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Amts- und Anzeigeblatt für den Bezirk (Lalw. 65. Jahrgang.

Erscheint Dienstag, Donnerstag und SamStag. Die Einrückungsgebühr beträgt im Bezirk und nächster Um­gebung 9 Pfg- die Zeile, sonst 12 Pfg.

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Amtliche Bekanntmachungen.

Bekanntmachung

betreffend die Maul- und Klauenseuche.

Nach einer Mitteilung des Großh. Bad. Be­zirksamts Pforzheim ist in der Gemeinde Steinegg die Maul- und Klauenseuche in einer Mehr­zahl von Stallungen ausgebrochen.

Es iit daher angeordnet, daß aus der Gemeinde Steinegg während der Dauer der Seuche Vieh (Rind­vieh, Schafe, Schweine und Ziegen) nur mit orts­polizeilicher Erlaubnis und allein zum Zwecke sofor­tiger Schlachtung weggebracht und solches aus den benachbarten Gemarkungen Hamberg und Tiefenbronn zum Zweck oder in Vollzug einer Veräußerung nur auf Grund von Gesundheitszeugnissen, welche von einem Tierarzt ausgestellt sind, ausgeführt werden darf.

Das Verbot des Viehhandels im Umherziehen im Amtsbezirk Pforzheim bleibt bis auf Weiteres bestehen.

Calw, den 21. Juni 1890.

K. Oberamt.

Supper.

Bekanntmachung

betreffend die Maul- und Klauenseuche.

Nach einer Mitteilung des K. Oberamts Herren­berg ist das Durchtreiben von Wiederkäuern und Schweinen durch den Ort Afstätt bis auf Weiteres verboten und das Durchtreiben von Wiederkäuern und Schweinen durch den Ort Unterjesingen wieder gestattet.

Calw, den 21. Juni 1890.

K. Oberamt.

Supper.

Übertriebene Ansprüche.

8. 6.-U. Daß die Arbeit wirtschaftliche Güter erzeugt, wer will es leugnen? Menschliche Arbeit ist es, welche das unscheinbare Eisenerz aus den Bergen herausholt, nach der Schmelzhütte führt, diese in Betrieb erhält, schmiedbares Eisen und harten Stahl erzeugt, um daraus tausend wertvolle Dinge von den schwersten Maschinen bis zur feinsten Näh­nadel zu machen. Menschliche Arbeit ist es, welche die Felder bebaut, Früchte sät und erntet. Wir ge­mäßen nichts, wir tragen nichts an unserem Leibe, wir besitzen nichts, was wir nicht einer bestimmten Leistung menschlicher Kraft verdanken. Seitdem das Wort ergangen ist:Im Schweiße deines Angesichts sollst du dein Brot verzehren" sind die Menschen auf die Arbeit angewiesen; es bedarf keiner tiefsinnigen

Dienstag, den 24. Juni 1890.

philosophischen Betrachtung und volkswirtschaftlichen Untersuchung, um jedermann begreiflich zu machen, daß die Arbeit allein wirtschaftliche Güter erzeugt.

Gleichwohl muß diese Wahrheit richtig ver­standen werden, soll sie nicht zu falschen Schlüssen und zu übertriebenen Ansprüchen führen. Die Ver­breiter der sozialistischen Lehre mißbrauchen die Wahr­heit des Satzes, daß Arbeit allein Güter schafft, in­dem sie den industriellen Arbeitern die irrige Meinung beibringen, als wären es die Arbeiter allein, welche die menschliche Gesellschaft gleichsam erhalten und als könnte die Welt ohne die Zuhörer in sozialistischen Versammlungen kaum mehr bestehen. Das größte Unrecht dieser Irrungen liegt darin, daß sie nur die mechanischen Verrichtungen als Arbeit anerkennen, die geistige Arbeit, welche doch in der Regel als Vor- bedingung der mechanischen Thätigkeit bildet, gar nicht oder doch nur als höchst minderwertig anerkennen. Ein Chemiker erfindet z. B. nach jahrelangem Stu­dium und nach ebenso langwierigen als bedeutenden Kosten, unter Umständen sogar gesundheits- und lebens­gefährlichen Versuchen, irgend ein neues Produkt, das der menschlichen Gesellschaft sehr nützlich ist. Es gelingt ihm endlich nach großen Opfern seine Erfind­ung m die Fabrikation überzuführen nnd braucht er allerdings Hilfskräfte, Arbeiter, welche er selbst zuerst anlernt und mit den ortsüblichen Löhnen bezahlt. Nur unter dauernder Blühe und Sorgfalt gelingt es ihm, einen allmählich immer größeren Kreis sicherer Abnehmer für sein Fabrikat zu finden. Allmählich wird er reich und nun kommt irgend ein sozialischer Hetzapostel und erklärt den Arbeitern dieses Mannes: Euer Brotherr ist ein Blutsauger, er mästet sich von eurem Schweiße."

Daß die betreffenden Arbeiter ohne diesen Mann und seine Erfindung vielleicht in die weite Welt verschlagen worden wären und möglicherweise unter viel ungünstigeren Bedingungen ihren Lebens­unterhalt hätten suchen müssen, das wird von den sozialistischen Agitatoren weislich verschwiegen. Man stellt übertriebene Ansprüche an ihn, vielleicht zu einer Zeit, wo seine Erfindung bereits nachgemacht oder sogar libertroffen wird und man nimmt cs ihm in Arbeiterkreisen schwer übel, wenn er seine Fabrik lieber stille stehen läßt, bevor er das zu günstigeren Zeiten angesammelte Vermögen wieder einbüßt.

