24.
Amts- und Anzeigeblatt für den Bezirk (Lalw.
65. Jahrgang.
Erscheint Dienstag, Donnerstag und SamStag. Die Einrückangsgebühr beträgt im Bezirk und nächster Umgebung S Pfg. die Zeile, sonst 12 Pfg.
Donnerstag, den 27. Jebruar 1890
Abonnementspreis vierteljährlich in der Stadt >0 Pfg. uud 20 Pfg. Trägerlohn, durch die Post bezogen Mk. 1. 15, sonst i» ganz Württemberg Mk. 1. 35.
Amtliche Wekaimtmachurrge«.
Die Orlsvorsteher
werden aufgefordert, die durch die Reichstagswahl erwachsenen Kosten, soweit sie nach Z 16 des Wahlgesetzes vom 31. Mai 1869 der Staatskasse zur Last fallen, binnen 8 Tagen hieher zu liquidieren. Calw, den 24. Februar 1890.
K. Oberamt. Supper.
Die Ortsuorsteher
derjenigen Gemeinden, in welchen sich Betriebs- (Fabrik-) Krankenkassen und eingeschriebene Hilfskassen befinden, werden daran erinnert, daß die Uebersichten und Rechnungsabschlüsse pro 1889 spätestens bis 1. April d. I. an das Oberamt einzusenden sind. Die Vorlage vor diesem Termin ist erwünscht. Calw, den 25. Februar 1890.
K. Oberamt. Supper.
Aufforderung.
Diejenigen Reservisten, Landwehrmänner, Er- satzreservjsten und ausgebildeten Landsturmpflichtigen zweiten Aufgebots, welche aus Zurückstellung hinter die letzten Jahresklassen ihrer Waffe oder Dienstkategorie wegen häuslicher oder gewerblicher Verhältnisse Anspruch machen, werden aufgefordert, ihre Gesuche innerhalb acht Tagen, spätestens aber vor dem Musterungstermin bei dem Ortsvorsteher ihres dauernden Aufenthaltsorts anzubringen.
Wegen der Behandlung der Gesuche werden die Ortsvorsteher auf Z 122 und 123 der Wehrordnung (Reg.-Bl. von 1889, Nro. 3) und die Ministerial-
verfügung vom 8. April 1876, Ziffer III, (Minist.- A.-Blatt S. 120) hingewiesen.
Calw, den 25. Februar 1890.
K. Oberamt.
» Supper.
Aufforderung.
Diejenigen, welche Ansprüche auf Zurückstellung Militärpflichtiger wegen häuslicher Verhältnisse aus den in ß 32, Z. 2, u—o der Wehrordnung angeführten Gründen erheben wollen, werden aufgefordert, dieselben so zeitig geltend zn machen, daß sie noch vor dem Zusammentritt der zur Entscheidung darüber berufenen Ersatzkommission vollständig erötert werden können.
Die Ortsvorsteher haben solche Gesuche, welche bei ihnen schriftlich eingereicht oder mündlich zu Protokoll erklärt werden können, nach der Ministerial- verfügung vom 8. April 1876 (Min.-A.-Bl. S. 114 ff.) zu behandeln.
Calw, den 25. Februar 1890.
K. Oberamt.
Supper.
Deutsches Keich.
Berlin, 25. Febr. Wolffs Bureau meldet: Offizielle Wahlresultate sind 388 bekannt. Stichwahlen finden 141 statt; gewählt sind: 51 Konservative, 14 von der Reichspartei, 16 Nationalliberale, 91 vom Zentrum, 21 Freisinnige, 20 Sozialisten, 14 Polen, 2 Wilde, 11 Elsäßer, 2 Demokraten, 1 Däne, 3 Welfen, 1 Antisemit. Zur Stichwahl stehen 30 Konservative, 19 von der Reichspartei, 72 Nationalliberale, 20 vom Zentrum, 62 Freisinnige, 54 Sozialisten, 5 Polen, 10 Demokraten, 7 Welfen, 3 Antisemiten.
Berlin. Die „Nat.-Ztg." schreibt: Die Nord. Allg. Ztg. erörterte die Frage: „W as nun?"
in einem Artikel, welcher sehr gelaffen darlegt, die Dinge würden ungefähr so gehen, wie 1884 bis 1887, als eine der demnächstigen ähnliche Mehrheit im Reichstag war, damals verliefen sie bekanntlich so: Windt- horst war der mächtigste Mann des Hauses; so oft es ihm paßte, ließ er die geschätzten deutsch-freisinnigen Bundesgenossen stehen und verständigte sich über die von diesen bekämpften Vorlagen mit der Regierung; im Zusammenhangs damit erfolgte in Preußen der endgiltige Abbruch der kirchenpolitischen Gesetze. In anderen Fällen übernahm Windthorst das Kommando über die nach ihm und Richter und Liebknecht benannte Mehrheit; als dieselbe einen die öffentliche Meinung herausfordernden Beschluß faßte, erfolgte die Auflösung. Daß ein „Sieg" der Deutsch-Freisinnigen, wie der jetzt in den Stichwahlen zu erwartende, in Wahrheit lediglich das Zentrum zum Herrn der Lage machen werde, haben wir während der Wahlbewegung beständig betont. An kirchen- politischem Kompensationsmaterial, welches Windthorst locken kann, fehlt es durchaus noch nicht. Dazu gehört z. B. das Ies uiteng es etz und, da die Reichspolitik nicht ohne Rückwirkung auf die preußische bleiben kann, die preußische Schulgesetzgebung. Die während eines Menschenalters immer wieder gemachte Erfahrung, daß jeder Aufschwung des fortschrittlichen (demokratischen) Liberalismus die liberalen Interessen gefährdete oder schädigte, dürfte sich aberinal wiederholen.
