Deutscher Reichstag.

VV Berlin, 24. Okt.

Am Bundesratstisch die Staatssekretäre Delbrück, Wermuth, Lisko, Schorlemer und Unterstaatssekr. Wanschaffe.

Der Präsident eröffnet die Sitzung um 1 Uhr 20. Die Besprechung der Interpellationen über die Lebensmittel- und Futterteuerung rvirdsortgesetzt.

Fuhrmann (natl.): Wir lehnen es ab, bei der Be­sprechung der Teuerung uns von agitatorischen Gesichts­punkten leiten zu lassen. Ich hätte gewünscht, daß der herrschenden Not gegenüber der Reichskanzler den Ton gesunden hätte, der für einen leitenden Staatsmann einem Notstand gegenüber gehörte. (Sehr wahr bei den Natl.) Der Reichskanzler betritt den Saal. Es ist nicht zu leugnen, daß der radikalen Großstadtpresse mit ihren Hetz­artikeln ein großer Teil der Schuld an der Teuerung zu­zuschreiben ist. Das System der Einfuhrscheine aufzuheben, würde sehr schwierig sein. Der Frage der Einschränkung der Einsuhrscheine gegenüber sollte die Regierung eine ent­schlossenere Haltung einnehmen. Wir sind nicht gewillt, an dem Zollschutz sür unsere Landwirtschaft zu rütteln. Die Zulassung von argentinischem Fleisch ist zu erwägen. Am schwersten leiden unter den Teuerungsverhältnissen die Fest­besoldeten. Auch wir stehen auf dem Boden des Schutzes der nationalen Arbeit. Bedauerlicherweise ist der Bund der Landwirte von Herren geleitet, die bei den Konservativen sitzen. Das hat zum Ueberagrariertum geführt und die Ueberagrarier sind die gefährlichsten Feinde unseres Schutz­zolles. (Sehr richtig).

Hössel (Rp.): Wir bedauern die gegenwärtige Preis­steigerung, namentlich im Interesse der Festbesoldeten und hoffen, daß die Regierung ihrerseits das Erforderliche tun wird, um dem Notstände zu begegnen. Von der letzten Oeffnung der französischen Grenze hat Elsaß-Lothringen so gut wie nichts gespürt. Die Getreideergiebigkeit in Deutsch­land hat sich im letzten Jahre erheblich erhöht. Die Klein­bauern wissen ganz genau, daß die Durchführung der sozial­demokratischen Forderungen ihre Existenzlosigkeit bedeuten würde. (Beif. rechts).

Landwirtschaftsminister Freiherr von Schorlemer: Gegenüber der sozialdemokratischen Entstellung, daß es sich um eine Hungersnot handle, fällt es schwer, den richtigen Ton zu finden und die Ruhe zu bewahren. Die nicht zu leugnende Dürre hat so spät eingesetzt, daß zwar ein großer Futtermangel zu konstatieren ist, eine Mißernte ist jedoch nur bei Zuckerrüben zu verzeichnen. Der Ruf von einer schlechten Ernte hat die hohen Preise bedungen. Der Handel hat sich das Teuerungsgeschrei zunutze gemacht und dazu hat namentlich die liberale Presse beigetragen. (Lebh. sehr richtig rechts, große Unruhe links.) Ein dauernder Nachteil der sommerlichen Dürre ist nicht zu befürchten. Trotzdem haben die preußische Staatsregiecung und säst alle Bundes­regierungen sich entschlossen, dem Mangel an Futtermitteln durch erhebliche Frachtermäßigungen abzuhelfen. Das be­deutet eine Einnahmeausfall für Preußen von 10 bis 15 Millionen Mark. Dieser Notstandstarif kommt nicht der Landwirtschaft oder den Konsumenten, sondem dem Handel zugute. Die Preise für Roggen und Weizen in den Jahren 1907 sind höher gewesen. Ueber diesFrage der Beseitigung der Einfuhrscheine reden viele Leute, die keine Ahnung da­von haben. (Sehr richtig! rechts.) Der Ausfall an Roggen hat keineswegs, wie behauptet wird, in diesem Jahre einen besonders bedenklichen Umfang angenommen. Eine Aende- rung des Einsuhrscheinsystems würde dem Osten schaden, ohne dem Westen zu nützen. Gegen eine Herabsetzuug der Geltungsdauer von 6 auf 3 Monate habe ich nichts. Trotz­dem der Fleischbedarf ständig zugenommen hat, hat die deutsche Landwirtschaft auch in diesem Jahre bei geringem Verdienst und unter schwierigen Verhältnissen den Bedarf decken können. Ich bin an die Kommunen herangetreten, ob es nicht möglich sei, mit den Fleischermeislern zu ver­handeln und eventuell den direkten Verkauf an die ärmere Bevölkerung in die Hand zu nehmen. Damit habe ich mich in ein Wespennest gesetzt. So ganz unschuldig, wie sie es darfiellen (Herr Kobelt mag cs mir nicht verübeln) sind die Fleischermeister nicht. (Heiterkeit.) Weshalb ver­

