Die Eröffnungssitzung war hiemit beendet und der Präsident beraumte die nächste Sitzung auf 5 Uhr an. War schon die erste Sitzung ein schöner Beweis für die vollkommene Geschlossenheit des Parlaments angesichts der so bedeutsamen Vorlagen, so wurde dies noch mehr durch die zweite Sitzung bekundet, in der sämtliche von der Re­gierung vorgelegten Gesetzesentwürfe Schlag auf Schlag unter jubelndem Beifall in ganz kurzer Zeit erledigt wur­den. Die Sozialdemokraten gaben durch ihren Parteiführer Haase eine Erklärung ab, in der sie betonten, daß auch sie sich angesichts der Notwendigkrit, vor der wir stehen einer Bewilligung der Kriegskredite nicht entziehen können. Nachdem sämtliche Vorlagen angenommen worden waren, hielt der Präsident des Reichstags Kämpf eine Schlußan­sprache, in der er den in den Krieg Ziehenden die herz­lichsten Glückwünsche aussprach, und die in einem Hoch aus Kaiser, Volk und Vaterland gipfelte. Alle stimmten begeistert in den Ruf ein. Die Sozialdemokraten waren im Saal geblieben, und nahmen an der Kundgebung stehend teil. Bon den Tribünen ertönten ebenfalls Beifallsrufe. Der Reichskanzler v rlas sodann eine Verordnung, nach der der Reichstag bis zum 24. November vertagt wird, worauf Präsident Kämpf die Sitzung schloß.

Zweite Sitzung.

Berlin, 4. Aug. Am Bnndesratstisch sind die Staats­sekretäre und die Bundesratsmitglieder erschienen. Haus und Tribünen sind wie in der ersten Sitzung stark besetzt. Präsident Dr. Kämps eröffnet die Sitzung um 5.21 Uhr zur Beratung der eingegangenen Kriegsvorlagen. Abg. Haase (Soz.) gibt namens seiner Fraktion die Erklärung ab, seine Partei lehne die Verantwortung für das Wett­rüsten ab, da sie bis jetzt in die letzte Stunde hinein für den Frieden gearbeitet Habs. Jetzt aber begleite seine Partei die ins Feld ziehenden Krieger ohne Unterschied der Partei mit ihrer Sympathie. (Bravo.) Hier, wo es sich um Kultur und Unabhängigkeit des eigenen Landes handle, mache seine Partei das wahr, was sie immer betont habe, sie lasse in der Stunde der Not das Baterlaand nicht im Stich und von diesem Gesichtspunkt aus bewillige seine Partei die Vorlage. (Bravo.) Damit ist die erste Lesung der Borlagen erledigt. Die zweite Lesung erfolgt ohne Debatte. Hieraus werden die Vorlagen auch in dritter Lesung einstimmig angenommen. (Brausende Hurrarufe und andauerndes Händeklatschen.) Alsdann wird die Ver­tagung des Reichstags dis 24. Noo. einstimmig beschlossen. Präsident Dr. Kämpf: Unsere Arbeit ist beendet. Wir haben mit der Schnelligkeit gearbeitet, die der Ernst der Stunde verlangte. Sämtliche Abgeordnete erheben sich. Biele von unseren Herren Kollegen ziehen hinaus in den Kamps. Unter uns ist keiner, der nicht von einem oder mehreren Söhnen und sonstigen Familienmitgliedern hat Abschied nehmen müssen. Unsere innigsten Seegenswünsche begleiten sie, unser ganzes Heer und unsere ganze Marine. Wir sind des felsenfesten Vertrauens, daß die Schlachtfelder, die mit dem Blut unserer Helden getränkt werden, eine Saat Hervorbringen werden, die neue Frucht tragen wird, eine neue Blüte, neue Wohlfahrt und neue Macht des deutschen Vaterlandes. (Brausender Beifall.) Reichskanzler Dr. von Bethmann Hollweg: Die Bedeu­tung Ihrer Beschlüsse liegt in dem Geiste, aus dem heraus sie gefaßt sind. Was uns auch beschicken sein möge, der 4. August 19l4 wird bis in alle Ewigkeit hinein einer der größten Tage Deutschlands sein. (Stürmisches Bravo.) Seine Majestät der Kaiser und seine hohen Verbündeten haben mir den Auftrag gegeben, dem Reichstag für s-ine Be­schlüsse zu danken. Der Reichskanzler verliest die Verord­nung, durch die der Reichstag Vis 24. November vertagt wird. Präsident Dr. Kämpf: Das ganze Volk ist einig bis auf den letzten Mann zu siegen oder zu sterben für die deutsche Ehre und Einheit. Wir trennen uns mit dem Ruse: Seine Majestät der deutsche Kaiser, Volk und Vaterland sie leben hoch, hoch, hoch. Haus und Tribünen stimmten begeistert ein. Sämtliche Abgeordnete hatten sich von ihren Plätzen erhoben. Schluß der Sitzung 5 Uhr 50 Min.

