M 63.

Amis- und Anzeigeblatt für den Bezirk (Lalw.

65. Jahrgang.

Erscheint Di-nStag, D°nn«rr!ag nnd Samrtag. Die EinrückungSg-bLhr b-trigt im Bezirk und nächster Um- ,-bung » Pig- die.^-ile, sonst >2 Psg.

Amtliche Bekanntmachungen.

Die Gemeindebehörden

werden benachrichtigt, daß Seine Königliche Majestät am 1. Mai d. I. allergnädigst zu genehmigen geruht haben, daß den Korporationen des Oberamtsbezirks Calw auf Grund der revidierten, festgestellten Liqui­dation des durchschnittlichen jährlichen Aufwands für Unterhaltung von Nachbarschaftsstraßen, von Etter­strecken solcher und von Etterstrecken der Staatsstraßen in dem Zeitraum vom 1. April 1884/87 ein Staats­beitrag von 11821 für das Etatsjahr 1889/90 aus dem Vermögen der Restverwaltung zugewendet wird.

Der Amtsversammlungsausschuß hat eine durch­aus gleiche Vertheilung dieses Staatsbeitrags unter die Gemeinden nach Verhältniß des jährlichen Unter­haltungsaufwands beschlossen, wobei auf 100 ^ Jahresaufwand ein Staatsbeitrag von 31 ^ 20,8 entfällt.

Die den einzelnen Gemeinden zukommenden Be­träge werden den Gemeindepflegen von der Amtspflege sofort zugesendet werden.

Calw, den 30. Mai 1890.

K. Oberamt.

Supper.

20 P

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Ubonnement-prei» vierteljährlich in der Stadt rv Pfg. und g. Trägerlohn, durch d'e Post bezogen Mk. 1. 15, sonst i» Württemberg Mk. 1. 35.

Das allgemeine Wahlrecht

bildet eine Grundsäule der Reichsverfassung und wurde s. Z.> durch den Fürsten Bismarck zu dem Zwecke in den Verfassungsentwurf ausgenommen, um als Gegen­gewicht gegen den Partikularismus einzelner deutscher Bundesregierungen zu dienen. Gerade letztere Vor­aussetzung erwies sich in der Folgezeit als durchaus verfehlt, denn eben die Regierungen der deutschen Mittel- und Kleinstaaten haben sich als feste und

treue Stützen der Reichseinheit unentwegt erwiesen, selbst dann als dienationale Hochflut" in der Rück­strömung begriffen war.

Das allgemeine Wahlrecht wieder aufzuheben, ist rein unmöglich. Jeder diesbezügliche Versuch könnte außerordentlich gefährlich werden. Denn alle die­jenigen, denen das Wahlrecht ganz oder teilweise entzogen würde, müßten notwendigerweise allen re­volutionären Bestrebungen kräftige Beihilfe leisten und wenn auch der Barrikadenbau nicht gleich als ultima ratio plsbi« (die letzten Beweisgründe der Menge) zur Anwendung käme, so wäre eine Be­schneidung des Wahlrechts doch ein ebenso wirksames als dauerndes Mittel für die Demagogie, um die Un­zufriedenheit in den untersten und breitesten Volks­schichten immer noch mehr zu schüren, so daß im Falle eines Angriffskrieges unserer Nachbarn gegen Deutsch­land ein sehr wertvolles Verteidigungsmittel, die nationale Begeisterung fehlen würde. Dieses voraus­geschickt kann man anderseits unbedenklich zugeben, daß das allgemeine Wahlrecht in seiner jetzigen Form die allerbedenklichsten Mängel zeigt. Es geht von dem geradezu unsittlichen Grundsätze aus, daß eine oft recht zufällige und kleine Mehrheit, ja unter Um­ständen eine Minderheit Gesetze diktieren kann und so einRecht" schaffen kann, das der w a h r e n G e - rechtiakeit keineswegs entspricht. Das seitherige Wahlrecht beruht ferner auf der falschen Voraus­setzung, daß alle Staatsbürger gleiche Interessen haben, daß man also nicht nur auf dem Papiergleiches Recht für alle" schaffen, sondern auch daß jedermann von diesemgleichen Recht" den gleichen Gebrauch machen könne. Man hat ja immer an der Fiktion festgehalten, daß es einen Jnteressenkampf unter den Mitgliedern einer gesetzgebenden Körperschaft nicht geben kann und hat deswegen für die Reichstags­wahlen die sehr bequeme Einrichtung getroffen, daß je ca. 100,000 Menschen, die nahe beisammenwohnen, je einen Abgeordneten in den Reichstag wählen. So

kann und muß es freilich kommen, daß in" einem Wahlkreis Tausende von Wählern, die in der Minder- yeit geblieben sind, in dem gewählten Abgeordneten nicht den Verfechter, sondern den Feind ihrer Interessen und Rechte erblicken, während viele, die in der Stich­wahl für den Gewählten gestimmt haben, in diesen nur von 2 Uebeln das kleinere, aber immer noch ein Uebel erblicken. Kurz das seitherige Wahlrecht ist eine Verkörperung des verwerflichen Grundsatzes: Macht (durch Mehrheit) ist Recht. Um diese Macht durch die parlamentarische Mehrheit zu erlangen wer­den bekanntlich nicht gerade edle Mittel angewendet, sie sind häufig ebenso unmoralisch wie der Zweck.

Nachdem nun kein objektiver Politiker mehr zu leugnen wagt, daß es sich im Reichstag mehr und mehr um ausgesprochene Jnteressenkämpfe handelt, nachdem auch niemand mehr ernstlich bestreiten kann, daß das allgemeine Wahlrecht in seiner bisherigen Form nach und nach zu Erschütterungen unseres ganzen Staatsorganismus führen muß, erhebt sich die Frage, ob dasselbe abgeändert werden kann und wie, ohne daß es beschnitten und aufgehoben wird.

