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Wttwoch, de« 28 . Aeöruar

1812

Deutscher Reichstag.

r Berlin, 26. Febr.

Am Bundesratstisch Staatssekr. Delbrück.

.Der Präsident eröffnet die Sitzung um 1 Uhr 20. Ein schleuniger Antrag der Soz'aldemokraten auf Einstellung eines Disziplinarverfahrens gegen den Abg. Dr. Liebknecht für die Dauer der Session wird angenommen.

Es folgt die dritte Lesung des Entwurfs zum inter­nationalen Uebereinkommen zur Bekämpfung des Mädchenhandels.

Lifzt (F.B.): Nach der Vorlage ist die Anwerbung eines Mädchens oder einer Frau zu unsittlichen Zwecken strafbar. Von einer Strafbarkeit kann aber nach der Recht­sprechung des Reichsgerichts nur die Rede sein, wenn das Mädchen oder die Frau in ein Bordell ausgenommen worden ist. Die Anwerbung ist eine straflose Vorbereitung. Diese Lücke könn e gleich durch ein besonderes Gesetz oder durch eine Ergänzung des Strafgesetzbücher ausgefüllt werden.

MinistelHalsireklor Dr. Kriege: Das Re'chsjustizamt ist nicht der Meinung, daß hier eine Lücke bestehn Sollte sich aber ergeben, daß die Praxis eine« anderen Standpunkt einnimmt, so würde die Regierung einen entsprechenden Gesetzentwurf vorlegen. Die Vorlage wird in dritter Lesung angenommen. Auch die Vorlage betr. Verlängerung des Handelsvertrages mit der Türkei wird ohne Debaite in dritter Lesung angenommen.

Es folgt die Fortsetzung der Beratung über das Ne i-rh s- und Staatsangehörigkeitsgesetz.

Liebe rt (Reichsp.) begrüßt die wesentliche Erleichter­ung der Wiedererwerbung der unmittelvoren Reichsange­hörigkeit. Der Entwurf sei geeignet, die Deutschen im Aus­land fester ans Heimatland zu Keltin.

Herzog (wirtsch. Bgg.): Das Gesetz kommt etwas reichlich spä», entspricht ober im allgemeinen unseren Wünschen.

Hansen (Däne) wünscht mit Rücksicht auf die nord- schleswigschen Verhältnisse eine Bestimmung, daß Kinder non Ausländern, die in Deutschland geboren sind, unter gewissen Bedingungen als Deutsche anzusehen sind.

Landsberg (Soz.) beton!, es sei eine große Ueder- lreibung zu sagen, daß Millionen von Deutschen durch das alte Gesetz d.m Reiche entzogen worden seien. Das aller­beste Mittel, die deutsche Nation kräftig zu erhalten, ist, zur Auswanderung keinen Anlaß zu geben, innere Koloni- 'ation zu treiben und freiheitliche Einrichtungen zu sch offen. Wer in Deutschland seiner Wehrpflicht genügt, muß dadurch ganz von selbst di« Reichsanqebörigkeit erwerben. Der Verlust der staatsbürgerlichen Rechte darf nur bei schwerer Verletzung der Wehrpflicht eintreien und dann nur durch Rechtsprechung. Die Bestimmung, daß bei der Ausnahme eines Ausländers die Bundesstaaten mitzureden heben, lehnen wir ab.

v. Richthofen (natl): Wir Hallen es für richtig, daß die Frauen durch Heirat die Nationalität des Mannes er­langen. Wir haltsn öes für richtig, daß olle BundesstWen bei der Naturalisierung von Ausländem gehört werden müsscn.

v. Seyda (Pole) weist auf die Berbesserungsbedürf« tigkeit einiger Bestimmungen hin.

Die Vorlage geht hierauf an eine Kommission von 21 Mitgliedern.

Es folgt die erste Beratung des Entwurfs eines Schutztruppengesetzes.

