stark, daß in den oberen Stockwerken Kästen umfielen und kleinere Gegenstände herabgeworfen wurden. Auch einige Kamine fielen der Erdbewegung zum Opfer. Die Bewohner wurden derart erschreckt, daß sie auf die Straßen eilten zum Teil in halbbekleidetem Zustand. Vielfach sah man auch Einwohner dem Friedhofhügel zu eilen, weil sie sich dort am sichersten glaubten. Der erste Stoß wiederholte sich schwach gegen 12 Uhr und um 3 Uhr erfolgte abermals eine etwas kräftigere Erderschütterung. Allgemein wurde erst geglaubt, daß im Salzwerk eine Explosion stattgesunden habe. Dies stellte sich aber alsbald als unwahr heraus. — In Bückingen wurde das Erdbeben sehr stark verspürt. Dort wurden vielfach Beschädigungen an Häusern wahrgenommen, desgleichen in Erlenbach, wo ein Stück von einem Giebel einfiel. — In Ebingen eilten zirka 500 Einwohner auf das freie Feld hinaus, zündeten sich Feuer an, um die sie sich im Kreise scharten. Aus dem Hause der Buchdruckerei des Neuen Albboten stürzten allein 4 Kamine ein, auch einige Oesen wurden umgeworsen und alles vom Platze gerückt. — In Brackenheim dauerte der Erdstoß 10 Sekunden. Auch hier stürzten Kamine zusammen und. fielen auf die Straße. — In Cleebronn fiel der Plafonds des neuen Schulhauses herab. Personen kamen jedoch auch hier nicht zu schaden. — In Niederstetten schwankten bei dem ersten Erdstoß die Häuser so stark, daß Gegenstände von der Wand fielen, Uhren stehen blieben und alles durcheinander geworfen wurde. — Auch in Schramberg zitterten die Häuser. Die Leute eilten auf die Straße und konnten sich erst nach längerer Zeit beruhigen. — In Oberndorf fielen durch den heftigen Stoß Ziegel von den Dächern, Kamine stürzten herab, die Fensterscheiben Klinten, Möbel schwankten und die schon im Bett befindlichen Einwohner fuhren erschreckt aus dem Schlaf. Einige leichtere Stöße folgten, die sich zwischen 3 und 4 Uhr heute früh wiederholten. — In Urach war das Beben von heftigem unterirdischen Rollen begleitet. Auch hier zitterten die Häuser und fielen Gegenstände von der Wand. In den Wirtschaften tanzten die Gläser auf den Tischen und alles rannte bestürzt durcheinander auf die Straßen. — In Biberach war der Erdstoß so stark, daß die Hausglocken zu läuten anfingen. — In Ellwangen wurden die gleichen Wahrnehmungen gemacht. Im nahen Rotenbach stürzte ein Kamin ein. Im ganzen Bezirk eilte die Bevölkerung ins Freie. Bon Geislingen wird berichtet, daß die Passagiere des letzten Zuges glaubten, der Zug entgleise. — In Balingen wurde der Erdstoß sehr heftig verspürt. Er dauerte 8 Sekunden. Zahlreiche Häuser zeigen Risse. Die meisten Kamine sind eingestürzt. Die Fenster klirrten und Bilder und Spiegel fielen von den Wänden. Auch die Uhren blieben stehen. Die Erdstöße wiederholten sich im Laufe der Nacht 15 mal. Der Bahndamm zwischen Lautlingen und Ebingen ist gerissen und der Verkehr wird durch Umsteigen aufrecht erhalten. In Lautlingen entstand infolge des Erdbebens im Elektrizitäts- werk der Witwe Haag durch Kurzschluß Feuer. Das Wohnhaus, die Mühle und das Elekrizitätswerk wurden vollständig eingeäschert. Nur das Meh konnte gerettet werden. Der 73 Jahre alte Vater der Besitzerin wurde mit Mühe aus den Flammen geholt.
Meldungen liegen noch vor aus: Fellbach, Gerabronn, Crailsheim, Waldenburg, Hall, Güglingen, Frauenzimmem, Oettingen, Gunzenhausen.
x Ulm a. D., 17. Nov. Bei einer Untersuchung des Münsters nach Schäden infolge des Erdbebens wurden nur geringfügige Defekte gefunden. Von zwei Pfeilern wurde der Knopf abgerissen; das ist alles.
Aus Hohenzollern kommen ähnlich schlimme Berichte wie aus Balingen. Die Burg Hohenzollern, das Stammschloß unseres Kaisers, hat schwer gelitten. Die schönen Figuren sind beschädigt. Die stattlichen Türme zeigen arge Risse. Die Besatzungskompanie mußte ihre in der Burg gelegene Kaserne verlassen und verbrachte die Nacht aus dem in halber Höhe des Schloßbergs gelegenen Exerzierplatz.
