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tig sein. Aber welche Schlußfolgerungen ergeben sich daraus für unsere Bauern? Wenn die Kornzölle fallen, so wird das jetzt schon trotz derselben so billige Getreide (man denke nur einmal um 20 und 30 Jahre urück, wie viel damals das Getreide gegolten hat) o sehr im Preise sinken, daß unsere Bauern nicht einmal mehr 2 °/o Kapitalrente aus ihren Grund­stücken erhalten, während sie ihren Gläubigern min­destens 4 °/» zahlen müssen. Mit anderen Worten: Der Bauer muß heute schon einen Teil seines Ar­beitslohnes der Bodenrente hinzusetzen, um seinen Gläubigern gerecht zu werden, nach Aufhebung der Kornzölle aber wird der Bauer erst recht der Sklave des Kapitalisten, er muß dem Kapitalisten ohne jeg­liche Bezahlung Frohndienste leisten. Und da möchten wir fragen, was schlimmer ist? Unter der alten Feudalherrschaft hat man die Bauern zwar manch­mal geschunden, aber nach Fehljahren wenigstens nicht von Haus und Hof vertrieben. Der Kapitalismus kennt diese Rücksicht bekanntlich nicht.

Deutsches Reich.

Berlin, 1. Mai. Etwa 10 Prozent (30,000 von 300,000) sollen heute gestreikt haben. All­gemeine Arbeit und völlige Ruhe meldeten die Be­richte aus Apolda, Barmen, Bochum, Elberfeld, Frei­burg in Sachsen, auch Königsberg in Preußen, wo nur wenige Arbeiter feiern.

Die Stellung des Reichskanzlers v. Caprivi zur Kolonialpolitik. Die schon durch Privattelegramm erwähnte Auslassung derPost" über die Stellung des neuen Reichskanzlers zur Ko­lonialpolitik lautet im Wortlaut:Der Reichskanzler General v. Caprivi ist seit dem Antritt seines Amtes mehrfach über seine Stellung zu der Kolonialfrage von Persönlichkeiten, welche mitten in der kolonialen Bewegung stehen, befragt worden und hat bereitwil­ligst darüber Auskunft gegeben. Aus den Erörte­rungen, über die wir uns begreiflicherweise nicht weiter auslassen können, geht soviel hervor, daß der neue Reichskanzler den kolonialen Unternehmungen ein reges Interesse entgegenbringt und auch diese Seite unseres nationalen Lebens nach Kräften zu fördern bestrebt sein wird."

Frankfurt, 1. Mai. VomArbeiter­tag" war heute in Frankfurt wenig oder richtiger nichts zu bemerken. Die meisten Gewerbe hatten ihren Entschluß, die Arbeit heute nicht einzustellen, schon dadurch bekundet, daß sie ihre Versammlungen erst auf den Abend anberaumten.

Ausland.

Paris, 1. Mai. Um 4 Uhr ereignete sich ein Zwischenfall. Eine starke Gruppe Kund­gebender, welche vom Konkordienplatz kam, wollte durch die Zirkusstraße ziehen und schien die Richtung nach dem Elysee einzuschlagen. Die Polizei wollte sie daran hindern, aber die Kundgebungen leisteten Wider­stand, und man mußte zur Gewalt greifen. Eine Schwadron berittener Polizei, die im Ministerium des Innern stationiert war, schritt ein und griff die

Kundgebenden an, von denen viele verwundet wurden. Es wurden dann viele Verhaftungen vorgenommen.

