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* Illustr. Souutagsblatt und
Schwäd. Landwirt.
Ferufprecher Nr. 29
86. Jahrgang.
Fernsprecher Nr. 28
Dienstag, dm 5. Dezemöer
285
Amtliches.
K. evcrng. ZSezivksschirtamt Wcrgokö.
Die Herren Lehrer werden, soweit noch nicht geschehen, um ungesäumte Vorlage der Verzeichnisse der gewerblich tätigen Schulkinder, bezw. Fehlanzeige ersucht.
Nagold. 4. Dez. 1911.
Bezirksschulinspektor Schott.
Auf Grund der im November abgchaltenen zweiten Dienstprüfung sind u. a. nachstehende Lehrer zur Versetzung von ständigen Lehrstellen an Volksschulen für befähigt erklärt worden: Gotthils Dingler aus Oeschelbronn, Hans Götz aus Nufringen.
Presse und Diplomatie.
In der „Woche" (Nr. 46) veröffentlicht Siegmund Feldmann einen lesenswerten Aufsatz über obiges Thema. Wir geben aus der Abhandlung nachstehend einige Abschnitte wieder:
„Die wahre Kriegspartei ist die Presse", hat Ludwig Bamberger einmal gesagt. Aussprüche von so lapidarer Form sind immer verdächtig. Aber dieser Satz des freisinnigen Parlamentariers, der gewiß mit Friedrich dem Großen die Ansicht teilte, daß „Gazetten nicht genieret werden sollen", schöpfte aus einer unbestochenen Beobachtung der modernen Geschichte. Der Krieg, der jetzt an der Nord- Küste Afrikas mit der Cholera um die Wette wütet, ist das neueste und schlagendste Beispiel dafür. Weder der König Bikror Emanuel noch seine Regierung hielten — das weiß man in allen Staatskanzleien sehr genau — den gegenwärtigen Zeitpunkt für geeignet, um Tripolis' willen das Schwert zu ziehen: nur unter dem Ansturm der öffentlichen Meinung, die alle Quellen nationaler Leidenschaft springen ließ und die urteilslose Ungeduld der Massen mit tönenden Schlagworten aufpeitschte, wurden Quirinal und Consulta dazu gedrängt, den Knoten zu durchhauen, den man weit besser und mit viel geringem Opfern hätte lösen können, wenn man der Diplomatie die Möglichkeit gelassen hätte, die Gelegenheit abzuwarten.
Die Zeitungen machen den Krieg, wie sie den Frieden machen, wie sie letzten Endes die Regulatoren aller Schicksale der Staaten und Völker sind: nicht bloß weil die Suggestion des gedruckten Wortes immer noch groß, sondern.vor allem, weil dieses Wort selbst nur ein Echo aus der namenlosen Tiefe, weil es der Ausdruck eines kollektiven Gedankens, eines kollektiven Impulses, eines kollektiven Gewissens ist. Für die Diplomatie ist es von höchstem Wert, möglichst genau zu erfahren, welche Bestrebungen, welche Interessen, welche Mengen hinter diesem Wort stehen, und der Zweck ihrer Preßbureaus besteht weit weniger darin, Uebelstände zu beschönigen und Mißstände zu vertuschen, wie das Publikum sich oorstellt, sondern hauptsächlich darin, aus dem Widerstreit der Parteien, Tendenzen und Ueberzeugungen gewissermaßen den möglichst zuverlässigen Gesinnungsdurchschnitt zu ermitteln, nach dem sie ihr Handeln einrichten kann. In dieser Absicht weiht sie auch häufig Journalisten verschiedener Richtung, die ihr Vertrauen genießen, in die amtlichen Geschähe ein, um auch von der Belehrung dieser Männer, die selber im „Handwerk" der öffentlichen Meinung stehen, direkt Nutzen ziehen zu können. Das Publikum hat überhaupt falsche Begriffe von den Beziehungen zwischen Diplomatie und Presse. Es wird dabei durch die „Aufmachung" und Technik des Nachrichtendienstes im allgemeinen getäuscht und vermutet in der Presse einen lästigen Parasiten der Diplomatie, von deren Brosamen er zehrt, deren Milteilungen und Aufklärungen er gierig