Staatssekretär Dr. Solfs: Der Entwurf beseitigt ver­altete Rechtsverhältnisse und macht Vorschriften, die heute schon in Uebung sind, zum Gesetz. Das ist besonders der Fall hinsichtlich der Befugnis des Gouverneurs, Personen des Beurlaubtenstandes zur Dienstleistung heranzuziehen. Wir wollen für die Zeiten der Gefahr einen besonderen Beurlaubtenstand in den Schutzgebieten schaffen. Die Vor­schriften über die Handhabung der Kontrollversammlungen sollen sich möglich den speziellen Verhältnissen anpassen. Den Gouverneuren wird deshalb ein möglichst weiter Spiel­raum gegeben. Die Farmer fallen hierbei aus. weil sie unabkömmlich sind, ebenso die Angehörigen der Polizei­truppen.

Nos Ke (S.): Die gesetzliche Regelung der Materie entspricht den Wünschen des Hauses, die Borlage enthält aber außerdentlich viel Mängel, die von neuem (beweisen, daß sich die Regierungen nicht sreimachen können vom Schematisieren. Eine Herabsetzung der Kosten für die Schutzlruppen wird durch die Vorlage nicht erreicht.

Erzberger (Z.): So harmlos wie der Staatssekre­tär es hinstellt, ist dis Vorlage nicht. Die Einrichtung der Kontrollversammlungen schematisch aus die Schutzgebiete zu übertragen, ist höchst bedenklich wegen der großen Reise­kosten. Wenn in dem Gesetz die wesentlichsten Punkte kaiserlicher Verordnung Vorbehalten werden, so begibt sich der Reichstag des Budgetrechts. Die Pensionierung der Schutztruppenoffiziere wächst eischreckend und man ist viel­fach der Meinung, daß dabei nicht der strenge Maßslab angelegt wird wie bei den Beamten.

Dove (F.B.)erklärt, daß die Vorlage in verschiedenen Punkten des Ausdaus bedürfe.

Leibert (Reichsp.) begrüßt di- Vorlage. Nachdem Staatssekretär Dr. Solfs versprochen hat. den Anregungen nachzugehen, wir) die Vorlage an die Budgedkommisston verwiesen. Das Haus vertagt fich sodann auf Mittwoch 1 Uhr. Etat des Innern. Schluß 3 Uhr.

Taged-Nerrrgkeiterr.

Aus Stadt und Amt

Nagold, 28. Februar IS12.

Zur gefl. Beachtung ! Im zweiten Blatt bringen wir heute das Wesentliche ans dem von Herrn Amtmann Mayer am 4 Febr. 1912 imRößle" gehaltenen Bortrag über die Reichsversicherungs-Ordnung zum Abdruck. Es dürste sich empfehlen, das Blatt aufzubewahren. Im Plauderstübchen" ist der Anfang einer hübschen Erzäh­lung aus demSchatzkästlein des Gevattermanns" von Berthold Auerbach enthalten.

sp. Zur Berufswahl. Eine ernste Frage für Eltern und Vormünder ist die Berufswahl für die schul­entlassenen Söhne. Das Bestreben, den jungen Leuten eine sorgenfreie Existenz zu begründen, führt oft bedauerlicherweise dazu, vom Handwerk abzusehen und etwa die Beamten- laufbahn oder den Kaufmannsberus zu wählen. Nicht selten hat dies zu Ueberfüllungen geführt, so daß besonders bei mittelmäßig begabten jungen Leuten alles, nur keine sichere, sorgenfreie Existenz erreicht wurde. Wie viel besser stellt sich dagegen ein gut ausgebildeter Handwerker, der sich bei Fleiß und praktischem Blick emporarbeiten und sei er als Gehilfe oder als selbständiger Meister, eine gesicherte, angesehene Stellung erringen kann. 3n einem Merkblatt, das die Handwerkskammer Heilbronn ausgibt, wird zu­treffend ausgeführt: Wenn dem Handwerk auch aus wohl- situierten Kreisen frische Kräfte zugeführt werden, so muß angesichts der staatlichen Fürsorge zur Ausbildung der Handwerker es sei erinnert an die Einführung der Ge­werbeschulen, die Fach- und Kunstgewerbeschulen, die Aus- blldungskurse, die die K. Zentralstelle für Gewerbe und Handel alljährlich veranstaltet ein leistungsfähiger Hand­werkerstand heramvachfen, der sich neben der Großindustrie recht wohl behaupten kann. Gewiß sind durch letztere im Laus der Jahre einzelne Gewerbe verdrängt worden, aber es sind eine ganze Reihe von Berufen da, die in diese Gefahr nicht geraten. Wir nennen das Baugewerbe: Maurer, Steinhauer, Holz- und Steinbildhauer, Zimmerer, Gipser, Stuckateure, Flaschner (Treibarbeiten), Schlosser und Schmiede (Kunstschmiedearbeiten), Installateure, Maler, Tapeziere und Dekorateure, Schreiner für Bau und Möbel usw.; das Nahrungsmittelgewerbe: ferner Kürschner, Schneider, Buchbinder, Lithographen, Uhrmacher. Mechaniker, Graveure, Wagner, Küfer, Sattler Usw. Die Gesellen- und Meisterprüfungen, denen sich j«der Lehrling bezw. Gehilfe zu unterziehen hat, bürgen dafür, daß sich das selbständige Handwerk künftig aus fähigen Leuten rekrutiert und diesem sein Ansehen sichert. Alle Eltern begabter und mit praktischem Sinn ausgestatteter Knaben seien deshalb ausgefordert, bei der Berufswahl dem Handwerk volle Beachtung zu schenken.