Der hiesigeTimes"-Korrespondent hatte mit dem Minister des Innern Constans eine Unter­redung gehabt. Herr Constans äußerte sich u. a.: Ich fürchte mich nicht vor dem morgigen Tag. Wir Franzosen sind Oppositionsmänner, ausgenommen wenn wir selbst am Ruder sind, aber wir lieben gewöhnlich nur die Opposition, die keine Fenster zerbricht und keine Läden schließt. Wenn die Behörden gewitzigt sind, fühlen sie, daß die ungeheuere Majorität der Bevölkerung mit ihnen ist, daß ihre Energie allgemein gebilligt wird. Nehmen Sie die moderne Geschichte Frankreichs und Sie werden finden, daß Regierungen, die zuerst durch ihre Unfähigkeit Unruhen hervorge­rufen haben und dann nicht stark genug waren, sie zu unterdrücken, immer verachtet wurden. Glücklicher Weise sei dies mit Bezug auf den 1. Mai nicht der Fall. Die Bevölkerung merke, daß die Regierung einig und stark sei, und das sei in der That der Fall. Der Minister verbreitete sich dann über die Vorsichtsmaßregeln, die er getroffen, und teilte mit, er werde Schritte thun, um die 45000 Fremden, welche die öffentliche Ordnung stören, aus Frankreich zu entfernen. Er habe oft den Regieruugen, welche dieselben reklamierten, die Auslieferung ver­weigert, weil er Ihnen zeigen wollte, daß Frankreich ein gastliches Land sei. Aber sie brächten Gefahren mit, die sie in ihrer Heimat zu schaffen nicht wagen würden. Duldung wäre hier ein Verbrechen, und er werde ungesäumt Frankreich von diesen Elementen befreien. Es sei Zeit, sich mit nützlichen Dingen zu beschäftigen und endlich den Brand auszulöschen, den man fortwährend in Paris zu unterhalten suche und der die Welt zerstören würde, wenn er einmal zum Ausbruch käme.

Paris, 3. Mai. Die Streiks in Roubaix und Tourcoing erregen hier Besorgnisse; man zählt bereits über 100,000 Streikende.

Paris, 4. Mai. Wie die Blätter aus Lyon melden, sei neuerdings in den Wohnungen von An­archisten Material zur Fabrikation von Dyna­mit gefunden worden. In Roubaix hat in der Nacht ein Zusammenstoß zwischen dem Militär und den Streikenden stattgefunden, wobei mehrere Personen verwundet wurden.

London, 3. Mai. Nach einer Meldung der Times" aus Paris steht die Aufhebung des Paßzwanges unmittelbar bevor.

Barcelona, 3. Mai. Das Militär war nachmittags mehrmals genötigt, die Hauptplätze mit aufgesetzten Bajonneten zu räumen. Die Streikenden bewarfen das Militär mit Steinen, auch einige Revolverschüsse wurden abgefeuert, jedoch niemand verletzt. Zahlreiche Verhaftungen wurden vorgenommen. Das Kriegsgericht verurteilte einen der Anarchisten zu Zwangsarbeit, fünf andere zu zehn­jährigem Gefängnis.

Tnges-Neuiykeilcn.

* Calw, 4. Mai. Am gestrigen Abend ver­anstalteten die Herren I. B.Baader und Th. Isen-

berg ein Konzert im bad. Hof, dessen Reinertrag zu wohlthätigen Zwecken bestimmt war. Als sehr an­sprechendes Eröffnungsstück spielte Hr. Baader Melo­dien ausLohengrin" von R. Wagner, danach die Sonate in 1-moII von L. v. Beethoven und einen Walzer in ^.s-äur von Fr. Chopin. Ueberraschend sicher beherrschte der Konzertgeber sein Instrument und brachte auch große Schwierigkeiten zu klarem, vollendetem Vortrag. Am meisten hat uns die b'-woU- Sonate angesprochen, obwohl das Spiel von einer gewissen Ueberhastung nicht ganz frei war, womit je­doch den sehr tüchtigen Leistungen kein Eintrag ge- than werden soll. Die technische Durchbildung des Vortragenden läßt nichts zu wünschen übrig. Hr.. Th. Jsenberg, schon bekannt durch seine Mitwir­kung im Kirchengesangverein, sang 6 Lieder, worunter 3 von R. SchumannIch grolle nicht,"Die beiden Grenadiere" undWanderlied", fernerFrühlings­lied" von Gounod,Letzter Gruß" von H. Levy und Liebeslied" auS der Walküre von R. Wagner. Der. Sänger besitzt eine kräftige und namentlich in den unteren und mittleren Lagen ausgiebige und klang­volle Stimme; sentimentale Partien liegen ihm zwar, etwas fern, dagegen kamen die frisch belebten mit vollem Brustton gesungenen Stellen zu um so besserem Ausdruck; die Leistungen wurden durch eine muster­hafte Aussprache noch erhöht. Sämtliche Vorträge der beiden Herren wurden von dem zahlreich anwe­senden Publikum mit wohlverdientem Beifall ausge­zeichnet. Die Einnahme von ca. 00 Mark soll be­dürftigen Armen zufließen.