teuert man das Schweinefleisch, das namentlich von der ärmeren Bevölkerung konsumiert wird, mehr als Rinder­und Kalbfleisch? Was ich herbeiführen wollte, und auch wohl noch herbeiführe, ist ein Preisregulator. Wenn wir den erreichen, so bin ich überzeugt, daß wir alles getan haben, um der wirklich vorhandenen Teuerung entgegenzu­treten, und daß wir mit Ruhe, ohne allzugroße Sorge in die Zukunft blicken können. (Beifall rechts.)

Vogt-Crailsheim, (wirtsch. Vgg.): Eine Aushebung des Schutzzolls und der Grenzsperre ist nicht angängig. Auch die Einführung des minderwertigen argentinischen Fleisches ist nicht zu empfehlen. Allenfalls zuzustimmen wäre einer Aenderung des Einfuhrscheinsystems.

Hilpert (wildkons.) tritt für die Ausrechterhaltung der Einfuhrscheine ein.

Dr. Heim (Z.): Reformen erheischt die Organisation des Milchhandels. Die Viehhaltung ist intensiv gewachsen. Heute wirkt ein kleiner Ausfall an Futtermitteln ganz anders als vor Jahren. Die Lebensmittelteuerung ist inter­national. Bezüglich der Bodenprodukte kann ich eine teuerung ist international. Bezüglich der Bodenprodukte kann ich eine Teuerung nicht zugeben mit Ausnahme von Gemüsen. Unzweifelhaft besteht eine intensive Spannung zwischen den Ankauf- und den Verkaufspreisen für Fleisch, die seit 20 Jahren immer stärker geworden ist. Im Namen der großen Mehrheit meiner Partei konstatiere ich, daß wir nicht gesonnen sind, einen Stein aus unserem Wirtschafts­system herauszulösen. Wir müssen aber Rücksicht nehmen aus die gegebenen Verhältnisse und es kann der Zeitpunkt kommen, wo wir an einen Abbau unseres Zollsystems gehen können. Wenn die Bevölkerung nicht 90 Pfennig für das Pfund Fleisch zahlen kann und argentinisches Fleisch für 60 Pfennig verlangt, so muß man ihr dieses Fleisch zur Verfügung stellen. Unsere Forderung zur Herbeiführung einer Gesundung unserer Bodenverhältnisse muß lauten: weg mit den Fideikommissen. Nur wenn wir sowohl der Industrie wie dem Bauernstände gerecht werden, werden wir dem Volke nützen. (Beifall).

Staatssekretär Wermuth spricht sich entschieden gegen jedes Provisorium aus, das der Landwirtschaft und der Reichsdasse schädlich sein würde. Wollen Sie jetzt kurz vor der Gesundung der Rsichsfinanzen ihr wieder den Boden entziehen, ohne Ersatz zu schaffen. Es handelt sich um einen Ausfall von vielen Millionen. Hierauf wird die Weiterberatung aus morgen 1 Uhr vertagt. Außerdem Rech­nungssachen. Schluß nach 7 Uhr.

Lüges-Neuigkeiten.

Ans Stadt rmd Land.

Nagold, 85. Oktober tvN.

.-. Gewerbeverein. In der Ausschußsitzung im Gambrinus" wurde von Vorstand Klaiß über die Erheb­ungen berichtet, die derselbe in Sachen des Besuchs eines Realprogymnasiums angestellt hat, und die ergeben haben, daß von der Umgegend etwa 5660 Schüler in Aussicht zu nehmen wären, so daß mit den von hier zu erwartenden eine ganz stattliche Zahl zusammenkäme. Der beabsichtigte Buchsührungskurs konnte nicht aus­geführt werden, weil die Meisterprüfungen früher als erwartet abgehalten werden. Die Bauhand­werkerschule in Rottweil nimmt immer noch Schüler auf. auch solche, die die Meisterprüfung schon gemacht haben. Nächsten Sonntag ist eine Gauoersammlung in Altensteig (Traube 3 Uhr) mit einem Vortrag über den gewerblichen und kaufmännischen Mittelstand in der modernen Wirtschaftspolitik. Der Vor­stand ist als Vertreter des hiesigen Vereins abgeordnet; es wird aber gewünscht, daß der Nagolder Gewerbeoerein reichlicher vertreten sei, und jedem Teilnehmer ein Betrag von 1 ^ 50 ^ in Aussicht gestellt wird. Einen wichtigen Beschwerdepunkt bildet die Unzulänglichkeit des Schutzdachs am Güterschuppen auf dem hiesigen Bahnhof. Es ist nicht nur dcr hiesige Warenverkehr ge­wachsen, sondem auch die Zufuhr mit der Altensteiger Bahn wesentlich gestiegen, so daß der Platz unter dem Schutzdach

nicht mehr ausreicht. Es soll an die Betriebsinspektion eine Eingabe gemacht werden, daß Rampe und Schutzdach vergrößert werden. Mitte November wird der schon länger in Aussicht genommene Vortrag des Herrn Seminar­oberlehrer Mack über Elektrizität stattfinden.

