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88. Jahrgang.
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Beilagen: Plauderstübchen,
* Illustr. Sonntagsblatt und
Schwäb. Landwitt.
1914
Wichtiges vom Tage.
Der deutsche Kaiser wird sich zu den Beisetzungsfeierlichkeiten für den ermordeten Erzherzog-Thronfolger nach Wien begeben.
In Sarajewo fanden antiserbische Kundgebungen statt. Die Ruhe wurde wiederhergestellt.
Heute begeht man den hundertsten Geburtstag Franz Dingelstedts, des Dichters des bekannten Weser- Liedes „Hier Hab' ich so manches liebe Mal".
Auf dem Berbandstag des Windh-rstbundes erklärte der Führer des badischen Zentrums, Geistl. Rat Wacker, die Zentrumspartei als solche werde von der Entscheidung der Index-Kongregation nicht getroffen. Es sei selbstverständliche Pfl'cht, daß er sich unterwerfe.
Dem „Matin" zufolge ist die französische 8 0 5 Millionenanleihe bereits fünfzehnmal überzeichnet. Der Finanzminister habe das Ansuchen der großen Zeichner, ihnen eine Mindestzahl von Rententitres zu sichern, abgelehnt.
Der bisherige Minister sür öffentliche Arbeiten in Argentinien Meyer-Pellegrini hatte auf einer Automobilfahrt von Frankfurt a. M. nach Paris bei Metz einen Unfall, bei dem die Frau des Ministers tödlich verunglückte. Der Minister blieb unverletzt.
Die Mächte haben ein militärisches Eintreten und weitere Machtmittel zur Aufrechterhaltung der Herrschaft des Mbret von Albanien endgültig abgelehnt.
Das französische lenkbare Luftschiff „Adjutant Vincsnot" hat mit einer ununterbrochenen Fahrt von 35 Stunden 20 Minuten einen Dauerweltrekord ausgestellt. Das Luftschiff war in Toul ausgestiegen und hatte die Richtung nach Paris eingeschlagen.
Der holländische Dampfer „van Cloon" ist bei Ma- kaffar an der Küste von Celebes gestrandet. Die Lage des Schiffes soll gefährlich sein. Das Unglück trat infolge einer durch unterseeische Beben eingetretenen Veränderung des Meeresgrundes ein.
Ärmliches.
K. HberarrrL Wcrgokd.
Besprechung der Bauordnung.
Die Besprechung am 9. Juli 1914 in Freudenstadl findet im Zeichensaake der Hteakschnle (Marktplatz) statt.
Nagold. 29. Juni 1914. Amtmann Mayer.
Diejenige« Ortspolizeibehörden,
welchen der Erlaß des Oberamts vom 14. Mai 1914 wegen der Ermittlung des Durchschnittsgewichts der Schlachttiere zugegangen ist, werden darauf hingewiesen, daß die Nachweisungen erstmals auf 3. Juli 1914 hieher vorzulegen sind. Der Zeitpunkt ist genau einzuhalten. Portopfl. Dienstsache. Nagold, 29. Juni 1914. Amtmann Mayer.
Kin Irühkingstraum.
Bon Fr. Lehne.
(26. Fortsetzung.) (Nachdr. verb.)
VIII.
Hätt es nimmer gedacht.
Daß ein Strom so heiß,
2m Winter würd zu starrem Eis I
Daß ein Ringlein von Gold,
So den Finger schmückt,
Wie'n Mühlstein schwer Auf die Seele drückt!
Hat 's nie gedach'.!
Daß nach prangendem Tag So krank das Herz! —
So stürmisch die Nacht!
Als Wolf gegen halb neun nach Haus kam, fand er den Vater am Frühstückstische seiner harrend. „Guten Morgen, Papa! Gut geschlafen?"
„Brillant, mein Junge! Und Du — ?"
„Danke! — Aber wie ich sehr, hast Du noch nichts genossen!"
„Nein, ich habe auf Dich gewartet. Deine Wirtin, ganz charmante Person übrigens, Deine Wirtin sagte mir, daß Du um diese Zeit wieder hier sein würdest, deshalb wartete ich, weil ich gern mit Dir frühstücken wollte! Hab, mich unterdessen ein wenig bei Dir umgesshen! Wohnst sehr hübsch!"
Das Attentat in Sarajewo.
