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Ferusprecher Nr. 29.

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87. Jahrgang.

Servsprecher Rr. 29.

Freitag, den 39. August

Anzeigev-Gedthr sür die einspalt. Zeile au» gewöhnlicher Schrift oder deren Raum bei einmal. Einrückung 1« >4, bei mehrmaliger . entsprechend Rabatt.

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PlauderstLbcheu,

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Schwöb, »ao-wirt.

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Iie M»r«l M dm Geschichte.

Die hohe Politik ist eine Tragikomödie, bei der die Zuschauer unvermittelt vom Gruseln ins Lächeln verfallen. Was haben die armen schwergeprüften Völker Europas in den letzten Monaten nicht alles für Aufregungen durch­machen müssen, sür Sorgen und Befürchtungen erlebt! Der Weltkrieg, jenes Schreckgespenst, das um so grauen­erregender wird, je länger der lange Frieden dauert, ging sozusagen in Permanenz um und ließ keinen zur wohl­tätigen Ruhe mehr kommen. Und heute? Heute lösen sich alle Spannungen in Wohlgefallen auf, und die tragi­schen Gesten der yauptakteure, die uns mit Schaudern vor einem unvermeidlichen, furchtbaren Schicksal erfüllten, er­scheinen als groteske Grimassen, die nicht mehr Furcht, sondern nur eine verständnisvolle, ironische Heiterkeit erregen.

Bis an die Zähne gerüstet standen sich Oesterreich und Rußland gegenüber. Millionen verschlang die Mobilisier­ung der Riesenheere; an den Grenzen blitzten die Bajonette, fuhren die Batterien auf. Aus den Kanzleien der Aemter, aus den Arbeitszimmern der Diplomaten drangen bitterernste, schicksalsschwere Worte in die verängstigte, aufgeregte Orffent- lichkeit. Man fühlte: jetzt wird es wirklich ernst, die Stunde des sorgsam behüteten, verhätschelten europäischen Friedens hat geschlagen, denn die Gegensätze zwischen den Mächte­gruppen sind diesmal unüberbrückbar, der Interessenkonflikt ist zu gewaltig, die Ehre der Nationen ist allzu sehr enga­gier!, als daß ein Einlenken noch möglich wäre ... Die Diplomaten ballten tragisch die Faust und schlugen auf den Tisch, die Kurse sanken noch tiefer, als sie schon gesunken waren und mit kinematographischer Plötzlichkeit änderte sich das Bild, man sah nur noch sanft lächelnde Mienen, Hände die sich in aufrichtiger Freundschaftsbeteuerung einander entgegcnstreckten, und alle Kriegsgefahr war wie mit einem Zauberstabe verscheucht.

Fetzt verleiht Kaiser Franz Josef dem russischen Botschafter v. Gicrs das Großkreuz des Stefanordens, eine der höchsten Auszeichnungen, die er zu vergeben hat, und überreicht ihm diese Dekoration persönlich, während die russische Regierung eine Einladung an den greisen Monar­chen richtet, einen Vertreter zur Einweihung der russischen Kapelle in Leipzig zu entsenden, die sofort angenommen wird und keinen geringeren als den Erzherzog Franz Ferdinand nach der Stadt der befreienden Völkerschlacht führen wird. Dieunüberbrück­baren" Gegensätze sind Lberbrückt, die vitalen Interessen ausgeglichen, die Ehre der Nationen gerettet, und alles ohne Krieg, ohne daß die Bajonette uu!r Kanonen an den Grenzen in Aktion zu treten brauchten. Nicht anders ging es da­mals zu, als dieSpannung" zwischen England und Deutschlandunerträglich" wuchs, die Gegensätze sich immer mehrvertieften", und das beklemmende, ruinöse Wettrüsten den Ruf nach dembefreienden Waffengang" in London und Berlin auslöste. Auch damals fast anderthalb

