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88. Jahrgang.
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Schwäb. Sandwitt.
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Kann eventuell Deutschland mit England zusammen an den Konferenztisch treten.? Wäre dies nicht für England die ökonomische Gelegenheit, die eigenen Pläne, die kein Geheimnis sind, zu verwirklichen? Und würde nun, nachdem jeder seinen Teil aus der Liquidation der orientalischen Frage gezogen hat, nicht die Aufrichtung einer ehrlich gemeinten Garantie für den Bestand und die Gesundung der Türkei möglich sein? Müßte nicht den Iungtürken selbst diese Gelegenheit zur Rettung ihres Prestiges erwünscht sein, da sie dem ottomanischen Volke gegenüber zur Rechtfertigung ihrer Konzessionierung sich auf den stärkeren Willen Europas berufen könnten?
Wir sind, indem wir uns in die Pläne der englischen Politik hineinzudenken suchten, zur Annahme gelangt, daß die Einberufung einer Konferenz in der Linie ihrer Absichten liegt: das heißt, wir haben die Konserenzidee aus der englischen Politik selbst abgeleitet. Wir meinen aber, daß dieser Gedanke auch von den anderen Mächten als der vernünftige ins Auge gefaßt zu werden verdient. Gewiß erhebt sich die Frage nach der Situation, die Deutschland abwarten oder schassen niüßte, um mit Aussicht aus Erfolg an den Konferenztisch treten zu können. Aber diese Frage kommt gleich vielen anderen in zweiter Linie. Die erste und wichtigste Frage muß lauten: Ist die Konferenz notwendig oder nicht? Nun lassen sich, wie es scheint, in der allgemeinen europäischen Situation eine Reihe von Gründennachweisen, die die Konferenz fast als unvermeidlich erscheinen lassen.
Vor allem sind es die Türken selbst, die offenkundig Lizitationspolitik treiben. Die Zeiten, wo sie den Gedanken an den Eintritt in eine Kombination nur darum für inopportun erklärten, weil sie sich für genügend gekräftigt erachteten und weil ihre Schwäche ein Bündnis für sie zu einem Protektoratsverhältnis machen könnte, sind vorbei. Heute erklärt der „Tanin" rundheraus, daß die Türkei Auktionspolitik treibe und daß sie sich dem geben werde, der am meisten bietet. Nun hat aber diese Auktion nicht den erwarteten Erfolg gehabt. Die erhofften Angebote sind allsgeblieben, weil wie es scheint, in den beiden in Betracht kommenden Mächtegruppen die Empfindung vorherrscht, daß die Einreihung der Türkei in eines der Systeme das bestehende europäische Gleichgewicht stören und zu einer sehr bedenklichen Zuspitzung der Verhältnisse führen könnte. Und schon die konkurrierenden Versuche der beiden Gruppen, den respektioen Einfluß geltend zu machen, haben zu der Erweckung von Gegensätzen geführt, die die Lösung der Tripolisfrage durch die eine oder die andere Gruppe nicht eben erleichtern. Ferner fiele der Macht, die mit der Türkei in ein Bündnisverhältnis träte, quasi die Ausgabe zu, ihr statt der bisherigen papierenen Garantien zur Erhaltung ihres Besitzstandes bewaffnete Hilfe zu gewähren. Im Jahre 1908 haben England und Frankreich dieses Risiko nicht zu übernehmen gewagt. Und die Gründe, die damals die beiden Mächte abschreckten, gelten auch heute noch. Es besteht keine sichere Aussicht für die Regeneration des ottomanischen Reiches: das jungtürkische Regime hat sich als schwach erwiesen, die Politik der Ottomanisierung hat ungünstige Resultate ergeben, und es hat sich jedenfalls unfähig erwiesen, die seit jeher aus den Zerfall hinarbeitenden Kräfte hintanzuhalten. Für Deutschland käme auch die Rücksicht auf fein Verhältnis zu Italien in Betracht. Die Türken sehen übrigens nicht klar und sind im Zweifel, welcher Anschluß für sie der geeignete wäre.