vp Lasset die Handwerksleute nicht warten ans ihren Lohn! EinschweizerischerBolksfreund schreibt:Kürz- lich hatte ich dem Buchbinder eine Rechnung von gegen Fr. 100 zu bezahlen. Da in der Kasse unserer Iugend- und Bolksbibliothek gerade Ebbe war, ließ ich ihn etwa drei Wochen warten; aber es war mir nicht ganz recht, den Mann für seine gewissenhafte Arbeit nicht sofort zu bezahlen. Wie war ich aber beschämt, als ich zur Quittung folgenden Dank erhielt:Wie schön wäre es sür den Handwerker, wenn er stets auf so prompte Bezahlung rechnen könnte." Unser Zeitalter ist dasjenige der sozialen Frage. Es wäre auch ein Beitrag zu ihrer Lösung, wenn alle, welche sür sich die Arbeit anderer beanspruchen, den Wunsch unseres wackern Handwerksmeisters beherzigen wollten. Hoffentlich dienen diese Zeilen dazu, da und dort die Gewissen zu schärfen. Diese Mahnung kann nicht oft genug wieder­holt werden. Ein Arbeiter ist seines Lohnes wert.

* Der neue Komet ist morgens von ^56 Uhr mit bloßem Auge am östlichen Himmel links unterhalb der hell strahlenden Venus zu beobachten. Der Kopf ist ziem­lich scharf gegen den Schweif abgegrenzt und hat die Größe eines Sternes erster bis zweiter Größe, der Schweis steigt fast senkrecht auf. Der Komet kann neben seinem vor­jährigen Kollegen mit Ehre bestehen.

r Frachtfreie Beförderung von Paketen an Angehörige der Marine «sw. Weihnachtspakete, die rechtzeitig eintreffen und mit der nächsten Beförderungsge­legenheit frachtfrei an die Besatzungen der deutschen Kriegs­schiffe in Ostasien, an die Besatzung von Kiautschau und an das ostasiatische Marinedetachement versandt werden sollen, müssen emgesandt sein: 1.) für die Schiffe des Kreuzergeschwaders in Ostasten, sowie für das Gouvernement Kiautschau und an das ostasiatische Marinedetachement bis zum 25. Oktober an die Firma Math. Rohde und Jürgens in Bremen. 2) Für S. M. S.Viktoria Luise" bis zum 27. Oktober, für S. M. S.Seeadler" bis zum 4. Novem­ber, für S. M. S.Bremen",Vineta" undHertha" bis zum 13. November, sür S. M. S.Möoe" bis zum 15. November an die Firma M. Rohde und Cie. in Ham­burg. Wegen der Bersendungsbedingungen geben die Post- anstalten Auskunft.

^ Wildberg, 24. Okt. Unsere Schwarzwald­vereinsgruppe machte am letzten Sonntag in stattlicher Anzahl ihre Herbstwanderung aus den Kühlen Berg. Er­freulicherweise war sie vom schönsten Wetter begünstigt, und eine prächtige Aussicht auf Schwarzwald und Alb lohnte die Mühe des Aufstiegs. Unser Endziel war Sulz, wo im Löwen" Rast gemacht wurde. Bald herrschte die heiterste Stimmung. Und nur zu bald war die Zeit gekommen, wo aufgebrochen werden mußte. Wohlbefriedigt über den Ausflug gings fröhlich der Heimat zu.

r Herrenberg, 24. Okt. (Gerichtlicher Augen­schein.) Der Präsident des Schwurgerichts hat mit dem Oberstaatsanwalt und dem Verteidiger des des Mords an seiner Schwägerin angeklagten Johannes Hörmann in Oeschelbronn von den in Betracht kommenden Oertlichkeiten Einsicht genommen. Der Fall wird anfangs November in Tübingen verhandelt werden.

r Calw, 24. Okt. (Nette Bescherung.) Ein unwillkommenes Hochzeitsgeschenk erhielt in letzter Woche ein Brautpaar, als es mit Hochzeitsgästen an der Tafel saß. Als die Hochzeitssträuße verteilt wurden, trat ein Mädchen herein und legte dem Bräutigam ein kleines Kind vor mit dem Bemerken, es wolle ihm zu seinem Hochzeits­tag auch ein Geschenk überreichen. Die Verblüffung des Bräutigams und der ganzen Hochzeitsgesellschaft kann man sich denken. _

p Stuttgart, 24. Okt. Zur Reichstagswahl im 14. Reichstagswahlkreis spricht die Schwäbische Tagwacht heute die Vermutung aus, daß nach Zurückziehung der beiden

Der Herrschaft macht die Red' de größte Spaß,

Sie zahlet's gern, sie könnet's jo, sowas.

