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Amts- und Anzeigeblatt für den Bezirk Lalw.
65. Jahrgang.
Erscheint Dienstag, Donnerstag und SamStag. Die Einrücknngsgebiihr betrüg« im Bezirk »nd nächster Umgebung S Pfg. di- Zeile, sonst IS Plg-
Samstag» den 25. Januar 1890. ^
LbonnementSpreiS vierteljährlich in der Stadt SO Pfg. u«d 20 Pfg. Lrägerlohn. durch die Post bezogen Ml. 1. IS. sonst i, ganz Württemberg Mk. 1. 3S.
Tages-Neuigkeiten.
Calw, 24. Januar. In vergangener Nacht, etwa um 2 Uhr, wurde im Laden von Hrn. Gold- und Silberarbeiter Harr hier eingebrochen. Der Dieb hatte die durch einen Eisenstab geschlossenen Ladenhälften mit einem Reisprügel unten auseinandergesperrt und einen Stein dazwischen gesteckt, worauf es ihm möglich war die Scheibe einzudrücken und verschiedene Gegenstände, wie Uhrketten, Ringe rc., im Gesamtbetrag von ca. 600 herauszunehmen. Der Dieb wurde bei seiner Arbeit durch den fürchterlichen Sturm begünstigt, welcher in verflossener Nacht alles, was nicht niet- nnd nagelfest war, hin- und her- oder herabwarf. In der Nachbarschaft habe man das Eindrücken der Fensterscheibe gehört, man glaubte jedoch, daß der Sturm etwas zertrümmert hätte. Einige .Ringe lagen am Morgen noch auf der Straße und scheint der Dieb schließlich Eile gehabt zu haben.
Zunz^.V aih inge r Eisenbahnunglück. Strafkammer. Stuttgart, 22. Jan. Heute Vormittag begann die Verhandlung gegen die 5 Angeklagten. Dieselben sind: Locomotivführer Wiedmann von Essingen, OA. Aalen, Äug. Lang, Betriebsoberinspektor in Stuttgart, tit. Finanzrat, G. I. Schwenninger, Bahnhofverwalter in Vai- hingen a. F., I. Degenfelder, Bahnwärter am Posten Nro. 15, Gottlieb Grieb, Hilfsbahnwärter am Posten 14. Die Anklage geht dahin, die Beschuldigten haben fahrlässigerweise und unter Hintenansetzung der ihnen infolge ihres Amtes obliegenden Pflichten den Tod von acht Personen verursacht, indem Wiedmann trotz der Mitteilung über die Älarmierung mit seiner Maschine weiter fuhr und Schwenninger den Zug 222 vom Bahnhof Vaihingen abfahren ließ, trotzdem er über das Freisein der Bahn Zweifel hatte.
und ohne auf seine Anfrage in Hasenberg, betr. Freisein der Bahn, die Antwort abzuwarten; Lang gab trotz der Bedenken, welche Schwenninger gegen ihn äußerte, die Genehmigung zur Abfahrt des Zuges; Degenfelder und Grieb aber, trotz des ihnen bekannten Alarmsignals, hielten den Zug 222 nicht auf, und verschuldeten mit einander, daß Zug 222 und die Schiebmaschine zwischen Posten 13 und 14 auf Both- nanger Markung aufeinander stießen, und daß infolge dessen die acht Personen verunglückten und starben. Weiter haben die Beschuldigten durch ein und dieselbe Handlung den Eisenbahntransport in Gefahr gesetzt und hiedurch den Tod von Menschen, sowie ferner die körperliche Verletzung von 63 Personen verursacht.