In Konstanz fielen vom Münsterturm große Steine herab. Die etwa 4 Mir. hohe Kreuzblume auf dem Münster zertrümmerte an zwei Stellen den Dachstuhl und fiel ebenfalls auf die Straße. Die Kolossalfigur der Germania auf aus dem Gebäude der Oberpostdirektion, die etwa 5 Mir. hoch ist und ca. 20 Ztr. wiegt, sauste gleichfalls auf die Straße und zersprang in lauter kleine Stücke, die sich teilweise ins Straßenpflaster eingruben. Der Reichsadler, der eine Flügelspannwette von 5 Mir. hat und etwa 10 Ztr. wiegt, fiel ebenfalls auf die Straße. Eine Dienstmagd wurde aus dem eisten Stockwerk 8 Mtr. heruntergeschleudert und erheblich verletzt. Biele Häuser zeigen Risse und Sprünge. Zahlreiche Dächer wurden zum Teil abgedeckt. Die meisten Kamine sind eingestürzt. Das Erdbeben war von einer intensiven blitzartigen Lichterscheinung am Himmel und von starkem unterirdischen Rollen begleitet. Unter der Bevölkerung entstand eine große Panik, die sich erst mit Tagesanbruch legte.
Pforzheim, 16. Nov. Ungefähr um 10 Uhr 32 wurde hier ein mittleres Erdbeben verspürt, das etwa vier Sekunden dauerte. Im Theater brach eine Panik aus, alles flüchtete. Im nördlichen Stadtteil wagt sich kein Mensch in die Häuser.
r München, 16. Nov. Die Erdbebenstation der K. Sternwarte teilt mit: Um 10 Uhr 25 Minuten 50 Sekunden war in München ein starkes Erdbeben zu verzeichnen. Der Seismometer reagierte darauf derart, daß er Heraussiel.
r Augsburg, 17. Nov. Hier und in der ganzen bayrischen Provinz Schwaben wurden gestern abend 10.27 drei starke, hintereinander folgende Erdstöße verspürt.
r Frankfurt a. M., 17. Nov. Auch hier wurde gestern abend 10,25 Uhr ein starker Erdstoß wahrgenommen. Verschiedene Häuser haben große Risse erhalten. Die Feuerwehr und die Rettungsmannschaften mußten vielfach in Tätigkeit treten, doch sind ernsthafte Unfälle nicht oorge- kommen. Auch aus Mainz und Straßburg laufen Meldungen über Erdstöße ein. In verschiedenen Orten sind die Fernsprechleitungen gestört.
Von der Hohenheimer Erdbebenwarte.
Hohenheim, 17. Nov. Die Instrumente der Erdbebenwarte, die sofort nachgesehen wurden, zeigten sehr deutlich Aufzeichnungen mit ungewöhnlich großen Ausschlägen. Daß die Hauptstöße aus Osten kamen, wurde daurch bestätigt, daß die Schreibseder der Ostkomponente des doppelten Horizontalpendels aus ihren Lagern geworfen war, und zwar war dies schon die Wirkung des ersten Stoßes, als dessen Zeitpunkt sich 10. Ahr 26 Min. 16 Sek. ergab. 5 schwache Erschütterungen halten, die die Aufzeichnungen des Trifilargravimeter erkennen ließen, schon um 10 Uhr 26 Min. 3 Sek. eingesetzt. Einige Stunden später um 3 Uhr 3 Min. 45 Sek. folgte ein schwaches Nachbeben, das als wellenförmige Erschütterung ebenfalls deutlich fühlbar wurde.
p Stuttgart, 17. Nov. Nach einer Mitteilung der Erdbebenwarte Hohenheim liegen keinerlei Anhaltspunkte für die Befürchtung vor, daß noch weitere schwerere Stöße Nachfolgen werden, dagegen sei mit der Möglichkeit zu rechnen, daß noch einige schwächere Stöße (Nachbeben) sich einstellen. Im Lauf des heutigen Tages sind vier ganz schwache Erschütterungnn, die nicht mehr gefühlt wurden, von den Instrumenten registriert worden. Die Nachwirkungen werden somit immer schwächer und scheinen dem Erlöschen nahe zu sein. — Im Schrecken über das Erdbeben erlitt eine kranke Frau in der Kreuserstraße einen Herzschlag und starb.
Momentbilder aus Stuttgart.
Im Caf^.
