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Demokratie helfen groß ziehen und vielmehr zur Verstärkung dieser als ihrer eigenen Partei beitragen. Die Leiter der demokratischen Partei erklären auch in neuester Zeit öffentlich, ihre und ihres Anhanges Stimmen lieber einem Sozialdemokraten, als einem reichstreu gesinnten Manne der Mittelparteien zuführen zu wollen. Diese Herren haben die Stirne von ihrem Patriotismus zu reden und scheuen sich nicht des Bekenntnisses, offenen Reichsfeinden und internationalen Umstürzlern zu Sitzen im Reichstage verhelfen zu wollen! Die Stuttgarter Häupter der Volkspartei erniedrigen also sich und ihre Parteigenossen zu der Rolle: Die Fürsprecher und Vorläufer der Sozialdemokratie zu sein und hängen sich, wo es angeht, an deren Rockschösse!
Ob da nicht wenigstens einem Teil der so- enannten freisinnigen Wählern die Einsicht kommt, aß sie irre geleitet werden! Denn daß eine vermeintliche Besserung oder Aenderung in irgend einer Frage oder Richtung mit Hilfe der Sozialdemokratie und deren Staatszersetzenden Lehren erreicht werden soll, wirft doch ein grelles Licht auf die Ziele und Mittel der rechtskundigen Führer der württemberg- ischen Demokraten, die vorgeben, den Wahlkamps gesetzlich zu sichren und gleichzeitig als Bundesgenossen der Umsturzpartei auftreten!
Freilich Aenderungen, recht eingreifende Aender- ungen, namentlich auch in Regierungskreisen, schweben den Herren der Volkspartei auch vor. Es wurde denselben in diesem Blatt schon einmal vorgehalten: daß ihr Ideal, und wenn erreichbar, das Endziel ihres Strebens die republikanische Regierungsform sei! Die Großen der Volkspartei sahen sich jedoch auf diesen Vorhalt zu keinem öffentlichen Bekenntnis mit Ja oder Nein veranlaßt, wie man es von geraden Politikern etwarten kann. So lange aber eine Erklärung hierüber unterbleibt, sind wir auch im Recht, die Führer der Demokratie als Feinde von Kaiser und Reich zu betrachten und zu kennzeichnen!
„Kaiser und Reich", dieses unser Ideal sehen wir herrlich erfüllt! Wir wollen uns aber auch die Freude an demselben nicht durch die Angriffe und Anfeindungen der Demokratie verkümmern lassen. Stark und einflußreich durch seine Einigkeit und seine ausgebildete Wehrkraft, geachtet durch seine Fortschritte auf den Gebieten der Wissenschaft und Kunst, wie durch hervorragende industrielle und gewerbliche Leistungen steht unser Vaterland da. Entschlossen und schlagfertig, aber nicht minder friedfertig sehen wir unfern jungen, thatkräftigen Kaiser Wilhelm II. an der Spitze seines Volkes für dessen Wohl unermüdet wirken! Ihm und des Reiches erfahrenem Kanzler Fürst Bismarck verdanken wir denjenigen Zustand, der das Volkswohl, Handel und Wandel, Unternehmung und Arbeit sichert und hebt, ihnen und ihren Bemühungen verdanken wir die Erhaltung des Friedens!
Und trotzdem haben die Demokraten und ihre Bundesgenossen nur Hemmnisse und oft die widersinnigsten Vorwürfe für unsere Reichsregierung. Die Folgen von Viehseuchen, Mißernten und Unglücksfällen soll die Regierung und die reichstreue Mehrheit im Reichstag verschuldet haben. Die Notwendigkeit einer starken Land- und Seemacht wird bestritten und die Steuerlast als unerträglich geschildert, obgleich
unfern Gegnern wohl bekannt ist, daß unsere Nachbarländer — und besonders Frankreich — für Vermehrung und Ausrüstung ihrer Heere unb Flotten weit größere Opfer bringen und überhaupt höher besteuert sind als wir Deutsche.
