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Aamrtag, äea 23. November 1889.
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ganz Württemberg 2 70
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' Deutsches Reich.
Berlin. Die Etatsberatung wird beim Kapitel Patentamt fortgesetzt. Abg. Henneberg (nl.) fragt nach dem Stande der Reform unserer Patentgesetzgebung. Minister v. Bötticher erwidert, daß die Novelle zum Patentgesetz, im Neichsamt des Innern auSgearbeitet, bereits fertig vorliege und demnächst dem Bundesrat unterbreitet werden würde. Abg. Dr. Hammache r bezeichnet die Reform des Patentgesetzes als dringendes Befürfnis und weist auf den Rückgang der deutschen Patente sowie die Schwierigkeiten hin, welche der Durchsetzung eines Patents nach dem gegenwärtigen System entgegenstehen. Beim Etat des ReichSversicherungS-AmteS entspinnt sich eine längere Debatte über die Organisation der Invalidenversicherung. Abg. Baumbach fragt, wo die Novelle zum Krankenkassengesetz bleibe. Minister v. Bötticher erwidert, die Novelle sei längst fertig und werde nur nicht eingebracht, um die Geschäfte dieser Session nicht zu vermehren. Abg. Singer hält das für keinen ausreichenden Grund und erhebt Beschwerden gegen die Unfallversicherung. Nach längerer Debatte, an der sich Gebhardt, Richter und Schmidt- Elberfeld beteiligen, wird der Etat des Reichs« Versicherungsamtes bewilligt, ebenso die einmaligen Ausgaben des Reichsamts des Innern. Abg. Kr über (Dem.) konstatiert, daß er nicht zum Worte gekommen, trotzdem er als Vorsteher einer BerufSgenosienschaft auf die Angriffe gegen dieselben antworten wollte. Zu dem Titel 23,600,000 als vierte Rate für den Nord-Ostseekanal bemerkt Abg. Lingens (Zentrum): Ich habe mich von dem Stand der Bauten überzeugt und bin erstaunt über die dortigen Einrichtungen. Die Baracken und die Verflegung sind gut, nicht eben zum finanziellen Vorteil der Verwaltung, aber der Arbeiter, die schon sparen, am wenigsten die Polen, die Schlesier etwas mehr, am meisten aber die Bayern. (Heiterkeit.) Unserem Verlangen nach besserer Seelsorge ist, wenn auch zögernd, entsprochen, aber von seiten Preußens tritt man doch der Seelsorge hinderlich in den Weg. Die Auszahlung der für die katholische Seelsorge bestimmten 6000 hat sehr lange gedauert, es waren dabei sehr viele Formalitäten zu erfüllen; daß für den Gottesdienst bessere Räume geschaffen werden, ist zu wünschen, aber das wenige, was bis jetzt geschehen ist, hat schon dazu geführt, daß die Zahl der katholischen Arbeiter sich vermehrt hat. Es sind jetzt mehr Katholiken als Evangelische eingestellt. Redner wünscht dann für erkrankte Arbeiter eine Pflege durch katholische Schwestern. Abg. Graf Holstein: Die einzelnen Abteilungen des Baues sind nicht, wie man behauptet, zu groß. Es wird schnell gearbeitet, die Unternehmer haben so großartige Einrichtungen getroffen, daß man in fünf Jahren fertig sein kann. An der Debatte beteiligen sich noch Singer (er höre das Lob
der Kanalarbeiter gerne, da doch die meisten Sozialdemokraten seien, worauf Graf Holstein erwidert: wohl solche Sozialdemokraten, wie man sie in Schleswig-Holstein öfters trifft, die zugleich sich als treue Anhänger de« Hohenzollernhauser erklären) untt Kalle (nl., die Verpflegung sei eins vo». zügliche). Der Titel wird bewilligt.
Berlin, 20. Nov. Der „Reichsanzeiger" veröffentlicht einen dem Reichskanzler vom Hauptmann Wißmann erstatteten Bericht, datiert Mwapwa, 13. Okt. Derselbe beschäftigt sich mit den gegen Bu schirr unternommenen Operationen und meldet dann, daß am 11. Oktober in Mwapwa 4 Soldaten Stanley'S und einer von Emtn Pascha eintrafen. Dieselben hatten am 10. Sept. Stanley in Usukamaam Jsangaflusse verlassen und sagten aus, daß Emin Pascha mit Casati und 100 sud eine fischen Soldaten, viel Volk und viel Elfenbein, Stanley mit 6 Europäern und 140 Sansibariten gleich nach ihnen aufgebrochen seien. Nach der Berechnung Wiß- mann's müßten dieselben heute in Mwapwa eingetroffen sein. Emin Pascha soll mit Stanley zusammen noch mehrfach gegen die Mahoisten gefachten, sie zurückgeschlagen und dabei die große Fahne des Mahdi erobert haben.
Hages-Weuigkeiten.
(Amtlich es.) Infolge der vom 5.—15. November 1889 abgehaltenev Prüfung evangelischer Lehrer ist u. a. zur Vsisehung von Schuldiensten str befähigt erklärt worden: Burkhardt, Gottlieb, Schulamtsverweser « Unterreichenbach, Bez. Calw.
