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Fernsprecher Nr. 29.
87. Jahrgang.
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Echwäb. Landwirt.
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Französische Ungezogenheiten.
Der Haß, die Dummheit und der Chauvinismus vermögen viel.. 3m 20. Jahrhundert muß es sich das deutsche Volk, das reckige, kernige deutsche Volk, von Angehörigen eines langsam sterbenden Nachbarn, den es schon vor vierzig Jahren zu zerschmettern in der Hand gehabt hätte, bieten lassen, daß ihm Zugehörige auf eine Art und Weise brutalisiert werden, für die gar kein Ausdruck gefunden werden kann, um sie gebührend zu brandmarken. Aber, was die Sache besonders bedeutsam macht, das ist der Umstand, daß fast die gesamte französische Presse, jedenfalls die tonangebende, in dem Zwischenfall von Nancy so gar kein Vorkommnis erblickt, das sranzösischcrseits zu bedauern wäre. An den Fingern einer einzigen Hand sind die französischen Zeitungen auszuzählen, die das unverschämte Betragen „gebildeter" Franzosen beurteilen. Und darin, daß Frankreichs Presse diese Dinge bemäntelt und beschönigt, liegt der Beweis für die Behauptung, daß nicht ein herausforderndes Vorgehen der betreffenden Deutschen zu dem Vorfall in Nancy Anlaß gegeben hat, sondern französischer Deutschenhaß, französische Heißblütigkeit. Daß die Deutschen im Theater sich völlig einwandfrei betrugen, bestreitet selbst der „Petit Parisien" nicht. Daß die französischen Studenten in der Wirtschaft, in welcher sie mit den Deutschen zusammentrafen, diese absichtlich zum Streiten zu reizen versuchten, geben sie selbst zu. Sie schrieben aus einen Zettel Heines Worte „Ihr Deutschen seid ein großes Volk, so simpel und so begäbet, man sicht euch wahrhaftig nicht an, dqß ihr das Pulver erfunden habet" und ließen den Zettel mit diesen Worten den Deutschen überreichen. Die Deutschen hätten, sagte einer der vernommenen Studenten, über diesen Zettel gelacht und sich über das schöne Deutsch des Verses gefreut.
— Also: die Herausforderung durch die Franzosen liegt offen zutage. Und wie stellt sich die Presse Frankreichs dazu? Schmählich. Man lese, was „Radikal" schreibt: „Wir sind weit emsernt davon, das Verhalten dieser Stu-
- entm zu billigen, die sich ganz und gor täuschen, wenn sie sich einbilden. Frankreich auf diese Weise zu ehren. Aber aus diesen Mnßstab zurückgeführt, verdient der Zwischenfall nicht einmal, daß man sich weiter daran aushält." — Saubere Ansichten über Anstand, was? Weiter: der „Gaulois": „Wenn in der Haltung einiger angeheiterter Nancyer Nachtschwärmer ein schlechter Geschmack vorlog. so hat man auf der anderen Seite der Grenze in gleicher Weise aus diesem Anlaß unmäßige Nervosität und unhöfliche Erörterung bekundet. Alles in allem, gegeneinander wären wir also quitt." Aber es kommt noch hahnebüchener. Die „Croix", ein führendes Blattt klerikaler Richtung, stellt in 5 Punkten mit scheinheiligem Augenausschiag folgende Moral auf: „1. Die Deutschen, die behaupten, daß sie unsere übermäßige Höflichkeit in dem Zeppelinfall nicht vergkssen würden, kennen sich selbst nicht, denn bei der ersten Gelegenheit entstellen sie die einfachste Tatsache, um uns zu reizen. 2. Die Deutschen find nicht bei uns beliebt, da; wird immer so sein, solange sie uns Elsaß-Lothringen gestohlen haben. 3. Die französischen Studenten sind lebhaft, ein wenig zu lebhaft.
Aus der Eiswüste befreit.
Was der Nordpolfahrer Mikkelsen von seiner Rettung erzählt.