Finanzrat Lang giebt an: Auf einer Diensttour begriffen habe er schon in Stuttgart die Verspätung gerügt und die Äusrüstung des Zugs 223s. als unzulässig erklärt. Der Zug fuhr langsam und wurde auf seine Zustimmung die Schiebmaschme weiter mitgenommen. In Wildbergstation sollte laut Vereinbarung zwischen Zugmeister und Personal nicht gehalten werden, was Lang gehört hat. Die Schiebmaschine konnte ohne Abkuppelung zurückbleiben. Dennoch hielt der Zug auf der Wildparkstation, weshalb Lang ärgerlich ausstieg und zum Schaffner äußerte, daß nun der Zug schwer ansahren könne und die Schiebmaschine sei auch nicht mehr da. Lang sah von derselben nur noch den Rauch. Er habe bei der Bemerkung nach derselben auch vielleicht mit dem Arm gezeigt. Dieses Zeichen scheine mißverstanden worden zu sein. Bei der Einfahrt in Vaihingen bemerkte er, daß Zug 222 sich noch nicht zur Abfahrt anschicke, er trat deshalb auf den Perron und sah nach dem Stationsvorstand, dort stand niemand, als Zugmeister Schenk, er fragte diesen: „Wo fehlt's? Warum fährt man nicht ab? Schenk sagte, Stationsvorstand Schwenninger hätte ihn warten lassen. Da trat Schwen
ninger im Zivilanzug mit der roten Mütze auf dem Kopfe heraus, grüßte stumm und nahm den Fahrbericht Schenk aus der Hand, machte den Eintrag (11 Uhr 27) und übergab den Fahrbericht mit den Worten: „Sie können abfahren." Während oder kaum nach diesen Worten sagte Lang „So kann Zug 222 nun fort, das ist recht, lassen Sie ihn hinaus, er hat ja schon '/- Stunde Verspätung." Nach diesen Worten meldete sich Schenk ab; Lang stieg wieder ein; Zug 223s setzte sich auch bald in Bewegung; während des Fahrens trat Schwenninger ein; er meldete sich, er fahre zu einer Beerdigung nach Böblingen. Es entspann stch nun folgendes Gespräch. Schwenninger sagte: Soeben habe er mit dem Wildparkwärter ein telefonisches Gespräch gehabt, das sei eine schlechte Einrichtung; er habe gar nicht verstanden, was er wolle. Er habe bloß etwas von einer Schiebmaschine verstanden, was Lang in Erstaunen versetzt habe. Schwenninger fuhr fort, daß er nach dem Hasenberg telegrafiert habe, aber die Antwort nicht abgewartet habe. Lang verwunderte sich darüber sehr und sagte: „So, das haben Sie nicht abgewartet!" worauf Schwenninger sich entschuldigend sagte: „Ich hatte schon Kenntnis, daß die Schiebmaschine in Hasenberg eingetroffen sei." Diese Antwort habe Lang beruhigt. — Schwenninger, Bahnhofvorstand in Vaihingen sagt aus, Zug 222 sei rechtzeitig in Vaihingen eingetroffen; kurz nachher habe Wildparkwärter Hirning angeläutet; dessen Telefon geht nach Vaihingen, aber man kann nicht in Wildpark anrusen. Hirning sei stets schwer verständlich gewesen, selten sei er richtig verstanden worden. Die Einrichtungen seien überhaupt schlecht in Vaihingen. Er habe zunächst nur ein Gemurmel verstanden; dann habe er gehört: „Zug 223» bei mir ab." Er habe dann gefragt: „Also Zug 223s bei Ihnen ab?" Die Antwort lautete „Ja", worauf er „recht" erwiderte. Damit war die An-
Deuilleton. «°ch»ru-
Mcrch dem Sturme.
Novelle von C. Vollbrecht.
(Fortsetzung.)
Er nahm sich vor, diese Frau, die ihm so wenig sympatisch war, der künftigen eigenen Häuslichkeit möglichst fern zu halten. Dann würde Isolde jene Höhe erreichen, zu welcher er sie emporzuheben wünschte. Abgestreiit mußte werden, was "seiner Liebe selbst zu bemänteln nicht gelang. — Edith, auch die Großmutter würden dazu unbewußt beitragen.
