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Amts- und Anzeigeblatt für den Bezirk Lalw.
65. Jahrgang.
Erscheint Dien ö ta g , Donnerstag und Samstag. Die EinrückangSgebuhr beträgt im Bezirk und nächster Um- «ebung S Psg- di- Zeile, sonst 12 Psg.
Donnerstag, den 9. Januar 1890
AbonnementSpreiS vierteljährlich in der Stadt 90 Psg. und 20 Pfg. Trägerlohn, durch die Post bezogen Mk. l. 15, sonst i» ganz Württemberg Mk. 1. 35.
Deutsches Reich.
Berlin, 6. Jan. Die Kaiserin Augusta chatte in Folge des gestern abend wieder eingetretenen Fiebers eine unruhige Nacht ohne erquickenden Schlaf. Der Krankheitsverlauf ist indessen dem Charakter der Influenza entsprechend; die Kräfte erhalten sich auf .noch ausreichender Höhe.
Berlin, 7. Jan. Nachdem Kaiserin Augusta wenn auch mit Unterbrechung geschlafen, traten seit heute früh 3 Uhr stärkere Behinderungen der Atmung durch Erschwerung des Auswurfs auf. Die Kräfte gehen in besorgniserregender Weise zurück.
Berlin, 7. Jan. Der leider hoffnungslose Zustand der Kaiserin Augüsta begegnet der schmerzlichsten Teilnahme. Das Kaiserpaar und die allerhöchsten Herrschaften begaben sich in der frühesten Morgenstunde ans Krankenlager. Jetzt noch weilen dort das Kaiserpaar und die badischen Herrschaften, sowie Hofprediger Koegel. Koegel wird die auf 1 Uhr angesetzte Leichenfeier für Patow nicht ab.halten. Das Palais der Kaiserin Augusta umsteht eine große teilnahmsvolle Menschenmenge.
Berlin, 7. Jan., 4Uhr 30Min. nachm. Ihre Majestät die Kaiserin Witwe Augusta ist soeben verschieden.
— Die Trauerbotschaft von dem Hingang der Kaiserin-Witwe Augusta wird das deutsche Volk aufs schmerzlichste berühren. Die 78jährige Lebensgefährtin Kaiser Wilhelms I., mit der er jung und alt gewesen, mit der er noch die goldene Hochzeit feiern durfte, in deren Hand die seinige erkaltet ist, stellte für jeden Deutschen in ihrer Person das teuerste Andenken an den großen, verehrten Mann und an die große Zeit dar, deren Sorgen und deren Glück das hohe Paar geteilt hat. „An Königin Augusta
in Berlin" waren die stolzesten Siegesbotschaften aus dem Felde gerichtet; an der Spitze der Vereine zur Pflege der wunden und kranken Krieger in den Jahren der Kämpfe stand die königliche Frau. In dem Hause unter den Linden mit dem geschichtlichen Eckfenster war das Leben aus hochberühmten Zeiten noch nicht ganz erloschen, so lange die kaiserliche Witwe dort waltete. Nun hat die edle Dulderin, die auch dem einzigen Sohne, dem Kaiser mit dem unendlich traurigen Geschick, ins Grab Nachsehen mußte, die müden Augen geschlossen. Vor Jahren von schweren Leiden durch eine Operation halb geheilt, hat sie die Gebrechlichkeit der menschlichen Natur schwer an sich erfahren müssen. Aber unter körperlicher Pein und Schwäche hörte ihr reger Geist im Verein mit dem mildesten Herzen nicht auf, Gutes zu wirken. Sie war aus erwähltem Geschlechts: die Enkelin Karl Augusts von Weimar, die Tochter Karl Friedrichs, den Herder erzogen, und der trefflichen Maria Paulowna von Rußland, ihre Jugend fiel noch in Goethes Tage, und man weiß, wie der Dichterfürst sich freute, als die schönen ritterlichen Prinzen aus Berlin um die" Weimarischen Töchter freiten, zuerst Prinz Karl um Maria, dann Wilhelm um Augusta. Prinz Karl und seine Gemahlin sind nicht mehr; Augustas Bruder, Großherzog Karl Alexander von Weimar, überlebt seine Schwester. — Augusta war am 30. Sept. 1811 geboren, am 11. Juni 1829 fand ihre Vermählung mit dem Prinzen Wilhelm statt. An jenem 9. März 1888, der Deutschland und die ganze Welt in Trauer versetzte, war sie Witwe geworden. Nun sind Wilhelm und Augusta im Tode vereint. Schw. M.
— Der Bundesrat nimmt seine Arbeiten gleichzeitig mit dem Reichstag auf. Die Ausschußberatungen beginnen am Mittwoch und die Plenarsitzungen am Donnerstag. Die zu erledigenden Angelegenheiten werden sich einstweilen, abgesehen von
dem Landeshaushalt für Elsaß-Lothringen, in der Hauptsache nur auf Verwaltungssachen beziehen.
— Fürst Bismarck ist, wie die „Köln. Zeitung" hört, wegen der Gesundheit seiner Gemahlin äußerst besorgt. Seine Rückkehr nach Berlin, die schon in den nächsten Tagen erfolgen sollte, ist bis zur Genesung der Fürstin verschoben worden.
Berlin, 6. Jan. Das Emin Pascha-Komitö erhielt ein Telegramm von Clements Denhardt aus Sansibar, er habe in Lamu neuerdings Briefe von Dr. Peters für das Komitö erhalten. Peters sei unterwegs von Kenia zum Baringsee.
Ausland.