Jahre lang die enervierende Sorge vor der Katastrophe eines Weltkrieges, und nun im vergangenen Frühjahr der Besuch des Königs von England in der Reichshauptstadt und ein unzweifelhaftes erfreuliches Fortschreiten in der Anbahnung guter Verhältnisse zwischen den zwei mächtigsten germani­schen Ländern. Die Erscheinung wiederholt sich, sie wird geradezu typisch für unsere Zeit der aufs äußerste gesteiger­ten Kriegsrüstungen und nicht minder fanatischen Friedens­sehnsucht. Es ist eine alte Geschichte, doch auch sie bleibt ewig neu, denn wenn die Mächtigen der Erde den Säbel schon halb aus der Scheide ziehen, ist es kein Wunder, daß die gewöhnlichen Sterblichen auf die kriegerische Geste hereinfallen und in Erwartung des fürchterlichen Zusammen­pralls erbeben.

Und die Moral von der Geschichte? Es läßt sich alles applanieren, wenn man nur den guten Willen hat. Alle Gegensätze find überbrückbar, alle Interessen lassen sich ver­einen, die nationale Ehre wird durch einen im korrekten Grenzen gehaltenen diplomatischen Streit, mag er noch so heftig sein und mögen noch so ernste Dinge auf dem Spiele stehen, niemals in dem Maße tangiert, daß sie nur noch durch den Tod von Hunderttausenden auf dem Schlachtfeld zu retten wäre. Wie heißt es doch in denMeistersingern":

Die schwache Stunde kommt für jeden,

Da wird er weich und läzt mit sich reden...

Es ist gut, daß es so ist: daß man weich wird und mit sich reden läßt, selbst wenn man leitender Staatsmann oder akkreditierter diplomatischer Vertreter einer Großmacht ist. Aber könnte man sich nicht gleich von dieser menschlich so sympathischen Seite zeigen, muß immer erst die Faust nach dem Degen fahren, das wutentflammte Auge verderben- drohende Blitze schleudern, müssen immer erst Kursstürze den Weltmarkt erschüttern und Vermögen geschädigt werden, bevor das erlösende Lächeln durchbricht? Wenn die Leiter der politischen Schicksale Europas das nicht bald etnsehen, werden sich die gepeinigten Völker eben selbst helfen müssen und in Zukunft über die drohende Geste beim Beginn des Spiels ebenso lächeln, wie am Schluß über die rührende Versöhnung. (Nat. Ztg.)

Tage»-Re«igkeite«.

Lu« LtM uud L«t.

Nagold, 2S. August 1813.

Bieueusache. Wie seit Jahren, sind auch Heuer ver­schiedene Bienenzüchter von Nagold und Ebhausen mit ihren Bienen nach Neuwekler und Zwerenberg in die Heide- biüte gewandert. Nach Bericht von dort soll die Tracht eine gute sein. Leider konnte bis jetzt dieser Heidehonig nicht kalt geschleudert, sondem er mußte warm ausgelassen werden, wobei ihm sein Aroma verloren ging. Eine Firma von Norddeutschland hat jetzt eine Maschine konstruiert, welche den Honig in den Zellen löst, was auch durch die

Honigschleuder gewonnen werden kann. Nach Aussage von Autoritäten soll die Qualität eine vorzügliche sein. Flaschnermeister Th. Kehle, Nagold hat nun von dieser Firma eine solche Maschine bezogen, welche bei ihm jeder Zeit eingesehen werden kann.

r Leichtsinnige Bürgen. Im Geschäftsleben kommt es fast alltäglich vor, daß an jemanden, sei es von einem Geschäftsfreund, sei es sonst von einem Bekannten das An­sinnen gestellt wird, ihm Bürgschaft zu leisten. Dabei läßt sich der Bürge in vielen Fällen durch die Versicherung, die Unterschrift sei nur Formsache, er werde daraus niemals haftpflichtig gemacht, zur Abgabe der Bürgschaftserklärung bestimmen. Zur Warnung vor leichtsinniger Abgabe von Bürgschaftserklärungen sei darauf hingewiesen, daß nach der ständigen Rechtsprechung der Gerichte derartige mündliche Zusicherungen auf die Giltigkeit der Bürgschaftserklärung und die Haftpflicht des Bürgen von keinerlei Einfluß sind. In einem erst kürzlich imRecht" veröffentlichten Urteil des Reichsgerichts wird ausgeführt:Wollte man solchen mündlichen Erklärungen Rechtswirksamkeit beimessen, so würde damit nicht bloß der Unterzeichnung unzweideutiger Hastbarkeitserklärungen Sinn und Zweck genommen, son­dern auch der geschäftliche Verkehr in einer Weise gefährdet werden, die sich mit Treu und Glauben nicht in Einklang bringen ließe". Es kann daher nicht genug gewarnt wer­den vor Eingehung leichtsinniger Bürgschaftserklärungen, da der Bürge, der vom Gläubiger in Anspruch genommen wird, vom Schuldner nur in seltenen Fällen Ersatz verlangt.

