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Fernsprecher Nr. 28.

86. Jahrgang.

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* Illustr. Sonutagsblatt und

Schwäb. Landwirt.

285

Samstag» dm 11. Hlovemöer

L911

Agk. Hbercunt Wagokd.

Die Herren Verwaltungsaktuare werden veranlaßt, bis 1. k. Mts. Bericht über den Vollzug der Steuerumlagen süc 1911 zu erstatten.

Den 9. Noo. 1911. Kommerell.

Der Wetterwart.

Sskttische Arnfcha«.

x Das politische Leben in unserem engerenzVaterlande hat uns in der abgelausenen Woche keinerlei bemerkenswerte Ereignisse gebracht. Das ewige Hin und Her derliberalen Einigung" verliert nachgerade auch in den Kreisen, die den Vulsschlag des politischen Lebens gerne und aufmerksam verfolgen an Interesse, weil ihnen die hiebei zutage treten­den Kleinlichkeiten zuwider sind, und man wird sich kaum verhehlen dürfen, daß aus der weitgreifcnden Verstimmung eine recht merkliche Rückwirkung auf die Betätigungsfreud- igkeit der Wähler herauswachsen wird.

In der Reichspotttik hat die Marokkosrage noch­mals einen Alarmrus über das ganze Reich hin geweckt. Wiegt man die Stimmen für und wider ab, das überragende Schwergewicht des letzteren springt sinnfällig in die Augen. Es wird einem zwar in gewissen Kreisen fast wie böser Wille ausgelegt, wenn man zu dem Abkommen kein freund­liches Gesicht macht oder nicht wenigstens die Regierung be- komplimentiert dafür, daß sie uns mit einem Dutzend recht wohlgemeinter Paragraphen abgefunden, aber das tut ihm nichts, dazu sind ja die sogen. Offiziösen da, daß sie den Anwalt des grünen Tisches spielen. Der Berliner Lokal- onzeiger meint gegenüber den Einwänden, daß die Bestimm­ungen über unsere Gleichberechtigung in Marokko nur auf dem Papier ständen,jeder Vertrag stehe zunächst nur auf dem Papier". Ja so gescheit sind wir auch, wir meinen aber, man hat eben zu viel Wert auf das Papier gelegt und darob so manches prcisgegeben, was wir nicht preis­geben durften, wenn wir die realen Werte höher einschätzten, als es tatsächlich der Fall ist. Wenn das genannte Blatt meint,wir treten jetzt in eine neue Phase unserer Bezieh­ungen zu Frankreich, die uns wertvolle Früchte bringen Kanu", so ist diese Phase eben eine leere Phrase. Die Gegenwart aber lehrt uns, daß wir dieneue Phase unserer Beziehungen zu Frankreich" aus einen Wechsel genommen haben, den wir selber jetzt schon mit ganz erheblichen Opfern an nationalem Prestige und starker Einbuße unserer Macht­wirkung diskontiert haben, während wir ihn am Berfall- termin mit der Einsicht werden einiösen müssen, der be­trogene Michel zu sein. Von dieser Ueberzeugung bringt uns nichts ab. Umsoweniger, nachdem wir ersehen haben, welches Schwänzchen denKongo-Kompensationen" ange­hängt worden ist. Wir müssen uns nämlich jetzt sagen lassen, der Vertrag sei viel besser als vermutet worden sei, denn wir müssen an die französischen Konzessionsgesellschasten, die in dem an uns abgetretenen Gebiete Landbesitz haben, keine Abfindung bezahlen, die Geschichte sei viel einfacher, näm­lich die, daß die Gesellschaften das Recht haben, ihre Kon­zessionen noch etliche 10 oder 20 Jahre auszunützen. Das ist ja wunderbar! Die Franzosen selbst haben erklärt, daß von den Gesellschaften schwer schädigender Raubbau getrieben worden sei, und dies soll nun noch zehn oder gar mehr Jahre weiter gehen. Was da dann noch für uns übrig bleiben wird? Und damit vergleiche man nun, was die Franzosen in Marokko erhalten, dessen Boden einen fast unerschöpflichen Reichtum birgt und das zudem dem Weltverkehr bereits in weitem Maße erschlossen ist, während das Kongo­gebiet, das wir erhalten, einesteils ganz von den großen Verkehrswegen abgelegen ist, andernteils von den Zugängen zum Verkehr uns gerade soviel übrig gelassen ist, daß wir knapp durchschlüpfen können und irgend ein Ereignis uns jederzeit eine Schranke oorschieben kann. Den Gebietszu­wachs an sich wollen wir gewiß nicht herabsetzen, aber die Grenze Kameruns ist durch diesen Zuwachs derart in die Länge gezogen, ohne daß sie einen entsprechenden Komplex Hinterland einschlteßt, daß wir bei irgend welchem Vorkomm­nis einen ganz unverhältnismäßigen Kräfteaufwand betätigen müssen. Dieses und noch verschiedenes andere, was wir in den Rahmen unserer kleinen Umschau nicht einschließen können, sind Dinge, die uns bei aller Anerkennung der großen und schwierigen diplomatischen Arbeit, die geleistet worden ist, das gewünschte freudige Gesicht zu zeigen un­möglich machen. Wir fügen uns resigniert und stellen uns in die Reihe derer, für die der Galgenhumor das Wort ge­prägt hat:glücklich ist, wer vergißt, was nicht mehr zu ändern ist."

