zufielen, müßten jedem Stuttgarter, welcher seine Stadt liebe, schwer aufs Herz fallen. Siegle gerade sei der Mann, welcher bei der sozialen Frage die Hände nicht in den Schoß lege, sondern für die Arbeiter volles Recht wolle. Bei der Aufstellung dieser Kandidatur waren wir überzeugt, daß wir keinen hingehenderen bekommen konnten, als ihn; er wird auch ferner die Politik der Versöhnung und der bürgerlichen Rechte Hochhalten. Hoch Siegle. Jubelnd stimmte alles in den Ruf ein; begeistert erklang es durch den Saal: „Deutschland, Deutschland über alles." Prof. Dr. Egelhaaf führte aus, daß es ein Augenblick stolzer nationaler Erhebung sei, daß nach heißem Kampf der Sieg wieder an unsere Fahne geknüpft sei dank den treuen Wählern. Wir müssen auch unserer Bundesgenossen gedenken, zunächst der konservativen katholischen Wählerschaft, welche den mannhaften Entschluß gefaßt hat, mit offenem Visir für die nationale Sache einzutreten. Es war ein guter edler Entschluß, möge er eine gute Vorbedeutung sein, daß künftig alle Gutgesinnten fest vereint zusammenstehen; Dank gebühre auch den Demokraten, welche sich entschlossen, auf die Seite der nationalen Sache zu treten. Der Kampf sei mit großer Erbitterung geführt worden; die Arbeiter, welche gegen Siegle gewesen, seien auch deutsche Mitbürger, die heutige Aufgabe sei es zu zeigen, daß der Kandidat nicht gewählt worden sei für eine gewisse Partei, sondern für den ganzen Bezirk. Nicht der Partei wollen wir gedenken, sondern des Vaterlandes. Hoch das teure, alle Söhne umfassende deutsche Vaterland. Nachdem „Die Wacht am Rhein" verklungen, nahm Rechtsanwalt Dr. Stockmayer das Wort, mit lebhaftem Beifall empfangen. Jedem von uns gebühre die Ehre des Sieges. Wenn es auch in Stuttgart gut gegangen und in Deutschland mancher Sitz noch gerettet werden würde, so dürfe man doch nicht verkennen, daß die Lage eine sehr ernste geworden, aber nicht deshalb den Mut sinken lassen. Mögen die Wahlen ausgefallen sein, wie sie wollen, das Ausland hat keine Hoffnung auf innere Zwistigkeiten. In der Stunde der Gefahr werden auch unsere Gegner mit uns verbunden gehen. Neben solchem Bürgergeist dürfen wir' mit Beruhigung auf die Einrichtungen im deutschen Reiche blicken. Diese Einrichtungen, welche eine gedeihliche Entwickelung ermöglicht haben, wollen wir erhalten und Mitarbeiten an ihrer Weiterentwickelung. Diese staatlichen Einrichtungen, der Bürgertumssinn müssen uns die Sicherheit nach außen und innen geben. Der Geist des deutschen Bürgertums hoch! Landrichter Dr. Elsässer erinnerte daran, wie sich der Kaiser an die Spitze der sozialen Bestrebungen stelle; halten wir fest an unserem Kaiser und scharen wir uns um unsere Fürsten, suchen wir Frieden nach innen und außen zu erlangen. Der Kaiser und der König von Württemberg leben hoch! Stehend wurde die Königshymne gesungen. Der letzte Redner, Fabrikant Schied mayer jun., betonte, wie man vor acht Tagen schweren Herzens von hier geschieden sei, aber man sei nicht verzagt, wegen des nationalen Sinnes. Die Handwerker haben uns zur Seite gestanden. Hoch das deutsche, national gesinnte Stuttgart!
Großbottwar, 25. Febr. Am gestrige» Viehmarkt verlor ein Bauer von einem benachbarten Ort seine Brieftasche mit fünf Hundertmarkscheinen. Ein hiesiger Gerber fand dieselbe auf dem Gange in feinem Garten und stellte sie samt Inhalt dem Eigentümer wieder zu. Letzterer forderte nun den Gerber auf, mit ihm in dessen Wohnung zu gehe», allwo er demselben ein ganzes Zweimarkstück alk Finderlohn einhändigte, mit dem Bemerken, eine Mark möchte er ihm aber wieder zurückgeben, auch solle er wegen dieser Belohnung niemand etwas sage».