Landesnachrichteu.

r Stuttgart, 28. Aug. (Umbau im K. Hof­thea t e r). In den K. Hoftheatern ist während der Ferien eine äußerst wichtige bauliche Veränderung vorgenommen worden. Der bewegliche Prosceniumsrahmen wurde i« großen wie im kleinen Hause bedeutend abgeschrägt, sodaß das Gesichtsfeld für die seitlich sitzenden Zuschauer nun sehr wesentlich vergrößert ist. Die Klagen, die in dieser Be­ziehung häufig laut geworden sind, dürsten dadurch gegen­standslos geworden sein.

r Stuttgart, 27. Aug. (Eisenbahneinnahmen.) Die württ. Staatseisenbahnen beförderten im Juli 6169000 (-j- 89000) Personen und 1349664 (-s- 16096) Tonnen Güter. Die Einnahmen aus dem Personenverkehr betrugen 3311000 (-f-27595) -4, aus dem Güterverkehr 4679000 (4-10770) das sind zusammen 7990000 (-s-38365 Mark. Vom 1. April bis zum letzten Juli beziffern sich die Gesamteinnahmen auf 29814000 (-s- 256 976) Mark.

r Stuttgart, 28. Aug. (Der Mord in der Böheimstraße.) Der Mörder Schweizer wurde heute abend der Leiche der von ihm ermordeten Frau gegenübergestellt und wird morgen stütz in das Amtsge­richtsgefängnis eingeliefert.

r Göppingen, 28. Aug. (Auf freiem Fuße.) Der des Kindsmord angeklagte Gipser Seitz ist vorerst mied«

Schelmenstreiche vor Gericht.

Von Anna o. Gottberg.

Einen Mangel in der Praxis des Jugend­gerichts deckt Anna o. Gottberg im Augustheft desTürmer" (Herausgeber I. E. Frhr. von Trotthuß) aus. Sie wendet sich besonders da­gegen. daß unüberlegte Streiche Jugendlicher überhaupt vor einem Tribunal abgeurteilt werden.

Den wirklichen Straftaten stehen eine Unmenge gering­fügiger Handlungen gegenüber, für die das WortSchelmen- streiche" fast noch zu hart ist, Kinder, die im Schutze des elterlichen Hauses aufwachsen, können sich mancherlei erlauben. Eie finden liebevolle Entschuldigung für all ihre großen und kleinen Sünden, und zwar mit Recht, denn sie sind sich in den seltensten Fällen der Tragweite ihrer Handlungen bewußt.

Der Fremde, besonders der Lehrherr, die Dienstherr­schaft, urteilt erbarmungslos. Bei jeder kleinen Uebertretung wird sofort auf der Polizei Meldung erstattet. Meist macht sich der Angeber nicht klar, wie grausam er handelt, und deshalb ist eine Hauptaufgabe der Gegenwart, das Gewissen aller derjenigen zu wecken, die in die Lage kommen können, jugendliche Missetäter zur Strafe heranzuziehen.