Die Italiener haben wohl die Bärenhaut verkauft, aber den Bären haben sie noch nicht. Angesichts der Er­folge, die sie trotz gewaltiger Heereskräste bisher in Tripo­

lis errungen, nimmt sich die feierliche Verkündigung der Annexion des Landes fast etwas komisch aus. Wenn sie nur wenigstens die Küstenpunkte schon in festem Besitz hätten, aber da hapert es noch ganz bedenklich, trotzdem sie uns in allen Variationen ihre ununterbrochenenSiege" und die Unterwürfigkeit derjenigen Araber versichern, die nicht so dumm waren, im Vertrauen auf Loyalität einer Kulturmacht im Bereiche der italienischen Bajonette zu bleiben. Die Bilder, die wir in letzter Zeit von dieser modernen Barbaren- Wirtschaft gezeichnet bekamen, lassen uns in aller Gemüts­ruhe den Schmerz überwinden, daß die Italiener uns so furchtbar böse sind, weil die deutsche Presse sich getraute, diesem famosen Bundesgenossen tüchtig die Leviten zu lesen.

Wir haben schon vor zwei Wochen an dieser Stelle be­merkt, daß der Entwicklungsgang der Revolution in China sich nicht mehr aufhalten lassen werde, aber daß der Strom der Bewegung so rasch und so gewaltig das Land überfluten werde, konnte niemand voraussehen. Nun hat er bereits die Hauptstadt überflutet, ein Halten gibts jetzt nicht mehr, und man kann heute sagen, daß die Jahr­hunderte alte Mandschu-Dynastie ihre Rolle ausgespielt hat. So hat das unaufhaltsam rollende Rad der Zeit auch dieses Land der Traditionen erfaßt, das nun aus einem tausend­jährigen Schlafe ausgemacht für die Geschichte der Welt- polittk seinen Platz beanspruchen wird.

Aas Marokko- und Kongo-ASKommm im Keichslag.

(Schluß der Sitzung vom 9. Nov.)

Frhr. v. Hertling (Z.) beantragt, Ueberweisung des Abkommens und der Anträge an die Budgetkommisston. Das Abkommen ist dem'Reichstage lediglich zur iKenntnis- nahme vorgelegt worden. Meine politischen Freunde sind der Meinung, daß dies aus einer irrigen Rechtsauffassung beruht. Diese Frage, ob derartige Gebietsänderungen ohne den Reichstag gemacht werden dürfen, muß jetzt ernstlich in Angriff genommen werden. Verträge von so außerordent­licher Tragweite fordern schon jetzt die Genehmigung des Bundesrats und des Reichstages. Redner erörtert das Ab­kommen des näheren, fragt, was an den Gerüchten sei über Verhandlungen, die wir früher mit Frankreich hätten führen können auf vorteilhaftere Art und betont in bezug auf die oft erwähnte Friedensliebe, daß wir zwar ein friedliches Volk, aber auch ein kräftiges Volk sind. Wir sind finan­ziell gerüstet, dank der Reichsfinanzreform. Es würde nichts schaden, wenn einmal von autoritativer Seite gesagt würde, daß die Aufrechterhaltung des Friedens zwar ein hohes Gut ist, daß es aber zu teuer erkauft wäre, wenn es nur auf Kosten unserer Weltstellung geschehe.

