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Deutsches Reich.

Pom Reichstag. In der Sitzung vom 17. Juni kam es gelegentlich der Beratung über die Ge- Werbegerichte zu emer namentlichen Abstimm­ung und zwar über den Antrag Eberty (d.fr.): Zum Mitglied eines Gewerbegerichts kann nur berufen werden, wer das 25. Lebensjahr vollendet hat. Von den 17. württ. Abgeordneten stimmen 7 mit Ja; nämlich Hähnle, Härle, Kercher, v. Münch, Payer, Siegle, Speiser; 5 mit Nein: Braun, Göser, Gröber, v. Gültlingen, Weiß; beurlaubt war Leemann: ent­schuldigt Haußmann; ohne Entschuldigung fehlten Graf Adelmann, Pflüger und Schnaidt. (Der An­trag Eberty wurde abgelehnt, beschlossen wurde das 30. Lebensjahr.) In der Sitzung vom 20. Juni fanden in der Beratung über denselben Gegenstand 2 weitere namentliche Abstimmungen statt. Die erste betraf einen von den .Konservativen und dem Zentrum gestellten Antrag auf Schluß der Erörterung. Mit Ja stimmten von den württ. Abg. 4: Braun, Göser, Gröber und v. Gültlingen, mit Nein stimmten 9: Hähnle, Härle, Kercher, v. Münch, Payer, Schnaidt, Siegle, Speiser und Weiß; beurlaubt Leemann, ent- schultigt Haußmann, ohne Entschuldigung fehlten Graf Adelmann und Pflüger. Die zweite Abstimmung fand über einen Antrag Eberty statt, welcher einen Zusatz wünscht folgenden Inhalts: Das Geschlecht macht hinsichtlich des Rechts zur Teilnahme an den Wahlen der Besitzer (Z 11) kemen Unterschied. Von den württ. Abg. stimmten hierbei 7 mit Ja: Hähnle, Härle, Kercher, v. Münch, Payer, Schnaidt, Speiser; 6 mit Nein: Braun, Göser, Gröber, v. Gültlingen, Siegle und Weiß.

Berlin, Dienstag 24. Juni. Reichstag. Fortsetzung. Bei der 2. Beratung der Militär­vorlage (Erhöhung der Friedenspräsenz rc.) be­gründet Graf Stolberg (kons.) als Berichterstatter den Kommissionsantrag auf Bewilligung und bittet, den Antrag der Freisinnigen auf Einführung der 2jährigen Dienstzeit abzulehnen. Rickert (d.fr.) be­tont die unerwartete große Forderung. Er fragt, weshalb dieselbe nicht mit dem ordentlichen Etat ver­bunden worden sei, und spricht sich gegen das Sep- tennat aus. Der Militäretat müsse ebenso wie der Marineetat behandelt werden. Die einjährige Be­willigung wäre kein Machtmittel des Parlaments, sondern liege im Interesse des Landes und der Armee. In Frankreich gebe es zum Vorteil der Armee eine Durchschnittsziffer, während wir Marimal- und Nor­malziffern haben. Bei der Annahme einer Durch- schmttsziffer könne man die Angelegenheit ebenso wie in Frankreich behandeln. Dadurch werde eine ge­wisse Dehnbarkeit in die Ziffer gebracht. Der Kriegs­minister habe auf Grund des Artikels 63 der Ver­fassung das Recht der Feststellung der Friedenspräsenz für den Kaiser beansprucht. Der Artikel gebe, selbst wenn die Ansicht des Kriegsministers zuträfe, gleich­wohl dem Parlament einen gewissen Einfluß auf die Feststellung der Friedenspräsenz. Die Zukunftsplane des Kriegsministers seien aus Fmanzgründen undurch­führbar. Von der Forderung der 2jährigen Dienst­zeit werde das deutsche Volk nicht mehr abgehen.