Ulm, 26. Febr. Gestern nachmittag ging in hiesiger Stadt ein zweifellos geistig gestörter Fremder umher, begab sich in eine Wirtschaft, von welcher aus er von einem Jrrenwärter und der Polizei in das Spita! verbracht wurde. Die Person des Bedauernswerten ist noch nicht festgestellt.
München, 27. Febr. Ein großes Kraft- stück hat der bayerische Herkules, der Steyrer Hans, zur Zeit Gastwirt im „Tutzinger Hof" hier, am letzten Donnerstag geleistet. In Dresden wurde kürzlich behauptet, August der Starte habe ein Hufeisen entzwei brechen können und es entstand über diese Behauptung eine hohe Wette. Der Versuch in mehreren Athletenklubs in Dresden und Berlin mißlang. Auch in München fand sich niemand, der das Kraftstück fertig gebracht Hütte, bis ein dortiger Metzgermeister den Herrn zum Steyrer Hans schickte, der eines der beiden fraglichen Hufeisen entzwei brach.
Aus Rom ans Horn, 27. Febr. schreibt man der N. Z. Z.: Ein erschütternder Unglücksfall . ereignete sich am Dienstag nachmittag in der Nähe von Arbon. Drei junge Männer, zwei Anwohner des Sees und ein St. Galler, unternahmen bei starkem Ostwind auf einein kleinen Segelboot eine Ausfahrt nach Arbon, welches Wagnis sie leider mit dem Leben büßen mußten. Eine unglückliche Beivegung des Bootes mußte ein Umkippen desselben veranlaßt und die Jnsaßen den Wellen preisgegeben haben, gegen welche sie wohl bei der gegenwärtigen Temperatur des Wassers nicht lange anzukümpfen vermochten. Gestern morgen wurde das uingestürzt auf den Wellen treibende Boot, sowie ans Ufer geschwemmte Ruder aufgefunden. Die Leichen sind bis jetzt noch nicht aufgefunden worden.
Mur eiue Mark kostet die Schachtel, enthaltend 50 Pillen, der ächten Apotheker Richard Brandts Schwcizerpillcn in den Apotheken. Selbst bei täglichem Gebrauch reicht eine Schachtel für einen Monat, so daß die Kosten nur wenige Pfennige pro Tag ausmachen. Hieraus geht hervor, daß Bitterwasser, Magentropscn, Salzpastillcn, Ricinusöl und wie die vielen Mittel alle heißen, dem Publikum viel teurer als die ächten Apotheker Mchard Brandt'? Schwcizerpillen zu stehen kommen, dabei werden sie von keinem anderen Mittel in der angenehmen, unschädlichen und sicheren Wirkung bei Magen-, Leber-, Gallen-, Hämorrhoidalleiden ec. re. »betroffen. Man sei stets vorsichtig, die ächten Apotheker Richard Brandt's Schwcizerpillen zu erhallen, da täuschend ähnlich verpackte sogenannte Schweizerpillen sich im Verkehr befinden. Tie auf jeder Schachtel auch quantitativ angegebene» Bestandteile sind: Tilge, Moschusgarbe, Aloe, Absynth, Bitlcrklee, Gcntian.
sie allein und nicht in Begleitung ihrer Eltern oder Angehörigen erscheinen.
