84. Jahrgang.

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Dienstag, äen 26. November 1889.

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Amtliche Bekanntmachung,

betreffend den Ausbruch, sowie das Erlöschen der Maul- und

Klauenseuche.

In Simmozheim ist die Maul- und Klauenseuche ausgebrochen. Die Maul- und Klauenseuche in Calw und Stammheim ist als erloschen zu betrachten. Das Verbot des Durchtreibens von Wiederkäuern durch den Ort Stammheim ist aufgehoben worden.

Calw, den 22. Nov. 1889. K. Oberamt.

Amtmann Bert sch.

Deutsches Reich.

Reichstag. Sitzung v. 22. Nov. Nachtrag zur kolonialpol. Debatte. Graf v. Behr-Behrenhoff: Die Positionen sind in der Budget-Kommission durchgesprochen und im Allgemeinen bewilligt worden. Es handelt sich um Schaffung einer besondern Kolonialabteilung infolge der von 12,000 auf über 25,000 gestiegenen Eingänge. Staatssekretär Graf v. Bismarck: Die Forderung sei außerordentlich gering. Nur 2 Räte und die dafür nötigen Hilfsarbeiter werden nötig sein, es werden nun ältere Konsuln einberufen, die neue Abteilung einrichten zu helfen. Man werde vorsichtig, sparsam und langsam zu Werke gehen. Windthorst: Man müsse sich eben hier wieder fragen, ob die Ergebnisse der Kolonialpolitik derartige seien, daß man eine weitere Entwicklung derselben herbeiführen könne. So lange man in Kamerun und Westafrika die Jesuiten nicht zulassen wolle, was den Anschein habe, werde er auch der weiteren Entwicklung der Kolonialpolitik nicht zustimmen. Staatssekr. v. Bismarck erwidert, er freue sich, daß Windthorst für die Vermehrung der Arbeitskräfte im Aus­wärtigen Amte stimmen wolle, die Geschäfte müßten .richtig erledigt werden und menschliche Kräfte hätten ihre Grenzen. Wegen der Zulassung von kath. Orden M Missionsthätigkeit, müsse er entgegnen, daß Bestimmungen über deren Zulassung in unserer Kolonien entbehrlich erscheinen, da solche drüben überhaupt nicht bestehen. Eine Beschwerde dieserhalb sei ebenfalls dem . AuSw. Amt nie zugegangen. Abg. Richter will die Stelle bewilligen, damit es nicht scheine, als ob die voraussichtlichen Mißerfolge von dem Mangel einer Registratur in Berlin herrühren. Dr. v. Frege (d.kons): Von Mißerfolgen sei nach den in der Kommission gemachten Aufschlüssen keine Rede. Leider zeige unser Kapital eine Wasserscheu. Geld aber gehöre auch zur Förderung der Mission: das Schwert zur Einrichtung der bürger­

lichen Ordnung, das Kreuz zur sittlichen Hebung. Er bitte, die Regierung durch Annahme der Titel voll und ganz zu unterstützen. Wöhrmann (nat.lib.): Wenn der Reichstag seiner Zeit nicht sozaghaft" gewesen wäre, würde sich das Kapital auch diesen Unternehmungen zugewandt haben; da­durch sei es gekommen, daß unsere Kolonialpolitik sich auch langsam ent­wickeln konnte. Die portugisischen Kolonien hätten bis zu ihrer Entwicklung Jahrhunderte lang gebraucht. Wenn andere Nationen sich dem großen Kontinente Afrika noch nicht zugewandt haben, so rührt e» daher, daß sie noch genug zu thun hatten. Heute sehen wir, wie die Engländer hinterher sind, um diesen afrikan. Kontinent in Besitz zu nehmen. Es wird häufig gesagt, daß das hanseatische Kapital mit Bezug auf die Kolonien zurückhaltend sei. Ich kann Ihnen Mitteilen, daß im Laufe des vergangenen Jahres sich in Ham­burg eine Plantagengesellschaft gebildet hat mit einem Kapital von 4 Millionen Mark; eine andere mit einem Kapital von 2 Millionen Mark, welche in Guatemala an der Westküste von Mexiko arbeitet. Eine andere Gesellschaft ist gegründet mit 2 Millionen Mark, die auf Java eine Kaffeeplantage gründet, eine andere, welche auf Sumatra Tabaksplantagen gründet. Das Alles sind große Summen, welche gerade von Seiten der hanseatischen Kauf­leute aufgebracht sind, um in überseeischen Ländern Plantagen anzulegen. Das beweist auf der einen Sette, wie außerordentlich groß das Bestreben des deutschen Kapitals ist, hinauszugehcn und sich auswärts zu bethätigen. Daß sich aber diese nicht Kolonien zuwenden, wo sie des vollen Schutzes der deutschen Regierung sich nicht versichert halten dürfen, sei klar. Auf die Worte Bambergers, daß die Hamburger von jeher Kolonialpolitik ge­trieben haben und jetzt nur gerne hätten, daß das Reich ihnen alles wie in Kamerun hüvsch emrtchtet, erwidert nochmals Wörmann, daß die Ham­burger auch Waren in englische Schiffe verladen hätten, eine Vermehrung de» deutschen Nationalwohlstands liege aber auch darin, daß deutsche Waren in deutsche Schiffe verladen werden und nun haben wir auch deutsche Kolonien und könnten auch den wirtschaftlichen Nutzen, der im Anbau von Kaffee, Tabak und Cacao liegen, für Deutschland einheimsen. Richter: Der Schutz des deutschen Reiches komme uns höher zu stehen, als der Gewinn aus den Kolonien, die deutsche Macht werde dadurch vermindert und außer­dem politische Verwicklungen geschaffen. Wörmann: Ich möchte noch über eine Aeußerung Richters sprechen, die außerordentlich wunderbar ist. Richter sagt, der Export zieht sich dahin, wo die Deutschen ihre Unternehm­ungen auch in andern Kolonien gemacht haben. Weiß Richter denn nicht, daß der Absatz, der Export Englands hauptsächlich nach den englischen Kolonien geht? Weiß Richter denn nicht, daß der Export Hollands fait

