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Der GrlrlljWrl.
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Fernsprecher Nr. 29.
87. Jahrgang.
Fernsprecher Nr. 29.
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Beilagen: Plauderstübchen, Fllustr. Sonntagsblatt und
Schwäb. Landwirt.
1913
Amtliches.
A. Hbevarnt Wagokd.
Bekanntmachung, betr. die Feldbereiuiguug auf der Markung Pfrondorf.
Durch Erlaß der K. Zentralstelle für die Landwirtschaft. Abteilung für Felsbereinigung, vom 27. Oktober 1913 Nr. 5409, wurde das Ergebnis der Abftimmuugs- tagfahrt vom 26. Juli ISIS endgültig dahin festgestellt, daß die Ausführung des vom Gemeinderar in Pfrondorf beantragten Unternehmens einer Bereinigung der Gewände „Ktrcheriweg, Getgeräcker, Ried, Berq, Bolaien, Nagolder Gaffe, Eßlinger, Spanen, Agnese, Am Wasser, Bronnkolben, Bändle und Edelmann" der Markung Pfrondorf durch 82 von 86 Stimmen, also durch mehr als die Hälfte der Beteiligten, auf welche von dem Gesamtgrund- steuerkapi al von 3954 ^ 78 der Betrag von 365 t 02 also mehr als die Hälfte, entfällt, beschlossen worden ist, und die so beschlossene Feldbereiuiguug genehmigt.
Den 31. Oktober 1913. Kommercll.
Reformationsfest.
Es ist dem Resormaiionsfest in manchen Kreisen ähnlich gegangen w!e dem Sedanfest. Hin und wird r haben sich Stimmen erhoben, die von einer besonderen F.ier des Reformationsfestes aus einer falschen Rücksichtnahme auf die Gefühle anderer abmahnten. Unter der Voraussetzung, daß die Art unserer Feiern aus dem rechten Geiste heraus geschieht, treten wir unbedingt für unser Resormationsfest ein. Eine rechte Sedanfeier bringt nicht den Triumph über die Niederlage eines Feindes zum Ausdruck, sondern will nichts anderer, als unser Volk bei den Grundlagen religiös-sittlicher Erneuerung fcsthalten. Unser Resormaiionsfest soll uns nicht dazu dienen, um nach außen hin ein falsches Triumphgefühl gegenüber anderen Kirchengemeinschaften laut werden zu lassen, es ist gewissermaßen eine Feier im eigenen Hause, die ebenfalls zu einer gesunden Pflege des uns eigenartigen Geistes und seiner Flüchte dienen will.
Was wollen wir dabei beachten? Wir danken Goit, daß die geschichtliche Reformation ein Beweis seiner Gnade gewesen ist. Sein Walten und Wirken hat sich in der Person Dr. Martin Luthers mächtig erwiesen und ihn zu einem Rüstzeug gemacht, um das brutsche Volk wieder an den reinen Quellen des Evangeliums von Jesu Christo anzusiedeln. Das Recht, in der geschichtlichen Reformation einen Tatbeweis des göttlichen Wirkens zu sehen und ihm dafür zu danken, werden wir uns von niemand,nehmen lassen. Wir treiben also in unserer Reformationsseier keine
falsche Menschenverhimmelung, sondern dankbaren und ehrfürchtigen Gottesdienst.