Abends gegen ^11 Uhr. Ich sitze in einem größeren Cafe an der Königstraße, lausche den schwermütigen Klängen einer russischen Steppenweise. Das Gespräch am Nachmittag hatte ich längst vergessen. Da! Was ist das?!
Auf dem schweren Tisch beginnen Gläser und Tassen zu klirren, der Tisch schwankt, der Boden, das ganze Lokal wankt in einer stoßenden, wellenförmigen Erschütterung; die Dielen ächzen und stöhnen, kleinere und größere Stücke Gips rieseln vom Plafond herab und als Begleitmusik ein dumpfes, grollendes Rollen, das aus der tiefsten Erdentiefe heraufzukommen schien.
An allen Tischen ein grausiges, lautloses Entsetzen. Was ist geschehen? Eine Explosion in allernächster Nähe? war mein Gedanke. Doch nein, da müßte man einen Knall gehört haben! Das war das Resultat einer kaum den Zeitpunkt einer Sekunde umfassenden Ueberlegung.
„Ein Erdbeben!" Irgend jemand hatte es an einem Tische laut gerufen. Und von Mund zu Mund flog das Schreckenswort, das starre, lähmende Entsetzen in eine ziellos wilde Flucht lösend. In sinnloser Hast stürzte alles mit schreckensbleichen, vor Grausen verzerrten Mienen zu den Ausgängen. Gläser klirrten zerschmettert am Boden, Tische stürzen, an den Türen ballt sich die aufgeregte Menge zu einem unentwirrbaren Knäuel, sich selbst den Weg ins Freie sperrend. Eine Panik scheint unvermeidlich.
„Ruhe! Es ist nichts mehr zu befürchten!" Ich donnere es in den losenden Strudel. Das hilft; einige Besonnene schaffen Ordnung und ohne ernste Zwischenfälle ergießt sich der Strom aufgeregter, schreiender Menschen die Treppe hinab auf die Straße.
Auf der Straße.
Eine bange Frage liegt auf aller angstverzerrter Mienen. Wird sich der Stoß wiederholen? Was werden die nächsten Minuten bringen? Bilder einer grauenvollen Panik, wohin das Auge blickt. Dort trägt man eine Wöchnerin mit ihrem Neugeborenen in Kissen verpackt auf die Straße; dort starrt, aus ein Sofa gebettet, ein Schwerkranker mit wirren Fieberaugen verständnislos in das aufgeregte Treiben. Doch, damit der Tragödie das Satirspiel nicht fehle, auch komische Szenen gab's in Menge. Im allertiefsten Neglige sehe ich eine ältere Dame dem Dunkel eines Hausflurs enteilen, in ihren Armen wohlgeborgen der rundlich fette Mops, und dahinter das Dienstmädchen, nicht minder ausfallend in der Toilette, das Bauer mit dem Kanarienvogel in den zitternden Händen.
Üeberall in allen Stadtteilen das gleiche Bild. Ganz besonders Aengstltche sah man mit Weib und Kind den umliegenden Höhen zustreben. Allein auf dem Hasenberg zählte ich nicht weniger wie 56 Kinderwagen.
Ich wende mich zurück zur Stadt; noch immer sind die Straßen voll von Menschen, die nicht wagen, in ihre Wohnungen zurückzukehren. Ich eile zur Redaktion. Eine unübersehbare Menge, die aufgeregt auf Nachrichten wartet, drängt sich rings in allen Straßen und ich muß mir einen Schutzmann zu Hilfe nehmen, um einen Weg durch das Gewühl zu bahnen.
Und während ich dies niederschreibe, tobt unter den Fenstern die ständig wachsende Menge nach neuen Extrablättern. Als ich gegen 3 Uhr einen zweiten Rundgang durch die Straßen antrat, hatte sich die Erregung gelegt und alles strebte beruhigt den heimischen Penaten zu.
In der Redaktion.