Ferner muß man bedenken, daß die Expedition der Italiener in Tripolis sich durchaus nicht zu einem militärischen Spaziergang zu gestalten scheint. Das anfänglich so günstig vorgeschrittene Unternehmen wird von Tag zu Tag schwieriger, der Kampf wird immer ernster, und man kann jetzt von einem wirklichen Kriege sprechen, der mit allen Unannehmlichkeiten des Guerillakrieges verschärft erscheint. Auch die Hoffnungen, die die italienische Regierung auf das Entgegenkommen der Senussitenbruderschaft mit Rücksicht aus den vor drssi Jahren von ihrem Oberhaupt unternommenen Schritt gesetzt hat. haben sich als ebenso unbegründet erwiesen wie die Erwartung, die Araber würden die italienische Okkupation freudig begrüßen, weil sie in der Erinnerung ihrer alten Kultur auf den Türken mit Haß als aus den Barbaren hinabsehen. Nun haben sich Religion oder Interesse als stärker erwiesen, und auch die Hilfe der Se- nufstten bleibt aus, die 1908 wohl nur aus Reaktion gegen Frankreich sich Italien zugeneigt hatten. Dieser Erfolg oder dieser Widerstand der Türken hat aber ein doppeltes Ergebnis. Italien wird nun von seiner anfänglichen Forderung nach wirklicher Annexion noch weniger «blassen. Denn
Mittwoch, dm 8. Kovemöer
die Gefahren, die mit Erhaltung der nominellen Suzeräni- tät verknüpft sind, müßten bei steter Feindschaft der Araber noch erhöht erscheinen. Und die Türken fühlen sich ermutigt. Diese Umstände müssen zusammen auf eine weitere Verschleppung der Affäre hinwirken, die nicht im Interesse der Mächte liegt. Mit dem Wachsen der türkischen Erfolge wird die Verständigung opportun. Zwischen beiden Mächten ebenso wird die Lösung des Konfliktes durch eine der beiden Gruppen oder durch eine einzelne Macht erschwert. So bliebe denn nur eine Lösung, das Zusammenarbeiten aller Mächte, und dieses wäre auf einer Konferenz ermöglicht.
Julius Sachs im „März".
Deutscher Reichstag.
^ Berlin, 7. Nov.
Am Bundesratstisch die Staatssekretär Dr. Delbrück.
Der Präs, eröffnet die Sitzung um 2 Uhr 15. Eingegangen ist das deutsch-französische Marokko - Kongo- Abkommen.
Auf der Tagesordnung steht die erste Lesung des Handels- und Schiffahrtsvertrags zwischen Deutschland und Japan.
Staatssekr. Delbrück: Der vorliegende Entwurf ergänzt die bisherigen deutsch-japanischen Abkommen. Diese Ergänzung bezieht sich aus die Kündigungsfrist. Der bisherige am 17. Juli d. I. in Kraft getretene Vertrag ist mit zwölfjähriger Dauer abgeschlossen worden. Die Kündigung hat frühestens am 16. Juli 1923 mit zwölfmonatlicher Frist zu erfolgen. Es besteht die Kündigungsklausel, daß der Vertrag bis 31. März 1912 mit Wirkung bis zum 31. Dez. 1912 gekündigt werden kann, falls der Reichstag ihm seine Genehmigung versagt. Der Vertrag soll nunmehr gemeinsam mit dem Zollabkommen mit Japan gekündigt werden können. Neu ist die Bestimmung, daß auch den Postschiffen hinsichtlich aller Erleichterungen und Vorrechte die Meistbegünstigung zugesichert wird. Ich bitte um ihre Zustimmung.
Pjieper (Z.): In dem Vertrag hätte mehr Rücksicht genommen werden müssen auf die deutsche Seidenindustrie. Von der Antwort der Regierung auf die Beschwerden dieser Industrie wird meine Partei ihre Stellung abhängig machen.
