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Schwäb. Landwirt.
^ 282
Alrettag, dm 1. Dezemöer
1911
Deutscher Reichstag.
Berlin, 29. Nov.
Am Bundesratstisch Staatssekretär Delbrück und Ministerialdirektor Caspar.
Präsident Graf Schwerin-Löwitz eröffnet die Sitzung um 1.20 Uhr. Auf der Tagesordnung steht zunächst die zweite Beratung des Entwurfes betr. die Aufhebung des Hilsskassengesetzes.
Zu Z 1 beantragen die Sozialdemokraten im Falle der Ablehnung dieses Paragraphen den Reichskanzler um Vorlegung eines Gesetzentwurfes zu bitten, der die zur Beseitigung der Mißstände bei den Hilfskassen notwendigen Aenderungen des Hilsskassengesetzes betrifft.
Hoch (Soz.) begründet den Antrag.
Neumann-Hofer (F. Bp.): Wir Hallen an den Beschlüssen der Kommission fest. Sollten die grundlegenden Bestimmungen abgelehnt werden, so stimmen wir für den sozialdemokr. Antrag.
Werner (Refp.): Gut geleitete Kassen sollen ungehindert bestehen bleiben.
Nach weiteren Bemerkungen der Abgg. Becker-Arnsberg (Ztr.) und Hoch (Soz.) erklärte Ministerialdirektor Caspar: Der Boden der Selbstverwaltung wird durch dieses Gesetz nicht verlassen, im Gegenteil, es ist in mancher Beziehung den Kassen eine freiere Bewegung eröffnet als nach den Bestimmungen des bisherigen Gesetzes.
Behrens (w. Dgg.): Die bisherigen Bestimmungen des Gesetzes haben nicht genügt, die Schwindelkassen nicht auskommen zu lassen. Wer den Terrorismus der Sozialdemokratie draußen im Lande kennt, der muß anerkennen, daß die Polizeiaufsicht geradezu eine wohltätige Einrichtung ist. (Lärm bei den Soz. Sehr gut und Heiterkeit bei der Mehrheit.)
Neumann-Hofer (fortschr. B.): Wir wollen durch dieses Gesetz die Selbstverwaltung der Kassen fördern. Nach weiterer unerheblicher Debatte wird 8 1 unverändert angenommen. Der soz. Antrag ist somit gegenstandslos. Bei § 3 k, der die Einberufung der Generalversammlung regelt, wird ein Antrag des Zentrums, der den Kreis der unter diese Bestimmung fallenden Bersicherungsvereine erweitert, angenommen. Ein Antrag der Soz. aus Einfügung eines neuen Paragraphen 3 d wird nach kurzer Debatte abgelehnt. Die Kommission hat einen neuen 8 7 o angenommen, der den Beschluß einer eingeschriebenen Hilfskasse über die Auflösung oder die Vereinigung mit einem anderen Unternehmen der Genehmigung der Behörden unterwerfen will, die zuständig sein wurden, wenn die eingeschriebenen Hilsskaffen einem Gesetz über dis privaten Versicherungs- Unternehmungen unterständen.
Becker (3.) empfiehlt die Annahme dieses Paragraphen.
Die weitere Debatte, an der sich besonders die Abg. Hoch (S.) und Becker-Arnsberg (Z.) beteiligen, beschäftigt sich mit dem von Zentrumsseite behaupteten sozialdemokratischen Terrorismus. Im Verlause seiner Ausführungen erhält der Abg. Hoch einen Ordnungsruf, da er Angaben des Abg. Becker als erlogen bezeichnete. 8 7 o bleibt unverändert. Das Gesetz tritt nach Kaiserlicher Verordnung in Kraft, 8 7 e sofort. Damit ist die zweite Lesung des Gesetzentwurfes beendigt. Es folgt die zweite Lesung des Pri- vatbeamtenvelsicherungsgesetzes.
Aus eine Anfrage des Abg. Linz (Reichsp.) erklärt Ministerialdirektor Caspar, daß die technischen Beamten, vor allem auch die Musterzeichner, ohne Rücksicht auf den künstlerischen Wert ihrer Leistungen in das Gesetz einzubeziehen sind.
