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und reichsbürgerlichen Rechte Gebrauch machen. Daß der Begründer des deutschen Reiches es nur so thun wird, wie sein Patriotismus es ihm gebieten wird, ist selbstverständlich. Diese letztere Ansicht teilt als „selbstverständlich" auch die „Kreuzzeitung," indem sie von der unbedingten Vasallentreue Bis- marck's redet, während der „Reichsbote" dem Fürsten ausdrücklich empfiehlt, eine seinem hohen Ansehen angemessene zurückhaltende Stellung einzunehmen, ähnlich wie Graf Moltke.
Darmstadt, 21. April. Außer der Königin Viktoria von England, deren Ankunft hier am Mittwoch vormittag 9 Uhr bevorsteht, werden zur genannten Zeit auch der Prinz Heinrich von Battenberg mit seiner Gemahlin Beatrice von Großbritannien zu etwa 8tägigem Aufenthalt eintreffen. Seine Majestät Kaiser Wilhelm trifft Ende der Woche für zwei Tage, Ihre Majestät die Kaiserin Auguste Viktoria für einen Tag hier ein. Ebenso wird die Kaiserin Friedrich, welche zur Zeit in Homburg weilt, mit den Prinzessinnen-Töchtern hierherkommen.
Straßburg, 20. April. Bestem Vernehmen nach wird Kaiser Wilhelm am nächsten Mittwoch hier eintreffen; er bringt eine Nacht und einen halben Tag hier zu, fährt ins Gebirge zur Auerhahnbalz und kehrt dann direkt nach Berlin zurück.
Tages Neuigkeiten.
* Calw. Die Erhöhung der Hundesteuer hatte hier den Abgang von 33 mehr oder weniger schönen Ködern zur Folge. — Dieser Tage versuchte ein Dienstmädchen, ihren Abgang von hier etwas weniger schmerzlich zu gestalten, indem sie sich in mehreren hiesigen Geschäften noch mit allem Notwendigen für die Zukunft zu versehen gedachte. Unter vertrauenerweckenden Angaben erhielt sie ohne Zahlung einen neuen Hut und an anderer Stelle für 105 Manufakturwaren. Zum Glück wurden die Schwindeleien zeitig entdeckt und befindet sich die Person jetzt in Haft.
Stuttgart, 20. April. Dem Pferdemarkt wurden bis heute vormittag 10 Uhr etwa 1000 Pferde zugeführt, wobei die edleren Ra^en mitgerechnet sind, welche in den verschiedenen Stallungen stehen. — Der Hundemarkt auf dem alten Zirkusplatze weist etwa 200 Hunde jeder Art auf, doch nur wenig hervorragend schöne Tiere. Der Verkaufsverkehr befindet sich noch in der Entwicklung.
Stuttgart, 21. April. Heute nachmittag fand anläßlich des Pferdemarkts das übliche gemeinschaftliche Essen im Hotel Marquardt statt, an welchem 130 Personen teilnahmen. Vom K. Hofe waren S. K. H. Prinz Wilhelm, S. H. Prinz Weimar, Prinz Ernst zu Sachsen-Weimar und Fürst Karl v. Urach anwesend. Die hohen Herren besuchten nachher den Pferdemarkt.
