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208
Montag, dm 4. Septemösr
1911
Deutschland, Frankreich, Albion.
Zum Kage von Sedan.
Berlin, 1. Sept. Jenseits des Vogesenwaldes raunt es und wispert es. Die Toten von Sedan wollen nicht Ruhe geben und die Nachkommen rufen Revanche. Schreien noch heute nach einundoierzig Jahren, nachdem eine Generation dahinsank, gemäht von der unerbittlichen Sichel des Todes. Der Deutsche ist kühler. Seine ruhige Natur läßt ihn nicht leicht und nicht lange aufbrausen, fast vergangen sind sür ihn die unvergeßlichen Tage des ruhmreichen Krieges. Wenn auch gerade wir ein besonderes Interesse an den Segnungen des Friedens haben, so sollen wir doch stolz sein auf die Talen der Väter, sollen nicht den Schleier der Vergangenheit breiten über jene ehernen Stunden, in denen von eiserner Hand die Einigkeit unserer Nation gehämmert wurde.
Wenn auch das unruhige, heiße Blut unserer Nachbarn nicht Ruhe geben will, so ist doch keine Gefahr vorhanden solange nicht fremder Völker Hetzreden die Franzosen meinen lassen, in einem Kriege tatkräftige Unterstützung zu finden. Es ist eine geradezu unverantwortliche Aeußeruna, wenn von englischer Seite behauptet wird, Frankreichs Flotte sei der deutschen überlegen an Schiffzahl, Schnelligkeit, Größe der Fahrzeuge, Bestückung und Gesechiskraft. Frankreich hat keinen Dreadnought, "die Schiffe der Danionklasse, die einzigen großen Fahrzeuge, über die die Nachbarrepublik zu gebieten hat, haben nur vier 30,5 Ientimeterrohre, und starke Mittelartillerie allein macht Kerne Dreadnoughts.
Albion steuert heute in der Marokkosrage geradezu darauf hin die Völker aus dem Kontinent auseinander zu Hetzen. Was einst Napoleon zu Metiernich sprach: „Intrigen reißen Euch hin, wohin ihr nicht gehen wollt. Die Engländer und ihr Anhang schreiben alle diese falschen Maßregeln vor : schon jubeln sie in der Hoffnung, Europa neuerdings in Flammen zu sehen", das kann man heute den Franzosen entgegenrufen, und man wird des Nagels Kopf mit dem Hammer treffen.
Glauben die Männer am Quai d'Orsay an britische Dankbarkeit, englische Treue? Die Weit hat zu!oft das doppelseitige Gesicht Albions gesehen, als daß der Glaube an England unerschüttert dastehen könnte. Das Spiel mit Japan in letzter Zeit hätte den Franzosen die Augen öffnen können. Ueberall hat England seine Agenten, überall in der Welt wühlt es, und das gleißende Gold aus seinen Schatzkammern, das dort rollt, wo Unfrieden unter den Nationen gestiftet werden soll, ist es allein, das den Engländern führende Stimme im Rate der Völker gibt. Warum vergißt Frankreich den Unsegen, den Albion ihm immer und immer gebracht hat? Warum vergißt Frankreich die Schlappen in Aegypten, in Tongking. in Madagaskar? Worum vergißt Frankreich den Vertrag vom Jahre 1890, wo es als Kompensation wertlose Wüsteneien sür fruchtbare Gebiete bekam? Und weiter, warum vergißt Frankreich Faschoda? Weiß man am Quai d'Orsay nicht mehr, daß England das französisch-russische Bündnis zu mächtig wurde,
daß man von der Themse aus die Japaner gegen den Verbündeten hetzte, die Kraft der Entente cordiale zu schwächen?