* Calw. Der März hat mit seinem Einzug noch nicht den Frühling, sondern sehr kaltes Wetter gebracht; wir befinden uns im strengsten Winter. Am Freitag herrschte ein Schneegestöber, wie wir in diesem Jahr noch keines erlebten. Millionen von Schneeflocken wirbelten durcheinander und machten den Tag zur Dämmerung. Auf der Höhe, namentlich auf der Waldseite, ist ziemlich Schnee gefallen, so daß am gestrigen Sonntag viele Schlitten aus den Landstraßen verkehrten. Das Thermometer zeigte in der Nacht von Freitag auf Samstag 12 und auf Sonntag sogar 14 ° Kälte; dabei streicht ein eisiger Nordwind über das Thal. Die Luft ist klar, der Himmel bei Nacht mit Sternen besät; die Sonnenstrahlen wirken aber schon ziemlich stark und werden daher an den Abhängen der Sommerseite den Schnee bald verdrängen, wie sie auch die Kälte den Tag über wesentlich mildern. Bei den bedeutend gesteigerten Holz- und Kohlenpreisen wird die eingetretene Kälte auch im Haushaltetat unangenehm empfunden. Die Nagold ist an einzelnen Stellen überfroren und wird die Eisfläche schon von Schlittschuhläufern befahren.
Stuttgart, 1. März. Ueber die nationale Versammlung am Wahlabend berichtet die W. Ldztg. folgendes: Festsaal mit Gallerie der Liederhalle war von mehreren tausend Wählern dicht besetzt, welche jede ankommende günstige Wablnachricht mit stürmischem Jubel aufnahmen. Schon gegen 8'/« Uhr konnte der Vorsitzende Gemeinderat Rechtsanwalt Dr. Schall die erfreuliche Mitteilung machen, daß die Wahl Siegles gesichert sei. Im ganzen haben 90 Prozent der Wahlberechtigten abgestimmt. Von 29,807 gültigen Stimmen erhielt Siegle 16,349, Kloß 13,458 Stimmen. Siegle ist somit mit einer Majorität von 2891 Stimmen gewählt. Gegen halb 9 Uhr erschien Siegle im Saal, mit nicht endenwollenden Jubelrufen empfangen. Sofort nahm er das Wort: Nach hartem Kampfe sei der Sieg errungen, manches Unrecht sei ihm im Kampfe zugefügt, er wolle es vergessen, nicht aber die Blühe und Arbeit welche die doppelte Wahl seinen Wählern bereitet abe. Aus der Wahl müsse man die Lehre ziehen, aß die Bemühungen nicht erlahmen dürften, nun mit fortzuarbeiten an den großen Aufgaben. Dieses Mitarbeiten sei für ihn eine heilige Pflicht. Auch die, welche ihn nicht gewählt, könnten versichert sein, daß er im Reichstage nach bestem Wissen und Können auch für diese eintreten würde. Als zweiter Redner nahm Rechtsanwalt Dr. Schall das Wort: Wir stünden am Ende eines Wahlkampfes von einem Umfange und einer Aufregung, wie ihn Stuttgart noch nicht erlebt; es war nicht ein Kampf der beiden bürgerlichen Parteien, sondern ein Kampf, ob Stuttgart durch einen Sozialdemokraten oder ein Mitglied der Ordnungspartei im Reichstage vertreten sein solle. Die überwiegende Mehrheit der Bürger stehe noch auf dem Standpunkt des Bürgertums, man solle sich aber durch den Sieg nicht blenden lassen. Der Stimmenzuwachs der Sozialdemokratie basiere auf Leidenschaft und Verbitterung. Die 10,400 Stimmen, welche im ersten Wahlgange der Sozialdemokratie
unangenehmen Eindrücken, in die erzürnten Worte ausbrach: „Bei Gott, in dieses Weibes Seele wohnte ein Teufel. Sie hat den letzten Streich geführt."
Er bestimmte, die Verstorbene solle ihren Willen haben. Von den Angehörigen ihres Gatten werde sich selbstverständlich keines ihrem letzten Wege anschließen. Daß sich Harald von Anfang an fern gehalten, diente ihm jetzt zur Beruhigung.
„Meinst Du nicht, daß sie es aus Liebe gethan hat?" — flüsterte Edith ihrem Vetter zu, als sie von Isoldens letzter Bestimmung erfuhr.
Er sah sie mit dem Impuls entschiedener Verneinung an. Da er aber ihren ängstlich fragenden Blick gewahrte, erwiederte er mit einem kühlen: „Vielleicht."
