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Amts- und Anzeigeblatt für den Bezirk <Lalw. 65. Jahrgang.
Erscheint Dienstag, DannerStag »nd SamStag. Die EinrücknngSgebühr beträgt im Bezirk und nächster Umgebung S Psg. di- Zeile, sonst 12 P!g.
Deutsches Reich.
— Dem Frankfurter Journal schreibt man -aus Berlin, 12. März. Zweischneidige Maßregeln gegen die Sozialdemokratie. „Man soll das Kind nicht mit dem Bade ausschütten" — „allzuscharf macht schartig" — das sind zwei gute alte Sprüchwörter, welche uns in den Sinn kommen, ivenn man jetzt die Maßnahmen einzelner Lokalverwaltungen gegen die Sozialdemokraten liest. Vorzüglich die Militär-, Krieger- und Landwehr-Vereine scheinen das Hauptaugenmerk der Lokalbehörden zu bilden. So schließen jetzt sämtliche sächsischen Krieger- Vereine solche Mitglieder aus, welche als der sozialdemokratischen Gesinnung verdächtig erscheinen, und in Hasselfelde, einer kleinen braunschweigischen Harzstadt, richtete der Bürgermeister ein Schreiben -an den dortigen Landwehr-Verein, dem mit Auflösung gedroht wurde, weil, nach der Wahl zum Reichstag u schließen, auch in dem Landwehr-Verein zu Hassel- elde Sozialdemokraten sich befänden. Der Landwehr- Verein erklärte sich denn auch sofort bereit, sozialdemokratische Mitglieder auszustoßen. Man wird uns gewiß nicht der Sympatie mit Herrn Bebel und Genossen beschuldigen, wenn wir ein solches polizeiliches Vorgehen gegen Vereine für durchaus falsch halten. Jedenfalls wird durch solche Maßregeln nur die Verbitterung gesteigert und der Gegensatz zwischen den einzelnen Bevölkerungsklassen vergrößert. Man lasse die sogenannten Socialdenwkraten, d. h. diejenigen, welche für einen sozialdemokratischen Abgeordneten gestimmt haben, nur ruhig in den Kriegervereinen, dort sind sie ganz ungefährlich, ivenn an der Spitze dieser Vereine ein Mann steht, der auch erzieherisch und ethisch auf die Vereinsmitglieder zu wirken versteht. Erhalten die wirklichen Sozialdemokraten die Oberhand in solchen Vereinen, dann wird das sehr bald zu Tage treten und die umstürzlerischen oder revolutionären Bestrebungen können von den Behörden zeitig genug unterdrückt werden. Man könnte diese Ausmerzung der Sozialdemokraten aus den Vereinen fast in eine Linie stellen mit den Ausweisungen der Agitatoren von einem Orte, zum anderen. Sie tragen dadurch den Giftstoff in immer weitere Kreise, während sie, an Ort und Stelle gebannt und genau überwacht, weniger oder gar nicht gefährlich sind. Diese rigorose Unduldsamkeit hat unser Monarch sicher- nicht bewiesen, als er den sozialdemokratischen Arbeiter zu den Sitzungen des Staatsrates heranzog.
Berlin, 12. März. Zur „Reichskanzlerkrisis" schreibt man der „Magdeb. Ztg." von hier: Es ist völlig müßig, auf die verschiedenen sich täglich widersprechenden Gerüchte über die Kanzlerkrisis und was damit zusammenhängt, namentlich auch die dem Reichstage in der Frühjahrssession zu machenden Vorlagen, näher einzugehen. Das Geheimnis darüber wird sehr gut gewahrt und auch in sonst bestunterrichteten Kreisen hört man nur die Versicherung, daß man die näheren Verhältnisse nicht kenne. Wahrscheinlich wissen die maßgebenden und am nächsten dabei interessierten Persönlichkeiten zur Zeit selber noch nicht, wozu sie sich schließlich entscheiden werden. Eine Aenderung der Gesamtverhältnisse im Reich und in Preußen ist wohl über kurz oder lang unausbleiblich. Festhalten kann man vorläufig mit einiger Sicherheit, daß der Kanzler mindestens so lange in seinen bisherigen Befugnissen verbleibt, als die von ihm gebilligte und durch ihn, als den auswärtigen Minister, eingeladene internationale Arbeiterschutz- conferenz in Berlin versammelt sein wird. An sie schließt sich die Reichstagssession, und vor dem Beginn
Samstag, den 15. Mar; 1890.