Die Kölnische Zeitung hat vor kurzem die Mängel des allgemeinen Wahlrechts sehr überzeugend beleuchtet; aber einen brauchbaren Vorschlag einer Abänderung hat sie nicht gemacht. Was soll das heißen: man solle oie Stimmen mehr wiegen als zählen. Soll man etwa einzelnen Klassen oder In­dividuen mit einem mehrfachen Stimmrecht aus­statten? Also etwa einem Fabrikbesitzer ebensoviel, Stimmen" einräumen, als seinen Arbeitern? Soll man dieBesitzenden", dieGebildeten" gegenüber den andern Wählern bevorzugen? Das ist einfach unmöglich. Denn wer soll bestimmen, wergebildet" ist ? Etwa bloß diejenigen, welche s. Z. einen Be­rechtigungsschein für een Einjährigendienst erlangt haben, oder will man die Grenzen höher oder niedriger ziehen? Alle diejenigen, bei denen das mehrfache Wahlrecht aufhören würde, würden sich mit Recht be-

Aeuillelon Nachdruck »nb°,«n.

Der: Geschworene.

Erzählung von Iserdinavd Kermau«.

(Fortsetzung.)

Der Bühlhofbauer legte statt der Arbeitsjoppe seinen langschößigen Rock an und ging bedächtigen Schrittes über die Dorfstraße zum Haus des Baders, das fast von der ganzen Bevölkerung des Dorfes umlagert war. Der Gensdarm bewachte den Eingang; aber es fiel ihm nicht ein, einem so angesehenen Manne, wie es der Bühlhosbauer war, den Zutritt zu wehren. In einem niedrigen Stübchen zu ebener Erde lag der Thalmüller, den Kopf dergestalt mit Tüchern umwunden, daß von seinem schmerzverzerrten, leichenfahlen Gesicht nur wenig zu sehen war. Neben dem Lager, auf welches man ihn gebettet batte, saß in thränenlosem Jammer seine greise Mutter. Sie galt in der ganzen Gegend für eine hartherzige, geizige Frau, die noch niemals einem Armen auch nur die kleinste Wohlthat erzeigt hatte; aber heute em­pfand doch Jeder das herzlichste Müleid ihrem traurigen Geschick. Sie gab dem Bühlhofbauern auf seine Fragen keine Antwort, und dieser mußte darum den Bader bei Seite nehmen, um etwas Näheres über den Zustand des Verwundeten zu erfahren. Was er hörte, war nicht köstlich. Der Verbrecher hatte seine Sache nur zu gut ge­macht. Mit einem schweren stumpfen Instrument, wahrscheinlich einem Hammer oder der Kehrseite einer Axt, hatte er die wuchtigen Schläge nach dem Kopfe seines Opfers geführt. Da sich eine Verletzung am Hinterhaupt, eine zweite aber an der Stirn befand, so war wohl anzunehmen, daß der Mörder dem Thal Müller aufgelauert und ihm dm ersten Schlag hinterrücks versetzt habe. Der junge starke Mensch hatte dann wohl noch Kraft genug gehabt, um Hilfe zu rufen und seinen Nevolver gegen den Angreifer abzufeuern, ehe ihn der zweite Hieb der Mordwaffe

zu Boden streckte. An sein Aufkommen sei nicht zu denken, meinte der Bader, denn der Schädel sei vollständig zertrümmert, und es müsse schon als ein Wunder ange- ehen werden, daß er noch so lange am Leben geblieben sei.

Während die beiden Männer noch in einer Ecke des Zimmers mit einander flüsterten, stieß die alte Frau am Bette des Verwundeten plötzlich einen Schrei aus.

Er bewegt sich! Er kommt zu sich!" rief sie. und im nächsten Augenblick um­stand auch schon ein halbes Dutzend aufmerksam lauschender Personen das Lager des Unglücklichen. In der That hatte cs den Anschein, als ob Peter Studt noch einmal zum Bewußtsein gelangen sollte. Er öffnete die Augen ein wenig, und seine fahlen Lippen bewegten sich, wenn auch kotz der im Zimmer herrschenden Stille kein Laut vernehmlich wurde. Da ergriff die Greisin seine rechte Hand, die schon so kalt war wie die eines Toten, und indem sie sich dicht auf ihn herabneigte, fragte sie mit dumpfer, heiserer Stimme:

Wenn Du mich hörst, Peter, so antworte mir: War eS der Jeetzcmüller, der Dich überfiel?"

Wie eine Bombe fiel das Wort unter die Umstehenden. Noch Keiner hatte eS bis dahin gewagt, dem Verdachte Ausdruck zu geben, der bei der ersten Nachricht von deS Thalmüllers Schicksal freilich wohl in jedem Herzen aufgetaucht sein mochte. Die Feindschaft zwischen Beiden war seit Langem Jedermann bekannt; aber Philipp stand doch in gutem Ansehen, als das man ihn einer solchen Unthat oyne Weiteres hätte fähig halten sollen. Nun aber, da es zum ersten Male laut ausgesprochen war, erschien es den Meisten schon viel weniger unglaubwürdig, als im Anfang und höchster Spannung lauschten Alle, ob der Verwundete einem Wort oder mit einem Zeichen Antwort geben würde auf die verhängnißvolle Frage. Und Peter machte wirklich eine leise, kaum merkliche Bewegung mit der Hand und dem Kopfe, eine Bewegung, die freilich so undeutlich war, daß sie ebensowohl für eine unwill­kürliche Zuckung, als für eine Bejahung oder Verneinung hätte gehalten werden können. Aber so schwach und ungewiß da« Zeichen immer war, dem Scharfblick