Unter den Expeditionen, die in den letzten Jahrzehnten nach dem Norden aufgebrochen sind, um die noch unbekannten Küsten von Grönland und die Regionen am Nordpol zu erforschen, hat die Expedition des Kapitäns Mikkelsen der im Anfang des Jahres 1909 nach dem Norden mit seinem Schiff „Alabama" abfuhr, wohl den interessantesten und wechieloollsten Verlauf gehabt. Mikkelsen und sein Begleiter Ioersen wurden frühzeitig von der Expedition getrennt und lebten bis zum Juni 1910 in der Einsamkeit vom Eise eingeschlossen ein Robinsonleben. Kapitän Mikkelsen hat nun ein Buch mit dem Titel: „Ein arktischer Robinson" zusammengestellt, das jetzt bei F. A. Brock- Haus in Leipzig mit schönen Illustrationen erschienen ist. Wir entnehmen dcm Buche, das in geschmackvollem Einbande für 10 Mark käuflich ist, die Episode von der Rettung Mikkelsens und seines Begleiters:
Ein Sausen in der Lust weckt uns aus unsem Tagträumen. Es ist eine Schar Lummen, die auf dem Felsen wohnen und jetzt aufs Wasser fliegen-, sie plätschern umher, iroh und zufrieden mit dem Dasein. Wie wir sie beneiden! Die Büchse liegt zwischen uns. Lummen schmecken gut, und es ist doch immer eine Abwechslung, ein wenig zu schießen, Drigens brauchen wir auch Fleisch. Die Lummen müssen sterben und vorsichtig kriechen wir am Strand entlang bis
Ireitag, de« 18. April
4. Es ist klug, künftig jeden Deutschen, der nach Frankreich kommt, mit einer Schutzwand zu umgeben und diese Schutzwand von vier Spezialkommissaren bewachen zu lassen. Es gibt 300000 Deutsche in Frankreich. Das macht 300000 Schutzwände und 1 200 000 Spezialkommissare. Die Kommissare werden im Wettbewerb ausgesucht und der Bau der Schutzwände französischen Industriellen anvertraut. 5. Die Deutschen mögen zu Hause bleiben." Das soll wahrscheinlich geistreich sein, aber der fünfte Punkt stimmt.
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Ein Herr, der am Samstag von Metz aus nach Nancy gefahren war und gleichfalls das „Casino" besuchte — es handelte sich um eine „Matinse", die bereits um 6 Uhr nachmittags zu Ende war — schreibt der „Fkf. Ztg.": Das „Casino" in Nancy ist ein „Tingel-Tangel", von der Well besucht, die sich nicht langweilen will. Unter anderem wird die Zeppelin-Landung in Lunöville in nicht gerade geistreicher Art von einer Chanteuse besungen. Es läßt sich denken, daß der Vorfall zu Glossen benutzt wird, bet denen die Deutscken schlecht wegkommen. Den „Clou" der gegenwärtigen Vorstellungen bildet aber ein chauvinistisches Tendenzstück erster Güte. „Fritz le Ulan" betitelt. Der Held des Stückes ist der Titelträger, der als Elsässer nach dreimonatigem Dienst durch die französischen Fanfaren, die er zu hören glaubt, angelockt, desertiert und in eine französische Festung flüchtet. Dort haben die Wachtposten kurz vorher einen deutschen Spion, der sich als Herr Müller aus Luxemburg ausgibt, gefangen genommen und — ausgerechnet — erkennt Fritz in diesem Müller einen früheren militärischen Vorgesetzten. Bei diesem Zusammentreffen kommt es zu einem Zweikampfe, bei dem der Spion natürlich unterliegt und der brave Deserteur Fritz, auf dem Körper des Unterliegenden knieend. die Gelegenheit wahrnimmt und unter dem frenetischen Applaus der Zuschauer seinem früheren Vorgesetzten ins Gesicht spuckt? Wenn man als Deutscher dieses Stück mit ansehen muß, kann man es nicht verstehen, daß ein aus ollen möglichen Ständen zusammengesetztes Publikum ein derartiges Machwerk sich überhaupt bieten läßt. Es liegt im Interesse der französischen gesitteten Welt, daß sie gegen chauvinistische Hetzereien und Ausschreitungen, wie sie in Nancy sick gezeigt haben, einschreilet. So lange es aber zum guten Ton gehört und als Patriotismus angerechnet wird, diese Hetzereien und die Ausführung solcher Theaterstücke bestehen zu kaffen, wird es zum Schaden der französischen Nation selber sein.