m. Tein ach, 2. Mai. Die beginnende Badezeit mahnt uns, möglichst viele Annehmlichkeiten, unfern Besuchern zu bieten. Dazu gehören für die Kurgäste ganz besonders gut unterhaltene Spazierwege.. Einer derselben nun, und zwar der vielbegangene Vizinalweg von Sommenhardt nach Teinach, der zu-^ gleich ein Glied des beliebten Jmhofweges nach,' Zavelstein bildet, ist durch die Steinabfuhr aus dem: Steinbruche an der Steige in einen derartigen Zu­stand versetzt, daß seine Grundlosigkeit nicht nur Spaziergängern, sondern Menschen wie Zugthieren überhaupt den Verkehr zur Qual macht, und daß die thalwärts gelegenen Aecker bei jedem Platzregen not-- wendig versanden müssen. Der Kalksteineinwurf, den die Gemeinde Sommenhardt bereitwilligst hatte aus­führen lassen, liegt unter fußtief aufgerissenem Sande: begraben. Es wäre nun, da der Unterhaltungspflich- tige erst festzustellen ist, ein ungesäumtes Eingreifen, der Vorgesetzten königlichen Behörden höchst erwünscht,, um einem Zustande ein Ende zu machen, der selbst für einen Feldweg unzulässig erscheinen müßte.

Am 30. April ereignete sich in Otten- bronn folgender Unglücksfall: Der am linken Fuß. gelähmte, schon bejahrte Bauer Rentschler hatte beim Ausladen eines 3 Festmeter haltenden Stammes, das Mißgeschick, den rechten Fuß unter den Stamm, zu bringen und denselben am Schienbein zu brechen.. Der Bedauernswerte, dessen Sohn vor einem Jahr ebenfalls beim Holzgeschäft den Fuß gebrochen hatte, mußte '/» Stunde unter dem Baum liegen bleiben, bis ihm Hilfe gebracht werden konnte.

Nagold, 2. Mai. Gestern abend stürzte

wünschen," entgegnete sie malitiös.O, bemühen Sie sich nicht," fuhr sie sarkastisch fort, als Helene mit der Miene beleidigten Stolzes opponieren wollte,Frau Doktor Herder wird uns bereitwilligst jede gewünschte Auskunft geben." Und dem jungen Mädchen den Rücken wendend, sprach sie, gegen Hagen gerichtet:Apropos, lieber Assessor, Sie werden in den nächsten Tagen Gelegenheit haben, eine alte Bekannt­schaft zu erneuern."

Der Angeredete sah sie erstaunt, fragend an.

Ich verstehe Sie nicht, meme Gnädige!" stammelte er.

Mn denn, ich meine, Ihre Bekanntschaft mit der jungen Baronin Baldern, die Sie als junges Mädchen kannten. Die Vermählten befinden sich auf der Heim­reise von Italien und der Baron hat meinem Schwager angekündigt, daß er ihm einen Besuch abstatten wolle, um ihm seine Gemahlin vorzustellen. Ich bin nun wirklich neugierig, die Bekanntschaft der jungen Frau zu machen, um mich selber von ihrer auffallenden Aehnlichkeit mit Fräulein Schwarz zu überzeugen."

