Ar». 138.

64. Jahrgang.

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Erscheint Me»»tag, L> Sa»»t«g.

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Gages-Weuigkeiten.

* Calw, 20. Nov. Gestern abend fand im bad. Hof hier die Ver. sammlung des Lokalvsreins desEvang. Bundes" statt. Hr. Helfer Eytel eröffncte dieselbe, indem er zunächst den Anwesenden für ihr Er. scheinen herzl. Dank aussprach. Wohl seien noch viele Plätze leer und wäre ein noch zahlreicherer Besuch zu wünschen gewesen, allein man dürfe über, zeugt sein, daß alle, welche mit den Anwesenden in ihren Gesinnungen über, einstimmen, wohl kaum Platz gefunden haben würden. Aus den nun fol- genden Ausführungen des geehrten Redners entnehmen wir: Der Evang. Bund verfolge nicht den Zweck konfessionelle Zwietracht auszustreuen, sonst wären wir alle nicht dabei. Derselbe stehe auf dem Boden religiöser Duld­ung. Der Grund des festen Zusammenschlusses von Männern, welchen das Wohl der evangel. Kirche in Deutschland am Herzen liege, sei dadurch her. vorgerufen, daß das Vertrauen für die relig. Duldung durch die kathol. Kirche zerstört worden sei. In der kathol. Presse werde der größte Mann des deutschen Volks, unser Reformator Luther und sein Werk angegriffen, verdächtigt und schmachvoll behandelt. Selbst Papst Leo XHI. habe Luther alsruchlosen Abtrünnigen und Erzketzer" verflucht und den Protestantismus überhaupt als die Wurzel des Sozialismus und Nihilismus, d. h. aller Mächte des Umsturzes, erklärt. Es werde von kathol. Seite und bereits mit großem Erfolg der Versuch gemacht, in Mischehen die evang. herüberzubringen, woran man bei uns gar nicht denke, oder dies auch nur geahnt hatte. Wir können jedem kath. Mitbürger seinen Glauben lassen, aber wir dürfen nicht dulden, daß Ehegatten zur andern Konfession hinübergezogen werden. Der Evang. Bund" suche die Gleichgiltigkeit innerh. der evang. Kirche und die Sorglosigkeit gegen kathol. Uebergriffs, gegen welche wir gar nicht mehr zu Wort kommen konnten, zu vermindern; die Mittel dürfen aber nur Waffen der Gerechtigkeit sein und wir uns in Ruhe bewußt sein, was wir von der Re­formation haben. Hiezu sollen die Schriften des evang. Bundes beitragen. Die Zahl der Mitglieder des Bundes, welche anfänglich in Württemberg die höchste gewesen, sei nun auf 6108 angewachsen. Gegenwärtig zähle die Rheinprovinz die höchste Mitgliederzahl. Von der Eisenacher Versammlung brachte der Redner 2 Resolutionen zur Verlesung und machte noch Mit- teilungen über die bisherige Thätigkeit des Bundes, welche wir jedoch Raum« mangelshalber nicht wiederzugeben vermögen. Als weiterer Redner trat Hr. Rektor vr. Müller auf, welcher die Anwesenden, soweit dieselben noch nicht Mitglieder seien, aufs Freundlichste einlud, dem Bunde beizutreten, und im Anschluß einen Aussatz aus der Zeit vor und nach der Reformation zur

Verlesung brachte. Von den 11 anwesenden Nichtmitgliedern traten sämtliche dem Bunde bei. Auch Hr. Oberamtsarzt vr. Müller erfreute die An­wesenden mit einer oratorischen Spende:Vom Wald" kommend, habe er gestern gelesen, daß in Brasilien eine Revolution ausgebrochen sei und nun sei an der ganzen Geschichte k-in wahres Wort habe denn nicht der Ver­treter der kath. Volks, der Führer des Zentrums, Hr. Windthorst, im Reichs­tage erklärt, daß in kath. Ländern keine Revolution zum Ausbruch komme und dies müsse doch wahr sein. Vielleicht habe auch im Jahre 1868 die Königin Jsabella Spanien wohl nur aus Plaisierlichkeit verlassen und sich nach Frankreich begeben? Hr. vr. Müller weist noch aus statistischen Quellen nach, daß die Bevölkerungsziffer der Katholiken in vielen Ländern, na­mentlich beispielsweise in Baoen und England zurückgehe. Noch kamen einige Schriften des rührigen Brackenheimer Lokalvereins zur Verteilung und Hr. Rektor vr. Müller empfahl noch den von Pf. Faulhabee in Schwäb. Hall herausgegebenen Kalender pro 1890, welcher wohl von jeder Buch­handlung beschafft werden dürfte. Der Jahresbeitrag eines Mitglieds ist ein geringer und darf auch unter 50 H betragen.

n Neubulach, 18. Nov. Jagdpächter Sonnenwirt Lutz von hier hatte das Glück, innerhalb 14 Tagen 2 prächtige Wildkatzen, das Paar, zu schießen. Das größere Exemplar, ein Kater, wog nahezu 20 Pfund und maß von Schnauze bis zur Schwanzspitze 90 om. Der Balg davon wurde zu 3 »4L verkauft.