Sie streicht's profillich ei:So, so! des tut au batte,"

Jetzt kann sie wieder pünktlich ihren B'such abstatte.

Es dauert aber nemme lang, do wird's er z'wenig,

Was ist's au? so e Schnäpsle blos und no 5 Pfennig? Und wie se's wieder kriegt, do bleibt se ruhig stehe.

Und macht e mocktgs G'sicht und will net weitergehe."

Die gnädig Frau sieht se verwundert a' und fragt:

Ob sie was saga woll? ob sie vielleicht was plagt?

Die Bäbel. währle ist net dumm,

Sie dreht des Fllnferle rum und num,

Drauf satt se:Liebe Frau, i muß uich ehrlich sage,

Es tut mer leid

Bei dere deure Zeit

Es langt no net mer hänt seitgestsrn au usg'schlage."

Do kommt e schöne Schees grad aus der Stadt,

Hopp, hopp, 's geht langsam über Stock und Stei', Jetzt kommt au no der Sumpf des fehlt no grad! Sie sinket immer tiefer do drin nei.

Der Wage lauft ganz schief die Dam' grillt naus, Zwei alte Baure standet grad derbei Und gucket zue; der Herr, der steigt jetzt aus Und schimpft:Was ist das für 'ne Sauerei!"

(Die Baure):Io, lieber Herr, des ist en alte Sach, Uns älle ist des au scho oft passiert;

In uns'rer G'meind, do goht halt älles g'mach,

Mit dem Verbessere hot's no nie pressiert.

Erst gestern Hot der Schuttes wieder g'sait:

Was sott mr's denn verzwengen au mit G'walt? Um jede Mark, die s kostet, wär's em leid,

Es fahr' jo älles doch im Luftschiff bald."

E neue Zeit.

Nach Rumpelhause führt e lange Straß,

Durch Feld und Wald und oft auch durch en Sumpf, Und wenn's stark g'regnet hat, do ist's kei Spaß.

Do bleibt m'r stecke drin mit Schuh und Strumpf. Wenn s trocken ist, ist's holperig und krumm,

Es ist en arge Plog für Mensch und Vieh, de Baure wird des Ding oft z' dumm.

Vom Zeppelin.

D' Hofbäure goht am Morge mit dem Iakoble auf's Feld, Do sieht des Büeble, wie auf ei'mol was vom Himmel fällt. Guck, Mueter," ruft esdo fällt jetzt ist des e Wunder! E Kalbsripple, gebrote, aus 'm Himmel runter!"

Ja, Mueter, itzt m'r denn im Himmel au so Ripple?" Was schwätzst doch sür dumm's Zeug raus, du eisältigs

Büeble!"

Sait draus sei Mutter,des ist net vom liebe Gott,

Des ist jo vom Herr Zeppelin sei'm Zehnebrod."

Im Postwage.

E Fräule und e Bauer 's hat sich tröffe grad

Die fahret beide z'samme mit der Post in d' Stadt.

Wenn zwei so mitenander sitzet im Postwage Gibt's allerhand zu dischkuriere und zu frage.

Z'erst sitzet se beisamme no ganz still e Weile,

Wohi denn reiset Sie?" fragt freundlich jetzt des Fräule. Zum Zahnarzt muß i fahre, des ist nix zum spasse,

3 soll mer e paar nuje Zäh' ei'setze lasse.

's ist mer ganz Angst drauf, saget Se: 's ist wohl recht

schmerzlich, g'wiß?

Hänt Sie jetzt au, i muß g'rad frage, so e salsch's Gebiß?" Des Fräule lacht und zeigt zwei Reihe schöne Zäh':

So? So was denke Sie von mir? Nei', bitte schö'!" Der Bauer fragt sie jetzt no älles möglich aus.

Woher sie sei? Wie alt? Wie viel sie seiet z'Haus?' Wir sind acht Schwestere."Und wie viel hänt Sie

Brüder?"

Kein einzige", sagt des Fräule und schlägt d'Auge nieder. Er nickt, er weiß net was er sage soll derzue;

So, so! sei! wär: Acht Mädle und kein gotziqe Bue?" Er guckt se freundlich a' es war e frommer Mann Und sait:Hm, hm, was Gott tut das ist wohlgelan."