Unbestritten, daß auch bei uns nicht alles vollkommen ist, sonst wären wir ja nicht auf der Erde, aber dennoch ivohl uns, daß unser deutsches Vaterland unter einer starken, einheitlichen und zielbewußten Leitung steht und es noch lange Weile hat, daß wir Gefahr laufen, das Staatsruder in die Hände von Reichsfeinden fallen zu sehen. Für unser Ansehen und unfern Schutz — auch den der Arbeit — innerhalb und außerhalb des Reiches, würden böse Zeiten kommen, wenn die Anschauungen der Demokratie durchdringen würden, auf deren Programm höchstens ein Schein-Kaiser, Verminderung der Schlagfertigkeit des Heeres, Aufgeben unserer kolonialen Unternehmungen, überhaupt Sparsamkeit am Unrechten Platz, steht.
Wenn wir aber einen Blick über unsere Grenze und namentlich in das republikanisch regierte Frankreich werfen, so stellt uns dasselbe bis in die neueste Zeit solch' abschreckende und traurige Zustände der Parteiherrschaft und Zerfahrenheit vor Augen, daß wir uns glücklich schätzen dürfen, unsere monarchische und ausreichend freisinnige Verfassung des Reichs und an dessen Spitze unfern Kaiser aus dem mannhaften und pflichtgetreuen Stamme der Hohenzollern zu besitzen!
Dieser Regent und unsere Reichsverfassung garantieren uns ein gut Regiment und auch die gehörige Freiheit. — Ein zügelloses Leben ist kein freies Leben und nach unfern Begriffen heißt frei sein, gut regiert sein!
„Frei sein, heißt gut regiert sein." Die Herren von der Volkspartei wollen aber nicht regiert sein, sondern selbst herrschen! In den Jahren 1868/70 glaubten sie sich der Erfüllung ihrer Träume von Macht und Gewalt nahe; aber der Aufgang des deutschen Vaterlandes und Reiches brachte notwendig den Niedergang der demokratischen Gelüste und Hoffnungen. Jene Enttäuschung war bitter und deshalb standen und stehen sie dem deutschen Reich und seinen Begründern, grollend, feindselig und hemmend gegenüber und deshalb stellen sie in manchen 'Fragen das vermeintliche Parteiinteresse über das Wohl des Vaterlandes.
Was könnte uns auch die Demokratie bieten! Nun, ihre Führer sind Leute von advokatischer Beredsamkeit und zugleich Leute, welche in Folge ihrer Voreingenommenheit und Verbissenheit gegen die Gestaltung unseres Vaterlandes, dem Lauf der Geschicke und Geschichte entgegentreten möchten! Sie, die Führer einer Partei, aus welcher ganz Süddeutschland einen einzigen Vertreter in den letzten Reichstag sandte, bilden sich ein oder thun dergleichen, als ob sie die wahren und einzigen Beschützer des Volkswohls seien. Um diesen Glauben auch einem Teil der Wähler beizubringen, suchen sie vor denselben unsere schönsten Errungenschaften zu verkleinern und herunterzusetzen und die reichstreue Mehrheit des letzten Reichstags hinzustellen, als eine Gesellschaft von Jasagern, die das Volk in seinen Rechten verkürzt und
mit ungerechten Steuern belastet habe. Die Großen der Volkspartei behandeln in ihren Reden und in ihrem Organ, dem Beobachter, die Abgeordneten der Mittelparteien und damit die Mehrheit der württem- bergischen und deutschen Wähler mit einer Ueberheb- ung, Verunglimpfung und Verleumdung, daß jeder besonnene Bürger sich von diesen Strebern abwenden wird, weil ihm das Gebahren dieser Herren zuwider ist und es sich sagen muß, daß deren Versprechungen von Steuerminderung u. s. w., mit denen sie die Wähler gewinnen möchten, doch nur Versprechungen bleiben, die nicht gehalten werden können; denn die Kunst einen Staatshaushalt ohne Einnahmen von Steuern zu führen, ist noch nicht erfunden, so wenig als die demokratischen Volksbeglücker ihren Anhängern sagen können, wie sie ihren Hausstand ohne Ausgaben, für die Bedürfnisse der Familie führen sollen!