Frankreich ging nach dem Verlust von Aegypten mit Britannien einen Vertrag ein, in dem ihm das nördliche Westasrika als Einflußzone zugewiesen wurde. Aber meint man in Paris wirklich, Albion könne es dulden, daß die Franzosen sich ein beherrschendes nordafrikanisches Reich schaffen? Das heutige Spiel der Engländer ist ein seines Gespinst, aber gerade darum zu durchschauen. Die Briten werden sich nicht an einem Krieg zwischen Deutschland und Frankreich kämpfend beteiligen. Das kostet Schiffe und Geld und bringt nicht den Nutzen, einer solchen Anstrengung wert. Am Quai d'Orsay mag man unfern Worten glauben: Albion denkt nicht daran, Soldaten und Schiffe für unsicheren Siegespreis einzusetzen. Seekundige Leute greifen nicht den Hai mit dem Messer im Wasser an, sondern mit der Harpune vom Boote aus. Vierzehn englische Dreadnoughts durchfurchen mit ihren Kielen die Nordsee. Aus der Wilheimshavener, auf der Kieler Förde liegen acht gleichwertige Panzer. Das ist das Verdienst unseres Kaisers, und dieses sein ureigenstes Werk sichert ihm dauernd die Dankbarkeit der Nation. Ueber die Folgen eines möglichen Kampfes zwischen England und Deutschland gibt man sich jenseits des Kanals trügerischen Hoffnungen hin. Läge am Schlüsse des Krieges die deutsche Armada auf dem Grunde der Nordsee dann wäre auch Englands Suprematie gebrochen. England, das stolze Albion das den Zwei Mächte- Standard hält, wäre unter die Linie der Vereinigten Staaten herabgedrückt. Und ob dieses geldgewaltige Land zugeben würde, daß Britannien den verlorenen Vorsprung aufholt, das glauben wir nicht.
Unsere Friedenszuversicht entspringt dem Wissen, daß die leitenden Männer Frankreichs sich nicht aufhetzen lassen werden von eines falschen Freundes Einflüsterungen. Wir sind stark, aber gerade darin, daß wir dauernd an unserer Bereitschaft arbeiten, liegt die beste Gewähr, Europens Fluren den Frieden zu erhalten. Falsche Nachgiebigkeit steigert den Uebermut des Fremden. Nur ein festes Verharren kann unsere Ehre wahren und den Gegnern und Freunden zeigen, daß das Deutsche Reich, seiner großen Vergangenheit eingedenk, nicht gewillt ist, seinen führenden Platz in der Reihe der Nationen, den es sich erkämpfen mußte, jemals aufzngeben. „Nat. Itg."
Tages-NeuigLeiten.
A«S Stadt uud Land.
Nagold, 4. September 1911
:: Missionsfest. Das gestrige Missionssest war außerordentlich zahlreich besucht. Wenn auch eine ansehnliche Zahl von Besuchern aus persönlichem Interesse für einen der austreienden Redner zum Feste kam, so darf andererseits der starke Besuch als ein Beweis davon angesehen werden, daß der Missionssinn in unserem Bezirk recht rege ist. Auch das den Festliedern beigegebene Gaben- oerzeichnis gibt: hievon beredtes Zeugnis. Die aus den Erträgnissen der „Halbbatzenkollekte", der Kirchen- und Gemeinschaftsopfer, der Sammlungen und aus besonderen
Gaben zusammengeflossene Summe beträgt für das letzte Rechnungsjahr 8887 Dekan Pfleiderer führte in seiner Eingangsansprache aus, daß wir das Wenige, das wir für die Mission tun dürfen und können, im Sinne des Apostels Paulus als Gnade ansehen sollen. Missionar Renz, der nach lOjähriger Tätigkeit in Ostindien zum erstenmal auf Urlaub bei uns ist, schilderte die Bekenntnis- sreudtgkeit des wackeren Häufleins der 2000 Christen, die sich in der 80 000 Einwohner zählenden Stadt Kalikult um die Missionare sammeln, und nennt sie Charaktere im Reich Gottes. Die alten, auf Misstonsfesten schon oft erwähnten Hindernisse, die der Ausbreitung des Evangeliums in Indien im Wege stehen (das Kastenwesen, der Islam, das böse Beispiel vieler Europäer) dauern fort. Ec empfiehlt daher das Missionswerk auch fernerhin der Fürbitte der Heimatge- meinden. Missionar Mohr führte die Zuhörer an die Goldküste in Afrika, mit Freude und Befriedigung gibt er Zeugnisse und Beispiele von der nmwandelnden Kraft des Wortes Gottes, von der Bekehrung alter Götzenpriester, von dem heroischen Entschluß ganzer Gemeinden, die seither gefürchteten Fetische öffentlich zu verbrennen. Stadtpsarrer Merz sprach das Schlußwort über Koloss. 1,19: er rühmte das Bestreben der Heidenchristen, möglichst auf eigenen Füßen zu stehen und ihre Ausgaben für Kapellen usw. durch persönliche Opfer aufzubringen. Gleichwohl bleibt unsere Verpflichtung zur Beisteuer bestehen, denn es sind der Aufgaben so viele, die noch der Erledigung harren.
