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Amts- und Anzeigeblatt für den Bezirk Lalw.
65. Jahrgang.
Erscheint Dienstag, D-nneiStag und Samtt-g. Di- EinrückungSgebnhr b-trigt im Bezirk und nächster Umgebung S Pfg. die Aeile, sonst 12 Psg.
Dienstag, den 11. Jebruar 1890.
LbsnnementsPreiS vierteljährlich in der Stadt 30 Pfg. uud 20 Pfg. Trägerlohn, durch die Post bezogen Mk. 1. 1 b, sonst i*l ganz Württemberg Mk. 1. 35.
Amtliche Bekanntmachungen.
An die Ortsvorsteher.
Die Amtsvergleichungskostenverzeichnisse pro 1889/90 und die Verzeichnisse des Aufwands der Gemeinden für Geisteskranke und Idioten pro 1889/90 sind getrennt und in doppelter Ausfertigung spätestens bis 10. März d. I. mit den nötigen Belägen an die Oberamtspflege einzusenden.
Von Gemeinden, aus welchen die Verzeichnisse nicht rechzeitig einkommen, wird angenommen, daß sie derartigen Aufwand pro 1889/90 nicht gehabt haben.
Calw, den 10. Februar 1890.
K. Oberamt.
Supper.
Der Kaiser und die Ardeiter.
Berlin, 6. Febr. Der Erlaß des Kaisers über die Verbesserung der Arbeiterlage hat folgenden Wortlaut:
„Der Kaiser hat sich entschlossen, zur Verbesserung der Lage der deutschen Arbeiter die Hand zu bieten, soweit es die Grenzen gestatten, welche seiner Fürsorge durch die Notwendigkeit gezogen werden, die deutsche Industrie aus dem Weltmärkte konkurrenzfähig zu erhalten und dadurch ihre und der Arbeiter Existenz zu sichern. Ein Rückgang der heimischen Betriebe durch Verlust des Absatzes im Auslande würde Unternehmer und Arbeiter brotlos machen. Die m der internationalen Konkurrenz begründeten Schwierigkeiten für eine Verbesserung der Lage unserer Arbeiter lassen sich nur durch internationale Verständigung der an dem Weltmarkt beteiligten
Länder wenn nicht überwinden, so doch abschwächen. Ueberzeugt, daß auch andere Regierungen von dem Wunsche beseelt sind, diese Bestrebungen einer gemeinsamen Prüfung zu unterziehen, will der Kaiser, daß die diesseitigen Gesandten in Frankreich, England Belgien und der Schweiz amtlich anfragen, ob die Regierungen geneigt sind, mit uns behufs einer internationalen Verständigung in Verhandlung zu treten über die Möglichkeit, den Bedürfnissen und Wünschen der Arbeiter entgegenzukommen, welche in den Ausständ'en der letzten Jahre und anderweit zu Tage getreten sind. Sobald die Zustimmung zu dieser Anregung im Prinzip gewonnen ist, wird der Reichskanzler beauftragt, die Kabinette aller Regierungen, welche an der Arbeiterfrage gleichen Anteil nehmen, zu einer Konferenz behufs Beratung der Frage einzuladen."
Ein weiterer Erlaß ähnlichen Sinnes ist an das Arbeitsministerium ergangen. Zu beiden schreibt das „Frkf. Journ.": „Obschon es nach dem gestrigen Mahle beim Reichskanzler nicht dem geringsten Zweifel mehr unterliegen konnte, daß die Inangriffnahme einer Arbeiterschutzgesetzgebung unmittelbar bevorsteht, so haben doch die beiden heute veröffentlichten Erlasse des Kaisers die freudigste Ueberraschung hervorgerufen Was in sozialreformsreundlichen Kreisen vor Allem angenehm berühren mußte, ist die aus zahlreichen Stellen der kaiserlichen Willenskundgebung hervorgehende Gewißheit, daß Wilhelm II. durchtränkt ist von dem modernen Gedanken der vollsten sozialen und rechtlichen Gleichberechtigung des Arbeiters. Die Erlasse bieten, obwohl sie formal betrachtet nur Vorbereitungsarbeiten anordnen, thatsächlich ein ausgereiftes sozialreformatorisches Programm, in welchem eine weise Besorgnis um die Erhaltung der Arbeitsgelegenheiten dem energischen Bestreben nach wirtschaftlicher und sittlicher Hebung des Arbeiterstandes
die Wage hält. Das Verlangen nach einer internationalen Fabrikgesetzgebung, gesprochen von dem deutschen Kaiser, muß und wird auf die Völker und Regierungen eine Wirkung ausüben, die es, ausgegangen von einem kleinen, in vieler Hinsicht einzig gearteten Lande, nicht erzielen konnte. Daß Frankreich an der Spitze der Länder steht, mit denen Unterhandlungen eingeleitet werden sollen, kann keinen andem, als einen günstigen Eindruck Hervorbringen. So befestigt das Walten des Kaisers, indem es dem inneren Frieden dient, zugleich den Frieden nach außen. — Das „Berliner Tageblatt" bemerkt: Eines aber können wir mit Genugthuung von Europa verzeichnen: Deutschland stellt sich mit dieser Kundgebung seines Herrschers an die Spitze der neuen und wahren Zivilisation. — Die „Germania" schreibt: Gott sei Lob und Dank, was so notwendig und dringend war an sich und zur Beschwörung der höchsten Gefahr» es ist jetzt in fester Hand.