nachschleicht. Dieses Zerrbild stellt die Dinge auf den Kopf. In Wahrheit erfahren und lernen die Diplomoien aus der Presse sehr, sehr viel mehr als diese von ihnen. Und ebensowenig erweisen sie einen Dienst, sondern, im Gegenteil, sie empfangen einen, wenn ihre Meinungen den Weg finden, der durch die Redaktionsstuben zu den Ohren der Millionen führt, die aus alle Fälle die Kosten bezahlen müssen, gleichviel ob es gut oder schief geht. Im politischen Leben, zumal dort, wo ein Parlament dreinredet, ist auch die Regierung eine Partei. Aber da sie es dem blinden Buchstabenglauben und der aschgrauen Theorie zuliebe nicht sein darf, ist es ihr ebenso erwünscht wie wertvoll, in „offiziösen" oder „halboffiziösen" Blättern ihren Standpunkt in gedeckter Stellung und ohne jede amtliche Verbindlichkeit zu vertreten. Der Widerspruch, den ihre Aeußerungen wecken, die Polemik, die sich daran knüpft, die Anschauungen, die aufeinanderprallen, die Bewegung der vorgeschobenen und zurückgeworfenen Argumente, wobei es wie in jedem Parteikampf ohne gelegentliche Unterstellungen, Verdächtigungen und „Anrempelungen" nicht abgeht — das alles erzeugt jenen Lärm, ans dem das Publikum schließt, daß zwischen Presse und
Diplomatie eine unüberbrückbare Kluft klaffe und daß zwischen beiden eine Feindseligkeit, zum mindesten eine Gegensätzlichkeit bestehe, die sie streng voneinander scheidet.;
Das ist ein Irrtum. Hier gibt es nur eine einzige, allerdings gründliche Gegensätzlichkeit, und die ist unvermeidlich, weil sie sich aus der Arbeitsmethode jeder der beiden Faktoren herleitet. Die Zeitung ist die ungeheuerliche Hypertrophie des Augenblicks. Sie verfälscht häufig die Optik der Dinge, indem sie sich, notgedrungen, an das tägliche, mehr oder minder nebensächliche Detail hält und wie mit Scheinwerfern den Vordergrund der Ereignisse beleuchtet, während sie die Kilometertiefen Hintergründe ganz im Dunkeln läßt. So kann die Diplomatie ihr Geschäft nicht betreiben, sie muß ihre Ausgaben in einer erweiterten Perspektive, unter Berücksichtigung von Zusammenhängen lösen, die die Presse entweder nicht kennt, oder die sie leugnet, oder über die sie sich aus Parteigeist hinwegsetzt. Daraus entspringen nun mitunter Mißverständnisse, Unstimmigkeiten und Reibungen, die den Diplomaten Verdruß bereiten mögen, Bismarck, der kein bequemer Herr war hat sich oft darüber geärgert, obschon er wußte, wo die Wurzel dieses Uebels lag. In seiner prachtvollen Bildlichkeit äußerte er einmal: „Dem Auge des „unzünftigen Politikers" erscheint jeder Schachzug im Spiel wie das Ende der Partie."
Der „unzünftige Politiker". Wie altmodisch das schon klingt! Heutzutage, wo jedermann eine Uhr und eine politische Meinung hat, weil beide sehr billig geworden sind, ist diese Menschenart nahezu ausgestorben. Das genügt zwar noch nicht, ein Diplomat zu sein. Aber auf ihre Zünstigkeit hat die Diplomatie in vielen Ländern zugunsten der Presse bereits verzichtet, was für die Wesensoerwandt- schast beider zeugt.
Deutscher Reichstag.
Iss Berlin, 4. Dez.
Am Bundesratstisch Staatssekretär Wermuth. Präsident Graf Schwerin-Löwitz eröffnet die Sitzung um 2.15 Uhr. Das Gesetz über die Verlängerung der Gültigkeitsdauer des Gesetzes betr. die militärische Strafrechtspflege inKiautschou wird in erster und zweiter Lesung ohne Debatte angenommen.
Sodann wird der Bericht der Budgetkommission über die Petitionen von Post- und Telegraphenbeamten entgegengenommen und durch früher beschlossene Resolutionen für erledigt erklärt.