Feuilleton.

Beim Rattenfänger von Hameln.

Bunte Bilder aus einer kleinen Stadt von Keiurich Hrans.

(Fortsetzung.)

Zugleich aber hoffe ich, daß Ihr Alle milder über mich urteilen werdet, nach - dem Ihr erfahren, welche Höllenqualen Eure Mutter während ihres ganzen Lebens zu tragen und vor Euch zu verbergen gezwungen war, um Eure Jugend ungetrübt zu lassen.

Meine Zeit in Unruhe,

Meine Hoffnung in Gott!"

" Mit diesen Worten eines tiefgebeugten Königs schließe ich und segne Euch, meine heißgeliebten Söhne! Bettet für mich und gedenket in Liebe

Eurer Mutter."

Die Lampe war dem Erlöschen nahe und noch immer saß ich mit gefalteten Händen und thränenfeuchten Wangen da, und starrte gedankenvoll auf die theuren Schristzüge.

Dieses Märtyrertum meiner armen Mutter hatte etwas Erhabenes, Ergreifen­de», Rührendes für mich!

Dann gedachte ich noch einmal ihrer Warnung.

Nun, wenn ich auch oft im Eifer von heißen Wallungen überströmte, der Jähzorn meines Vaters war Gott sei Dank! nicht mein Erbteil geworden, und wenn ich in meiner Phantasie Rosa der Mutter gegenüberstellte, so ergriff mich das Ge­fühl, als müsse ihr Auge wohlgefällig auf ihr ruhen und sie meine Wahl billigen.

Die Lampe war noch einmal aufgeflackert und dann plötzlich erloschen; Nacht umgab mich. Das Sausen des Sturmes war wieder deutlich vernehmbar. Der Wächter ließ seinen schrillen, klagenden Pfiff ertönen und verkündigte die zweite Stunde.

Tappend suchte ich mein Lager auf und ließ mich wie betäubt darauf nieder In mein Nachtgebet schloß ich die arme Mutter ein, für ihr Seelenheil die Gnade Gottes aus tiefstem Herzen anrufend!

Immer und immer wieder spiegelte sich das Gelesene in meinem Geiste und hielt mich bis zum frühen Morgen wach, bis die Wirklichkeit mich nach und nach in jene schöne Welt des Traumes hinübertrug, der mir das Bild einer Heiligen, meiner teuren, verklärten Mutter, zeigte, wie diese die Hand segnend und, mild lächelnd, mir und meiner Rosa entgegenstreckte.

V.

Das Befinden des Onkels am Morgen war überraschend. Ich fand ihn, wenn auch etwas angegriffen, munter in einem Lehnstuhl sitzend, eine Plüschdecke über den Schoß gebreitet, die Zigarre im Munde und einen französischen Roman in der Hand.

Mit der altgewohnten herzlichen Bonhomie empfing mich mein Onkel wieder lachend, als habe er nicht die mindesten Schmerzen zu erdulden gehabt.

Nun, hast Du endlich ausgeschlafen, Du Langschläfer? Weißt Du wohl, daß es bald zehn Uhr ist!?"

Vergebung, lieber Onkel," erwiederte ich, ihm die Hand reichend,ich staune selbst über mich; sonst gewohnt, mit der Lerche aufzustehen und der Erste bei meinen baulichen Inspektionen zu sein, bin ich hier ein Opfer des süßen Schlafes geworden. Ich denke mir, das muß an Deinem wundervollen Himmelbette liegen.

Am ersten Abend, als ich darin ausruhte, umkreisten mich die Geister deg Weins, und wiegten und schaukelten mich in tiefen, tieien Schlaf."

Der Onkel lachte und summte vor sich hin:Wer niemals einen Rausch ge­habt rc."

Am zweiten Abend war eS der kleine, mutwillige Puck, in der grotesquen Maske des Rattenfängers von Hameln, dessen langgeschwänzte Unholde sich nach und nach in allerliebste Kobolde verwandelten, unter deren belustigenden Tänzen und Neckereien ich lachend, selig entschlief.