Berlin, 5. Aug. Nach der denkwürdigen Sitzung des Reichstags begab sich das Reichetagspräsidium in das Schloß, um dem Kaiser Mitteilung von der einmütigen Annahme der Kriegsvorlagen zu machen. Der Kaiser emp­fing dis Herren mit besonderer Herzlichkeit und bat, allen Abgeordneten seinen Dank auszusprechen.

* * *

Berlin, 5. Aug. Der Lokalanzeiger sagt in seinem Stimmungsbild aus dem Reichstag: Wenn irgend etwas geeignet war, die durch die Ereignisse der letzten Tage her- öorgerufenen Stimmung noch zu heben, so war es die Rede des Reichskanzlers, die eine innere Glut auestrahlte, die alle Herzen entzünden mußte. Unter der machtvollen Wirk­ung dieses Auftretens brach aller parlamentarische Bureau- kratismus in sich zusammen. Niemand fragte meh'', welche Rechte den Mitgliedern des Reichstags und welche den Gästen zustehen. Mehr als einmal brachte minutenlanger Beifall durch das Haus. Alle Abgeordneten, alle Vertreter des Bundesrates und alle Besucher der Tribünen erhoben sich von ihren Plätzen und gaben ihre Zustimmung durch laute Zurufe und lebhaftes Händeklatschen kund. Dem Präsidenten fiel es nicht ein, mit der alten Formel zu kommen, daß solche Kundgebungen im Hause nicht üblich seien. In der Täglichen Rundschau heißt es: Dieser Reichstag hat vieles gesündigt. Das ist aber alles wie weggeweht und ausgelöscht. Dieser Krieg ist ein Zauberer und Wundertäter, denn er vollendet das größte aller Wunder: Er zwingt die Sozialdemokratie an die Seite ihrer deutschen Brüder und schafft eine einheitliche Front von Heydebrand bis Scheidemann.

Der Tclegrimmechsel Wische» de« Zmo oid Kaiser Wilhelm.

Am 31. Juli richtete der Zar an Kaiser Wilhelm folgendes Telegramm:

Ich danke Dir von Herzen für Deine Vermittlung, die eine Hoffnung aufleuchien läßt, daß doch noch alles friedlich enden könnte. Es ist technisch unmöglich, unsere militärischen Vorbereitungen, die durch Oesterreichs Mobil­machung notwendig geworden sind, etnzustellen. Wir sind weit davon entfernt, einen Krieg zu wünschen. Solange die Verhandlungen mit Oesterreich über Serbien andauern, werden meine Truppen keine herausfordernde Aktion unter­nehmen. Ich gebe Dir mein feierliches Wort darauf, ich vertraue mit aller Kraft auf Gottes Gnade und hoffe auf den Erfolg Deiner Vermittlung in Wien für die Wohlfahrt unseres Landes und den Frieden Europas. Dein Dir herzlich ergebener Nikolaus.

Kaiser Wilhelm antwortete:

Aus Deinen Apell an meine Freundschaft und Deine Bitte um meine Hilfe habe ich eine Bermitilungsaktion zwischen Deiner und der österreichisch-ungarischen Regierung ausgenommen. Während diese Verm-ttlungsaktion im Gange war, sind Deine Truppen gegen das mir verbün­dete Orsterreich-Ungarn mobilisiert worden, wodurch, wie ich Dir schon mittelste, meine Vermittlung beinahe illusorisch geworden ist. Trotzdem habe ich sie fortgesetzt. Nunmehr erhalte ich zuverlässige Nachrichten über ernste Kriegsoor­bereitungen auch an meiner östlichen Grenze. Die Verant­wortlichkeit für die Sicherheit meines Reiches zwingt mich zu defensiven Gegenmaßnahmen. Ich bin mit meinen Be­mühungen um die Erhaltung des Wettfriedens bis an d°e äußerste Grenze des Möglichen gegangen. Nicht ich trage die Verantwortung für das Unheil, das jetzt der ganzen zivilisierten Welt droht. Noch in diesem Augenblick liegt es in Deiner Hand es abzulsnken. Niemand bedroht die Ehre und die Macht Rußlands, das wohl auf den Erfolg meiner Vermittlung hätte warten können. Die mir von meinem Großvater aus dem Totenbett überkommene Freund­schaft für Dich und Dein Reich Lst mir immer heilig ge­wesen, und ich habe treu zu Rußland gestanden, wenn es in schwerer Bedrängnis war, besonders in seinem letzten Kriege. Der Friede Europas kann von Dir noch jetzt ei- halten werden, wenn Rußland sich entschließt, die militä­rischen Maßnahmen einzustellen, die Deutschland und Oesterreich-Ungarn bedrohen!