Eine paffende, nicht große, aber elegante Wohnung war in der kleinen Festungsstadt gefunden worden. Sie dem künftigen vornehmen Stand der Tochter entsprechend, so stylvoll als möglich einzurichten, war Frau Ebert's rastloses Streben.
Jsolden's Vater, der sich lange nicht in den Gedanken einzuleben vermochte, Schwiegervater eines Grafen zu werden, fühlte sich endlich doch geschmeichelt, und fetzte eine Ehre darein, sein erspartes Geld für die Ausstattung herzugeben.
So nahte der Trauungstag heran. Denselben in aller Stille zu begehen befahl die Klugheit. Nur Ms diese Weise würde das Fernbleiben von Haralds Anverwandten lästigen Lästerzungen weniger Stoff zu übler Nachrede bieten.
Hierin stimmte Harald, wenn auch aus anderen Ursachen, mit Frau Ebert -vollkommen überein. Eugen hatte sein Erscheinen als Zeuge und Brautführer zugesagt. Nach der kirchlichen Feier beabsichtigte das junge Paar eine kleine Reise in das Salzkammergut anzutreten, zu welcher Harald bereits Urlaub erhalten hatte.
Es war am Nachmittage nach der stattgefundenen Trauung. Eugen hatte unmittelbar nach derselben das junge Paar in seinem Phaeton zur Bahn gebracht und war dann nach Tannrode zurückgekehrt.
Der Gedanke an Edith hatte ihn heute noch nicht verlassen. Er begleitete ihn auch jetzt, da er von der Dorfsrite her das Schloß betrat.
Unter der GlaSthür, welche auS dem Gartensaal nach der Terrasse führte.
blieb er stehen. Unwett von ihm, auf der untersten der Stufen, welche in dm Park führten, saß Edith.
Sie hatte ihn, dessen Tritte die weichen Matten aufnahmen, welche daS Steimnosaik bedeckten, nicht kommen hören. Sie lag mehr als sie saß und hatte den feinen Kopf auf den auf Her obern Stufe ruhenden Arm gestützt. Mit zu Boden gesenkten Augen schien sie dem Bewußtsein für die Außenwelt entrückt zu sein. Obgleich ihr Äntlitz in vollkommener Ruhe verharrte, lag doch in ihrer unbeweglichen Haltung, in der Stille um sie und der Versunkenheit ihres Wesens ei» Zug tiefer Traurigkeit.
So empfand Eugm und tiefes Mitleid für die heimlich Geliebte ergriff ihn. Jene geheimnisvolle Wirkung des Blicke», welche dm Schlafenden erwachen, dm Sichbewußten ein Gefühl der Beängstigung empfinden läßt — ließ Edüh plötzlich emporschauen.
Sie wechselte jäh die Farbe. — „Du bist schon zurück, Eugm?" — fragte sie, sich schnell erhebend und ihre Hand in seine dargebotene Rechte legend.
„Schon vor einer Stunde. Harald und Isolde trugen mir die. herzlichsten Grüße an Dich auf."
„Danke" — sagte sie, zerstreut in den Park blickend und nach wetteren Worten suchend. — Sind sie abgereist?"
„Zur festgesetzten Stunde."
„Sie — Isolde — war wohl eine sehr schöne Braut?"
„Ja, Mühmchen. — Keine Spur von Thränm oder innerer Bewegung beeinträchtigten, wie so oft bei Bräuten, ihr« tadellose Schönheit."
Sie sah schnell auf in sein Antlitz. Lag ein Vorwurf in seinen Worten?
„Und sie wird Harald beglücken" — sagte sie, nicht im Ton einer Fragen sondern als Ausdruck ihrer eigenen Meinung. Dabei zitterten ihre Lippen."
Er schwieg.!
Ein Windstoß fuhr um die Ecke de» Schlosses, wirbelte eine Wolke feine» I Staube« empor und fächelte Ediths Kleid und Haar. Sie schauerte leicht in sich I zusammen.