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88. Jahrgang.
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Schwäb. Landwirt.
143
Dienstag, dm 33. Juni
1914
Wichtiges vom Tage.
Berta v. Suttner, die Trägerin des Nobelfriedenspreises, ist am Sonntag in Wien gestorben.
Der Kaiser besuchte Altona aus Anlaß dessen 250- jährigen Stadtjubiläums.
Die Nationalliberale (Deutsche) Partei des VII. Reichstagswahlkreises hält am 5. Juli in Calw eine öffentliche Wahlkreisoersammlung ab.
Bei dem Festmahl der Londoner Handelskammer feierte Dernburg die ehrliche und unabhängige Konkurrenz und Freundschaft Deutschlands und Englands.
Auf dem sozialdemokratischen Parteitag in Freiburg wurde eine Entschließung gegen die „Sitzfleischde- monstration" angenommen.
Mit den Aufständischen vor Durazzo ist ein dreitägiger Waffenstillstand vereinbart worden; die Hilfstruppen des Mbret aus dem Süden wurden zurückgeschlagen.
Bei einem Sturm auf dem Bodensee kippten 2 Boote um, wobei 5 Fischer ertranken.
Auf Baron Henry Rothschild feuerte in Paris ein Mann zwei Revolverschüsse, die ihn am Ober- schenke! verwundeten. Der Täter ist anscheinend geisteskrank.
Die griechischen Schiffe im Schwarzen Meer haben ihre Tätigkeit wieder ausgenommen.
Berta von Suttner -s-.
Serie „« t»tt«er, die dekanste S»r. KSmpsrria der Friede«»!-»», ist a« t»«uta> «Uta, i« 71. rrdt»»jitzre i« Uiea zrstsrbr«.
Mit Berta o. Suttner, der „Frkedensberta", ein Spottname, der ihr ein Ehrenname wurde, ist eine Frau von ungewöhnlicher Eigenart und Energie aus dem Leben geschieden. Wohl selten hat eine Frau, die nicht dem Throne nahestand, aus die Politik einen solch großen Einfluß aus- geübt, als die Verstorbene. Der mächtige Aufschwung der Friedensbewegung in den letzten zwei Jahrzehnten ist zum großen Teil ihr Werk, das Ergebnis ihrer unermüdlichen schriftstellerischen und organisatorischen Tätigkeit. Ihr war es gelungen, daß die Friedensbewegung offiziell, von den Regierungen, wie von den Höfen, anerkannt wurde, und wir sehen einen Erfolg darin, daß das Gefühl der Verantwortlichkeit bet den Regierungen der großen Mächte gewachsen ist und daß man sich scheut, einen Krieg zu entfesseln. Ein weiterer praktischer Erfolg ihres unermüdlichen Eifers in der Verfechtung ihrer Friedensideen ist der, daß sie durch ihre Beziehungen zu dem russischen Staatsrat Bloch dem Zaren Nikolaus die Anregung zu den Haager Friedenskonferenzen gab. die so segensreich gewirkt haben und hoffentlich noch wirken werden. Sie war es auch, welche ihren Freund Alfred Nobel dazu veranlaßt hat, die großartige Stiftung von 35 Millionen zu Gunsten der
Hin Irühtingstraum.
Von Fr. Lehne.
(19. Fortsetzung.) (Nachdr. verb.)
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Endlich, endlich war es Zeit, daß er den gewünschten Besuch machen konnte. Er wollte gleich in das Kontor eintreten, jedoch Gabriele, die ihn Halts kommen sehen, kam ihm entgegen und forderte ihn auf, sich einstweilen noch mit nach oben in die Prioatwohnung zu bemühen, da Papa noch schliefe. Ihr Gesicht trug einen seltsam triumphierenden Ausdruck, was er wohl bemerkte, und eine trübe Beklommenheit erfaßte ihn, als^ er die breiten teppichbelegten Stufen emporschritt — was mochte ihm wohl bevorstehen ?