Auf eine Anfrage des Abg. Raab (wirtsch. Bgg.) erklärt der Regierungsvertreter bezüglich der Werkmeister, daß die Kündigungsfrist ohne Einwirkung aus das Gesetz sei.
Nach längerer Debatte wird ein soz Antrag, wonach Bureauangestellte, soweit sie mit schriftlichen Arbeiten beschäftigt sind, unter das Gesetz fallen sollen, abgelehnt, ebenso ein dazu gestellter freisinniger Antrag, nachdem Ministerialdirektor Caspar in Beantwortung verschiedener Ausführungen dargelegt hatte, daß die Befürchtungen, es würden jene Beamtenkategorien nicht unter das Gesetz fallen, wenn es bei der Kommisstonsfassung bleibe, unbegründet seien. Die Frage der Versicherung der kaufmännischen Angestellten in Handwerkerbetrieben werde von Fall zu Fall zu regeln sein. Es komme darauf an, wie der Prinzipal die Beschäftigungsart beurteile und bezeichne. Bei den Bureauangestellten der Rechtsanwälte hänge die Versicherung davon ab, welcher Art die Beschäftigung sei. 8 2 wurde unverändert in der Kommissionsfassung angenommen.
Aus eine Anfrage des Abg. Irl (Z) erklärt Ministeral- direktor von Caspar, daß die Weihnachtsgratifikation bei
der Festsetzung der Bersicherungspslicht als Lohn- oder Entgelt nicht in Betracht kommen. Zu 8 9 der Reichs-, Staats- und Gemeindebeamte, sobald ihnen Anwartschaft auf Ruhegeld bewilligt wird, verstcherungsfrei läßt, beantragt
Schultz (Reichsp.), daß bei Streitigkeiten über die Bersicherungspslicht der Geistlichen anerkannter Religionsgemeinschaften sowie der Lehrer die oberste Verwaltungsbehörde desjenigen Bundesstaates entscheiden soll, in dessen Gebiet die bezügliche Korporation, Schule oder Anstalt ihren Sitz hat.
Kuno (F. B.): Wie steht es mit solchen Gemeinde- beamlen, die in kündbarer Stellung sich befinden und mit solchen, die in Privatdienste übertreten?
Ministerialdir. Caspar: Das Gesetz schließt sich in dieser Beziehung den Bestimmungen der Reichsversicherungsordnung an.
Auf Anregung des Abg. Momsen erklärt Ministerialdirektor Caspar, daß Staatsbeamte nicht unter das Gesetz fallen, sofern sie mit Pensionsberechtigung angestellt sind. 8 9 wird mit dem Antrag Schultz angenommen.
Darauf wird die Weiteroerhandlung auf Freitag vorm. 11 Uhr vertagt: vorher kleine Aktien, Schiffahrtsabgabengesetz. Schluß V 2 7 Uhr.
Tsges-NeuigLetten.
A«» Stadt »»d Land.
Nagold, 1. Dezember 1S11.
Konzert. Einen hohen musikalischen Genuß seltener Art bot das am letzten Mittwoch abend im Festsaale des Seminars gegebene Konzert. Künstler im wahren Sinn des Wortes gaben ihr Bestes: andachtsvoll und innerlich hingenommen lauschten die Zuhörer den Darbietungen und der Beifall steigerte sich von Nummer zu Nummer. Das Künstlerpaar Prof. Döring und Frau Margarete Döring v. Möllendorf sind keine Fremden hier: der Glanz ihrer Leistungen vermehrt sich mit jedem Austreten und auch diesmal erwarben sie sich ein neues Blatt in ihren Ruhmeskranz. Prof. Döring, Künstler auf dem Cello, beherrscht nicht nur sein Instrument mit Meisterschaft, er weiß, weil innerlich mit demselben verwachsen, ihm wunderbare Melodien zu entlocken: in ergreifenden, erdentrückten Tönen ließ er es sprechen. Ueber eine großartige, geradezu verblüffende Technik verfügt die Pianistin Margarete Dörmg; die Borträge von Chopin'schen Kompositionen waren Glanzleistungen ersten Ranges-, dabei führte sie die Begleitung der Cellostücke und Gesangsnummern mir feinster Nuancierung durch; säst stetig am Flügel sitzend leistete sie durch das ganze Konzert hindurch eine wahre Hetdenarbeit, die allseitige Bewunderung heroorrief. Zum erstenmal trat Fräulein Amelie Berthe Manning hier auf, eine sympathische Erscheinung und bedeutende Sopranistin: sie zeigte ihre hochentwickelte Kunst an Schubert-, Mendelssohn- und Brahmsliedern, die auswendig zum Vortrag gebracht wurden. Eine prächtige Umrahmung der Solisten-Borträge bildeten die von Musikoberlehrer Schäffer dirigierten Chöre der Seminaristen, die wiederum zeigten, mit welcher Hingabe und mit welchem Verständnis der Gesang am hiesigen Seminar gepflegt wird und die um so dankbarer entgegengenommen wurden, als diesmal das übliche Weihnachtskonzert ausfällt.