— Im „Beobachter" liest man folgende Erklärung: „Herr v. Gültlingen hat den Herausgeber des Taschenlexikons des neuen Reichstags ermächtigt, zu veröffentlichen, daß ihm die Art und Weise, wie ein anderer Abgeordneter seine Wahl gemacht habe, unsympatisch sei. Die „Tübinger Chronik" hat mich bereits als den Gegenstand dieser Kund
gebung beeeichnet, woran ich nicht zweifelte, und es ist mir auch gewiß, daß Herr v. Gültlingen damit mich der Wahlbestechung beschuldigen will. Ich habe an meine Vertrauensmänner für auswärtige Agitationen, Versammlungen, Ausschellen und Aussagen, Wahlzettel austragen und austeilen und Fuhrwerk 603,67 ^ gezahlt. Nach der Wahl ist für 3 415,45 Freibier rc. gegeben worden. Außerdem habe ich ca. 1500 ^ als Unterstützungen und an Armenkassen gezahlt, wovon jedoch höchstens 100 ^ an bedürftige Parteigenossen als Belohnung für Wahlthätigkeit; schließlich betragen meine Druckkosten 1271,24 Diese Zahlen werde ich im Verfahren über die von mir erstatteten Strafanzeigen gegen Herrn v. Gültlingen und andere beschwören. Ich überlasse es jedem, über meine- Handlungsweise nach der Wahl sich ein Urteil zu bilden; mein eigenes ist durchaus nicht ein selbstzufriedenes. Ob ich aber mit jenen Ausgaben Stimmen gekauft habe, kann nur durch gerichtliche Untersuchungen dargethan werden. Herr v. Gültlingen jedoch hat sich berufen gefühlt, ohne Beweise mich öffentlich zu beschimpfen. Falls er nicht vermag, mich einer ehrlosen Handlung zu überführen, wird er die Konsequenzen seines Unrechts zu ziehen wissen. Mühringen, den 18. April 1890. Oskarv. Münch.
Der „Beobachter" selbst äußert sich mißbilligend über die Gepflogenheit, nach der Wahl die Wählerschaft zur Feier des Sieges zu bewirten, wenn dies vom Kandidaten selbst geschehe. Aus einem solchen Traktement entwickele sich ganz notwendig der Stimmenkauf und im Voraus eine Beeinflussung für die nächste Wahl.
— Daimlers Motorwagen. Ueber eine am Samstag stattgehabte Probefahrt wird dem „N. Tgbl." mitgeteilt: In Anwesenheit von Stadtbaurat Kölle, Direktor Lipken und des Erfinders Daimler mit Ingenieur Maybach wurde die Probefahrt auf die-ganze Länge der breitspurigen Geleisestrecke von Berg über die Eßlinger- und Hauptstätter- ftraße bis nach Heslach und an den Zahnradbahnhof ausgedehnt. Das Resultat dieser Probefahrt soll zu »schönen Hoffnungen bezüglich der Anwendbarkeit des Daimler'schen Motors zu Straßenbahnzwecken berechtigen. Der auf dem Wagen der Pferdebahn angebrachte Motor entwickelt eine Maschinenkraft von 5 Pferdestärken, derselbe ist leicht und schnell zu handhaben. Mit Leichtigkeit wurden die Steigungen und Kurven von dem mit 8—10 Personen besetzten Wagen durchfahren; auf horizontaler oder wenig ansteigender Strecke hatte der Wagen die 1'/-fache Geschwindigkeit des Pferdebetriebs.
Ludwigsburg, 21. April. Im Privatkrankenhause starb gestern mittag 1 Uhr an einer Lungenentzündung der Zugmeister Stier von Stuttgart, welchem am Abend des Ostersamstags auf dem hiesigen Bahnhof beide Füße abgefahren wurden.
Heilbronn, 21. April. Der 19 Jahre alte Sohn des Weingärtners Wolf ist heute vorm. '/-II Uhr von einem in der Scheuer angebrachten 4 m hohen Gerüste infolge Verschiebens eines Brettes herab auf den Kopf gefallen und war sofort tot.
Tübingen, 20. April. Die vom Schwurgericht Tübingen in der letzten Session wegen gemein
schaftlicher Ermordung ihrer Frau bezw. Mutter zum Tode verurteilten Röhrle, Vater und Sohn, aus Wildbad, sind zu lebenslänglicher Zuchthausstrafe begnadigt worden.
n- - - ^butlingen, 19. April. Einem hiesigen: Arbeiter (Bruderhaus) wurde neulich der 7 Knabe geboren und hatte Se. K. Majestät der König die Gewogenheit, die Taufpatenstelle hiebei zu übernehmen und dem Täufling zugleich die reiche Gabe von 25 gnädigst zuzuwenden.