Im Salon angekommen, bat ihn Gabriele. Platz zu nehmen und verwickelte ihn in eine Unterhaltung, die sie wohl zu führen verstand; ihr Benehmen hatte etwas Sicheres, fast Frauenhaftes, das kaum zu ihrer Jugend paßte, vielleicht auch daher rührte, daß sie die Mutter früh verloren hatte und infolgedessen repräsentierte, - ihre Haur- dame, Fräulein von Lasten, war in ihren Augen keine
vollgeltende Persönlichkeit — sie wurde ja bezahlt-
Wolf mußte sich Mühe geben, ein nur einigermaßen höflicher Gesellschafter zu sein, da seine Gedanken anderswo weilten. Jedoch, das mußte er sich gestehen — soviel Auge hatte er doch für sie, daß Gabriele heute selten gut und vorteilhaft aussah in der sehr eleganten luftigen, Sommer-
Friedensbewegung zu machen. Mit Recht fiel ihr einer der ersten Preise zu.
Bor einigen Jahren erschienen in der Deutschen Ber- lagsanstalt ihre Memoiren, in denen sie ihr romantisches Leben erzählt. Sie war am 9. Juni 1843 in Prag als Tochter des österreichischen Fetdmarschalls Grafen Kinsky geboren, verlor stütz ihren Vater, erhielt aber von ihrer Mutter eine vortreffliche Erziehung, die sich zu einem reich veranlagten Geiste gesellte. Durch ihre Geburt gehörte sie zu den höchsten Kreisen der österreichischen Aristokratie und so erhielt sie Zutritt zur internationalen Aristokratie. Sie verkehrte am Hofe Napoleons III. und wurde auch mit Kaiser Wilhelm bekannt. Noch sehr jung verlobte sie sich mit dem Prinzen Adolf Wittgenstein, der gleich ihr für die Musik begeistert war. Er machte eine Fahrt nach Amerika, um dort als Tenor aufzutreten; unterwegs starb er und seine Leiche wurde ins Meer versenkt. Den Schlag konnte die junge Gräfin lange nicht überwinden. Nach einigen Jahren wurde sie durch eine ungünstige Wendung in ihren Bermögensoerhältnissen veranlaßt, sich selbständig zu machen; sie nahm eine Stelle als Erzieherin im Hause des Freiherrn von Suttner an. Dort hatte sie drei Töchter zu erziehen; es war aber auch ein Sohn da, Artur Gundakar, mit dem geistiges Streben sie zuerst in Sympathie und dann in Liebe verband. Aber ihrer Verheiratung widersetzien sich die beiderseitigen Familien und so kam es zur Trennung. Berta ging nach Paris, um bei Alfred Nobel, dem Erfinder des Dynamits, Sekretärsdienste zu tun. Kaum jedoch in Paris angekommen, erfaßte sie eine solche Sehnsucht nach dem Geliebten, daß sie sofort in die Heimat zurückreiste. Die beiden Liebenden beschlossen nun, sich auch gegen den Willen ihrer Familien zu heiraten; sie ließen sich heimlich trauen und reisten dann in den Kaukasus, zu der Fürstin von Min- grelien, einer mütterlichen Freundin, die Berta in Paris kennen gelernt und die sie längst zum Besuch in ihrer Heimat dringend ekngeladen hatte. Im Kaukasus genoß das junge Ehepaar zuerst die Gastfreundschaft der fürstlichen Familie, wollte diese aber nicht über Gebühr in Anspruch nehmen. Als die Versuche des Gatten, eine russische Anstellung zu bekommen, fehlschlugen, bekleidete er verschiedene Stellen in Geschäften, als Ingenieur, Bauzeichner, Architekt, und dann schrieb er Berichte aus dem russisch- türkischen Kriege, die sehr gut und den Wiener Blättern sehr willkommen waren. Frau Berta gab Unterricht in Sprachen und Musik, besorgte den Haushalt und