Am ITagblattgebäude mußte ich mir den Weg durch eine dichtstehende Menge Wartender bahnen, die Nachrichten haben wollten. Nachrichten, Nachrichten, woher nehmen und
nicht stehlen? Ich wußte nichts, als was ich selbst gesehen und mitgemacht, und waren denn die Untenstehenden nicht auch gerade so dabei gewesen wie ich? Bald jedoch ging das Telephon wieder und nun war zu telephonieren, zu schreiben, Extrablätter herauszugeben, Arbeit über Arbeit. Bor dem Hause verdichtete sich die Menge und kaum war ein Bote mit Extrablättern aus dem Haus getreten, wurde er umringt und ihm die Blätter abgenommen. Steckte einer von uns einmal unvorsichtig den Kopf aus dem Fenster, so wurde er gleich angerufen: „Was Neues?" — Nein! Johlen, Schreien und Pfeifen war der Lohn für die Antwort. Und was können wir dafür? Wir haben alle fieberhaft gearbeitet. Endlich, es war gegen 2 Uhr, wurde es auch bei uns ruhiger; die Menge sah, daß nichts mehr zu holen war, sie verlief sich allmählich und auch am Zentral- telephon fielen die Klappen spärlicher. Wir haben sechs Nummern, fortwährend waren sie belegt: „Was ist's denn mit dem Erdbeben?" — „War das ein Erdbeben?" — „Kann ich ruhig zu Bett gehen?" — das alles wurden wir gefragt und wir hatten nicht geringe Mühe, die aller- notwendtgsten quswärtigen Verbindungen Herstellen lassen zu können, um doch die sehnlichst erwarteten Nachrichten zu bekommen. Der letzte Anruf erreichte uns um — erschrecken Sie nicht, liebe Leser, und wir haben ja dem Guten auch gerne geantwortet — um ^4 Uhr, und der Frager fragte: „Meinen Sie, daß ich jetzt beruhigt in mein Bett gehen kann?" Was sollten wir da sagen ...?
(,N. T.")
Wahrscheinlich ein tektonisches Erdbeben.
Der geologische Sachverständige. Prof. Dr. Fraas, gibt aus Anfrage seine Ansicht über das Erdbeben dahin kund, daß es sich höchst wahrscheinlich um ein tektonisches Erdbeben handelt, das durch die Alpenbewegung heroor- gerufen, seine Wellen in das Flachland weitersandte.
Unter tektonischen Erdbeben, auch Dislokationsbeben, versteht man im Gegensatz zu den vulkanischen Beben und den lokal beschränkten Einsturzbeben, die auf die Elastizität der Erdrinde und ihre Dislokation zurückzuführen sind. Ihr Ursprung ist also wohl im Uebergang der gasförmigen Peripherie des Erdkerns in den flüssigen oder festen Zustand der Erdrinde zu suchen. Sie sind also die normalen Begleiterscheinungen der Erkaltung der Erde, die freilich für ihre Bewohner recht bedenklich werden können.
r Crdbebenchronik. Die stärksten Erdbeben waren in Württemberg, soweit sich geschichtlich seststellen läßt, am 7. März 1654, ferner am 11., 18. und 29. März 1655. Der letztgenannte Tag war ein allgemeiner Unglückstag für das Land. In neuerer Zeit waren Erdbebentags der 5. August 1728, wo in Heilbronn nachmittags zwischen 4 und 5 Uhr die kleine Glocke unter dem Männlein des Kilians- turmes zu schlagen anfing. Ferner der 7. Februar 1839, den die ganz alten Leute aus ihrer Jugend noch wohl in Erinnerung haben und der ähnlich wie der gestrige Tag verlausen zu sein scheint.
Destfches Reick.
Grünsfeld (A. Tauberbischofsheim), 17. Nov. In dem erst kürzlich durch den eine schwere Brandkatastrophe heimgesuchten Ort trat durch den heftigen Erdstoß 10 Uhr 30 Min. Kurzschluß der elektrischen Leitung ein, wodurch ein Großfeuer entstand. 17 Wohnhäuser wurden ein Raub der Flammen, 50 Menschen sind obdachlos. Zum Glück ist alles versichert.
Der Krieg um Tripolis.
Frieden in Sicht?
Wien, 16. Nov. Der „N. Fr. Pr." wird aus Rom gemeldet, daß die Türkei bei den Großmächten Schritte getan habe, die in kürzester Frist zu Friedensverhandlungen führen werden.
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^ des Erlaubten wird die Packung von Scotts ! Lebertran-Emulsion vielfach nachgemacht, um
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ja den Eindruck des Original- sträparates zu erwecken. Man hüte sich vor solchen Nachahmungen und bestehe darauf, die echte Scotts Ennttsion zu erhalten, wenn man sein Geld nutzbringend anwenden will.
Es ist die echte Scotts ' , die sich seit 33 Zähren bewährt hat.
. Mutmaßt. Wetter am Sonntag und Montag.
Die neue über England erschienene Depression dringt nach Osten vor. Der Hochdruck ist vollends nach der Donaumündung zurückgewlchen. Für Sonntag und Montag steht meist trübes und naßkaltes Wetter bevor.
Hiezu ein zweites Blatt und das Illustrierte Sonntagsblatt Nr. 47
Druck und Verlag der G. W. Zaiser'schen Buchdruckern lL-<» Zäher Nagold. — Nr die Redaktion verantwortlich: K. Pauk.