Es bedarf nicht einmal der vielfach gelieferten statistischen Nachweise, denn jeder ältere Mann kann die Thatsache aus seiner eigenen Erfahrung bestätigen, daß die Preise für Nahrung und Kleidung seit den letzten 20 und 30 Jahren erheblich billiger geworden, die Löhne dagegen in die Höhe gegangen sind. Wenn man trotzdem in Arbeiterkreisen fortgesetzt über die unzureichende Lebenshaltung des Arbeiters klagt, so darf man nicht vergessen, daß die Ansprüche der Ar­beiter an das Leben in den letzten 20 Jahren ganz bedeutend gestiegen sind. Die sozialistischen Führer erklären es ja als euren Fluch der Menschheit, wenn diese ihre Bedürfnisse nicht fortgesetzt steigern. Un­gerechte und übertriebene Ansprüche sind es daher, wenn die Industriearbeiter immer noch billigere Preise der Lebensmittel herbeiführen wollen, ohne Rücksicht darauf darauf, ob die Erzeuger der Lebensmittel, also in der Hauptsache unsre Bauern, bei dem fort­gesetzten Preisdruck ihrer Produkte noch bestehen können oder nichtDer Bauer ist doch auch ein Mensch sozusagen" läßt Dichter Schiller den Arkebusier in Wallensteins Lager ausrufen. Bei den Sozialdemo­kraten scheint dieses menschliche Gefühl für den Bauer sehr wenig Anhänger zu zählen; sie verlangen für sich Abkürzung der Arbeitszeit und Erhöhung der

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Löhne, mutet aber den Bauern zu, ihr manchmal recht kärgliches Einkommen sich noch weiter schmälern zu lassen. Sie können es nicht ertragen, wenn fremde Arbeiter mit bescheideneren Ansprüchen an das Leben, wie z. B. Italiener, oder gar Chinesen ihnen Kon­kurrenz bereiten, muten aber den Bauern zu, daß diese sich ärger schinden als ein Chinese, sie meiden während der Erntezeit die Dörfer, welche sie, wenn arbeitslos, sonst so gerne abfechten, weil sie fürchten, zu irgend einer dringenden Erntearbeit herangezogen zu werden. Uebertriebene und ungemessene Ansprüche an das Leben sind es vielfach, welche die soziale Frage zu einer so brennenden gemacht haben, aber allzu­scharf macht schartig und der zu straff angespannte Bogen zerbricht. Achon seit mehreren Monaten ver­kracht ein Streik nach dem andern und sehr leicht können auch solche Zeiten wiederkehren, wo die Be­dürfnislosigkeit der Menschen kein Fluch, sondern ein Segen ist.

Tages-Zleuigkeiten.

Calw. Nach einer Verfügung der K. General­direktion der Posten und Telegraphen ist der hiesige Postschalter an den Sonn- und Festtagen nur noch von 1112 Uhr vormittags und 45 Uhr nach­mittags offen zu halten.

r. Gechingen, 22. Juni. Mit Bedauern sah die hiesige Gemeinde am 18. Juni ihren Seel­sorger, Hrn. Pfarrer Barth, von hier scheiden. Jedermann war noch in den letzten Tagen bemüht, den: scheidenden Hrn. Pfarrer Zeichen ver Verehrung und Wertschätznng zu geben, so der Liederkranz durch seine Chöre am Sonntag morgen, die Schüler durch ihre Lieder am Dienstag morgen und die fünf Mann starke hiesige Musikkapelle durch ihre Stücke am Ab­schiedstag. Die Mitglieder des Pfarrgemeinderats, Gemeinderats und BürgerauSschusscs und viele andere Bürger gaben das Ehrengeleite bis zur Bahnstation Ehningen, eingedenk des Wortes:Ehre, dem Ehre gebührt!" Möge Hr. Pfarrer Barth in seiner neuen Gemeinde Möhringen, wo größere Aufgaben seiner harren, als Berater der Kranken und Wohlthäter der Armen, als eifriger Seelsorger und wohlmeinender Ortsschulinspektor ebenso im Seegen wirken wie in Gechingen, wo ihm stets ein dankbares Andenken be­wahrt bleiben wird!

Neuenbürg, 18. Juni. Die wegen des traurigen Vorfalls in Salmbach verhafteten Mit­glieder der Familie Schroth (Vater, Sohn und Tochter) sind am Samstag wieder aus der Haft ent­lassen worden. Gegen dieselben hatte sich bekannt­lich der Verdacht erhoben, den Tod der Gattin, bezw. Mutter herbeigeführt zu haben.

Stuttgart, 21. Juni. Der erste Regisseur des K. Hoftheaters, Herr Feodor Löwe, ist gestern abend nach schwerer Krankheit verschieden. Feodor Löwe ist seit 1841 eine Zierde unseres Hoftheaters gewesen und bis in die letzten Jahre vertrat er noch einige der klassischen Rollen, die durch ihn so oft zur glänzendsten, kraftvollsten Wiedergabe gekommen waren. Löwe war ein feingebildeter Schauspieler, die Univer­sität Gießen hat ihm die philosophische Doktorwürde verliehen. Auch als Dichter ist er rühmlich hervor­getreten.

Stuttgart, 21. Juni. Am 19. ds. Mts. nachm. 2'/, Uhr fiel ein 15 Monate altes Kind in Heslach zum Fenster im 3. Stock hinaus und in den Hof hinunter. Dasselbe erhielt nach Aussage eines herbeigerufenen Arztes nur eine leichte Hautschärfung an der Stirne. Sonstige äußere Verletzungen waren