Berlin, 24. Febr. In politischen Kreisen werden lebhaft die Aussichten des ferneren Vorgehens in der So z i a l i st e n f ra g e erörtert, lieber die Absichten der Negierung ist zwar noch nirgends etwas Sicheres bekannt geworden, man hält es aber für undenkbar, daß sie gegenüber dem erschreckenden Anwachsen der Sozialdemokratie, deren bedenklich gesteigerter Siegeszuversicht und der bei mehreren Anlässen zu Tage getretenen Neigung zu Gewaltthaten und Ausschreitungen auf jede besonderen Abwehrmaß-
KeuiUeton.
Wcrch dem Sturme.
Novelle von C. Vollbrecht.
(Fortsetzung.)
Edith war still auf einen Stuhl neben den Sopha gesunken. Ihr Ohr lauschte auf jedes Geräusch. Sie fühlte das starke Klopfen ihres Herzens. Sie hörte, wie ihre Zähne leise aneinander schlugen und sah den Onkel mit hastigen unruhigen Schritten das Gemach durchmeffen. Dann irrte ihr Blick am Fenster vorüber, wo eine Fliege sich tummelte, der Wand entlang, und blieb zerstreut an der Inschrift haften, die über der Thür zu Isoldens Schlafgemach stand:
„Schweig', leid', meid', und vertrag' —
Dein Not niemand klag' —
An Gott nie verzag —
Sein Hilf' kommt all' Tag."
Das Mädchen kehrte zurück. Schon daß ihre gleichmütige Miene den Ausdruck der Verstörtheit angenommen hatte, sagte den Wartenden genug.
„Die gnädige Gräfin muß krank sein," — stammelte sie, aber schon fühlte sie sich von dem Grafen zur Seite geschoben.
Er trat ein in das Schlafgemach. Edith folgte ihm.
Ein rötliches, gedämpftes Licht drang durch die dicht herabgelaffenen Fenster- Gardinen. Es war hinreichend, um alle im Zimmer befindlichen Gegenstände genau erkennen zu lassen. Der Spiegel und die Karaffen der von einer bauschigen Falbel umhüllten Toilette schimmerten in mattem, vergänglichem Glanze. Auf Sesseln und dem Teppich lagen die Kleider, welche Isolde gestern getragen und in augenscheinlicher Hast abgeworfen halte. In dem altmodischen breiten Himmelbett, dessen Vorhänge weit zurückgeschlagen waren — wahrscheinlich hatte dies vorhin die Zofe
gethan — lag die junge Frau. Ihr Antlitz war gerötet, glänzend und gedunsen. Sie schien mit fest geschloffenen Augen in tiefe Betäubung gesunken. Ihre Haut war heiß und als der gräfliche Arzt die Lider der Unglücklichen emporhob, zeigte sich in starrem Glanze die erweiterte rötliche Pupille.
„Oeffnen Sie das Fenster" — befahl der Graf dem zitternden Mädchen, während er den langsamen Puls der Kranken prüfte.
Es gereichte Edith schon zum Tröste, daß sie die junge Frau noch lebend sah.
„Wird sie genesen?" fragte sie ihren Pflegevater, der, während die Kammerjungfer sich dcm Fenster zuwendete, das vermißte, leider jetzt geleerte Fläschchen von dem Nachttisch genommen hatte und in die Tasche schob.
„Wir wollen es hoffen" — war die nicht in zuversichtlichem Ton gesprochen, Antwort. — „Laß sogleich Eugen benachrichtigen. Es muß nach dem Stabsarzt gesendet werden, auch Harald muß den gefährlichen Zustand seiner Frau wissen. — Du — gehe zur Großmutter. Von Dir muß sie den Sachverhalt erfahren — aber mit Vorsicht. — Geh Kind — Du kannst hier nichts nützen. — Schicke mir die Noir."
Edith ging gehorsam. Sie brauchte lange Zeit, ehe sie das Schloß erreichte. ES war ihr wie dem Träumenden, dem in der Absicht, sich vorwärts zu bewegen, die Füße den Dienst versagen.
Fritz hatte seinen Herrn schon unweit des Dorfes getroffen und ihm in Eile die Nachricht von der Erkrankung der Gräfin, soviel ihm davon bekannt war, mitgeteilt. Eugen fand, als er in den Hof einritt, seinen Phaeton bereits bespannt. Er befahl, sein Pferd nicht abzusatteln und schickte den Kutscher mit dem Wagen voraus.
Er wechselte mit seinem Onkel nur wenig Worte. Derselbe raunte ihm ein paar Silben zu, die jenen erbeben ließen und zu verdoppelter Eile antrieben. Der Graf drängte sein eigenes Verlangen nach Aufklärung zurück und sah den Neffen mit Beruhigung davonstürmen. Schon in einer Stunde konnte der Kollege, nach welchem er in diesem schweren Falle verlangte, zur Stelle sein.
Obgleich der Eugens Phaeton und in Begleitung von Isoldens Mutter bald