Weingarten, 21. April. Eine sonder-- bare Spazierfahrt, die zwar ein schlimmes Ende hatte nehmen können, führten gestern Abend aeaen, 8 Uhr mehrere Rekruten zum großen Gaudium vieler Zuschauer aus. Wie der Rekrutenhumor in allerlei tollen Streichen ausartet, fiel es ihnen ein, eine Chaise selbst zu ziehen, und lustig gings, 5 Rekruten auf derselben und 2 zum Ziehen voraus, vom „Rößle" weg die Scherzachstraße dahin. Nach der Brücke jedoch, die zum Gottesacker führt, fehlte dem Gefährte die richtige Leitung, der Vorderwagen löste sich vom Hinterwagen los und letzterer fuhr mit seinen Insassen direkt in die Scherzach, ca. 2 Meter hoch ins Wasser hinunter. Zum Glücke kamen die Bursche außer einem unfreiwilligen Bade mit dem Schrecken davon; auch wird ihnen jetzt ein solches gefährliches Vergnügen wohl entleidet sein.
Patentschau. Mitgeteilt durch das Patent-.- Bureau von Otto Wolfs in Dresden. Zu den in neuerer Zeit so beliebt gewordenen Automaten, wie sie zum selbstthätigen Verkauf von Waren, zum selbst- thätigen Wiegen von Personen u. s. w. dienen, tritt als Neuheit der Sparautomat. Das Geldstück wird durch eine Einwurfsöffnung dem Apparat übergeben und löst nun einen Mechanismus aus, welcher eine Quittung über die stattgefundene Einzahlnng verabfolgt, oder das entnehmen einer Quittung gestattet.. In der neuesten Patentliste finden wir zwei derartige Apparate, von Isidore Eskell Clifsord in London,. Nro. 51,207 und von Pierre Morraitinis in Athen, Nro. 51,211 — die beide dem gleichen Zwecke dienen,, aber in ihrer Bauart verschieden sind. Um das Umfallen des Kinderwagens zu verhüten, bringt Herr Fr. Ad. Zschiesche in Kottbus nach Patent Nro. 50,975 an demselben folgende Vorrichtung an. Zwei beiderseits angeordnete bogenförmige Schienen gleiten, ehe der Wagen die Gleichgewichtslage überschreitet, aus ihren Führungen und stützen, durch eine selbstthätige Sperrvorrichtung festgehalten, den Wagen, gegen den Boden ab.
Was man im Krühjahr tyun soll. Alle, welche an dickem Blut und in Folge dessen an Hautausschlag, Blutandrang nach Kopf und Brust, Herzklopfen, Schwindelanfälle, Müdigkeit ec. leiden, sollten nicht versäumen,, durch eine Frühjahrs-Reinigungskur. welche nur wenige Pfennige pro Tag kostet, ihren Körper frisch und gesund- zu erhalten. Man nehme das hierzu beste Mittel: Apotheker Mchard Brandt's Schweizerpillen, erhältlich ä Schachtel 1 in den Apotheken und achte genau auf den Namenszug und den Vornamen Aichard Brandt's.. Die auf jeder Schachtel auch quantitativ angegebenen. Bestandteile sind: Silge, Moschusgarbe, Aloe, Absynth,. Bitterklee, Gcnlian.
Eines nachmittags, als Elsriede von einem Besuch in der Stadt heimkehrte, erzählte sie ihren Verwandten mit heiterer Miene, daß sie einem ihr lieben Bekannten aus der Heimat, dem Assessor Hagen, begegnet sei, der, wie sie gehört, schon seit mehreren Jahren dort lebe.
Helene, die während Elfriede's Abwesenheit mit ihrem kleinen Zögling bei der alten Baronin im Familienzimmer verweilt hatte, blickte bei dem genannten Namen, der ihr wie ein bekannter Ton aus der Vergangenheit klang, bestürzt auf und ihr Auge haftete mit unverkennbarem Schreck auf der Sprecherin; doch da im selben Augenblick ihre Aufmerksamkeit von Jda in Anspruch genommen wurde, so hatte sie keine Zeit zum Nachdenken, jedoch lauschte sie verstohlen auf die ferneren Worte der jungen Frau, welche in ihrer lebhaften Weise weiter erzählte, daß die Eltern des Assessors Hagen Nachbarn der ihrigen und seine Schwestern schon von Jugend auf ihre intimen Freundinnen gewesen wären.
