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85. Jahrgang.

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Schwöb. Landwirt.

199

SaMstag, dm 26. August

1911

Der Wetterwart.

politische Ilmscha«.

Aus den Wolken muß es fallen,

Aus der Götter Schoß das Glück.

Als Schiller in seinem GedichtDie Gunst des Augen­blicks" diese Verse niederschrieb, hatte er ähnliches und doch etwas anderes im Sinne als die Erlösung von siebenwöchiger Hitze und Dürre, die uns jetzt das segenspendende Naß, den solange vergeblich ersehnten Regen, gebracht hat. Der war zwar noch nicht viel, er ist aber doch wie ein Gesckenk vom Himmel gefalleu und allenthalben wie ein solches mit dankbarer Freude ausgenommen worden. Es handelte sich ja nicht mehr bloß darum, daß Mensch und Vieh unter den sengenden Strahlen der Sonne schwer zu leiden hatten; das wurde ausgeglichen durch die wunderbare Ernte an Körnerfrüchten, die wir selten in solcher Güte wie Heuer in die Scheune brachten. Es war schon eine schwere wirt­schaftliche Not, an deren äußersten Rand wir gekommen waren und vor deren Gefahren wir auch heute noch nicht ganz geborgen sind. Nur reichlicher, das weit hinein aus­gedorrte Erdreich wieder tief befeuchtender und befruchtender Regen vermag das Schlimmste abzuwenden. Die fürchter­lichen Brände der letzten Zeit, die in Stadt und Land wie pulver haltiges Feuerwerk aufflammten und bei dem herrschen­den Wassermangel oft fast nicht zu löschen waren, lehren uns das nicht minder als der Anblick der von der Sonne versengten Fluren und des vorzeitigen Laubfalls in den ver­dorrenden Obstgärten und Wäldern. Nun haben wir wieder Hoffnung geschöpft. Muß sich doch alles, alles wenden, und ist doch nichts so beständig wie der Wechsel, selbst wenn er lange auf sich warten läßt.

Keine Tugend ist leicht, sagt der Weise; eine der schwersten ist die Geduld. Wir haben jetzt reichlich Gelegen­heit, uns in ihr zu üben. Denn auch in der Politik müssen wir warten lernen, warten und harren ohne Ende. Monat auf Monat rollt sich ab, seit die deutsch-französischen Ver­handlungen über Marokko begonnen haben. Die sieben dürren Wochen kamen dazwischen und gingen vorüber, aber für die unfruchtbaren Verhandlungen unserer Diplomatie ist der erlösende Niederschlag nicht gekommen; Hopfen und Malz scheint da verloren zu sein. Dem gallischen Hahn schwillt der Kamm mit jeder Woche dicker und röter an. Immer frecher klingen die Reden der Jünger Chauvins über die Grenze. Dem unverschämten Artikel in derFrance Militaire" ist ein zweiter, noch dreisterer gefolgt und in Ai; des Bains wurden wir samt der Reichsflagge beschimpft. Unsere Offiziösen aber schweigen in allen Sprachen. Es war ein französisches Blatt und dazu der größten und an­gesehensten eines, das zuerst berichtete, daß zwei Offiziere aus Nancy eine deutsche Fahne, die ein Hotelwirt zugleich mit den Fahnen aller anderen Nationen in diesem inter­nationalen Badeorte hißte, heruntergeholt und unter dem Beifall der Menge zerrißen hätten, aber die französische Regierung wollte nicht, daß wir im Schlafe gestört werden, und lies erklären, die Fahne sei von dem Wirte selbst aus Wunsch eines Schuhwarenfabrikanten entfernt worden, der bereit sei sich zu entschuldigen. Es ist merkwürdig, wie die französische Zeitung in dem ersten Bericht den vom Wirt beauftragten Hausknecht des Hotels für zwei französische Offiziere halten konnte. Mekwürdig ist es auch, daß bei dem einfachen Vorgang, wie ihn die französische Regierung darstellt, die Fahnenstange zerbrochen wurde, da Fahnen­stangen doch keine Zahnstocher zu sein pflegen. Die Haupt­sache ist, daß wir von Berlin aus den schönen Trost erhielten, der Vorfall habe gar keine Bedeutung,da es sich um keine Flagge im Sinne des internationalen Rechts handelt." Nun ist ja alles wieder gut, besonders da wir aus der gleichen offiziösen Quelle belehrt werden, daß eseines der vornehmsten politischen Ziele unseres Kaisers sei, durch ein ernstes und andauerndes Einvernehmen zwischen Deutschland und Frankreich den Frieden in ersprießlicher Weise zu sichern." Das Spiel mit dem Bersöhnungsgedanken geht lustig weiter. Man erwartet in Berlin, Frankreich werde, gerührt durch unseren Verzicht auf eine Einslußphähre in Marokko,allem Anschein nach sich zu dem nicht minder schweren Opfer der Anerkennung des bestehenden Zustandes in Elsaß-Lothringen oerett erklären." Das hat es zwar schon vor 41 Fahren im Frankfurter Frieden getan, den unsere Väter mit ihrem Blute errungen hatten, allein das hat uns bekanntlich in 20 Jahren nicht gehindert, die große Nation unablässig mit unseren Versöhnungsoersuchen zu beglücken. Auf die Unterredungen zwischen Kaiser, Kanzler und Staats­sekretär in Swinemünde sind jetzt die in Wilhelmshöhe gefolgt, doch hören wir weiter nichts davon. Dagegen ver­nahmen wir, daß der Kaiser den Primanern des Gymna­