Ein kleines Ostermädchen so genannt, weil sie Ostern aus der Schule kam und nun einen Dienst annahm, ohne große Intelligenz, zerschnitt ihrer Herrschaft die Drähte der elektrischen Klingel, die in ihre Stube gehen, nicht etwa um eine Sachbeschädigung vorzunehmen, sondern lediglich, !

um ihrem Schlafbedürfnis Rechnung zu tragen. Sie war des Morgens immer noch so schrecklich müde, wenn diese Klingel ertönte und sie unerbittlich weckte. Ungewohnte Arbeit und Blutarmut infolge von lebenslänglicher Unter­ernährung machen dieses Schlafbedürfnis glaubhaft.

Die Dienstherrschaft zeigte diesen empörenden Fall als Beweis gründlicher Verdorbenheit an, und das Gericht mußte Sachbeschädigung annehmen; trotzdem kam das kleine Mädchen mit dem sogenannten Verweis davon, da es einen milden Richter fand. Ein anderes Mal wurde ein Bübchen zur Rechenschaft gezogen, weil es seinem Lehrer, der es aus dem Strich hatte, seinen NamenKohlrübe" nachgerusen hatte. Der Lehrer sah darin eine Beleidigung, und das gerichtliche Verfahren nahm seinen Lauf.

Ein drittes Mal hatte ein Junge einer alten Frau die Brille gestohlen. Das Ding mit den blanken Gläsem hatte ihm zu sehr in die Augen gestochen, obgleich er selbst keinen Nutzen davon hatte. Trotzdem er rückfällig war und vor­her schon mit acht Jahren eine Uhr stahl, die er aber später selbst, als ihm die Tat leid war, auf dem Fundbureau ab­gab, gelang es, die Berichte so abzufassen und auf eine Art von geistigem Schwindelgefühl hinzuweisen, daß das Verfahren eingestellt wurde. Der Knabe führt sich seitdem tadellos auf.

Unbestraft blieb auch ein Mädchen, das beim Betteln abgefaßt wuü>e, da sich herausstellte, daß tatsächlich eine Notlage oorlag, und die achtköpfige Familie, die fremd am Ort war, hungerte. Und was sagt man dazu, wenn ein achtzehnjähriger Bursche vor das Schwurgericht kommt, weil er eine Birne adpflückte? Zum Glück für ihn sah das Gericht des Vergehen als Mundraub an.

Was ist ein Verweis? Der Laie wird es nicht so schlimm finden, wenn ein Kind einen Verweis erhält, wo man mit ganz anderen Strafen bei der Hand ist. Ein ge­richtlicher Verweis hängt dem Menschen auf Lebenszeit an. Er gilt als vorbestraft, und der Verweis zählt mit unter den anfangs angeführten Ziffern, der bestraften Jugendlichen. Hier ist folgendes Geschichtchen am Platze:

Wegen eines Vergehens war ein Junge zu einem Ver­weis verurteilt, welcher ihm in aller Form Rechtens erteilt wurde. Unser Junge saß aber nach Erledigung der Forma­litäten auf dem Korridor unentwegt. Richter. Rechtsan­wälte, alles verläßt das Gebäude, unser Junge sitzt weiter. Auf die verwunderte Frage einiger Diener, was er denn noch wolle, kommt die verblüffende Antwort:Ick fall noch'n Verwies' hebb'n!"

Ueberhaupt wird man geneigt sein, entgegenzuhalten, daß ein gerichtliches Verfahren nicht so schlimm ist. Dem Kinde wird der Kopf nicht abgerissen. Gewiß nicht; aber wer Zeuge war des Schreckens, der Angst und der Scham solcher Ander, der wird die Flucht in die Oeffentlichkeit verstehen und den Anruf an alle diejenigen, die verantwort­liche Leiter der Jugend sind.

Als Beweis für das Gesagte gilt folgende Notiz aus Grünberg vom 3. Februar 1910:Gestern früh wurde am Bahnkörper bei Kilometer 149,9 die Leiche des 16jäh- rigen Bäckerlehrlings A. Rudolph ausgefunden, der sich aus Furcht vor Strafe am Dienstagabend von einem Zuge über­fahren ließ. Er sollte sich vor dem Schöffengericht wegen Diebstahls verantworten. Der Kopf war vom Rumpfe getrennt und lag etwa 4 Meter von der Unfallstelle ent­fernt."