Hagen hatte seine momentane Bestürzung rasch bemeistert. Mit gut gespieltem Erstaunen versetzte er jetzt:

Von der Aehnlichkeit der Baronin mit Fräulein Schwarz? Das muß ein Irrtum sein, mein- Gnädige. Ich wüßte nicht, daß di- Baronin Baldern auch nur die geringste Aehnlichkeit mit dem Fräulein besitzt."

Elfriede hatte sich vorgeneigt und sah den Assessor mit vor Erstaunen west geöffneten Augen an.

Aber, bester Freund," rief sie, ihn unterbrechend,haben Sie uns nicht selber die überraschend- Thatsache dieser Sehnlichkeit mügeteilt?"

Pardon, gnädige Frau, Sie irren sich. Allerdings sprach ich von einem Fräulein von Arnheim, doch nicht von Margarethe, der jetzigen Baronin Baldern, sondern von einer jüngeren Schwester derselben, die damals freilich noch rin Kind war, welcher ich aber im ersten Augenblick einige Sehnlichkeit mit Fräulein Schwarz zu erkennen glaubte."

Elsriede gab einen Laut maßlosen Erstaunens von sich und auch Baron Her­bert vrranlaßten diese Worte, seine bisher behauptet« Schweigsamkeit aufzugeben.

Sollten Sie sich dies Mal nicht irren, Herr Assessor?" wandte er sich Hagen zu.Baldern schrieb mir ausdrücklich, daß die Mutter seiner Frau jetzt nach der: Verheiratung ihrer Tochter ganz allein sei. Ihretwegen kürze er die Hochzeitsreise ab, denn Frau von Arnheim würde nach ihrer Zurückkunft zu Ihnen nach Waiden- stätt ziehen. Von der Existenz einer Schwester seiner Frau erwähnte er kein Wort."

Vielleicht ist sie gestorben," versetzte Hagen,ich erinnere mich, daß sie gleich nach dem Tode ihres Vaters schwer krank danieder lag. Meine Versetzung fiel in eben diese Zeit, weshalb ich nichts Genaueres darüber sagen kann. Die Baronin Baldern wird sich meiner übrigens kaum erinnern. Auch wird das Glück, meine Person ihr ins Gedächtnis zurückzurufen, mir wohl schwerlich zu Teil werden, da ich diese Woche noch eine unaufschiebbare Reise antreten muß."

A. wie fatal!" rief Elfliede.Ich hatte mich schon so sehr darauf gefreut, der jungen Frau einen alten Bekannten zuführen zu können."

Auch ich bedaure das. gnädige Frau, doch der Dienst ist nun einmal ein Tyrann, dem man unwiderruflich Folge leisten muß!"

Ein erstickter Aufschrei unterbrach seine Worte. Er war von den Lippen Helene'S gekommen, die, im Begriff, sich zu erheben, wie eine Leblose zusammenge­brochen war.

Sie hatte Alles gehört!

Helene hatte während des Zwiegesprächs des Assessors mit der Baronin Elfriede wahre Tantalusqualen ausgestanven. Sie wurde bleicher und bleicher und wagte es doch nicht, sich zu rühren, aus Furcht, sich zu verraten.

Endlich, sich mit Anstrengung aufrichtend, schwand ihr das Bewußtsein und taumelnd sank sie zu Boden.

Jedoch nicht völlig waren ihr die Sinne entschwunden; die Stimmen der Anwesenden drangen zu ihr. wie ein entferntes Murmeln, und mit verzweifelter Anstrengung schüttelte sie den Bann, der ihre Glieder gefesselt hielt, von sich ab und es gelang ihr, sich emporzurichten, wobei sie der Hand Hagen's, die sich ihr hilf­reich entgegenstreckte, schaudernd auswich.

(Fortsetzung folgt.)

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