Und heute? Kein Einsichtiger kann leugnen, daß die Reformation die Quelle einer besonderen Kultnremwicklung des deutschen Volkes geworden ist. Sie hat eine Befreiung gebracht, die für solche Entwicklung unerläßliche Vorbedingung war. Indem sie uns Demsche wieder zum reinen Evangelium zurücksühtte, brachte sie uns die echte religiös- sittliche Freiheit, deren Geist und Früchte auch für das kirchliche Leben der katholischen Kirche ihren Segen gehabt haben. Wer aber aus den Gedanken der Freiheit lebt, ha! dadurch die um so heiligere Verpflichtung, daß kein Mißbrauch mit dem Recht der Freiheit getrieben werde. Und nach dieser Seite hin ist unsere kulturelle Entwicklng nicht nur segensreich gewesen. Ein tiefer Blick m s das leiigiöse, sittliche, künstlerische, wirtschaftliche und politische Leben unserer Zei- zeigt viel Mißbrauch des Gutes der Freiheit. Deshalb soll das Reformationsfest uns evangelischen Deutschen vor allen Dingen eine Mahnung zur ernsten Selbstbesinnung sein. Wir sollen uns aufs neue prüfe», ob unser persönliches Leben und unser Volksleben noch an den Wasserbächen drs Wortes Gottes angclaut ist, an denen alliia die guten Fruchibäume des Reiches Gottes stehen. Diese ernste Selbstprüfung wird uns jedes Jahr stark genug im Gewissen erfassen, uns vor jedem falschen Hochmut und überhebendem Herabsthen aus andere bewahren und uns zeigen, wo wir vom Geiste der Reformation und ihres geschichtlichen Trägers abgewichen sind, wo wir also die Spuren Jesu Christi verlassen haben. Auch dieses Recht, bei uns selbst Einkehr zu Hollen und unser evangelisches Leben in allen seinen reichen Beziehungen unter das Gericht eines durch Gottes Wort geläuterten Gewissens zu stellen, soll uns niemand nehmen dürfen. So verstanden, kann das Resormaiionsfest stets ;>n Segen für die evangelische Kirche, nie ein Stein des Anstoßes für Andersdenkende werden. * *
Sonntagsge danken.
Zu« Srfor«at»«>skß.
Luther war ein wahrhaft großer Mensch, ein Held. Er war groß an Geist, Mut, Liebe und Redlichkeit. Er war einer unserer liebenswürdigsten, edelsten Menschen. Seine Größe ist nicht die Größe des schön geformten Obelisken; es ist die Größe des starren Bergs der Alpen, so einfach, so sicher, so frei. Es ist Granit, der zum Himmel strebt und den nichts beugen kann. Aber Quellen riestln aus ihm, aber anmutige Täler mit bunten Blumen breiten sich zwischen seinen Felsen aus. Die Natur selbst erzeugte ihn aus ihrem Schoß. Die Jahrhunderte sollten dem Himmel dafür dankbar sein. ,
Wir wissen gar nicht, was wir Luthern und der Reformation im Allgemeinen alles zu danken haben. Wir sind frei geworden von den Fest, ln geistiger Borniertheit, wir sind infolge unserer fortwachsenden Kultur fähig geworden, zur Quelle zurückzukehren und das Christentum in seiner Reinheit zu fassen. Mag die geistige Kultur immer weiter fortschreiten, mögen die Naturwissenschaften in immer breilerer Ausdehnung und Tiefe wachsen, und der menschliche Geist sich erweitern wie er will, ü'ber die Hoheit und sittliche Kultur des Christentums, wie sie in den Evangelien schimmert und leuchte», wird er nicht hinaus Kommen. Goethe.
Schelte, lästere, richte meine Person nur frisch, wer da will. Es liegt nichts an mir, .aber Christus' Wort will ich mit fröhlichem Herzen und frischem Mut verantworten; dazu Hot mir Gott einen unerschrockenen Geist gegeben, den sie mir nicht betrüben werden, hoffe ich, ewiglich
Luther.
TageV-Neuigkeiterr.
«ss Vtadt Md Amt.
Nagold. 1. November IS 13.