Kein Alkohol bei Schulausflügen und Schul­festen. Im Anschluß an einen Erlaß der Ministerial- abteilung für die höheren Schulen ist auf Anregung des Kullministeriums bestimmt worden, daß bei Schulausflügen irgend welcher Art, die mit Schülern der Volksschule unter Leitung von Lehrern oder Lehrerinnen ausgeführt werden, alkoholische Geiränke (einschließlich Obstmost) in keinerlei Form zugelassen werden dürfen. Dasselbe gilt für die Schul- oder Kinderfeste, wenn unter Leitung und Mitwir­kung der Schule Erfrischungen an Schüler und Schülerinnen gereicht werden. Bei allen diesen Gelegenheiten werden die leitenden und ausstchtführenden Lehrer vorher dafür besorgt sein, daß da, wo Erfrischungen genommen werden, geeignete und guie alkoholfreie Getränke bereit gehalten werden, so­weit gewöhnlicher Trinkwasser nicht zu genügen scheint. Wirtschaften und sonstige Rastplätze, wo die Abnahme von alkoholischen Getränken vorausgesetzt oder verlangt wird,

Geschichte« mn Berthold Wrrdach.

Berthold Auerbach, dessen hundertster Geburtstag die Erinnerung an diesen «inst vielgefeierieii Erzähler miederer- weckt, wurde zu seinen Lebzeiten nicht wemger als um seiner Werke willen auch wegen seines reinen liedenswerten Men­schentums verehrt Er war ein Genie der Freundschaft, und jedem Bekannten wußte er durch die Stärke seiiec Anteil­nahme das Gefühl zu erwecken, daß er geralw ihn besonders schätze. Aber wie er andere rückhaltlos anerkannte, so wollte er auch selbst gelobt sein. «Es war ihm fast ein Bedürfnis",: erzählt Erich Schmidt,zum Frühstück einen süßen Labe-' k ank de; Lobes einzuschtürftn, und er sagte gar naiv zn seinem Besucher:Lieber, schreiben Sie bald «nmal e was über mich" . . . Mit dem Selbstgefühl eines großen Kin-

entnahm «r einem besonderen Kasten, der in einer Qmbenecke stand, gern verschleimte Briese von Königen, Königinnen oder fürstlichen Perftnen und forderte den Be­stich»: zum Leftn derselben auf. Zuweilen z g er daraus auch in Gold gewickeltes ZuckerKM. und bat, daß man es sftinen Kindern Mitnahmen möge. Merbach war der richtige Gesellschafter, wie ihn uns Georg Brandes zeichnet:Im höchsten Grade lebendig, sich mit jugendlicher Rüstigkeit von Gruppe zu Gruppe bewegend, mit seinem spähenden klugen Blick alles übersehend, jeden Augenblick äste Lorgnette zpm Auge führend, wenig, aber äußerst lebendig und mit jedem einzelnen sprechend. . . Gern trug er bei ßslchen Gelegen­heiten seine vje'en Orden, teilweise im Knopfloch, teilweise, t und zwar die vornehmsten, .o.w Bande um Lev Hals; wenn s