versuchte es schließlich ebenfalls mit der Schriftstellerei. Der Erfolg war glänzend. Im Jahre 1885 hatte das Paar so viel Ruhm erworben, daß es, nach neunjährigem Aufenthalt im Kaukasus, in die Heimat zurückkehren konnte, wo sich inzwischen die beiden Familien mit der Heirat ausgesöhnt hatten. Das Ehepaar nahm seinen Wohnsitz auf dem Suttnerschen Gute Hörmannsdorf in Ntederösterreich. Dort setzten beide ihre schriftstellerische Tätigkeit fort. Sie führten eine zwar kinderlose, sonst aber geradezu ideale Ehe, die erst der Tod des Galten im Jahre 1902 trennte. Von Harmannsdorf machte Frau Berta oft Reisen und trat in Berührung mit
vielen Größen der Literatur, der Kunst und der Politik. So wurde sie auch mit der Friedensbewegung bekannt, die sie mit einem eigenen Werke zu unterstützen beschloß. Zu diesem Zwecke machte sie Studien über den Krieg und seine Wirkungen, und was sie da erfuhr, das machte aus ihr eine überzeugte Feindin des Kriegs und Anhängerin des Friedens. Das war eine merkwürdige Bekehrung, denn als Soldatenkind und Mitglied der höchsten Militärkafte hatte sie vom Krieg eine ganz andere Anschauung gehabt als die Friedensfreunde. So entstand im Jahre 1890 ihr Roman „Die Waffen nieder", der in fast 200000 Exemplaren verkauft wurde. Später schrieb sie eine Fortsetzung dazu in dem Roman „Marthas Kinder". Ihre Werke, Romane und Novellen verschaffen ihr eine ebenso bleibende Stätte in der Literaturgeschichte, wie ihr ein hervorragender Platz in der Geschichte der Friedensbewegung gesichert ist.
Politische Tagesberichte.
Die Natioualliberale (Deutsche) Partei des
VII. Reichtagswahlkreises (Neuenbürg, Calw. Nagold, Herrenberg) hält am 5. Juli in Calw eine Wahlkretsoer- sammlung ab, bei welcher der württ. Landesvorsitzende, Reichtagsabgeordneter List über „Reichspolittk" und Generalsekretär Hopf über das Thema „Landwirtschaft, Gewerbe und die Natioualliberale Partei" sprechen wird. Bor der öffentlichen Versammlung findet eine Sitzung des Wahlkreisausschusses statt.
Ist Deutschland kriegslüstern? Unter der lieber- schüft „Ist Deutschland kriegslüstern?" veröffentlicht der Berliner Lokalanzeiger neue Gespräche mit einem Dreiser- bandsdiplomalen, in denen es u. a. heißt: „Die Regierungen des Dreiverbandes können das Vertrauen, das sic in die friedliche Richtung der deutschen Regierungspolitik setzten, nicht unbedingt aus Las deutsche Volk übertragen. Unzweifelhaft habe der Chauvinismus in weiten Kreisen und besonders in den gebildeten Klaffen, festen Fuß gefaßt, und der Drang nach politischer Betätigung sei beinahe unwiderstehlich geworden." Der Lokalanzeiger tritt gleich selbst im Anschluß daran der Auffassung entgegen, daß das deutsche Volk von chauvinistischen Stimmungen befangen sei; von Angriffslust auf seine Nachbarn wisse es sich völlig fern.
Aus Anlaß des 10«. Geburtstages des Fürste« Bismarck werden Vorbereitungen zu einer großen Wallfahrt deutsch-österreichischer Bismarckverehrer zum Grabe des Reichskanzlers getroffen. Es ist geplant, die Fahrt in Sonderzügen zu unternehmen, und es steht schon heute fest, daß sich daran viele Hunderte Deutschösterreicher aus allen Gauen der Monarchie beteiligen werden, darunter zahlreiche Reichstags- und Landlagsabgeordnete.