-l- Hauptkonferenz. Unter dem Vorsitz von Schulrat Schott wurde gestern im Festsaal des Seminars die Hauptkonferenz dcs Gesamtbezilks abgeholtcn. Vor Eintrin in die Tagesordnung gedachte der Vorsitzende der wenige Tage hinter uns liegenden Festfeicr der Befreiungskriege, einer Tat, deren Bedeutung vor ollem in Lehre, Kreisen recht gewürdigt werde, worauf das „Niederländische Donkgebet" mit Orgelbegleitung gesungen wurde. Die Verhandlungen beschäftigten sich in dee Hauptsache mit dem zeitgemäßen Thema „die Arbeitsschule". Oberlehrer Otterbach-Ebhausen erörterte in einem Bortrag den „Begriff der Arbeitsschule", worauf Oberlehrer Da g enbach-Haiterdach in einer Lehrprobe die praktische Durchführung im Naturkundeunterricht zeigte, der dann ein Bortrag desselben Herrn folgte, in welchem der Referent die Grundsätze darlegte, die beim Unterricht zu beachten wären. Eine lebhafte Debatte brachte für manche aufgeworfene Frage die klärende Antwort. Um die Lehrer mit dem Betrieb des neu eingesührten Mädchenturnens bekannt zu machen, soll im Bezirk ein Turnkurs unter Leitung von Mittelschullehrer Sandler-Nagsld abgehalten werden und zwar im kommenden Frühjahr. Das gemeinschaftlich! Esten war in der „Post".
Für Stotterer eröffnet die C. Denhardt'sche Sprach- heilanstvlt in Stuttgart, Hohenzollernstraße 17, am 10. November ih'e diesjährigen Freikurse, in welchen unbemittelte Sprachleidende unentgeltlich Heilung ihres Uebels finden. Ausnahmen können täglich von 10.—24. November erfolgen.
Der Organisten Kruft.
Bon Rudolf Greinz.
(Schluß.)
Jetzt Halle ich die kleine Ebene erreicht, auf der das Gütet des Kruft und seines Bruders inmillen eines Türkenackers lag. Der Hannes war nicht daheim. Es sei in den Wald, Streu machen, sagte der Kruft, der vor dem Hause auf der Bank saß und eine Sense dengelte. Noch e?n paar Hammeischläge tat er und erhob sich dann.
„Iatz will i dem Herrn meine Bücher zeigen!" sprach er, mir in das Haus oo angehend. „Is freilich a bißl schad', bei dem Wetter in der Stuben z' hacken. Aber der Herr wlrd's bald g'seben baden. Es is nit viel Rarcs dran."
Wir gingen in die Stube und von da in die Schlaf- Kammer der beiden Brüder. Der Kruft kroch unter eine Benstells und zog einen hölzernen Koffer hervor. Dann kramte er ln der Hosentasche nach einem Schlüsse!, öffnete den Koffer u, d legte uns dcm Bett alle seine Herrlichkeiten aus.
Das erste, was ich in die Hand bekam, war Abrahams a Santa Clara „Judas der Erzschelm" in der alten Originalausgabe, zwei dicke Bände in Echweinsleder. Dann folgten einige uralte Werke über Ackerbau und Falkcnzucht und mehrere Doktor- und Kräuterbücher.
Das war also die Bibliothek des Organisten Kruft, die noch manches andere und mitunter recht wertvolle Stücke enthielt. Einige Weltbeschrechungen aus der ersten Hälfte des achtzehnten Jahrhunderts waren das letzte, was der Krust aus dem Koffer holte. Und diese Bücher Halle der Besitzer vom Anfang bis zum Ende durchgelesen, nicht nur einmal, nein, er hatte sie sorgfältig studiert. Aus ihnen bauten sich seine Kenntnisse und Ansichten über Völkergcschichte, Naturwissenschaft, Gottes- gelahitheit auf. Ihm war Abraham a Santa Garer so inodern, wie uns ein neuer Roman.
Ein eigentümliches Gefühl kam über mich. Es war mir, als ob ich um zwei Jahrhunderte zurückversetzt sei und einen Magister der damaligen Zeit vor mir stehen hätte. Der lange schwarze Bart des Organisten Krust trug nicht das wenigste zu dieser Illusion bei.
Im Grunde genommen gehörte der Krust nur körperlich unserem Jahrhundert an. Hätte er Andersens Zaubergaloschen gehabt, er würde sich bald in Ton und Geist der vergangenen Jahrhunderte, die vor mir auf der schweren gewürfelten Bettdecke lagen, hlneingefunden haben. Es war unter den Büchern aber auch nicht eines, das ein neueres Datum aus dem Titelblatt getragen hätte.