Er werde für die Resolutionen Windthorst stimme», weil dieselben wenigstens seine An- und Absichten enthalten. Die deutschen Militärausgaben seien in die Höhe gegangen, während diejenigen Frankreichs sich verminderten. Die Steuerlast sei bereits uner­träglich. Auf den Standpunkt des Schatzsekretärs, daß man erst die Ausgaben bewillige und hinterher zusehe, woher die Einnahmen kommen, könne er sich nicht stellen. Er werde mit den Freisinnigen gegen die Vorlage stimmen. Windthorst (Zentr.) ver­kennt nicht die Belastung des Volks durch die neue Bewilligung von Geld und Menschen. Alle derartigen Erwägungen müßten aber zurücktreten vor der Sorge für die Sicherheit des Vaterlandes. Er halte die Ausgaben für absolut notwendig. Zur Gewinnung eines festen Finanzplans möge der Schatzsekretär die Finanzminister der Einzelstaaten, zusammenrufen. Die einjährige Bewilligung des Militäretats und die zwei­jährige Dienstzeit werden auf die Dauer von der Re­gierung nicht zurückzuweisen sein. Diese Forderungen finden in den beantragten Resolutionen ihren Ausdruck.

Berlin Montag, 23. Juni. Der Vorstand des Reichstags und eine größere Anzahl Abgeordneter sind vom Reichskanzler v. Caprivl für Donnerstag zu einer Festlichkeit im Garten des Reichskanzler- Hauses eingeladen.

Berlin Montag, 23. Juni, nachm. Der nahe Rücktritt des Finanzministers Scholz steht jetzt fest. Die Wahlprüfungskommission des Reichstags beanstandete die Wahlen von Pickenbach (An- tisem.) und Frhr. v. Münch (Volksp.).

In einer sozialistischen Volksversammlung in Berlin bekämpfte Bebel den Bierboykott. Seit Publikation der kaiserlichen Erlasse sei einem großen Teil der Arbeiter der Kamm geschwollen; sie meinen, sie könnten den Kapitalisten Alles bieten, da­her würden mit wahrem Fanatismus Streiks unter­nommen, die der Arbeiterschaft schaden. Der Bier­boykott sei eine Dummheit. Die Versammlung be­schloß, den Bierboykott aufzuheben

DieNordd. Ällg. Ztg." schreibt: Das Abkommen zwischen England und Deutschland steht vor seinem Abschlüsse; heute oder morgen wird in London zwischen Lord Salisbury und dem Grafen Hatzfeld der Notenaustausch vollzogen, welcher die Grundlage bildet für die förmliche Uebereinkunft, welche ebenfalls in den nächsten Tagen unterzeichnet werden soll, sobald die Details geregelt sind, betreffs derer hier in Berlin Verhandlungen stattfinden.

Berlin, 24. Juni. Der Reichstag ge­nehmigte den Nachtragsetat für Ostafrika debattelos. Staatssekretär Marsch all hatte jede Diskussion über das englisch-deutsche Ab­kommen für unerwünscht und der deutschen Politik nachteilig bezeichnet und davon abzu­sehen gebeten. Der Kaiser, welcher Vormit­tags in Berlin anwesend war, fuhr mittags um 12 Uhr 30 Minuten mit Major Wiß mann nach Potsdam.

DieHamb. Nachr." schreiben:Der mit der Abtretung Helgolands bekundete gute Wille Deutschlands gegenüber berechtigt vielleicht zu der Hoff­nung, daß England sich gelegentlich bereit finden läßt.

die Walfischbai, woran noch weniger als an Hel­goland englische Interessen bestehen, Deutschland zu überweisen. Für England ist die Walfischbai gänz­lich wertlos, für Deutschland hingegen wegen des Mangels an brauchbaren Häfen an'der Südwestküste Afrikas von Wichtigkeit."

Frankfurt a. M., 24. Juni. Der Ober­bürgermeister Dr. Joh. Miguel hat dem Magistrat und dem Stadtverordnetenvor- fteher telegraphiert, daß er zum Finanz- mtnlster ernannt worden sei. Dr. Miguel wird morgen nach Frankfurt kommen und Donnerstag Abend sich in der Stadtver­ordneten-Sitzung verabschieden.