Berlin, 17. April. Herr Teich mann-Ilmenau teilt dem „Berl. Lok -Anz." telegraphisch über die Vorfälle in Nancy mit: Als die Leute uns im Wattesaal bemerkten kamen sie hinzu und sagten: „Ach, da sind noch zwei Deutsche! und traten in den Saal. Hier waren keine Offiziere sondern nur Feldwebel. Man hat mir den Hut vom Kopf geschlagen und ihn zertreten. Daß man mich zwang aus die Knie niederzugehen, ist nicht wahr, sondern man nötigte mich nur, das Militär zu grüßen. Wir haben uns nicht gewehrt, sondern nur wiederholt gefragt, was wir ihnen getan hätten? Darauf hat man nur gesagt, wir wären Deutsche und den Franzosen in Metz gehe es genau so.
an eine Stelle wo wir den Vögeln näher kommen. Allein die kleinen schwarzen Vögel entwaffnen uns, und wir bringen es nicht über uns, sie zu schießen; es ist doch Leben, das wir um uns haben. Wir sitzen auf einen Stein und sprechen von ihnen. Nein, laß sie leben! Sie haben ja Junge droben auf dem Felsen, und diese werden verhungern, wenn wir die Alten schießen, und Hunger ist fürchterlich. Und dann kann es ja auch geschehen, daß heute nacht ein Schiff kommt, da wäre es schade, sie zu schießen. Ja, laß sie bis morgen leben, bis dahin kann sich ja vieles ändern!
Eine gute Tat hat in sich selbst ihren Lohn; denn wir sind fröhlich, als wir dort sitzen und den muntern kleinen Vögeln zuschauen, deren Leben wir geschont haben, und wir empfinden es wie einen Verlust, als sie daoonfliegen. Ja, ja, Ioer, wollen wir nun auch in unsere Kojen gehm? Hier ist doch nichts mehr zu erwarten.
Eine halbe Stunde später liegen wir in unsere» Schlafsäcken. haben einander Gutenacht gesagt und haben die Watte wiederholt: „Du lieber Gott, ob wohl heute nacht ein Schiff kommt?"; diese Worte, die jetzt so viele, viele Male gesagt worden waren. Aber ehe ich einschlafe, streift mein Blick die Wand. Da hängt das Bild der vier Generationen. da hängen die Straßenansichten von Kopenhagen; doch ein kleiner leerer Platz ist dort, den mein Auge vor allem sucht. Dort hing einst eine Ansichtskarte von Frede- riksdal, koloriert, ach, sie war so schön grün; doch ich mußte sie herunternehmen, sie erweckte eine zu starke Sehnsucht. Aber verbrannte ich die Karte auch, den leeren Platz konnte ich nicht verbrennen, und er grinst mir jetzt entgegen, als
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Dann folgte die Menge noch in den Bahnzug nach, wo sich die geschilderten Szenen weiter abspielten.
Der zu den in Nancy beschimpften Deutschen gehörende Berliner Architekt S eg er-Batthold erklärt lt. „Berl. Tagbl." in einem Brief aus Metz: „Man hat uns ins Gesicht geschlagen, die Hüte zerrissen und Schirme und Stöcke zerbrochen. Eine Hilfe war bei den Polizisten und den Bahn- beamten unmöglich, dieselben waren selbst gegen uns und das Schönste ist: das alles ist in einem reichsdeutschen Eisenbahnwagen passiert."
r Paris, 16. April. Aus Nancy wird gemeldet, daß in der von der Regierung angcordneten Untersuchung die Staatsanwaltschaft, -sowie die staatliche und städtische Polizei teilnehmen. Einige der am meisten kompromittierte« Leute seien bekannt. Da jedoch bei den Nancyer Behörden keinerlei Strafanzeige erstattet wurde, so hätten diese bisher keinerlei Grund irgendwie oorzugehen.