II Sedanfeier. Eine würdige Sedanfeier bereitet uns in diesen Tagen der hiesige Militär- und Beteranen- Verein durch die Aufführung der Vaterländischen Festspiele des Herrn Theaterdirektors E. v. Strom-Satorsky, Eine kritische Zeit ist es, in der wir die 41. Wiederkehr des Tags von Sedan begehen: mit demselben Volk, mit dem unsre Heere damals aus blutiger Walstatt um den Sieg gerungen, ringen heute unsre Diplomaten in friedlichen Verhandlungen um die Wahrung unserer Interessen in Marokko. Wohl mag der größte Teil der Franzosen einem Krieg mit uns abgeneigt sein, die rsvanebs spuckt doch immer jenseits der Vogesen; und der Gedanke, den Versuch zu wagen, Deutschland jetzt zu demütigen, liegt ihnen um so näher, als sie unter ihren Fahnen schon ihre korev noirs, ihre schwarzen Soldaten aus den Kolonien, und hinter diesen hoffnungsvoll die Rauchwolken englischer Kriegsschiffe zu sehen glauben. Noch stehen wir mitten in den Verhandlungen und können auf eine friedliche Beilegung hoffen, aber es tut uns gut zu sehen, wie immer und überall der Deutsche, bieder, fromm und stark, beschützt die heilge Landesmark. Und so führen uns die lebenden Bilder in der Turnhalle nach Südwestafrika ; wir sehen da den friedlichen Farmer, wie er im einsamen Haus mit seiner Familie wohnt, wir erleben den Uebcrfall durch eine Hererobande, aber während wir noch um das Leben der Familie zittern, nahen schon die deutschen Truppen als Retter. In bunter Reihe ziehen nun kriegerische Bilder an unsrem Auge vorbei; wir erleben den Tod des Leutnants Boysen, die Kompanie Franke zieht ins Gefecht, einsam sehen wir den verirrten Reiter in der Sandwüste verschmachten, wir wohnen dem Heldenkamps am Waterberg und Hendrik Witboys Tod bei. Nach
Wer König in -rWsche» Dienste«.