Straßburg, 21. Juni. Die amtliche Korre­spondenz macht die Mitteilung: Vom Ministerium für Elsaß-Lothringen sind bezüglich der Paßpflicht nachfolgende Bestimmungen erlassen worden, die un­verzüglich in Kraft treten werden:Ausgenommen von der Paßpflicht sind die Eisenbahnreisenden, welche Elsaß-Lothringen, ohne Aufenthalt zu nehmen, durchreisen wollen und an der Grenze eine ent­sprechende Fahrkarte vorzeigen. Fahrkarten nach der Station Kehl befreien von der Paßpflicht nicht." Diese Verordnung bedeutet im Gegensatz zu den seit­herigen Bestimmungen, welche die Lösung einer Fahr­karte bis München als Bedingung für die paßlose Durchfahrt setzte, für den internationalen und den Durchgangsverkcyr eine wesentliche Erleichterung. Nun­mehr brauchen alle Ausländer, welche von der fran­zösischen Grenze her das Neichsland betreten, keinen. Paß mehr, im Falle sie Fahrkarten besitzen, welche auf über Kehl hinausliegende Orte lauten.

Tages Neuigkeiten.

Stuttgart, 23. Juni. Unter dem Vor­sitze des Ehrenpräsidenten, Sr. Hoh. des Prinzen Hermann zu Sachsen-Weimar, trat heute ver Verwaltungsrat des württ. Export in u st erlagers zur vorschriftsmäßig einberufenen Jahresversammlung zusammen. In erster Linie gedenkt Se. Hoh. zweier Mitglieder, die dem Kollegium durch den Tod ent­rissen worden; es sind dies Kommerz.-Nat Max Neu­burger und Kommerz,-Rat Paul Schiedmayer; der erster« war einer der Stifter und eines der eifrigsten Mitglieder des Verw.-Rats des Musterlagers, stets bereit, in liebevoller Thätigkeit seine besten Kräfte und Kenntnisse zur Verfügung zu stellen. Auch der so schnell gestorbene Komm.-Rat Paul Schiedmayer habe sich stets als ein eifriges Mitglied erwiesen. Den schönsten Festtag beging das Exportmusterlager am 29. Juni des vergangenen Jahres, als Se. Maj. der König der Anstalt einen eingehenden Besuch widmete. Die besten Wünsche, mit denen der König das Lager verließ, sind in Erfüllung gegangen. Die Geschäfte waren überaus glückliche, so glückliche, daß die zur Einrichtung aus dem Ueberschuß der Aus­stellung von 1881 überwiesenen und zum Teil ver­brauchten 10,000 nicht bloß wieder ergänzt und verzinslich angelegt, sondern zu einem Grundstock von 13,300 vermehrt werden konnten. Die Umsätze sind in einer Weise gestiegen, von deren Größe man

Mitternacht da war, so daß ich hinabgehen und den ersten Maat heraufsenden konnte, dessen schwerfälliger, prosaischer Geist sicherlich nichts als Wasser und Himmel er­blicken und kaum auf etwas Anderes als die viel zu schwache, wenig nutzbringende Brise achten würde.

Siebentes Kapitel.

Ich unterhalte mich mit dem Schtffs»immerman« über das Holenfchiff.

Die folgenden sechs Tage schien es, als wenn wir selbst in das Meerge­spenst verwandelt werden sollten, das, so wesenlos eS immer sein mochte, mit bleierner Schwere auf Kapitän Skevington lag. Etwa in gleicher Breite mit Agul- haS bekamen wir wieder eine frische Brise aus Südost, die sich nach vierundzwanzig Stunden zu einem heftigen Sturm verstärkte, wobei der Wind mehr nach Osten um­sprang, und dies ging mit zeitweiligen ein- oder zweistündigen Unterbrechungen sechs lange Tage so fort. Das war eine Probe Kapwetter, dessen ich mich zeitlebens er­innern werde. Die See lag in Büchsenschußentfernung von einem schieferfarbigen Dunst bedeckt, der regungslos festzustehen schien, und vorbei an den Wänden und entlang dem Dache dieser wildschrecklichen von Wolken geformten Kammer mit ihrem Flur von Totengrüsten und schäumenden Abgründen raste der wütende Sturm, ungeheure bleifarbige Wogen emporreißend, deren Häupter sich bis zur Spitze unseres Topmaster aufzurichten schimen, wo sie sich brachen, um in einm kochenden Kessel mit Schaum zurückzurauschen. Und dieser dampfende Wassergischt ward dann von den Händen des Sturmes wieder aufzefangen und hinweggeweht, so daß das Peitschen des Sprühregens einem die Augen blmdmdm Schneesturme glich, und Einem das Gesicht schmerzte, al» wmn die Windsbraut mit Wurfspießen geschwängert wäre.