Paris, 16. April. Der Generalrat des Rhonedepar- dements sprach infolge des Vorfalles in Nancy einstimmig den Wunsch aus, die Regierung möchte, wenn die z»r öffentlichen Kenntnis gekommenen Berichte sich als zutreffend erweisen sollten, der Wiederholung derartiger Vorkommnisse Vorbeugen oder sie energisch unterdrücken, denn, wenn sie an sich ohne Bedeutung wären, so gäben sie doch zu leidenschaftlichen Erörterungen Anlaß, durch die der internationale Ruf der französischen Höflichkeit geschädigt werden könne.
Paris, 17. Apritt. Das „Journal" bringt die Meldung, daß der Präfekt des Departements Meurihe et Mo- selle, zu dem auch Nancy gehört, eine Rüge erhallen hat, weil er von dem bedauerlichen Vorfälle der Vorgesetzte» Behörde keine Kenntnis gegeben habe.
Paris, 17. April. Im „Journal" gibt der bekannte Schriftsteller Viktor Margueritte, der Verfasser vielgelcsener französischer Kriegsromane, eine Erläuterung zu dem Nancyer Zwischensall. Erjagt u. a.: „Man muß sagen, dieser Vorfall ist Frankreichs unwürdig."
r- Nancy, 17. April. Die Untersuchung des Zwischenfalls ist beendet worden. Staatsral Ogter ist heute nachmittag mit dem Bericht nach Paris zurückgefahren. Die heute vernommenen Zeugen, namentlich Bahnhofsbeamte, wiederholten ihre bereits vorgebrachten Aussagen. Sie erklärten, nicht gesehen zu haben, daß die Deutschen geschlagen worden sind.
Deutscher Reichstag.
Berlin, 16. April. (Schluß.) Reichskanzler oo« Bethmann-Hollweg präzisiert seinen Standpunkt dahi». daß, wenn die Sozialdemokraten gegen die Wehrvorlage protestieren zu müssen glauben, wenn sie es verantworte« können, dann mögen sie es mit sich selber abmachen; aber wenn sie fremde Hilfe holen, so müssen wir ein Veto einlege». Was wir für die Verstärkung unserer Armee tun wollen, darüber wird von Deutschen beschlossen. Der angezogene Fall Sohst ist für S. M. erledigt und deshalb auch für un». Müssen wir uns von der sozialdemokratischen Presse Verhöhnungen unseres Gottesglaubens gefallen taffen? (Lebh.
wolle er sagen: weißt du noch was hier hing? Ich weiß es nur allzu gut; es war eine schlechte Spekulation, als ich die Karte verbrannte, denn der leere Platz lacht mich spöttisch an. Feigling, du wagst «icht an die Zukunft zu denken; du glaubst doch nicht, daß du heimkommst?
Es ist still im Haus; wir beide schlafen. Da erwache ich davon, daß ich draußen eine Kiste Umstürzen höre, und als ich die Augen ausschlage, sehe ich Ioersen mit bloße» Füßen, nur mit einer Islandjacke bekleidet, mit seltsam verwirrten Mienen durchs Zimmer laufen. Ein Bär. denke ich, und gleich bin ich ebenfalls aus dem Sack heraus, greise nach meiner Büchse und laufe nach. Doch kaam auf halbem Wege bleibe ich stehen, erstaunt, »ie versteinert, denn Ioersen hat die Tür erreicht, hat sic aufgestoßen u«d ruft: „Guten Tag. guten Tag! Guter Gott, da ist ein Schiff!" Im Nu bin ich neben meinem treuen Kameraden; ich sehe eine Menge Menschen, ein ganzes Heer, die ganze Fclseninsel.
Ja, was dann geschieht, weiß ich eigentlich nicht recht. Wir ziehen uns notdürftig an; aber es ist ein Loch i« meinem Gedächtnis, und das nächste, dessen ich mich erinnere, ist, daß Ioersen weg ist. und als ich gehe, ihn zu suche», sehe ich ihn auf einer kleinen Felsspitze stehen, sehe ihn die Mütze schwingen und höre ihn rufen: „Da ist ein Schiss, da ist ein Schiff, da ist ein Schiff!"
Und mit ein paar Sätzen bin ich neben ihm. Ja, wirklich, dort draußen, wo wir nie etwas gesehen als Wasser und Eis liegt jetzt ein kleiner norwegischer Dampfer! Wir blicken einander an; die Augen funkeln, es ist schwer, Worte