Zur Reichstagsrtmhl.
(Correspdz. im Enzthäler.)
Die Wahlbewegung kommt in Fluß und es ist an der Zeit, daß wir unsere Gegner näher betrachten ! Unser schlimmster Widersacher ist die Sozialdemokratie. Sie verlangt den Umsturz alles Bestehenden, der Monarchie, des Staats und des Besitzstandes ; sie strebt nach vollständiger Umwälzung der bestehenden gesellschaftlichen Ordnung, woraus nur anarchistische Zustände, als Unordnung, Elend und Verderben entstehen könnten.
Den Führern der Volkspartei machen wir zum Vorwurf, daß sie durch ihr Verhalten und ihre Angriffe gegen die bestehende Regierung und Ordnung und durch systematische Erregung von Unzufriedenheit, namentlich unter dem Arbeiterstand, die Sozial-
JeuiUeton.
Nachdruck rösten.
Hlcrch dem Sturme.
Plötzlich vernahm sie hinter sich rauschende Schritte. Ein heißer Atem be rührte ihr Ohr. Ihre Hand ward ergriffen.
„Edith!" — flehte Isolde — sie hatte die störrische Miene gänzlich aufgegeber — „schone Paul Wefsenberg."
Novelle von C. Voll brecht.
(Fortsetzung.)
Das junge Mädchen verharrte unbeweglich. Nur einen Augenblick war sie zusammengeschauert wie unter der Berührung einer eiskalten Hand, dann fühlte sie das warme Mitgefühl mit dem heimlichen Leiden dieser Frau einem gerechten Zümen weichen. Isoldens brutale Art, ihr mit dem zu drohen, was sie mit der Schlauheit des minder begabten, auf niederer Stufe stehenden Intellektes erlauscht haben mochte, zeigte ihr die ungleichen Waffen, mit der sie dieser Frau gegenüberstand. Dieselbe würde nur dem Zwang, niemals der Stimme ihres inneren Richters folgen.
Doch auch Isolde war erschrocken. Was hatte sie ausgesprochen. Eine vage Vermutung, die jeder Begründung entbehrte, die, selbst wenn sie sich bewährte, Edith nicht herabsetzte — nach der sie einzig im Begehr der Selbsthilfe gegriffen. Sie fürchtete sich aufzusehen; erst als Edith unvermutet aufstand, wagte sie scheu die Augen zu erheben. Sie begegnete einem stolzen Blick und der Zug jungfräulicher Hoheit, den sie dabei im Antlitz des jungen Mädchens wahrnahm, flößte ihr plötzlich eine zitternde Angst ein.
„Edith!" — rief sie — „Du gehst?!"
„Ich gehe" — sagte das junge Mädchen mit Entschiedenheit — „doch bemerke ich Dir Eines: Finde ich Dich noch einmal mit dem Diener meines Onkels im Gespräch — und ich werde genau Umschau halten — dann entdecke ich diesem Alles und noch denselben Tag erhält der Adjunkt seine Entlassung, die er heute schon verdiente."
„Edith!"
Die Gerufene wendete sich nicht mehr zurück. Sie schritt, von Zseck gefolgt, den Waldweg hinab, den sie heraufgekommen.
„Wenn Du mir gelobst, diesen unwürdigen Verkehr abzubrechen."
„Ich gelobe es. Hier meine Hand."
Edith faßte dieselbe mit Ernst. — „Ich werde schweigen" — sagte sie schlicht. Dann, als sie sah, daß Isolde Miene machte, sie auf dem Heimweg zu begleiten, fügte sie hinzu: „doch bitte ich Dich, laß mich allein nach Hause gehen, nur so finde ich Sammlung, der Großmutter, dem Onkel später mit äußerer Ruhe entgegenzutreten."
Fügsam schlug Isolde einen Seitenweg ein.
* *
*
Der Geburtstag der alten Gräfin fiel in die Rosenzeit. Zu demselben pflegte der Adel der Nachbarschaft sich im Tannroder Schloß einzustellen. In diesem Jahre hatte Graf von der Tann besonders viele Einladungen ergehen lasten, da er dem fünfundfiebzigsten Geburtstag seiner Mutter einen besonderen Glanz zu geben beabsichtigte.
Ein köstlicher, taufrischer Morgen versprach einen herrlichen Tag. In den oberen Regionen des Schlaffes herrschte vollkommene Stille, da die Gräfin sich einige Stunden der Ruhe ausbedungen hatte — „um später desto munterer zu sein" — wie sie sagte. Um so lebhafter ging es in den Räumen des Parterre und Souterrains zu. Alle Thüren waren geöffnet. Diener eilten mit Tafelgeschirr, mit Damastgedecken, Silbergerät und Krystallgefäßen durch die Halle. Mit geschickter Hand ordnete der Gärtner blühenden Schmuck in Vasen und Jardinisren, Gärtnerburschen trugen die üppigsten Blattgewächse des Treibhauses herbei, leere Zimmerecken und den breiten Treppenaufgang durch sie in freundliches Grün zu hüllen. Mit fliegenden Haubenbändern hielt Demoiselle Noir Umschau in Speisekammern und Gesell- schastSräumen. Graf von der Tann war in'S Dorf gegangen, um im Schulhause