darf, man vielleicht eine Klärung der Verhältnisse erwarten. Die fast täglichen zwischen dem Kaiser und dem Fürsten Bismarck stattfindenden langen Verhandlungen (wie sie in dieser Häufigkeit und Ausdehnung früher wohl niemals vorgekommen sind), sowie die von der „N. A. Z." mittelbar gegebene Erklärung, daß Fürst Bismarck als Minister zu den „Informationen", welche der Staatsrat dem Kaiser und dem Ministerium gewährt hat, als verantwortlicher Rat der Krone erst noch Stellung zu nehmen hat, beweise zur Genüge, daß die Dinge im Flusse sind und daß man eine Entscheidung, sei es vielleicht nur eine vorläufige in naher Zukunft zu erwarten hat.
Stuttgart, 12. März. DerEntwurf eines Gesetzes, betreffend die Ausführung des Reichsgesetzes über die Jnvaliditäts- und Altersversicherung, ist im Druck erschienen und unterm 4. ds. Mts. vom K. Staatsministerium dem Präsidium des ständischen Ausschusses übergeben. Bekanntlich überträgt das Reichsgssetz selbst der Lcm>sregieruna oder der Landeszentralbehörde in Bezug aus die meisten in Betracht kommenden Punkte die Erlassung der Vollzugsbestimmungen zu dem Reichsgesetz. Einige Bestimmungen sind aber durch das Reichsgesetz nicht dem Verordnungswege überwiesen und da sich dieselben als eine Ergänzung landesgesetzlicher Vorschriften darstellen, ist die Erlassung von Vollzugsbestimmungen durch ein Landesgesetz geboten. Darum wird der in Rede stehende Gesetzentwurf vorgelegt. Derselbe besteht aus 7 Artikeln nebst beigefügten Motiven.
Ausland.
Paris, 11. März. Nachmittags um 4 Uhr versammelten sich die Delegierten der Berliner Konferenz im Ministerium des Aeußern unter Vorsitz des Ministers Spuller behufs Wahl von technischen Delegierten, welche ihnen beigegeben werden. Dieselben nehmen nicht an den Beratungen der Konferenz teil und werden nur den offiziellen Delegierten die nötigen Informationen liefern. Außerdem werden sich die Delegierten heute über verschiedene Konferenzfragen verständigen. Die Delegierten, sowie die beigegebenen Techniker reisen morgen abend ab.
— Nach dem „Echo de Paris" nahmen die Artillerie- und Kavallerie-Kommissionen den klein- kalibrigen Repetierkarabiner an, welcher für sämtliche berittene Truppen geeignet ist. Die Herstellung des Karabiners beginnt Anfang Mai in der Waffenfabrik Saint Etienne.
Brüssel, 11. März. Im vorigen Jahre fand auf der luxemburgischen Eisenbahnlinie bei dem Orte Groenendael ein Unfall statt, welcher vielen Reisenden das Leben kostete, anderen schwere Verletzungen hinzufügte. Die belgische Staatskasse muß jetzt 1,175,000 Fr. als Entschädigung den Angehörigen der Opfer zahlen, weshalb jetzt der Finanzminister die Bewilligung von 1 Million Franks bei der Kammer beantragt hat.
Tages-Reuigkeiten.