r Richard Graf v. Pfeil veröffentlicht gegenwärtig in der „Täglichen Rundschau" unter dem Titel „Zwischen den Kriegen" seine Erinnerungen an 70/71. Er erzählt: Anfangs April 1869 wurde Plinz Wilhelm von Württemberg, der jetzige König, auf Wunsch des Königs von Württemberg dem Regiment zur Dienstleistung überwiesen und kam als Leutnant zu einer Grenadierkompagnie. Dieser Vorgang war von wichtiger staatlicher Bedeutung für die innerdeutschen Verhältnisse. Der Erbe eines süddeutschen Königreichs, mit dem wir vor noch nicht drei Jahren einen erbitterten Krieg geführt, trat in jenes preußische Regiment, das als die Schule unserer und anderer Prinzen bewährt war. Wollte schon König Karl Preußen wenig wohl, so noch mehr die Zarentochter Königin Olga, dis seit 1866 trotz persönlicher Verehrung für unseren König, ihren Oheim, erbittert gegen Preußen war. Es bedarf kaum der Erwähnung, daß wir den Prinzen mit wahrer Freude in unserer Mitte begrüßten, vom ältesten bis zum jüngsten Ossizier. Wir empfingen ihn wirklich mit offenen Armen und er kam uns, das fühlten wir bald, mit dem besten Willen entgegen. Ein echtes Kind seiner leichtlebigen, steifen Umgangssormen abgeneigten süddeutschen Heimat, wurde es ihm zunächst schwer, sich in diese, so ganz verschiedenen, urpreußischcn Verhältnisse zu finden. War er doch auch erst 21 Jahre geworden. Anfangs schlichtem, taute er bald auf, wenigstens
den ungefähr gleichaltrigen Offizieren gegenüber, und gewann deren Herzen durch sein freundliches, bescheidenes, so gar nicht den Prinzen hcrausbeißendes Wesen. Einige junge Offiziere waren beauftragt, sich ihm besonders anzuschließen, und ich hatte die Ehre, zu diesen zu gehören. In vielen Gesprächen, bei gemütlichen Spazierritten, zu Zweien oder auch im größeren Kreise, bei ländlichen Ausflügen, auf der Kegelbahn, im Rcgimcntshausgarten, lernte ich die vortrefflichen Eigenschaften des Prinzen kennen und mit allen anderen Kameraden hochfchätzen. Ob die Wahl des Kompagniechess, dem seine militärische Ausbildung anvertraut war, eine glückliche war, möchte ich dahingestellt sein lassen. Einer alten preußischen Osfiziersfamilie angehörend, war er, im besten Sinne des Wortes, das Urbild militärischen Preußentums, was sich zum Süddeutschen verhält, wie Feuer zum Wasser. Statt den Prinzen gewissermaßen spielend mit einer liebenswürdigen Oberflächlichkeit, die ausschließlich das wichtige im Auge hat, mit den preußischen militärischen Formen bekannt zu machen, wollte er ihn, vom ersten Tage an, zum Potsdamer Frontosfizier ausbilden. Der Prinz zeigte entschiedenen Eifer zum Dienst, wie wir täglich beobachten konnten. Aber bald merkten wir, daß er mit redlicher Mühe bestrebt war, gründliche Langeweile zu bekämpfen. Sein Begleiter, ein junger württembergischer Generalflabshauptmann von noch nicht 30 Jahren, ein ungemein kluger, entschiedener, ^weltgewandter Mann, schuf sich sofort eine ausgezeichnete Stellung im Offizierskorps und war bald eine in ganz Potsdam be
kannte Persönlichkeit. Heute kennt und bewundert die Welt — den Grafen Ferdinand Zeppelin. Es ist mir heute noch eine wertvolle Erinnerung, daß ich die Ehre hatte, ihm damals näher zu treten. Prinz Wilhelm war ein Fahr bei uns, die letzten Monate als Führer der Kompagnie, in der er seine Ausbildung begonnen, wobei ihm sein Hauptmann vielfach nicht die genügende Selbständigkeit ließ. Er trat im Frühjahr 1870 zu den Gardehusaren über, deren Uniform er auch anlegte. Bei uns trug er die württembergische. Jedenfalls hinterließ er im Regiment das beste Andenken. Wer ihm damals irgendwie näher gestanden, denkt heute mit Verehrung an Württembergs König.
Eine geraubte Kriegskasse noch nach S4 Jahren entdeckt. In Beikos am astatischen Ufer des Bosporus wurde der ehemalige Offizier und Regimentszahlmeister Hussein Hilmi Bei erkannt, der im Jahre 1877 beim Ausbruch des Krieges mit Montenegro mit der ganzen Kriegskasse auf und davongcgangen und seitdem spurlos verschwunden war. Er ist jetzt verhaftet worden und steht 34 Jahre nach der Defraudation seiner Verurteilung entgegen. Seine Beute, die sich auf Hunderttausende belaufen hatte, hat er zu Spekulationen verwendet, bei denen er vom Glück begünstigt war. Er führte jetzt als mehrfacher Millionär ein beschauliches Dasein. Der türkische Staat kann mit dem Fange zufrieden sein, denn er erhält nach langer Zeit die gestohlene Kriegskafse wieder zurück.