Die furchtbare Meldung von der Ermordung des österreichischen Thronfolgers Franz Ferdinand und seiner Gemahlin Sophie von Hohenberg in Sarajewo, der Hauptstadt Bosniens, hat die Gemüter in Oesterreich wie in den übrigen Reichen tieferschüttert. Die Geschichte der Attentate, die, dem Himmel sei's geklagt, nicht arm an Attentaten auf gekrönte Häupter ist, ist um ein entsetzliches Kapitel erweitert worden, das entsetzlichste vielleicht, das die Reihe der fürchterlichen Mordtaten ausfüllt. Das Motiv, welche die Mordbuben bestimmt hat, die Frevelrat auszuführen, ist nicht bekannt. Serben sollen es sein, die sich gegen das imperialistische Oesterreich ausgesprochen haben. Aber Knaben als Mörder?! Ein kaum den Kinderschuhen entwachsener Gymnasiast kann nicht als politisch denkender Mensch ernst genommen werden, nur unklare Ideen können ihn zu diesem schaurigen Plan bewogen haben.
Das tragischste Attentat, dis die Weltgeschichte kennt! Der alte, greise Kaiser Franz Joseph, der mit großer Friedensliebe die zerklüftete österreichisch-ungarische Monarchie zusammenzuhalten wußte, steht am Rande des Grabes. Sein Nachfolger (sein Sohn Rudolf wurde ihm durch Ermordung entrissen) Franz Ferdinand, 51 Jahre alt, wird im Vollbesitz seiner Kräfte, die ihn zu einem Faktor in der österreichischen Politik gemacht haben, von Knabenhand getötet. Ein fürchterliches Geschick und das Traurigste, was die Geschichte Oesterreichs kennt! Die eiserne Konsequenz des Schicksals hat hier mit entsetzlicher Unerbittlichkeit gewütet. Der Sohn Rudolf, die Gemahlin Elisabeth und nun der Thronfolger Franz Ferdinand durch Mörderhand gefallen, das scheint zuviel für den alten Kaiser, der während feiner Regierungszeit keine sorglose Stunde gehabt hat! In Deutschland hat die Nachricht von dem furchtbaren Geschick, das den befreundeten Nachbarstaat betroffen hat, große Erschütterung hervorgerufen, umsomehr, als man befürchten muß, daß das Staatswesen Oesterreichs eine Erschütterung erfahren dürfte. Denn, wenn es sich bestätigen würde, daß der Thronfolger und seine Gemahlin Opfer einer serbische» Verschwörung geworden sind, so läßt es sich nicht ooraussehen, ob nicht die Freocltat in blutigem Kampfe ihre Sühne finden soll, denn die bestehende Spannung zwischen Oesterreich und Serbien ist so stark gewachsen, daß dieses Pulverfaß bei
geringstem Anlaß explodieren wird. Und die Folge? Sie ist unausdenkbar! Denn ein Kampf zwischen Serbien und Oesterreich ist ein Krieg zwischen Slaoen und Germanen, der Anfang einer großen Auseinandersetzung, vielleicht der eines Weltkrieges. So steht denn das drohende Gespenst eines Weltkrieges wieder vor der Tür, und niemand weiß, was kommen mag. Man darf aber eher die Hoffnung haben, daß es zu keinen größeren Komplikationen kommen wird.
» *
Die Mordtat.
Der Erzherzog wollte in das Garnisonshospital fahren, um den bei dem ersten Attentat, bei welchem etwa 2V Personen teils schwer teils leicht verletzt wurden, schwer verwundeten Oberstleutnant zu besuchen. Als der Erzherzog an der Ecke der Franz-Iofephstraße und der Rudolfgaffe angelangt war, wurden in rascher Aufeinanderfolge von einem Gymnasiasten namens Princip — beide Attentäter find Serben — zwei Revolver- schlisse abgegeben. Der erste Schuß, der durch das Auto durchging, durchbohrte der Herzogin die rechte Bauchseite. Der zweite Schuß traf den Erzherzog «eben -er Kehle und durchbohrte die Halsschlagader. Die Erzherzogin war sofort bewußtlos «nd fiel in den Schoß des Erzherzogs. Der Erzherzog verlor nach einigen Sekunde« das Bewußtsein. Das Auto fuhr in die Burg. Dort leisteten Oberstabsarzt Wolfgang und Regimentsarzt Payer die erste Hilfe. Die Erzherzogin «nd der Erzherzog gaben kein Lebenszeichen mehr von sich. Der Spttalkommandant, Ober- stabsarzt Allenstein, konstatierte den Eintritt des Todes. Landeschef Potierok, der sich in dem erzherzoglichen Automobil befand, blieb unverletzt. Die beiden Leichen wurden vorläufig im Konak aufgebahrt.