Nagold, 20. Nov. Unlängst wurde seitens des hiesigen Verschönerungsvereins der lang gewünschte Anschluß an den Württ. Schwarzwaldverein beschlossen. Es ist erfreulich, daß der hiesige Bezirk hiemit au» seiner Sonderstellung heraus getreten und die Lücke in dem Gebiet, dem der Schwarzwaldverein feine ersprießliche und uneigennützige Thätigkeit widmen will, nunmehr geschloffen ist. Dem Vernehmen nach darf man für da» nächste Jahr einem Besuch des Vereins in Nagold entgegensetzen.
Nagold, 20. Nov. Im Gewerbeverein erstattete vor sehr zahlreicher Versammlung Fabrikant Sannwald Bericht über die Eindrüik, welche er bei seinem Besuch der Weltausstellung in Paris erhalten hatte. In anziehendem und allgemein verständlichem Vortrage schilderte er die Ausstellung als großartiges Ganzes, wie die für die einzelnen Gewerbetreibenden
Feuilleton.
Beim Rattenfänger vo« Hameln.
Bunte Bilder aus einer kleinen Stadt von Keinrich Hrans.
(Fortsetzung.)
An einem verhängnisvollen Nachmittag, am 8. November, unseligen Andenkens! befand ich mich mit Alexis ebenfalls an meinem gewohnten Platz. Das Kind machte die ersten, glücklichen Anfänge im Laufen und dehnte diese, ohne daß ich es bemerkte, bis in das Zimmer meines Mannes aus, der sich gerade draußen im Comptoir befand.
Vor seinem Schreibtisch auf einem niedlichen Schemel lag eine Maroquin- Mappe, angefüllt mit großen Bankscheinen, die mein Mann erst gegen Depositen von der Bank bezogen und, eilig abgerufen, dorthin aus der Hand gelegt hatte. —
Es waren 42,000 Thaler. —
Das Kind von dom glänzenden Schloß der Mappe angelockt, nahm sie und setzte damit sich auf ein Bärenfell, welches vor dem Kamin lag, um sie ungestört zu betrachten. Bei dieser Gelegenheit zog das Kind einige Bankscheine hervor und ließ sie lustig flattern; hierbei fiel eine dieser Noten unglücklicherweise in das niedrige Messinggitter des Kamins in's glitzernde Kohlenfeuer und ging, wie ein Blitz in lichter Flamme auf. Das Kind, davon aufs höchste belustigt, trug nun nach und nach den ganzen Inhalt der Mappe herbei und warf ihn ins Feuer, laut dabei jauchzend.-
Erschreckt durch den Hellen Schein, sprang ich auf und schlug die Portiere zurück, die zu meines Mannes Zimmer führte, aber ich kam zu spät, um die entsetzliche Katastrophe abwenden zu können, die mir noch diesen Augenblick in grauenhafter Deutlichkeit »or die Seele tritt und mir das Blut erstarren macht. —
Durch die Thür des Comptoirs war Dein Vater mit mir zugleich in sein Zimmer zetteten. Blitzesschnell übersah er die unglückliche Situation und mit der Wut und dem Aufschrei eines Tigers ergriff er, ehe ich es zu hindern vermochte- das harmlos lachende Kind, schleuderte es zornglühend in weitem Bogen von sich und wühlte dann gierig in dem Kamin nach einigen halbverkohlten Papieren.
DaS Gräßliche war geschehen! —
In meinen Armen hielt ich blutüberströmt den noch zuckenden Leichnam meines süßen Kindes I Der Fall gegen den Kassenschrank hatte ihm den Kopf zerschmettert!!! - '
Was sich unmittelbar danach begeben, weiß ich nicht, denn ich verlor das Bewußtsein und verfiel in ein hitziges Nervenfieber. Erst später erfuhr ich durch Deinen Vater selbst, daß er den Mut der Lüge gehabt und Alexis Tod als einen unglücklichen Sturz bezeichnet habe, was auch unser Hausarzt konstatierte. —
Dem Mörder war für den schrecklichen Tod seines Kindes jede, selbst die letzte Beschönigung genommen, denn noch in der nämlichen Stunde war von Cuxhaven signalisiert, daß die erwarteten Schiffe mit reicher Ladung wohlbehalten in die Elbe eingelaufen seien, und damit war ja die Krisis gänzlich gehoben.
Wochen waren mir in dumpfer Bewußtlosigkeit vergangen, als ich eines Nachts die Gegenstände um mich zum ersten Male wieder erkannte. Zu Füßen meines Bettes saß Dein Vater, den Kopf aufgelehnt und weinte bitterlich. Es erfüllte mich mit tiefem Mitleid, einen Mann weinen zu sehen. Leise rief ich seinen Namen und reichte ihm matt die Hand. Mit einem unbeschreiblichen Freudenjubel erfaßte und küßte er sie; benetzte sie mit heißen Thränen und indem er an meinem Bette niedersank, rief er:
„Gott hat mein Flehen erhört, Du lebst! Nun will ich Alles freudig tragen!"
Meine erste Frage galt Euch, meinen Söhnen, die jetzt den Trost meines Lebens bildeten.
Als ich zum ersten Male, von meinem Vater geführt das Krankenzimmer verließ, fiel mein Blick zufällig in einen Spiegel, den man vergessen hatte, wie die Uebrigen, vor mir zu verbergen.