Calw. Die ersten Frühlingsboten haben sich zu allgemeiner Freude in unserem Thale gezeigt. Die Staren sind angekommen und verkünden schon in aller Frühe auf den Dächern der Häuser ihr Dasein. Die munteren und geschwätzigen Burschen werden nun hoffentlich wärmes Wetter im Gefolge haben und sich auch als wirkliche Frühlingsverkündiger erweisen.
! LbonnementSprei» vierteljährlich in der Stadt *0 Pfg. und
i 20 Pfg. Trägerlohn, durch die Post bezogen Mk. 1. 15, sonst i» j ganz Württemberg Mk. 1. SS.
— Bei Wiederkehr unserer nützlichen Singvögel möchten wir die Besitzer von Starenhäuschen in Gärten und Häusern darauf aufmerksam machen, daß es sich empfehlen dürfte, diese Häuschen sämtlich einer vollständigen Reinigung und Entleerung zu unterziehen, da die Erfahrung lehrt, daß dieselben vielfach zu Grunde gegangene Vögel enthalten und in diesem Zustande von den Staren nicht bezogen werden.
— Aus dem Eisenbahnsahrplan für den Sommerdienst 1890. Es sollen u. a. folgende Aenderungen des gegenwärtig bestehenden Fahrplans für den Soinmerdienst eintreten:
Horb—Calw—Pforzheim.
Wie im vorigen Sommer soll
1) der Lokalzug Nr. 178a an Werktagen
Calw ab 5°° vorm.
Pforzheim an 6?" „
vom 1. September ab ausgeführt werden und
2) vom 1. Juni bis 31. August Werktags ein S-kalzug
Pforzheim ab 5.°° nachm.
Calw an 6." „
laufen.
Calw—Stuttgart.
Wie im vorigen Sommer soll der Personenzug Nr. 165
Leonberg ab 5."° vorm.
Stuttgart an 5." „
Montags und Dienstags in Calw beginnen und
der Personenzug Nr. 176
Stuttgart ab 9."° nachm.
Leonberg an 10.-° „
Sonntags und Montags bis Calw fortgesetzt iverden.
Obereßlingen, 12. März. Heute früh 5°/« Uhr wurde von dem von Altbach kommenden Güterzug unterhalb des Postens bei der Heusteig ein Mann mittleren Alters überfahren und war sofort tot. Ob Unglücksfall oder Selbstmord vorliegt, sowie die Persönlichkeit des Betreffenden konnte bis jetzt nicht festgestellt werden. Da der Leichnam auf hiesiger Markung gefunden worden ist, wurde er hieher verbracht.
Bronnen, OA. Reutlingen, 11. März. Daß durch unvorsichtiges Spielen mit Zündhölzern und Feuer überhaupt von Kindern manches Unglück an- aerichtet wird, bewies auch neulich wiederum hier ein Fall. Mehrere Kinder vergnügten sich hinter einem größeren Oekonomiegebäude, em sog. „Feuerle" anzumachen, welches schnell um sich griff und wohl größere Dimensionen und damit gräßliches Unglück hätte anrichten können, wenn es den auf das Geschrei der Kinder herbeigeeilten Leuten nach verzweifelten Anstrengungen nicht gelungen wäre, des Feuers Herr zu werden.
Heidenheim, 11. März. Gestern gingen zwei sehr wertvolle Pferde, die schönsten in hiesiger Stadt, ihrem Führer durch und rannten in rasender Eile durch zwei Straßen der Stadt. Dabei hatte das eine das Unglück, daß ihm an einem Hinterfuße die Sehnen abgerissen wurden. Das sehr wertvolle Tier wird wohl getötet werden müssen.
Sontheim, 12. März. Bei der gestern stattgehabten Wahl eines Ortsvorstehers war die Beteiligung eine sehr rege. Es fielen, wie schon kurz gemeldet, auf Stadtschultheißenamtsassistent Götz von Heilbronn 121 Stimmen, auf Zustellungsbeamten Lutz in Mergentheim 102 Stimmen. Möge die Wahl