siums in Kassel eine neue Fahne übergeben und dabei in einer Rede von der Harmonie in Kunst, Leben und Philo­sophie, sowie davon gesprochen hat, die jungen Leute sollten die vaterländische Geschichte studieren, auf der Universität keinen Mißbrauch mit dem Alkohol treiben und bei ihrem Eintritt ins politische Leben den Blick aufs Ganze richten. Man erinnert sich noch an die Zusammenkunft des russischen Zaren mit Kaiser Wilhelm in Potsdam vor bald einem Jahre, wenige Tage nachdem England durch seine Drohnote an Persien der Welt seine weitesten Hoffnungen als Erbe des zerfallenden Reiches im Herzen Asiens enthüllt hatte. Man erinnerte sich auch der Erklärung unseres Reichskanzlers im Reichstage, daß Rußland sich mit der deutschen Regierung bei den Potsdamer Besprechungen über den Umfang und die Wahrung der Interessen beider Länder in Persien ver­ständigt !und daß darüber hinaus jedes der beiden Reiche sich verpflichtet habe, keiner gegen das andere gerichteten Kombination beizutreten. Nun ist der Vertrag zwischen Deutschland und Rußland veröffentlicht worden, aber die letztere Vereinbarung findet sich nicht darin, sondern sein Inhalt bezieht sich nur auf Persien. Das ist eine böse Ueberraschung. Ms um die Jahreswende Einzelheiten des Abkommens in einem englischen Blatte vorzeitig veröffent­licht wurden, sah man alsbald, wie andere Freunde in Paris und London sich daran gaben, das halbfertige Werk zu stören, um Rußland wieder zu der Einkreisungspolitik gegen Deutschland zurückzusühren. Heute ist kein Zweifel mehr, daß dies damals wenigstens zum wichtigsten Teile gelang und daß im letzten Oktober in Potsdam, wie selbst die Frankfurter Zeitung zugibt, eines jener Strohfeuer ver­puffte, an denen sich die deutsche Diplomatenkunst wärmen muhte, seit Bismarcks Gewicht durch den Schall kaiserlicher Worte ersetzt wurde. So ist das deutsch-russische Abkommen vielleicht ein Erfolg unserer Wirtschaftspolitik, aber kein rechter politischer Erfolg.