Brüssel, 8. Jan. Eine Versammlung, woran 4000 Bergleute teilnahmen, beschloß die Fortsetzung des Streiks.
Brüssel, 7. Jan. In der verflossenen Nacht ist das „ThsLtre de la Bourse", eines der schönsten Theater Brüssels, vollständig niedergebrannt. Der Brand entstand um 3 Uhr Morgens unterhalb der Bühne in Folge einer Explosion der elektrischen Be- leuchtungsmaschme. In wenigen Minuten stand der ganze innere Theaterraum in Hellen Flammen, welche sämtliche Decorationen und Costüme verzehrten. Die Feuerwehr traf zu spät ein, da der Alarm erst gegen 4 Uhr geschlagen wurde. Aus den bedrohten umliegenden Häusern flüchteten 300 Bewohner halb nackt auf die Straße, der Theaterportier wurde samt Frau und Kindern halb erstickt ins Freie gebracht. Der Schaden beträgt mehrere Millionen, lieber 300 Angestellte des Theaters sind brodlos.
Rom, 6. Jan. Die Kaiserin Friedrich und die Prinzessinnen-Töchter besuchten am Sonntag nachmittag die Kunstsammlung des Baron Baracos. Die Kaiserin war auf dem ganzen Wege, namentlich
Deuttleton. ^- 0 »
Wcrch dem Sturme.
Novelle von C. Lollb recht.
(Fortsetzung.)
Sie legte jetzt ihre Hand auf das Blatt, welches Demoiselle Noir umzuwenden im Begriff war, und sagte zu der Aufblickenden: Silentium, liebe Heloise. Es fehlt mir an der Sammlung, zuzuhören. Was Sie mir da von dem Harald erzählt haben, giebt mir zu denken. Aber — richten Sie sich die Haartour nach rechts — sie sitzt schief."
Die Demoiselle war schleunigst bemüht, der Aufforderung Folge zu leisten- Dlks beifällige Nicken ihrer Gebieterin sagte ihr, daß der Scheitel nun seinen legitimen Sitz auf der Mitte des Kopfe» eingenommen habe.
„Llon Dien!" — ries sie dann mit der Lebhaftigkeit der Französin, wann hätte man dergleichen nicht von jungen Cavaliere» vernommen. Ich war thöricht, Madame la Comtesse, das Babillement der Schneiderin zu erzählen. Die Noir ist eine Plaudertasche, die von allem sprechen muh."
Die Gräfin schüttelte den Kopf und lächelte. — „Was dies anbelangt, liebe Heloise, so wissen Sie wohl, daß ich Ihr zweites Gewissen bin und es Ihnen ganz unmöglich ist, mir etwas zu verheimlichen."
„Vraisment!" — nickte Demoiselle Noir.
„Was Sie mir aber da von Cavalieren sagen, das lasse ich nicht gelten. Ich liebe nicht, daß die „von der Tann" Anlaß zum Gerede geben und an jedem Gerede ist ein Körnchen Wahrheit. Haben Sie etwas Näheres über das Mädchen erfahren?"
„Nichts weiter, als was ich Madame la Comtesse bereüs erzählte" — erwiderte Lie Noir, die eine Stickerei ergriffen hatte und eben die Nadel einfädelte — „daß
die Demoiselle Ebert ein sehr schönes und auch sehr eitles Mädchen sei und die Mutter sehr hoch mit ihr hinaus wolle."
„Der Apfel fällt nicht weit vom Stamme" — rief die Gräfin und wendete ihre Aufmerksamkeit dann dem Parke zu, in dessen Gesichtskreise Eugen mit Edith erschien — „doch, sehen Sie, meine Gute, dort kommen die Kinder. Bitte — sorgen Sie für ein erfrischende» Getränk und einen Imbiß für meinen Enkelfohn. Wie heiter die Kleine aussieht."
Sie nickte den Näherkommenden freundlich entgegen, die eben die Stufen der Terrasse emporstiegen.
„Großmama, Harald kommt heute," rief Edith lebhaft — „Eugen sah ihn gestern."
„So?" — sagte die Dame, nicht so enthusiastisch als ihre Enkelin. — „Du sprachst ihn?" fragte sie dann den Enkelfohn. der ihre dargereichte Hand zum Gruße an die Lippen zog.
„Wenig, Großmutter. Nur vom Pferde herab rief er mir zu, daß er heute zu uns kommen werde."
„Sitzt überhaupt stets auf dem großen Pferd* murmelte die Greisin. — „Du hast Dich heute wohl schon recht geplagt, Eugen?" — wendete sie sich dann wieder dem jungen Manne zu.
Er lachte und zog einen Sessel in die Nähe der alten Dame. — „Nicht halb soviel als meine Tagelöhner, Großmutter. Wenn das Wetter noch drei Tage anhält, bringen wir das Heu glücklich unter Dach.
Er hatte die Mütze abgelegt, und seine kdle weiße Stirn stach leuchtend ab von dem Braun der Wangen und dem kurzqeschnittenen dunklen Haar. Edith lief auf der Terrasse auf und ab und zupfte kleine Ranken der das Geländer umwuchernden Clematis, die sie dann zwischen die Lippen nahm. Sie war ein zartgebautes, schlanke» Mädchen von 18 Jahren. Ihr Antlitz entbehrte regelmäßiger Züge, doch vergaß man unter dem Eindruck ihrer warmen braunen Augen, dem lieblichen Lächeln ihre» Mundes und dem anmutigen Ausdruck ihrer Menen das mangelnde Ebenmaß.
„Komm her, Edith" — rief die Gräfin, die sie nicht au» den Augen gelaffen