Es folgen sodann die Berichte über 23 Petitionen. Darunter wird eine Petition betr. Festlegung des Osterfestes dem Kommissionsantrag entsprechend der Regierung als Material überwiesen. Eine Petition betr. Ausdehnung der Bestimmungen der Gewerbeordnung auf Gärtnereien wird zur Berücksichtigung überwiesen. Eine Petition des Fischereiverbandes von Vorpommern und Rügen um Einführung des Schutzzolles auf frische Fische und Heringe beantragt die Kommission durch Uebergang zur Tagesordnung zu erledigen. Es wird Uebergang zur T.-O. beschlossen.
Eine Petition betr. Nachzahlung verjährter Pensionsbeiträge wird von der Tagesordnung abgesetzt. Die übrigen Petitionen werden nach dem Kommissionsantrag erledigt. Die Rechnungssachen und die Etatsübersichten werden ohne Debatte erledigt. Es folgt die zweite Beratung des Entwurfes betr. Eisenbahnbauten im oft afrikanischen Schutzgebiet.
Staatssekretär des Reichsschatzamtes Hermuth: An die Budgetkommisfion ist die Frage gestellt worden, ob die Finanzlage des Reiches eine Mehraufwendung für die Taganjikabahn gestattet. Ich sehe mich veranlaßt, darauf zurückzukommen, nicht nur, weil die Zeitungsberichte über unsere in der Kommission abgegebenen Erklärungen sämtlich ungenau waren (Hört! Hört!), sondern auch weil ungünstige Darlegungen über den Etat von 1912 verbreitet worden sind (Hört! Hört!). Bei Beurteilung dieser Frage dürfen nicht Parteirückstchten sondern nur allgemeine Rücksichten maßgebend sein. Wir haben ein dringendes Interesse daran, das Vertrauen zu unserer Finanzgebarung nicht beeinträchtigt zu sehen, wo sie begründeten Anspruch darauf hat, als gut angesehen zu werden. (Sehr richtig rechts und im Zentrum). Ich gestatte mir deshalb und nur deshalb, zu erklären, daß wir Aussicht haben, die Gesundung der Reichsfinanzen mehrere Jahre früher zu erreichen (Lebh. Hört! Hört!), als man allseitig vorgesehen hat. (Erneutes lebhaftes Hört! Hört! rechts und bei der Mehrheit). Unruhe und Rufe: Wahlrede! bei den Sozialdemokraten.) Das zeigt sich ganz deutlich schon aus dem Stande der Anleihen. Seit dem Jahre 1909 ist die Reichsanleihe jedes Jahr in Stufen von 50 Millionen herabgegangen (Hört! Hört!), und es darf angenommen werden, daß sie auch im
Jahre 1912 von dem gegenwärtig etwa 100 Millionen betragenden Stand wiederum um eine Stufe herabgestasfelt wird. (Hört! Hört) Damit sind wir dem Ziel, das uns gesteckt ist, überaus nahe gekommen, nämlich nur werbende Ausgaben auf Anleihen zu haben. Daneben steht die Kolonialanleihe, die aber bekanntlich nur aus werbenden Ausgaben beruht. Wie man den in dieser Zisfernrethe sich doch zweifellos ausdrückenden Erfolg in sein Gegenteil hat verkehren und wie man hat schon davon sprechen können, daß der Etat von 1912 nur durch einen neuen Pump balanziert werden könne, ist mir unerklärlich. 1908 hat man wesentlich höhere Anleihen für die Jahre 1909—1912 befürchtet, als nunmehr in die Erscheinung getreten sind. Man dachte dabei auch an die unglückseligen Jahre vorher, da so große Anleihen ausgenommen waren, daß noch jahrelang eine Last verbleiben mußte, sodaß diese weitere Belastung des außerordentlichen Etats auch aus die Schuldentilgung späterer Jahre wirken mußte.