Ein Blick auf die Seekarte zeigt, daß in diesen Gewässern für unzählige Mellen kein Land vorhanden ist, dm hohm Wogengang zu brechen; daher sind bei einem Orkan aus Ost, Süd oder West die sich rmportürmenden Wellenberge so un­geheuer, daß mir die Worte fehlm, sie auch nur annähernd zu beschreiben.

Wir legtm bei unter Sturmstagsegel mit niedergelassenen Raaen und ge­schlossenen Luken. Unser Deck stand fortwährend unter Wasser, eine riesenhafte Sturzwelle, dir über das Mitteldeck schlug, ersäufte nicht weniger denn sechs Schafe,

die wir am Kap eingenommen hatten, sowie eine Sau und viele Hühner, der Zimmermann brach das Bein durch einen bösen Fall, während ein höchst brauchbarer Matrose gegen ein großes Faß geschleudert wurde und sich das Gesicht zerfetzte. Ganz unmöglich war es, irgendwelche Speisen zu kochen, so daß wir die ganze Woche auf Biskuit, Käse und ähnliche magere Kost, die des Zubercitens nicht bedurfte, angewiesen waren.

Ich dachte, die ernste, rauhe Prosa eines Unwetters würde dm düsteren, romantischen Spuk, der des Kapitäns Kopf erfüllte, spurlos Hinwegblasen, aber nein, mehr als einmal äußerte er, daß er dieses Wetter für einen Teil des Mißgeschickes- halte, dem wir seit dem Zusammentreffen mit einem Fahrzeug, das innerhalb Anrufs­entfernung am Gespensterschiff vorübergesegelt sei, unvermeidlich verfallen müßten.

Am fünften Morgen des Sturmes, als ich mit ihm in der Kajüte zusammen­traf, erzählte er mir, daß ein Mann Namens Cobwebb, der die Nacht zuvor am Steuer war, ihm mitgeteilt habe, daß einige von den Mannschaften diesen bösen Orkan einem gewissen Mulder, einem russischen Finnen, der ein nüchterner, ausge­zeichneter Seemann und einer von den einzigen zwei Ausländern in unserm Vorder­kastell war, zugeschrieben, und vaß man, um irgendwelchen magischen Einfluß, den er als finnischer Hexenmeister etwa besitzen möchte, wirkungslos zu machen, ein Huf­eisen an den Vordermast genagelt und den Hauptmast mit einem schwarzgrisfigen Messer durchstochen und gekerbt habe. Er lächelte über diesen Aberglauben, ohne zu bedenken, daß sein eigener, der ihm trotz Intelligenz und leidlicher Bildung so fest anhaftete, von Vielen noch well mehr des Verspottens wert geachtet werden könnte»

Jedoch am sechsten Tage brach sich die Gewalt des Orkans und unser Schiff ging siegreich, wenn auch mit nicht unbedeutenden Verletzungen, auS dem Kampfe hervor. In dieser Zell hatten wir es trotz Strömung und Wogenschwall fertig ge­bracht, vierzig Mellen in südöstlicher Richtung zurückzulegen, und zwar Dank unserer Beharrlichkett, bei jedem zettwelligen Einlullen des Sturmes Segel zu setzen und uns vorwärts zu bemühen.

(Fortsetzung folgt.)