Champignyfeier. (Mitgeteilt.) Wie alljährlich, so auch Heuer hatte der Militär- und Beteranen-Berem seine Mitglieder und Freunde zu einer Gedenkfeier jener ruhmreichen Tage gestern abend in das Gasthaus zur Traube eingeladen. Trotz der verschiedenen Veranstaltungen am gestrigen Abend war das Lokal dicht besetzt. Vorstand Ber° siecher begrüßte die Versammlung und erteilte sodann Herrn Forstoerwalter Birk das Wort zu einem Bortrag über die Schlacht am Waterberg aus dem deutsch-südwestafrikani- schen Feldzug. An der Hand einer eigens hiezu gezeichneten Karte entrollte der Redner ein klares anschauliches Bild über die damaligen Stellungen der Hereros und der deutschen Truppen, wie letztere den Auftrag hatten, den Feind von allen Veiten her gegen den großen Waterberg zusammenzudrängen, wie sie nach langen Märschen in dem unwirtlichen Lande tagelange Kämpfe gegen die an Zahl weit überlegenen Hereros durchzufechten hatten. Reicher Beifall lohnte den Redner für seinen interessanten Bortrag. Vorstand Berstecher forderte die Anwesenden auf, sich zum Zeichen des Dankes von den Sitzen zu erheben. was geschah. Herr Oberpräzeptor Haller gab in beredten Worten Ausdruck über die politischen Vorgänge im verflossenen Sommer und über die Heeresstärke des deutschen und französischen Heeres. Während Deutschland bei einer Bevölkerungszahl von 65 Millionen ein stehendes Heer von 511000 Mann unterhält, hat Frankreich mit
seiner weit kleineren Einwohnerzahl ein solches von 540000
Mann aufzuweisen. Redner gab noch interessante Mitteilungen über die Rekrutenaushebungen auf deutscher und französischer Seite, sowie über die Sterbltchkeitsziffern der verschied. Heere und brachte am Schlüsse seiner Ausführungen ein dreifaches Hoch auf die anwesenden Veteranen aus, in welches die Versammlung begeistert einstimmte. Vorstand Berstecher gedachte in einer Ansprache des vor einem Jahr abgehaltenen Beteranenappells in Stuttgartjund brachte einen Toast auf S. M. den König aus. Auf einem Piston vorgetragene Solostücke boten angenehme Abwechslung. Kameradschaft!. Lieder wurden gemeinschaftlich gesungen, Deklamationen ernster und heiterer Art wurden vorgetragen, so daß sich der Abend zu einem recht unterhaltenden gestaltete.
Etwas über das Wählen.