Dr. Heydebrandt (Kons.) vermißt eine ausführliche Begründung zur Vorlage. Redner vertritt den Standpunkt, daß dem Reichstage ein über den gegenwärtigen Zustand hinausgehendes Mitwirkungsrecht von dem Abkommen nicht zusteht. Er kritisiert den Rücktritt des Herrn von Linde- quist, ist durch das Abkommen nicht befriedigt und meint, man hätte doch mehr herausschlagen können. Durch Nach­giebigkeit, so fährt der Redner fort, sichern wir uns nicht den Frieden, sondern durch das deutsche Schwert. (Lebhafter Beifall und Nicken des Kronprinzen in der Hofloge.)

Nach einer Bemerkung des Staatssekretärs v. Kiderlen- Wächter nimmt Abg. Bebel das Wort und bezeichnet es als eine Schmach für den Reichstag, wenn ihm zugemutet wird, über diese Vorlage zu reden, aber nicht zu urteilen. Redner ist dafür, daß wir uns mit England verständigen und aus dem Dreibund einen Bierbund machen, der dann die ganze Herrschaft der Welt hätte. Der Kongovertrag sei nichts wert und die ganze Kolonialpolitik Kapitalistenpolitik.

Bassermann (natl.) betont die Notwendigkeit einer eingehenden Erörterung der staatsrechtlichen und verfassungs­rechtlichen Fragen in der Kommission, fordert insbesondere ein Weißbuch und Vorlage des Reichsjustizamtes und er­wähnt weiter die Reformbedürftigkeit des Interpellations­rechtes des Reichstages. Mit dem Vertrage sei nicht viel erreicht, dagegen habe Frankreich große Errungenschaften erzielt. Weiterberatung Freitag 1 Ühr.

^ Berlin, 10. Nov.

Wiemer (s.Bp^): Wir sind selbstverständlich geme dazu bereit, für die Weltmachtstellung Deutschlands einzu­treten. Mit Säbelgerassel ist aber den deutschen Interessen nicht gedient. Der Kriegsruf des Herrn Heydebrand war nicht am Platz. Weshalb zeigten die Konservativen sich nicht auch bei der Reichsfinanzreform so opferwillig wie jetzt? Sind Sie jetzt etwa bereit, für die Erbschaftssteuer einzutreten? (Zurufe rechts: Nein!) Ich habe nichts andere» erwartet. Ein Hauptfehler beim Marokkohandel war die Enttenduna