Was die Etats von 1910 und 1911 nicht übrig ließen, haben die Ueberschüsse nachgeholt. Wir hatten 1910 einen Ueberschuß von 117,7 Mill. (hört, hört), der Etat von 1911 wird dahinter nicht Zurückbleiben. So haben in beiden Jahren die Schuldentilgungsbeiträge in vollem Maße zur wirklichen, nicht nur zur scheinbaren Minderung der Reichsschuld geholfen (hört, hört), während die Anleihen durch Ueberschüsse und sonstige Verbesserungen des Etats aus der Welt geschafft worden sind. (Lebh. Beifall, hört, hört bei der Mehrheit, großeZUnruhe und Zurufe bei den Soz. Wahlrede.) Es ist keine Wahlrede, es gibt nur eine Rede zur Feststellung dafür, daß die Finanzen sich gebessert haben. Wir haben weder für 1910, noch für 1911 irgend eine Anleihe zu begeben gehabt (hört, hört). Die angekauften Beträge sind höher als die ausgegebenen. Außerdem haben sich unsere Fonds für unverzinsliche Schatzanweisungen ganz erheblich vermindert und endlich sind wir in der Lage gewesen, für die verzinslichen Schatzanweisungen einen Teil, nämlich 40 Millionen, nicht zu verlängern, sondern bar einzulösen. (Hört! Hört! und Bravo rechts.) Auch für 1912 werden wir mit erheblich steigenden Zoll- und Steuereinnahmen zu rechnen haben. Ebenso werden die Nettoeinnahmen aus Post und Eisenbahnen steigen. Schließlich werden wir an den 80 Pfennig Matrikularbeiträgen sest- halten. Noch einen kurzen Ruck haben wir nötig und die große Aufgabe ist getan. Sie wird solange von Nutzen sein, als wir mit eiserner Konsequenz auf dem bisherigen Wege bleiben. Ich kann, um auf diesen Gegenstand der Tagesordnung zurückzukommen, (Heiterkeit.) Ihnen mit gutem Gewissen die Vorlage empfehlen. (Lebh. Bravo bei der Mehrheit. Unruhe und Lachen links.)
Erzberger (Z.): Wir sind dem Staatssekretär dankbar, daß er objektiv einwandfreies Material zur Widerlegung der Behauptung gegeben-hat, daß die Reichsfinanzreform Fiasko gemacht habe. Die Linke sollte ihren Widerstand aufgeben.
Paasche (nl.): Auch wir danken dem Schatzsekretäc für die Darlegung der Verhältnisse, können aber in das Loblied Erzbergers nicht einstimmen. Wir können die Grundlage der Finanzreform nicht als richtig anerkennen.
Gothein (f. B.): Es wäre angezeigt gewesen, wenn der Schatzsekretär uns im einzelnen oorgerechnet hätte, um wieviel die wirklichen Erträge hinter den Summen zurückgeblieben sind, die von den Vätern der Reichsfinanzreform in Aussicht gestellt wurden.
Schatzsekretär Wermuth macht entsprechende Mitteilungen und konstatiert, daß die bisherigen Ergebnisse der einzelnen Steuern durchaus zufriedenstellend gewesen sind. Es sei zu begrüßen, wenn es in der nächsten Ze't gelingen werde, aus der Deroute von 1909 herauszukommen.
Zietsch (Soz.): Die nächste Steuerreform sollte wenigstens die ungerechtesten indirekten Steuern beseitigen.
Arendt (Rp.): Die neuen Steuem haben keineswegs ungünstig auf Handel und Verkehr gewirkt. 4M Millionen indirekte Steuem zu bewilligen, war auch die bürgerliche Linke bereit. Redner geht dann auf die Einzelheiten der Finanzreform ein, wird aber vom Präsidenten ermahnt, zum Thema zurückzukehren.
Nach weiteren Bemerkungen des Abg. Erzberger (Z.) erklärt Müller-Meiningen (Frs. B.): Die Rede des Staatssekretärs Wermuth ist im Auftrag des schwarzblauen Blocks gehalten. Sie war eine Verbeugung vor Herrn Matthias Erzberger. Die heutige Erörterung ist weiter nichts als eine Schönmalerei für Wahlzwecke. Das alte Märchen, wir seien bereit gewesen, 4M Millionen neue indireckte Steuem zu bewilligen, muß zurückgewiesen werden.
Präsident Gras Schwerin-Löwitz bittet den Redner, nicht weiter auf Einzelheiten der Reichsfinanzreform einzugehen.