Weilderstadt. Viehmarkt am 18. Nov. Zutrieb 334 St. Ochsen, 516 St. Kühe und Rmder, 50 St. Schweine, 720 St. Milchschweinr. Dem stark befahrenen Ochsenmarkt war Zug. und Fettvieh in ungefähr gleicher Anzahl zugetrieben. Der Handel in Fettvieh war sehr lebhaft, in Zugvieh weniger. Die Preise beziffern sich bei Fettoieh aus 3435 »4L pr. Ztr. lebend Gewicht, bet Zugvieh bis zu 1000 »4L pr. Paar. In Melk- und Schmalvieh war der Markt stark befahren, weniger in Fettvieh. Dsc Handel war in jeder Gattung sehr lebhaft. Bei Fettvieh betrug der Preis 3033 pr. Ztr. lebend Gewicht. Melkvieh galt bis zu 400 Ht, Schmal­vieh bis zu 150 »4L pr. St. Im Allgemeinen dürfte ein Preisrückgang zu konstatieren sein. Der Schweinemarkt war in Milch- und Läuferschweinen stark, mit fetter Ware schwach befahren. Lebhafter Handel. Die Preise für fette Ware betrugen 4346 pr. Ztr. leb. Gewicht; für Läuferschweine wurde bezahlt 36 -100 pr. Paar, für Milchschweine 1236 »4L pr. Paar. Die Anordnung des Kön. Ministeriums des Innern, wonach die Abhaltung der Viehmärkte nur in Fällen besonderer Seuchengefahr zu verbieten ist, ist von Landwirten und Gewerbetreibenden mit großer Befriedigung ausgenommen

Feuilleton.

Nachdruck verboten.

Keim Aattenfinger von Hameln.

Bunte Bilder aus einer kleinen Stadt von Keinrich Hrans.

(Fortsetzung.)

Obwohl uns die innigste Liebe verband, so waren wir Brüder doch in Be­treff des Briefschreibens sehr lässig. Der Kampf um unsere sorgenfreie Existenz, die uns früh ins feindliche Leben Hinaustrieb, vermochte uns nur in außergewöhnlichen Fällen zu einem schriftlichen Verkehr, und ich, der Aelteste, der mit gutem Beispiel hätte vorangehen sollen, ich war gerade der Lässigste. Wie dem Egmont war auch mir unter vielem Verhaßten, das Schreiben das Verhaßteste."

Die einzige Entschuldigung für unseren sporadischen Briefwechsel lag vor Allem in der weiten Entfernung, die zwischen uns bestand.

Ich hielt mich meist in Schlesien oder Berlin auf, mein zweiter Bruder Stephan war Prokurist in einem großen Amsterdamer Kaufmannshause, und der Jüngste, Manfred, von Allen Fredi genannt, Buchhändler in Augsburg.

Als wir vor vier Jahren zum letzten Mal in Braunschweig zusammenkamen, war die Veranlassung dazu eine traurige, aber stamme Pflicht: wir trugen unsere heißgeliebte Mutter zu Grabe.

Schluchzend umstanden wir den Hügel, unter dem sie von ihrer Erdenqual ausmhte, denn diese Ueberzeugung mußte jeder gewinnen, der das ernste, bleiche, von einem weißen Scheitel umgebene Gesicht betrachtete, daß das Glück des Lebens der Armen nur wenig beschieden sein konnte.

Da der Vater bereits zwei Jahre früher gestorben, so waren wir also gänzlich verwaist. Von einem Bruder meiner Mutter war uns fast nie etwas bekannt ge­worden. Die Behörde ernannte uns einen Vormund, der den ganzen, geringen

Nachlaß bis auf wenige Andenken zu veräußern und den Erlös bis zu unserer Mündigkeit zu kapitalisieren für gut fand.

Noch einmal drückten wir uns die Hände und schieden von einer Heimat, die uns nun keine mehr war. Doppelt stark fühlte jeder den Trieb, durch eigene Kraft sich das Verlorene zu erringen.

Gott hat unser redliches, arbeitsvolles Streben gesegnet, wir vermögen uns jetzt selbstständig zu behaupten und ich, der Aelteste, bin im Begriff, mir das erste neue Heim zu gründen, wo ich die Brüder mit offenen Annen empfangen, ihnen meine Rosa, meine Frau zuführen kann.

Meine Frau! O, welche Seligkeit durchglühte mich bei diesem Gedanken. Gesegnet sei die Fahrt zu meinem Onkel.

Ich hatte eben den letzten Brief beendet, als die Thür sich leise öffnete und Ignatz ins Zimmer trat. Besorgt sprang ich auf und rief ihm zu:

Ist dem Onkel etwas zugestoßen, geht es schlechter mit ihm?"

Nein, nein, beruhigen Sie sich nur," erwiederte der Alte,es ist noch immer wie früher, derselbe Zustand. Ich habe nur den Auftrag, dies dem jungen Herrn zu übergeben."

Er überreichte mir ein Blatt Papier und ein dickes, vergilbtes und versiegeltes Schreiben; dann entfernte er sich wieder ebenso geräuschlos.

Auf einem großen Briefbogen standen mit Bleistift folgende Zeilen, deren Undeutlichkett verrieten, daß der Onkel sie im Bett geschrieben oder besser gekritzelt hatte:

Lieber Constantia!

Leider kann ich Dich heute nicht bei mir sehen, da mir Herr Ignatz, mein ge­strenger Herr Doktor, ein Schwitzbad verordnet hat. Ich übersende Dir deshalb in Deine Einsamkeit ein Vermächtnis Deiner unglücklichen Mutter, welches sie kurz vor ihrem Tode bei mir deponierte, um es Dir zu übergeben, wenn Du Dir eine Lebens­gefährtin gewählt haben würdest. Nun, mit dem heutigen Tage ist ja der Zettpunkt gekommen, und ich entledige mich hiermit meiner schmerzlichen Pflicht. Sei nach­sichtig und gedenke mit Liebe der Toten!"

Onkel Friedrich."