Ehe dieses Telegramm seine Bestimmung erreichte, mar die bereits am Vormittag desselben Tages angeordnete, offen­sichtlich gegen Deutschland gerichtete Mobilmachung der ge­samten russischen Streitkräfte in vollem Gang. Das Tele­gramm des Zaren aber war um 2 Uhr nachmittags aufge­geben. Die russische Regierung har durch ihre die Sicherheit des Reiches grsährdende Mobilmachung die mühsame Ber- mittlungsarbett der europäischen Slaatskanzleien vor dem Erfolg zerschlagen. Die Mobilisierungsmaßregeln, über deren Emst der russischen Regierung von Anfang an kein Zweifel gelassen wurde, in Verbindung ihrer fortgesetzten Ableugnung zeigen klar, daß Rußland den Krieg wollte. Der deutsche Botschafter in Petersburg hatte inzwischen den Auftrag er­halten, falls die russische Regierung innerhalb der gestellten Frist keine befriedigende Antwort auf unsere Anfrage erteile, der russischen Regierung die Kriegserklärung zu übermitteln. Ehe hier noch eine Meldung über die Ausführung dieses Auftrags einlies, überschritten die russischen Truppen am 1. August die deuische Grenze und rückten aus deutschem Ge­biet vor. Hiermit begann Rußland den Krieg gegen Deutschland. Am 2/ August eröfsnete Frankreich die Feindseligkeiten. _

Klarheit über England.

Feinde ringsum! Nun hat auch England uns den Krieg erklärt, der ganze Dreiverband, der in der politischen Gruppierung der Mächte in den letzten Jahren seit der An- uäherung Englands an Rußland und Frankreich, seit König Eduards Eiakreisungspolitik eine so konsequent deutschfeind­liche Rolle gespielt, ist vollzählig vereint in Waffen gegen Deutschland und Oesterreich, zunächst gegen Deutschland und Oesterreich allein! Die vielgerühmte Wiederannäherung zwischen England und Deutschland erweist sich als Spinn­gewebe, das der erste Hauch des europäischen Sturmes zerriß.

Warum erklärt England uns den Krieg? Man lese die Erklärungen des Ministers Grey und suche sich die Gründe aus den gewundenen Perioden und kunstvollen Gedankengängen zusammen. In zwei Richtungen bewegen sich die Ausführungen des Außenministers. Einmal die Deckung der Nordküste Frankreichs, zu der England sich in seinem Mittelmeerabkommen mit Frankreich verpflichtet hat. Deutschland erklärt sich bereit, diese Nordküste unbe­helligt zu lassen. Damit ist es also nichts. Zweitens fühlt England sich für die Deckung der Neutralität Belgiens verpflichtet. Es ist wahr, Deutschland hat sie nicht in vollem Umfang wahren können, militärische Notwendigkeiten haben ein Betreten seiner Grenzen erfordert.Aber wir wollen dieses Unrecht wieder gut machen", hat der Reichs­kanzler im Reichstagvor aller Welt" gelobt. Man hat dem König Albert von Belgien ein Angebot gemacht: freundliche Neutralität bei freiem Durchzug für die deutschen Truppen. Warum König Albert diese Lösung so sehr wider alle Ehre und Interessen fand, daß er darauf nicht glaubte eingehen zu können, entzieht sich unserer Kenntnis, verbessert hat er die Lage seines Landes mit seinem Widerstande

nicht. Jedenfalls ist es aber Wahnwitz, nun sich den An­schein zu geben, als glaube man wegen des Durchzugs deutscher Truppen durch Belgien in einem Kriege gegen Frankreich an eine völlige Unterjochung dieses Landes und der Niederlande durch Deutschland, als habe nun England sich zu wehren gegeneine Bereinigung ganz Westeuropas uns gegenüber unter einer einzigen Macht". Nein, Herr Grey, Sie haben vergebens viel gesprochen, um das einzige zu verdecken, das Sie hätten sagen sollen: Eine solche Gelegenheit zur Demütigung, zur Unschädlichmachung Deutsch­lands kehrt uns niemals wieder, und wir müssen sie be­nützen! Das, Herr Grey, hätten Sie sagen sollen, kurz und klar, und Sie hätten überall in Deutschland den Ruhm eines aufrichtigen Mannes davongetragen!

Nun ist auch nach dieser Seite Klarheit, furchtbare Klarheit. Aber wir lassen uns nicht schrecken und ducken. Nun erst recht auf die Zähne gebissen! Deutsche Flotte, du Lieblingskind der Nation, nun heraus zur flammenden Feuertaufe! Mit einer Bitterkeit sondergleichen aber neh­men wir Abschied von demgermanischen Beiter", der heute seine Aufgabe darin findet, mitzuhelfen, daßEuropa ko- sakisch werde".