Das schnödeste Gebahren der Beobachterspartei, ist aber, wenn sie ihren politischen Gegnern unterschiebt: sie wählen und richten ihre Abstimmungen weniger nach ihrer Ueberzeugung ein, als „„im Aufblick nach Oben'.""
Eine ganz verächtliche Handlungsweise ihrer Parteileitung ist es aber, einer Anzahl Abgeordneter und Wähler vorzuwerfen, sie habe ihre Abstimmungen nicht nach eigener Ueberzeugung, sondern im Ausblick nach Oben, d. h. aus Rücksicht auf Vorgesetzte, eingerichtet oder unterlassen. — Diesen Ausfall machte der Beobachter in einem Artikel über das Ergebnis der letzten Reichstagswahl im Bezirk Neuenbürg, obgleich die siegreichen Wähler der Mittelparteien die unterlegene Partei in keiner Weise herausgefordert oder verhöhnt hatten, wie dies im umgekehrten Fall von Seiten der Demokratie Regel ist. Nun die 2222 reichstreuen Wähler des Bezirks Neuenbürg konnten sich über den Wahlbericht des Beobachters hinwegsetzen; dieses Blatt hat damit nur seinem Anhang geschadet, daß es die Agitationsweise der Demokratie vor die Oeffentlichkeit stellte. Selbstverherrlichung einerseits und andererseits Angriffe ungerechtester Art gegen ihre politischen Gegner, darin sind die Leiter der Volkspartei groß. Der nationalen Partei unterschieben sie Wahlbeeinflussung und gleichzeitig berichten sie ruhmredig aus dem ecgenen Lager: „einen Bezirk durchgearbeitet zu haben, wie noch nie!"
Dies sind die Leistungen der Demokratie und die Bethätigung der Freiheit und Gleichheit mit der sie das Volk beglücken will. Je mehr sie aber Anstrengungen macht in unfern Bezirk einzudringen und je mehrman dabei Gelegenheit hat zu beobachten, was die Führer der Volkspartei sind und was sie nicht sind, um so weniger wird es ihnen gelingen mit ihren Reden und Verheißungen die Wähler einzunehmen. Es wird deshalb auch nur wieder eine Minderheit von Unzufriedenen sein, die den demokratischen Lockrufen Gehör schenkt.
Die Mehrheit unseres Bezirks wird bei der Reichstagswahl ihrer alten Ueberzeugung und nationalen Gesinnung treu bleiben und ihre Stimme wieder einem reichstreuen Manne geben: unserem, im Oktober vorigen Jahres gewählten Abgeordneten
Landgerichtsrat v. (Püttlingen.
— da er sich mit Vorliebe dem Studium der Ohrenkrankheiten hingab — die Hörweite sämtlicher Schulkinder zu prüfen.
Auch Edith verließ ihre Gemächer, in welchen ihre Kammerjungfer noch mit Vorbereitungen für die reizende Toilette beschäftigt war, welche sie in wenig Stunden tragen sollte. Sie freute sich, heute einige Bekannte vom Wiener Fasching wiederzusehen, befreite Zseck aus seiner Klause und mußte einige Zeit still stehen, um die stürmischen Liebkosungen ihres treuen Gefährten über sich ergehen zu lassen. Ms sie dann die Parkthüre verließ, sah sie in der Ferne, doch ihren Augen vollkommen sichtbar, den Forstadjunkten mü Jagdtasche und Gewehr den Waldweg einschlagen, den sie zu gehen beabsichtigt hatte und der zur sogenannten Eremitage, einem Borkenhäuschen, führte.