er jedoch wußte, daß seine liberalen Freunde, welche keine Orden empfingen, anwesend waren, so ließ er mit einem kleinen Seufzer feinen Schmock zu Hause. Ich weiß aus bester Quelle, daß. als sich eines Abends Lasker unver- mu'et bei einer Gesellschaft einfand, er in eine Ecke ging und all seine Order in die Hosentasche steckte. Er hatte einen außerordentlichen Respekt vor Laskers Charakter."

Die Suffragetten in der Orgel.

Die beiden Londoner SuffrcVetten, Frl. Helen Craggs und Frl. Howey, die sich in der großen Orgel in der Col- ston Halle in Bristol versteckten, hatten eine größere Angst und Qual anszustehen. als sie wohl vermuteten. Dierund- .zwanzig Stunden lang waren sie in dem Orgelkm ver­borgen, ehe der Zeitpunkt für sie Kern, daß sie ihren Kopf zwischen den Orgelpfeife» tstndnrchsteckrn konnten, um der großen Anti-Susfragetren-Bkrftmmlueg ihr Knegsgcschrei an Lee Kopf zu werfen.

Diese vierundzivanzig Stunden waren wohl die unan­genehmsten im Leben dieser beiden Damen. Kurz nachdem sie ihr Quartier zwischen den Orgelpfeifen bezogen hatten, versagte» ihre elektrischen Taschenlampen srnd sie mußten sich im Dunkeln zurechtfinden, wobei sie alle Nasenlang über ein Hindernis stolperten. Eine unangenehme Nacht ver­brachten sie dort und ein noch viel iinang«iehmerer Tag sollte folgen. Kurz nach der Frühstückszeit kamen eine An­zahl Männer M die Halle und begannen die Orgel zu stimmen. Die ibeiden Suffragettchen saßen in der Nähe des Blasebalges und der Spektakel dort muß einoHresdetänben-

der gewesen sein. Eine der Damen sagte nachher, daß das Geräusch des Stimmens sie beinahe zum Wahnsinn ge­trieben hätte. Einmal kam einer der Leute bis dicht an uns heran, aber gesunden hat er uns doch nicht.

Jede Kugel trifft ja nicht.

Wenn man die Verluste der letzten Feldzüge mit der Zahl der verfeuerten Patronen vergleicht, so ergibt sich die ausfallende Tatsache, daß trotz der zunehmenden Präzision der Feuerwaffen doch die Verluste immer mehr abnehmen. So weist z. B. Waterloo 24 Proz., Sedan nur 12 Proz. Verluste auf. Es beruht dies daraus, daß die Entfernungen, aus denen das Feuergefecht eröffnet wird, gewachsen sind, und daß die Sichtbarkeit der Ziele bedeutend abgenommen hat. Auch die neuesten Ereignisse bestätigen dies. Bei Colenso brauchten die Buren 600 Schüsse, um einen Treffer zu echalten, bei den Engländern brauchte man dazu sogar 3000 Schüsse. Die Marokkaner verfeuerten 1897 im Kampfe gegen Raisuli 80000 Patronen, gaben 800 Maschinenge- rvchrladnngen ab, warfen 120 Granaten und hatten keinen Treffer. Die Serben brauchten bei Zacibrod gm 24. No». 1885 im ganzen 200000 Schüsse, um 58 Bulgaren zu treffen. Die Franzosen verfeuerten 1881 im Gefecht bei Chellctta 35000 Gewehr-Patronen und 41 Artilleriege- schosse, um 70 Araber zu treffen. Ein englischer Artikel, -er sich mit der Schießausbildung der modernen Infanterie be­faßt. sagt, wenn die Engländer soweit wären, daß sie mit 600 Schüssen immer einen sicheren Treffer erzielten, so wären sie die beslschleßende Nation der Welt.