Indessen dir junge Frau so das Wort führte, hatte ein Diener Baron Herbert einen für ihn abgegebenen Brief überbracht, den er, an das Fenster tretend, hastig erbrach, um dann, auf seine Mutter zuschreitend, froh erregt auszurufen:
„Liebe Mutter, denke Dir die Ueberraschung! Erwin von Baldern sendet mir soeben seine Vermählungsnachricht!"
Die Angeredete blickte erstaunt auf.
„Baron Baldern vermählt? Ah, in der That, das überrascht mich. Wir wissen ja gar nicht einmal, daß er verlobt war. Wie ist denn der Familienname seiner Gemahlin^
„Da, lies cs selbst: Margarethe, Baronin Baldern, geb. von Arnheim."
„Arnheim? Der Name ist mir unbekannt. Doch weshalb hat Dein Freund Dir denn seine Verlobung seiner Zeit nicht mitgeteilt?"
Herbert zuckte leicht die Schultern.
„Verlobung und Vermählung müssen schnell auf einander gefolgt sein. In seinem letzten Bnef, vor etwa zwei Monaten, erwähnte er noch keine Silbe davon."
Helene hatte diesem Gespräch wie erstarrt gelauscht.
Jeder Blutstropfen war aus ihrem Antlitz gewichen und d«r Schlag ihre«
Herzens schien stocken zu wollen unter dem wilden Chaos der auf sie einstürmenden- Gedanken. Sobald eS unbemerkt geschehen konnte, entfernte sie sich aus dem Zimmer und schlich mit wankenden Schritten auf ihr Stübchen, wo sie halb ohnmächtig irr. sich zusammenbrach.
Während der folgenden Tage ging sie wie automatisch ihren Beschäftigungen nach und dehnte die Unterrichsstunden Jda's zu möglichster Länge aus, um de»- übrigen Schloßbewohnern auszuweichen.
So saß sie auch arü drttten Tage nach der verhängnisvollen Unterredung im Schulzimmer und blickte trübselig vor sich hin. Jda stand fröhlich plaudernd neben ihr; aber nach und nach verstummte der Mund der Kleinen und sie sah mit scheuem Blick zu ihrer Lehrerin empor, die heute gar nicht lieb wie sonst auf ihr Geplauder einging. Schweigend nahm sie sich ein Buch und vertiefte sich in dessen Inhalt.
Die im Zimmer eingetretene, tiefe Stille ließ Helene verwundert aufblicken und Jda über das Buch gebeugt sehend, erhob sie sich und trat an das Fenster.
Im selben Moment aber schrak sie zurück.
Durch die auf das Schloß zuführende Allee sprengte ein Retter daher, in welchem sie auf den ersten Blick Hagen, den treulosen Geliebten Margarethe's,. erkannte.
Wenn er sie gleichfalls wiedererkannte und sie verriet? In welchem Lichte stand sie dann vor den Schloßbewohnern da? Sie schauderte in sich zusammen doch nur sekundenlang. Drei Jahre waren vergangen, seit er sie — noch als Kind — zuletzt gesehen, und während dieser Zeit hatte sich ihr AeußereS völlig verändert. Außerdem trat sie ihm unter fremdem Namen entgegen und konnte, auf die Begegnung vorbereitet, ihm eine völlig gleichgültige Miene zeigen.
Diese Gedanken gaben ihr einigermaßen die Ruhe wieder, so daß, als sie aus den Befehl der Baronin Elfriede mit Jda dem Salon zuschritt, ihrem bewegungs-- losen Antlitz nicht die geringste Unruhe mehr anzumerken war.
(Fortsetzung folgt.)