Die beiden Attentäter
benahmen sich sehr zynisch. Der Gymnasiast sagte aus. er sei ein Gegner des Imperialismus. Weil die höchste Macht des Imperialismus im Thronfolger verkörpert sei, habe er das Attentat verübt. Im Laufe des Nachmittags wurde noch eine Reihe Verhaftungen vorgenommen. Die Verhafteten sind nach dem Verhör in den Garntsonsarrest gebracht worden. Der neunzehnjährige Attentäter Prineip gab bei seinem Verhör an, wie ein Privattelegramm übermittelt, daß er schon lange die Absicht gehabt Hab-, irgend eins hohe Person aus nationalpolittschen Motiven zu töten. Er leugnet. Komplizen zu haben. Der andere Attentäter, der den ersten mißlungenen Mord- anschlag versucht hatte, der Sljährige 'Typograph
„Meine Wirtin, Frau Dr. Rehseld, ist eine fein gebildete Dame, Papa," er legte auf das Wart „Dame" einen merkbaren Nachdruck, „sehr zurückhaltend, dabei gefällig, könnte mir keine bessere Wohnung wünschen."
„Vollkommen Deiner Ansicht, mein Junge!"
Prüfend sah Wolf den Vater an; das war derselbe Mann nicht mehr, der gestern abend so gebrochen, so haltlos war. Aber das kannte er ja schon an ihm — und am Bruder; ln schwierigen Lagen verzagt und hilflos wie ein Kind, sobald das überwunden war, wieder obenauf — lustig und guter Dinge! Er, Wolf, mit seiner schwerfälligen, alles so ernst nehmende» Natur paßte gar nicht zu diesem Leichtsinn. Dem Vater sah er heute morgen wirklich keine seelischen Kämpfe an — er war noch immer der elegante, feine Weltmann, geschniegelt und gebügelt; er sah noch genau so aus, wie vor lO Iah.en — und doch hatte er ihn so lieb gehabt, seinen schönen Papa! Er hatte auch etwas an sich, was alle Herzen ihm zu- sltegen ließ.
Sie setzten sich an den Frühstückstisch. „Bitte, Papa, bediene Dich. Versuche den Schinken, ich kann ihn Dir empfehlen! Uebrtgens habe ich mir dienstfreien Urlaub genommen und stehe zu Deiner Verfügung." Er entfaltete seine Serviette, unter der ein Briefchen lag. Als sein Blick auf die Adresse fiel, wurde er glühend rot: Marys Handschrift! Mit zitternder Hand schob er den Brief in den Ausschlag seines Aermels. Sein Bat:r beobachtete ihn lächelnd. „Willst Du nicht lesen?" fragte er, „ich hätte keine Ruhe!"
„Das glaube ich! Doch bin ich nicht in der Stimmung," sagte Wolf kurz. Ec konnte das fröhliche Wesen seines Vaters nicht vertragen; es machte ihn nervös. Jedoch der Brief brannte wie Ieuer auf seiner Seele; nach Be- endigung des Frühstücks stand er auf und ging ins Neben- zimmer; er mußte den Brief ohne Zeugen lesen. Mary schrieb:
„Mein einzig Geliebter!
Ach fei nicht böse, daß ich Dir so oft abgefchrieben habe; es lagen jedoch triftige Gründe vor. („Das glaube ich" lachte er bitter.) Ich habe mich nach Dir gesehnt mit meiner ganzen Seele, Geliebter, und zähle die Stunden, bis ich Dich wiedersehe und in Deinen Augen lesen Kami, ob Du mir noch gut bist! Denn heute abend wirst Du doch sicher zur gewohnten Zeit kommen? Ich erwarte Dich bestimmt! Du warst gestern wieder bei Ulrichs? Nein, ich bin nicht eifersüchtig, mein Wolf, ich weiß ja, daß Du mich liebst! Ich habe schwere Stunden hinter mir, Geliebter, vielleicht finde ich Beruhigung in Deinen Armen! Mündlich darüber mehr! Behüt Dich Gott, mein Wolf! In heißer Sehnsucht küßt Dich
Deine kleine Frau."
Bitter auslachend sank Wolf aus einen Stuhl. War das nun Wahrheit oder wieder Lüge? Er sah sie vor sich, wie sie den Brief schrieb — das blonde Köpfchen geneigt und die süßen Augen mit innigem Blick aus das Papier geheftet, sie schrieb ja an ihn! Eine heiße Sehnsucht über- kam ihn, sie zu küssen und fest an sich zu pressen — er