Um dem ihr unangenehmen Menschen nicht zu begegnen, schlug sie den breiteren Pfad, der dem Saume des Waldes entlang lies, ein. Sie grübelte der seltsamen Abneigung nach, die sie von jeher gegen diesen Mann empfunden hatte. Sie hatte sich stets zwingen müssen, seinen devoten Gruß in schicklicher Weise zu enviedern. Seit jenem unheilvollen Zusammentreffen hatte sie vollkommenen Grund, ihm ihren Widerwillen auch zu zeigen. Sein heutiges Erscheinen hatte — wie jederzeit — die unliebsamste Gedankenverbindung in ihr angeregt. Obgleich sie Isoldens Versprechen Glauben beimaß und keinen neueren Grund hatte, an deren Treue zu zweifelnstand doch in ihr die Ueberzeugung fest, daß Wessenberg Tannrode verlassen müsse.
— Er schien ihre Bedenken zu ahnen. Wie aus der Erde gewachsen stand er vor ihr, als wolle er von seinem Dasein Zeugnis ablegen. Ihre Ausflüge wurden ihr dadurch oft verleidet. — Auch Isolde schloß sich ihr öfter als früher, und öfter als ihr lieb war, zu Spaziergängen an. Niemals kam sie in Worten auf das stattgefundene Ereignis zurück, beide aber fühlten, daß die Erinnerung daran mit ihnen ging.
Mit Schrecken kehrte der Gedanke an Isoldens Hindeutung in Edith wieder. Die Ueberzeugung, ihr heiligstes Fühlen blosgelegt zu wissen, machte sie angesichts Haralds befangen und unsicher. Sie mied seine Nähe, innerlich um sein Glück be
sorgt. Ach — war es nicht des Leides genug für ihn, dort keine Liebe zu finden,
wo er sie voraussetzte — bei seiner Frau?!. Möchte ihm doch jederzeit die
Ahnung dessen verhüllt bleiben, was sie nun für immer befestigt glaubte — Isoldens Untreue.
Ein stampfendes scharrendes Geräusch entzog sie ihrem Sinnen und richtete ihre Aufmerksamkeit der Wirklichkeit zu. Nicht west von ihr, an den Stamm einer Tanne gebunden, stand Dairling und nagte an den Haselstauden, die das niedrige Gestrüpp des Waldrandes bildeten. Zseck umkreiste ihn vergnügt. Haralds Pferd! -Wie kam es hierher — und — wo war sein Reiter?
Eine plötzliche Angst ergriff sie ... . Harald war fest einigen Tagen in der Festung zurückgehalten — diesen Vormittag erwartete man ihn mit Sicherheit doch zu späterer Stunde — was aber führte ihn hierher — in eine dem Herrenhaus ganz entgegenlaufende Richtung?
Edith trat näher und streichelte wie um Auskunft verlangend, des edlen Thieres Hals. Und — ah — da kam er ja wohl. — Sie vernahm durch dm Waldboden gedämpfte, sich nähernde, männliche Schritte. Gespannt hasteten ihre Augen an der Biegung, vor welcher der Wandernde erscheinen mußte — jetzt sah sie ihn. — Es war nicht Harald — es war Eugen.
Sie fühlte sich nicht minder froh bewegt. Sie entbehrte Eugens Gegenwart in neuerer Zeit oft nachdrücklich. Größere bauliche Veränderungen auf den entfernteren Meierhöfen hielten ihn häufig fern, zuweilen schien es ihr auch, als suche er nach Ursachen, um ihre Nähe zu meiden, als sie ihn heute sah, wichen ihre beängstigenden Phantasien dem Sicherheitsgefühl der Wirklichkeit.
„Eugen — Du hier?!'
Er lüstete seinm Hut. — „Sei gegrüßt. Edith" — rief er Hefter und fuhr auf Dairling deutend fort — „ich finde Dich auf derselben Fährte, die 'auch ich
verfolge."
„Harald?"
Er hatte ihren Arm durch den srinigen gezogen. Sie schritten dm nächsten. Holzweg hinan. (Forts, folgt.)