonderes zu unterscheiden, doch trösteten wir uns einigermaßen, als wir bemerkten^ daß es offenbar seinen Kurs nicht zu ändern beabsichtigte, was uns zu der Hoffnung berechtigte, daß es vielleicht ein ebenso friedliches Handelsschiff war, als wir selbst. ES zeigte kein Licht, nur die Segel waren sichtbar, indem ihr Schein das Dunkel über dem Rumpf matt durchdrang. Es war eine Zeit harter Geduldsprobe für uns Alle. Unser Schiff war zu völligem Stillstand gekommen, was ein Blick über die Seite lehrte, wo die kleinen bleichen Puffs phosphorischen Glanzes, die, handtief