" 8 Plötzlich taucht in der Menschheit ein Wort auf. ein einziges, kleines Wort und bringt Leben hinein und läßt das ruhige Blut rascher fließen, die Augen Heller blinken. Gruppen von Männern stehen beisammen und reden und das eine Wort schleicht von einem zum andem, in der Wirtschaft sitzen sie und wenn einer mit der schwieligen Hand auf den Tisch haut oder vom Stuhl empor springt, so ist es auch jenes kleine Wort gewesen, das ihn so erregte. Es bringt das Geistesleben in fieberhafte Tätigkeit, macht Streitigkeiten, Einigkeiten, Freundschaften und tiefen Haß. Zauberwort großes, Wahl heißt du und die dir sich beugen, sind das starke Geschlecht. — Auf die Frauen hat es weniger Einfluß, denn an sie tritt es nur aus zweiter Hand heran, abgeschwächt und gedreht, durch die Finger des Vermittlers. — Sie brauchen, sie dürfen nicht wählen, denn — so etwas verstehen nur Männer. Es ist gut so, denn somit zählen nur die Stimmen der klugen Frauen und diese wählen mit, ob berechtigt oder unberechtigt — als Frauen ihrer Männer. Eine niedliche Französin zeigt ihre Zähnchen und lächelt: Wir machen die Gesetze, wir, die Frauen! Aber, das ist eben Frankreich und bei uns Deutschen werden die Gesetze glücklicherweise von Männern gemacht. — Aber ist denn die Allgemeinheit der Männerwelt befähigt, vorurteilslos, unegoistisch und unparteiisch zu wählen? Sind nicht oft die Triebfedem zu irgend einer Stimmabgabe, Verwandschaft, Freundschaft, persönlicher Nutzen, Parteigeschichten rc.? Freundschaft: Wohl, sie darf, muß sogar ein Wort mitreden, denn den Freund kennt man, man weiß, so wird er handeln, so wird er reden, das bietet eine solide Grundlage. Aber es soll nicht heißen: den wähle ich gewiß nicht, der hat mein Hannes-Better amol verklagt, oder ich stimm für den und den. dös isch no a Gschwisterkind zu meim Weib. — Fassen wir einmal die Haupteigenschaften und Verhältnisse, des zur Wahl geeigneten ins Auge. Erstens einmal welche Altersstufe kommt in Betracht? Nicht die ganz jungen, die der Sturm- und Drang-Periode. Wenn sie auch Bürger sind, wenn sie Familie haben, so glüht in ihnen doch noch die stürmische Begeisterung, für das Fremde, das Neue, es fehlt ihnen die Erfahrung und ruhige Ueberlegung. Aber auch das Alter ist nicht das richtige, denn das Alter liebt Ruhe und Wärme. Seine Augen sind zu trübe für all die hellblinkenden Neuerungen und sein Schritt ist zu langsam für das Tempo der Zeit. Goldenes Mittelalter du! Dir huldige, in dir lebt die Kraft der Jugend, die sichere Ruhe, des Kenners und die ruhige Ueberlegtheit, dein Auge ist noch blank und deine Sinne vermögen das Beste von Guten zu erkennen. Ein zweiter Faktor ist die Stellung. Zwar hat diese direkt sehr wenig damit zu tun, indirekt aber sehr viel. Man wird wohl kaum leugnen, daß ein Mann, dessen Stellung ihn mit Hoch und Niedrig, mit Arm und Reich in Verbindung bringt, der Welt und Menschheit kennt, zum Wohl einer Gemeinde, eines Staates mehr beitragen kann, als einer der abgeschlossen und seme von der Welt seine Tage verbringt. — Auch die Bildungsstufe der zu Wählenden spielt eine wesentliche Rolle. Nicht jene Bildung, die man äußerlich zur Schau trägt, die darin besteht, daß man sich gesellschaftlich zu heben versteht, sondern jene Bildung die man meint, wenn man sagt: „Er hat einen guten Schulsack!" Ein Mensch, mit Hellem Kopf, guter Schul» und Allgemeinbildung, der seine Nase in die Welt gesteckt hat und mit offenen Augen im Leben steht, wird doch zehnmal mehr das Gemeindewohl zu fördern verstehen, als einer, dem der Schullehrer das Lesen und Schreiben nur beibrachte, damit er es möglichst bald wieder verlernt. Und nun noch ein Hauptfaktor: Charakter. Ein Mensch, der gewohnt ist, durch sein Amt viel Verantwortung zu haben, bei dem wird Charakter und Pflichterfüllung sehr ausgeprägt sein und dieses beide gehört her, wenn man sich in den Dienst seiner Mitmenschen stellt, wenn man in erster Linie die Vorteile seiner Mitbürger, und dann seine eigenen fördern soll und einen Charakter bildet bekanntlich nicht die stille Abgeschiedenheit, sondern der Strom der Welt.