von Kriegsschiffen nach Agadir. Auch das Auswärtige Amt dürfte in dieser Hinsicht nicht schuldlos dastehen. Wenn der Friede erhalten worden ist, so ist zu sagen, daß Fr trotz der Demonstration erhalten worden ist. Auch uns wäre ein Stück von Marokko lieber gewesen, als das Kongo­gebiet. Andererseits hätte die Unabhängigkeit des fcherifischen Reiches gewahrt werden müssen. Bedenklich ist ein Ueber- setzungsfehler im Vertrag. Während im französischen Text von Eisenbergwerken die Rede ist, spricht der deutsche von Erzbergwerken. Der gegenwärtige Leiter des Kolonial- amtes beurteilt die Abrundung Kameruns recht günstig. Er preist in der Denkschrift, daß wir statt des einen Enten­schnabels oben, zwei unten bekommen. (Schall. Heiterkett.) Der frühere Gouverneur von Kamerun, Herr v. Puttkam­mer, sieht dagegen darin nur eine Mehrbelastung unseres Kamerunetats. Bedenklich ist die Bewilligung einer Etap­penstraße durch Kamemn an Frankreich. Die Hauptfrage ist, was kostet uns dieser neue Erwerb. Eine Verstärkung der Schutztruppe wird unbedingt notwendig sein. Fast die einzige Zustimmung des Hauses wurde bei der gestrigen Rede des Reichskanzlers laut, als er von der mannhaften und ehrenhaften Art sprach, mit der Herr v. Lindequist sein, Amt geführt hat. Ich wünschte, wir hätten mehr Minister, die zur rechten Zeit zu gehen wissen. Blindwütiger England haß kann uns nicht oorgeworfen werden. Die deutsche Nation lehnt es ab, daß die englischen Forderungen identisch seien mit den unsrigen. Andererseits muß ich dagegen Einspruch erheben, daß in diesem Hause mit einem Kriege mit England gedroht wird, umsomehr als in England ernste Bestrebungen im Gange sind, die Mißverständnisse zwischen den beiden Ländern zu beseitigen. Die gegenwärtige Situ- ation aus die Politik des Fürsten Bülow zurückzuführen, wäre ungerecht. Ich bedaure, daß der Erbe der Krone hier seinen Beifall zu erkennen gegeben hat, als die Politik des auswärtigen Amtes kritisiert wurde. (Lebh. Bravo links, Lachen rechts, Zurufe.) Ich bedaure, daß eine Mani­festation möglich gewesen ist in einem Augenblick, wo über ein Friedenswerk verhandelt wurde und wo der Vertreter unserer auswärtigen Politik sagte, Gott sei Dank, daß die Reibungen beseitigt sind. Durch eine derartige Manifestation ist alles wieder in Frage gestellt worden, wie die heutigen Verhandlungen in der französ. Presse, z. B. im Eclaire, zeigen. Wir müssen daran festhalten, daß nicht ein bureau- kratisches oder persönliches Regiment das Glück der Nation verbürgt, sondem die ernsthafte und redliche Arbeit aller Volksschichten auf dem Boden der Verfassung für Fort­schritt und Freiheit. (Lebh. Beif. links.)

(Schluß folgt).

jDer Kronprinz im Reichstag.

Mitten in den Ausführungen des Reichskanzlers zum Marokko-Abkommen erschien der Kronprinz, der seinen schon anwesenden Bruder, den Prinzen August Wilhelm, freundlich begrüßte und sich dann in der Hofloge niederließ, nicht ohne von nun an durch sehr lebhafte Gesten Kopfschütteln, Aufschlagen aus die Brüstung, Kopf­nicken sich in seiner Art an der Verhandlung zu be- teiligen. Aus dem stummen Spiel des Kaisersohnes ging deutlich hervor, daß er zu denen gehört, die mit der Marokko-Entwicklung sehr wenig einverstanden sind. Namentlich die Zustimmungskundgebungen bei der Rede des Herrn v. Heydebrand fielen außerordentlich auf.

Ungewöhnliches Aufsehen erregt die offensichtlich zur Schau getragene Opposition des preußischen Kron­prinzen gegenüber der Politik seines Vaters und dessen Regierung. Sein Verhalten in der Reichstagssitzung (s. oben) läßt nunmehr als wahrscheinlicher erscheinen, was die Nat.-Ztg." in Berlin in fettem Druck gemeldet hat, und imGesellschafter" gestern wiedergegeben wurde.

Tages-Neuigketten.

U»» Stadt mrd Land.

Nagold, 11. November 1811.

* Bortrag. Am morgigen Sonntag, abends Vs 8 Uhr, wird der hier schon bekannte Pastor Ieanneret aus Lüttich von der Belgischen Misstonskirche im Bereinshaus einen Bortrag über die Evangelisation in Belgien halten mit dem Thema: Ein Gang durch die Bergwerke Belgiens. Es wird auch an dieser Stelle darauf hingewiesen.

* Zu dem Ttrasieubahnunglück am Bopser in Stuttgart wird uns erst jetzt mitgeteilt, daß leider auch zwei hiesige Bürgerföhne, Eugen und Oskar Rapp, Söhne des Herrn Kaufmann Rapp hier, mit dem Unglücks­wagen fuhren und verletzt wurden. Beide erlitten starke Kopfwunden und Armverstauchungen: sie wurden ins Olga­hospital verbracht. Es geht ihnen jetzt verhältnismäßig order

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