Eine Erklärung der englische« Regierung.

London, 4. Aug. In der gestrigen Sitzung des Unterhauses gab Sir Edward Grey folgende Erklärung ab: Es ist jetzt klar, daß der Friede Europas nicht gewahrt werden kann. Der Staatssekretär forderte das Haus aus, dis Frage des Friedensschutzes vom Gesichtspunkt britischer Interessen, Ehre und Verpflichtungen und srei von Leidenschaft ins Auge zu fassen. Wenn die Dokumente veröffentlicht würden, werde es sich zeigen, wie aufrichtig und mit vollem Herzen Eng­land bestrebt gewesen sei, den Frieden zu wahren. Betreffend die Frage der Verpflichtungen sagte Grey: Wir haben bis gestern nicht mehr als diplomatische Unterstützung versprochen. Es sei zur Zeit der Algeciras-Konferenz gefragt worden, ob England bewaffnete Unterstützung geben würde. Er habe gesagt, er könne keiner Macht etwas versprechen, was nicht von vollem Herzen die Unterstützung der öffentlichen Meinung erhalte. Er habe kein Versprechen gegeben, aber sowohl dem französischen wie auch vem deutschen Botschafter erklärt, daß wenn Frankreich der Krieg ausgezwungen würde, die öffentliche Meinung aus der Seite Frankreichs stehen würde. Er habe in den französischen Vorschlag auf eine Besprechung militärischer und seemännischer Sachverständiger Englands und Frankreichs eingewilligt da England sonst nicht in der Lage sein würde, im Falle einer plötzlich eintcetenden Krise Frankreich Beistand zu gewähren wenn es ihn gewähren wolle.

Erklärung des englische« Ministers Grey.

Sir Edward Grey faßte im englischen Unterhaus seine persönliche Ansicht dahin zusammen: Die Französische Flotte ist im Mittelmeer, die Nordküste ist unbeschützt. Wenn eine fremde, im Krieg mit Frankreich befindliche Flotte käme, die die unverteidigte Küste angrisfe, so könne England nicht ruhig zusehen. Nach seiner starken Empfin­dung sei Frankreich berechtigt, sofort zu wissen, ob im Falle eines Angriffs auf seine ungeschützte Küste es aus englischen Beistand rechnen könne. Grey erklärte, daß er dem fran­zösischen Botschafter die Versicherung gab, daß wenn die deutsche Flotte in den Kanal und die Nordsee ginge, um die französische Schiffahrt und die französische Küste anzu­greifen, die brittische Flotte jeden in ihrer Macht liegenden Schritt gewähren würde. (Lauter Beifall.) Diese Erklärung bedürfe der Erklärung des Parlaments. Sie sei keine Kriegserklärung. Er habe erfahren, daß die deuische Re­gierung bereit sein würde, wenn England sich zur Neutralität verpflichte, zuzustimmen, daß die deuische Flotte die Nord­küste Frankreichs nicht angreifen würde. Dies wäre eine vielzuschmale Basis für Berflichtungenenglischrrseits. (Beifall.)

Nachrichten am Kriege.

Die letzten französischen Zeitungen, die vorlirgen, da­tieren vom 1. August, darunter derTemps", der am 31. Juli, abends erschienen ist. Dieser bringt einen Aussatz: Die deutsche Zweideutigkeit", darnach wäre Deutschland wieder einmal der Störenfried.

Angesichts des jetzt vollständig vorliegenden Telegramm- Wechsels zwischen dem deutschen und russischen Kaiser vor Kriegsausbruch muß jeder Zweifeldarüberoerstummen, daß Deutschland allerhöchstens der Vorwurf gemacht werden kann, daß es den wortbrüchigen Versicherungen des Ver­treter Rußlands zu lange Glauben geschenkt hat. Wer hat zuerst mobil gemacht und das noch ehrenmörtlich abgeleugnet? Antwort: Rußland. Und wer hat vor der Kriegserklärung unsere Grenze verletzt? Antwort: Frankreich. Die ameri­kanischeEoening Post" erklärt, wenngleich Amerika sich jeder Einmischung in die europäischen Angelegenheiten ent­halten werde, suche Präsident Wilson nach irgend einer Möglichkeit, den kämpfenden Nationen seine guten Dienste zur Herbeiführung des Friedens anzutragen.-

Die zahlreichen Mitglieder der amerikanischen Kolonie in München erschienen beim dortigen Bürgermeister, um ihre tiefste Sympathie für die deutsche Sache und ihre Be­wunderung für die Selbstbeherrschung und den Mut der Deutschen auszudrücken. Die gesamte Kolonie stellt sich in ven Dienst des Roten Kreuzes. Recht so!