Stresemann (natl.): Für die Seidenindustrie ist es bedauerlich, daß sie gewissermaßen Kompensationsobjekt gewesen ist. Auch die Kammgarnindustrie in Deutschland muß mehr berücksichtigt werden. Uebrigens ist ein Tarifvertrag der Meistbegünstigung vorzuziehen.
Kämpf (freis. B.): Der Vertrag begegnet manchen Bedenken. Die Meistbegünstigungsklausel wird vielfach unterschätzt.
Staatssekretär Dr. Delbrück: Man kann nicht behaupten, daß Deutschland nicht mehr zu Handelsverträgen vermöge seines Schutzzollsystems komme. Durch einen Abbau unserer Zölle würden wir nicht in der Lage sein, günstigeres Rüstzeug für den Abschluß von Handelsverträgen zu bekommen. Auf die Meistbegünstigungsklausel beim Abschluß unserer Handelsabkommen können wir nicht verzichten. Allerdings müssen die diesem System anhaftenden Mängel durch geeignete andere Grundsätze ersetzt werden. Die Zölle müssen als wirksames Kampfmittel beim Abschluß von Handelsverträgen angewandt werden. Für die Seidenindustrie hat es sich lediglich um die Festlegung eines seit 1899 tatsächlich bestehenden Zustandes gehandelt. Der neue französische Zolltarif hat uns allerdings große Lasten auserlegt. Die mit Frankreich bestehende Taraordnung wird alsbald einer Aenderung unterzogen werden.
Unterstaatssekretär Kühn äußert sich über die Taraordnung in Frankreich.
Ministerialdirektor von Körner: Es ist unzutreffend, daß der französische Text des Abkommens mit der deutschen Übersetzung nicht übereinstimme.
Sudekum (Soz.): An dem vorliegendem Vertrag ist das beste, daß er überhaupt zustande gekommen ist. Für die Einführung der Sojabohne, eines Futtermittels, hätte ein günstigerer Tarifsatz gefunden werden sollen.
Staatssekretär Dr. Delbrück: Die Sojabohne wird bei uns zollfrei eingeführt.
Linz (Rp.): Die japanische Industrie ist die gefährlichste Konkurrentin. Eine Revision des gegenwärtigen Vertrags- und Tarifssystems erscheint notwendig zu sein.
Werner (wirt. Bgg.): Wir müssen den Zollschutz aufrechterhalten und das wäre auch in Bezug auf das Abkommen mit Japan notwendig gewesen.
Dr. Rösicke (B. d. L.) beklagt gleichfalls, daß sich der Vertrag mtt Japan wieder lediglich auf Meistbegünstigung stützt.
1911
Nach weiterer Debatte schließt die erste Lesung. Die zweite Beratung folgt sogleich und der Vertrag wird ohne Debatte genehmigt.
Das Haus nimmt sodann in erster und zweiter Lesung die Vereinbarung zwischen dem Reich und Japan über das Konsulatswesen, den Vertrag mit Großbritannien über dis gegenseitige Auslieferung von Verbrechern zwischen Deutschland und gewissen britischen Protektoraten und den Gesetzentwurf betreffend die Handelsbeziehungen zum britischen Reiche an.
Daraus wird Vertagung beschlossen. Nächste Sitzung Donnerstag 1 Uhr mit der Tagesordnung Besprechung dir auswärtigen Politik und Marokko-Kongo-Abkommen.
Tages-Neuigketten.
U»» Stadt m»d Land.