Das war ein Wispern, ein Deuten, Fragen und Sichmitteilen. Der Leichnam der jungen Gräfin wurde neben dem Grabe des Forstadjunkten zur Erde bestattet! Hatte sie sich wirklich ein Leid angethan?! —
Man erzählte, daß ihre Mutter in das Schloß gekommen sei, um den Grafen flehentlich um Aufnahme ihres Kindes in die Familiengruft zu bitten. Den Gutsherrn aber hatte sie nicht angetroffen. Der war einem schnell gereiften Entschlüsse folgend, kurz nachdem der Caplan ihn verlassen hatte, zum Aerztekongreß nach Kopenhagen abgereist. Eugen aber zeigte sich hart.
„Sie waren gegenwärtig, als ihre Tochter mir das Versprechen abnahm, im Tode nicht zu den Gliedern unserer Familie gezählt zu werden — und dies Versprechen gedenke ich zu halten."
.Erwägen Sie aber, welch üble Nachrede durch Isoldens Brandmarkung als Selbstmörderin auf Ihren Bruder, auf Sie und Ihr ganzes Geschlecht fällt."
„Wir werden eS zu tragen wissen."
Und es war die öffentliche Meinung merkwürdiger Weise diesmal mild. Isolde hatte so wenig Freunde gehabt, und es war denen von der Tann wirklich eigentlich gar keine Schuld beizumessen.
Bald warm die beiden Gräber im stillen Kirchhofswinkel vergessen. Zuweilen nur sah man einen alten Mann und eine schnell gealterte Frau dort ein Gebet verrichten. — „Hast Du mir wirklich ganz verziehen und das böse Wort zurückge« nommen, Vater?" pflegte dann die Mutter Isoldens zu fragen.
„Du weißt es ja. Alle — laß die Toten ruhen." — Und Herr Ebert ergriff die Hand seiner Frau und leitete sie heimwärts.
* *
Wieder war es Frühling geworden.
Der Winter dieses Jahres schien Edith gar kein Ende nehmen zu wollen, so bald kam er ins Land, so ausdauernd behauptete er sein Regnnent. Oder war es nur ihr eigenes, wechselvolles Wesen, welches der sich pünktlich abwickelnden JayreH- zeit gern vorausgeeilt wäre?
Sie war in diesem Winter nicht über Tannrode hinausgekommen. Die Rücksicht für Harald verlangte, daß inan sich von Tanzunterhaltungen fern hielt — damit entfiel der Hauptzweck eines abermaligen Wiener Aufenthaltes.
„Bei Herren war dies freilich etwas anderes" — wie sie m»t Mißvergnügen wahrnahm. Sie hatte vorausgesetzt, daß auch Eugen sich diesen Winter mit der Beschaulichkeit deS Landlebens begnügen werde. Hierüber aber schienen er und der Papa anderer Ansicht. — „Wir Landedelleute sind es unserem Kreise schuldig, zur Faschingszeit wenigstens von unserem Dasein Kunde zu geben. — „Auf dem Lande verbauert ein junger Gutsbesitzer, wenn er nicht von Zeit zu Zeit ewige Wochen in der großen Welt zubringt" u. s. w.
Was sich der Papa für Mühe gab, Eugens Ausflug zu rechtfertigen, dm doch Niemand anders als selbstverständlich fand — die Großmama und ihr Sohn nämlich . . . Freilich, ihr selbst konnte man es nicht verdenken, daß sie darüber verstimmt war. Die langen, langen Abende an Großmutters Kamin, wo er so regelmäßig erschien, erzählte, plauderte, las, wo sein frisches Lachen sie mitrch, wie würden die nun um so länger werden, und wie eintönig mit Großmama und der Noir, die nur von allen Zeiten sprachen. Und — ja — über den letzten t'üben Ereignissen hatte sie es beinahe vergessen, was ihn hauptsächlich nach der Residenz ziehen mochte. Doch die Sehnsucht nach der Einen, Heimlichgeliebten. Und sie — was in zwei Wintern nicht geschehen war, konnte im dritten geschehen — sie wendete rhm wahrscheinlich ihr Herz zu, und er kehrte vielleicht heim als Verlobter.
(Fortsetzung folgt.)