Kaiserhoch «ud Parteitag. Bei dem Parteitag der badischen Sozialdemokraten in Freibura hatte die Partei Gelegenheit, zu dem Sitzenbleiben der Reichstagsfraktion beim Kaiserhoch Stellung zu nehmen. Der Parteitag hat nach einem Referat des Reichs- und Landtageabgeordneten Dr. Frank eine Entschließung angenommen, in der de.
toilette, die den vollen weißen Hals und den Unterarm frei ließ, als einzigen Schmuck darum ein schwarzes Sommerband tragend, das die Weiße der Haut noch mehr hervorhob. Sie hatte wohl seinen bewundernden Blick bemerkt, und ein Lächeln befriedigter Eitelkeit flog um ihren vollen Mund. Eben fragte sie ihn, warum er sich so selten sehen ließe. Er schützte den Dienst, sowie eine größere militärische Arbeit vor; da hob sie jedoch scherzhaft drohend den Finger.
„Wer das wohl glaubt, Herr von Wolssburg! Die jungen Leute suchen sich andere Zerstreuungen! Das schadet aber nichts; Papa sagt, Jugend muß austoben — ich finde es riesig intereffant; mich würde es ja gar nicht stören, wenn mein zukünftiger Gatte eine kleine Vergangenheit hätte. Das werden die besten Ehemänner — meinen Sie nicht auch, Herr Leutnant?" und kokett lächelnd neigte sie sich etwas zu ihm, während doch ein seltsam schillernder Blick in ihrem Auge war. Ihm schnürte es fast die Kehle zu; ohne Zweifel wußte sie um sein Verhältnis zu Mary - neulich schon hatte er das Gefühl gehabt. Es war ihm, als ob Katze und Maus gespielt werde, und er sek die Maus! Siedendheiß überlief es ihn — seine reine Liebe von diesen Lippen in den Staub gezogen!
„Ich weiß in der Tat nicht, gnädiges Fräulein, worauf Sie Hinzielen."
„Wirklich nicht, Herr von Wolfsbnrg?" Sie stand auf; er folgte ihrem Beispiel — „wirklich nicht?" sagte sie, spöttisch den Mund verziehend. Da stand sie vor ihm, sich kokett in den Hüsten wiegend, einen verlangenden
Ausdruck im Gesicht; wenn er sie jetzt geküßt hätte, sie hätte es sicher geduldet. Er sah ihr gut an, daß sie dieses Zusammentreffen gern zu einem Schäferstündchen benutzt hätte. Ein Eckel erfüllte ihn gegen dieses Mädchen mit dem gewöhnlichen Sinn, der von allem nur die niedrige, gemeine Seite sah. Einen Augenblick erfaßte ihn der Gedanke, ihr von seinem Verlöbnis mit Mary zu sagen; jedoch ein ihm unerklärliches Etwas hielt ihn davon ab; es dünkte ihm eine Entweihung, den Namen der Geliebten vor diesen Ohren überhaupt zu nennen. Er wußte ja auch, daß Gabriele ihn begehrte — und mit nichts hätte er sie tödlicher verletzen können, als mit jener Erklärung.
„Nun, Sie schweigen — S.'e bekennen sich also schuldig?" forschte sie mit leichtem Lächeln.
„Mein gnädiges Fräulein, ob wahr oder nicht — jedenfalls halte ich ein Gespräch über solche Dinge für sehr wenig paffend zwischen einer jungen Dame und einem unverheirateten Herrn."
Voll Aergcr über die erhaltene Zurrchtweisung preßte sie die Lippen zusammen, während ein hochmütiger Zug ihr Gesicht entstellte. Das Verlangende. Hingebende war ganz aus ihrer Haltung geschwunden; ihre üppige Gestalt richtete sich hoch auf, und ganz unvermittelt bemerkte sie:
„Ich glaube. Herr Leutnant, Papa wird Sie bereits erwarten!"
Er sah nach der Uhr. „Schon vier? Und auf halb vier bin ich bestellt I Sie gestalten daher, gnädiges Fräulein, daß ich mich entferne."
Gr verneigte sich; diesmal reichte sie ihm die Hand