Nagold, 8. November 1911
Die großen Mißstände im privaten Sub- mifstonswesen haben die Handwerkskammer Reutlingen veranlaßt, beim Deutschen Handwerks- und Gc- werbekammertag den Antrag zu stellen, diese speziell für das gesamte Bauhandwerk hochwichtige Frage auf einem der nächsten Handwerkskammertage zu behandeln. Am 26. Oktober d. I. hat sich nun der geschästsführende Ausschuß des Kammertags mit dieser Frage befaßt, nachdem zuvor die Kommission für Handel und Verkehr unter Zuziehung der Handwerkskammer Reutlingen hierüber eingehend beraten hatte. Hcffidwerkskammersekretär Hermann-Reutlingen erstattete im Aufträge seiner Kammer das Refercn, in welchem die Schäden des privaten Submissionswesens hervorgehoben werden, durch welche dem Bauhandwerk in Deutschland jährlich Riesensummen verloren gehen. — Es soll einerseits versucht werden mit den großen Architektenverbänden in Unterhandlungen über einheitliche Gestaltung der Werkverträge zu treten und hiebei die schwersten Schäden auszumerzen, andererseits hält der Referent auch eine reichsgesetzliche Regelung des Submissionsoertrags für angebracht und möglich. Der Ausschuß des Kammec- tags beschloß hierauf entsprechend dem Reutlinger Antrag bei der Bedeutsamkeit der Frage eine Spezialkommission für das Submissionswesen zu bilden, welche sich aus den Handwerkskammern Reutlingen, Mannheim, Dortmund, Breslau und der Gewerbekammer Lübeck zusammensetzt. Sache dieser Kommission ist es nun, dem Handwerkskammertag brauchbare Vorschläge zur weiteren Aktion zu machen.
r Stuttgart, 6. Nov. (Schwerer Eisenbahn-Unfall). Heute nachmittag stießen auf dem Nordbahnhof zwei Rangierabteilungen zusammen, dabei wurde der Lokomotivführer Schönemann getötet und dem Heizer Neef und dem Ankuppler Barth beide Beine abgefahren. Die beiden letzteren wurden ins Katharinenhospital übergefllhrt.
— Im Hospital ist noch gestern abend der Ankuppler Barth seinen Verletzungen erlegen. Der Heizer liegt schwer krank darnieder und es ist fraglich, ob er mit dem Leben davonkommt.
Don einem Augenzeuge geht dem „Schw. Merk." folgende Schilderung des schweren Unfalls zu: Kurz nach 5 Uhr raste eine Tendermaschine mit größter Geschwindigkeit auf einem toten Gleis vom Rangierberg gegen die Abschlußmauer des Nordbahnhofs. Der auf der Maschine eingeklemmte Führer schrie händeringend um Hilfe. Doch war alle Menschenkrast vergebens. Ein Knall und die Maschine zerschmetterte eine leere Unterkunftshlltte in Stücke und verfing sich in der Abschlußmauer. Dampfwolken strömten in die Höhe und ein schauriger Anblick bot sich den Herbei- etlenden. Den vereinten Kräften von Bahnpersonal und Arbeitern des Tunnelumbaus gelang es, nach gefahrvoller Arbeit den Führer aus den Trümmern herauszuhauen, doch schon war der Tod eingetreten, der ausströmende Dampf hatte den Unglücklichen von seinen Schmerzen befreit. Als der Tote zurückgetragen wurde, bot sich wieder ein schreckliches Bild: mit überfahrenen Gliedem lagen die beiden anderen Opfer des Unfalls aus dem Bahnhof. Der Heizer stieß markerschütternde Hilferufe aus, während der Ankuppler noch längere Zeit bei Bewußtsein war. Unter Leitung von Bauinspektor Jörg wurden die Bergungsarbeiten vorgenommen und in kurzer Zeit waren Beamte der Eisenbahn- oerwaltung mit Baudirektor v. Neuster an der Spitze auf der Unsallstelle erschienen. Der herbeigerufene Sanitätswagen traf um 5^2 Uhr ein; der Cannstatter Wagen erschien um Uhr.
Die Ursache des Unglücks war folgende: Bei Ausführung einer Rangierbewegung fuhr eine Lokomotive mit einem Güterwagen auf eine kreuzende Maschine auf und