Wie mochte sich nur die a'te Ausgabe von Sebastian Brants „Narrenschiff" in das einsame Tal verirrt haben! Das „Narrenschiff" habe er einmal fast ganz auswendig aekannt, erzählte der Krust. Sei aber auch „sov'l a ren's Buach, und a jeder kriag' da sein Teil!"
Ob er mir die Ausgabe n cht verkaufen wolle, fragte ich den Krust. „Nit um an Hunderter!" rief er energisch und nahm mir das Buch schier ängstlich aus der Hand, indem er zugleich die übrigen mit einer gewissen Hast wieder einzupacken begann, den Koffer sorgfältig verschloß und unter das Brett schob.
„Solche Bücher werden heut' nimmer g'schrieben!" sagte der Krust, als wir in die Stube zurückgekehrt waren. „Und so a starkes Papier nehmen s' aa nimmer, daß es a paar Jahrhundert lang aurha'ten tät'. Was heul' die Leut' z'sammschreiben, is alles nur sür'n Schein. Is 's aa nit wert, daß man's vir! bester druckt". Der Krust Holle außer den Kalendern und einer oder der andern Zeitung wohl noch nicht viele neue Bücher gesehen. „Der Lehrer hat wohl a etliche drunten," meinte er. „Hab' aber no nie was T'scheutes dabei g'funden. Wa^ in dö Bücher drinnen steht, is in dö meinen no viel besser und viel genauer!"
Dir Krust Halle eine Flasche auf den Tisch gebracht.
Ob ich nicht a bißl an „Gigges" *) möge. Dabei schenkte er mir ein Glas mit Kornbronntwein voll. „Wissen's", sagte er, „i tät Ihnen schon eins oder das andere von meine Bücher auf a paar Tag leihen, wenn S'mir's wieder ordentlich z'iuckbringen; aber dö Madien beim Lehrer hoben alleweil so a Gegoas**) und haben nix als z'tachen über dö allen Bücher. Und dös leid' i nit. Deswegen laß i sie aa selten wem anschauen".-
Es wurde Spätsommer. Da erzählte mir dcr Lehrer eines Tages, daß der Krust nach Innsbruck wolle, um „Präparondie" zu studieren. Mit 36 Jahren' rief er.
Es war aber wirklich so. Bald darauf vertraute mir der Organisten Krust selbst sein Geheimnis an. Er habe sich von seinen Aemtern und gesungenen Messen „a bißl was „derlooppat" ***) und wolle den Lehrerkurs besuchen.
Der Krust ist Anfang September nach Innsbruck. Er ging zu Fuß und zog sich selbst ein kleines Wägelchen, auf das er einen alten Kasten mit seinen Habseligkeiten, die Bücherlruhe und einen großen Sock Erdäpfel geladen halte. Was er sonst zum Esten brauch--, würde ihm schon sein Bruder, der Hannes, von Zeit zu Zeit bringen.
Der Organisten Krust Halle sich in Hölting bei einem Bauern einquartiert, kocht sich selbst und schmalzt sich seine Erdäpfel ad. Neue Bücher hat cr sich allerdings Kausen müssen. Anfangs soll cs ihm auch etwas sonderbar vorgekommen sein, als bärtiger Mann unter den jungen Leuten zu sitzen. Haben ihn aber olle gleich lieb gewonnen den Krust.
Hut ad vor solcher Beharrlichkeit! Wir hoffen, daß der Krust noch rin tüchtiger Bolksbildner werden wird.
Wenn er mit vierzig Jahren die Präparandie verläßt und als Lehrer in ein lirolisches Gebirgstal zieht, wird er den Bauernkindern neben der neu erworbenen Bücherweisheit gewiß auch ein Stückchen Lebensweisheit bcibringen können.
Und das letztere ist ost nützlicher als das elftere.
*) Schnaps. ") kindisches Wesen. "*) erspart.