Nun braucht man freilich die Bedeutung solcher Ver­träge nicht zu überschätzen, wenn nicht auf beiden Seiten der ernste Wille besteht, sie zu hatten, haben sie lediglich papierenen Wert. Damit tröstet man sich jetzt in Frankreich und England über die Ablehnung der Schiedsgerichtsoerträge mit den Bereinigten Staaten, die bereits in Washington unterzeichnet waren, aber nicht die Ratifikation durch den amerikanischen Senat gefunden haben. Die Verträge, von denen man wohl nicht fehl geht in der Annahme, daß ihr letztes Ziel auf ein Bündnis gegen Deutschland hinauslief. lassen den früher bei solchen Verträgen üblichen Vorbehalt der nationalen Ehre und der vitalen Interessen fallen und unterwerfen alle Streitfragen dem Schiedsgericht. Als die Entscheidung des Senats noch nicht bekannt war, herrschte in der englischen Presse großer Jubel. Schon der mag die Senatoren in Washington stutzig gemacht haben. Wie, wenn es England eines Tages einfiel, die Monroedoktrin zum Gegenstand der Verhandlung eines internationalen Schiedsgerichts zu machen? Oder wenn gar die Zulassung und Behandlung von Ostasiaten in den Uferstaaten des Stillen Ozeans vor ein Schiedsgericht kam? Denn wenn die jetzigen Verträge ratifiziert worden wären, hätte man einen analogen Vertrag mit Japan doch nicht wohl ablchnen können. Auch mögen wohl einige der amerikanischen Süd­staaten, die sich vor Jahrzehnten unter offenem Rechtsbruch ihrer finanziellen Verpflichtungen gegen ausländische Gläubiger entzogen, befürchtet haben, daß ihnen ein internationales Gericht noch nachträglich an den Kragen könnte. So hat uns denn die höchste parlamentarische Verkörperung der nordamerikanischen Republik an einem aktuellen Beispiel gezeigt, daß der Weltfriede und Schiedsgerichte Dinge sind, an denen man sich mit schönen Reden begeistern kann, die aber für eine praktische Regelung der internationalen Be­ziehungen gar nicht geeignet sind. Und so werden wir denn auch von Verhandlungen zwischen Deutschland und den Bereinigten Staaten über einen solchen Vertrag verschont bleiben. Mehr Glück hatten die Engländer mit der ge­fährlichen Streikbewegung, die zuerst die Hafenarbeiter, dann die Eisenbahner veranstalteten, nachdem die Seeleute ihren Willen durchgesetzt hatten. Die Bewegung übertrug sich freilich nur auf einen Teil der Eisenbahner, aber das ge­nügte schon, den Verkehr in großen Teilen des König­reiches lahmzulegen und dem Lande, namentlich den Riesen­städten, eindringlich klar zu machen, daß alle Lebensmittel binnen acht Tagen aufgezehrt sein würden. Zum Glück für die Eisenbahngesellschasten und das ganze Volk wären von der Hungersnot auch die streikenden Eisenbahner selbst be­troffen worden, so daß ihre viele Millionen betragenden Streikfonds nicht lange gereicht hätten. Deshalb gelang es, den Ausstand innerhalb weniger Lage beizulegen, wozu die geschickten Unterhandlungen des Minsters Lloyd George, der schon vor Jahren einmal eine ähnliche Ausstandsbe­

wegung einzudämmen verstand, viel beigetragen haben. Die Gesellschaften zeigten Entgegenkommen, aber auch die Arbeiter haben nicht auf der Durchsetzung aller ihrer Forde­rungen bestanden. Im übrigen beweist der Ausstand nicht nur für England, was bei einer Massenbewegung unter den Eisenbahnern auf dem Spiele steht: nicht bloß die Lebens­mittelversorgung der Bevölkerung, sondern auch die nationale Wehrfähigkeit. Niemand weiß das besser als die Franzosen, die unter allen Großmächten ihrer Eisenbahnen im Falle einer Mobilmachung am wenigsten sicher sind. Und deshalb werden die französischen Minister, die in diesen Tagen mit dem Berliner Botschafter Cambon in Paris beraten, ob man es, nachdem die Verhandlungen aus dem toten Punkte angelangt sind, mit Deutschlanddrauf ankommen lassen" könne, auch diesen Faktor in das Rechenexempel einsetzen und wahrscheinlich höher bewerten als das Reoanchegebrüll der Bouleoardpresse.

Tages-Nerügkeiten.

AvS Stadt und Land.

Nagold, 36. August 1911.

^ Diözesansynode. Die Diözesansynode, die unter dem Vorsitz von Dekan Pflei derer und in Anwesenheit des Landessynodalabgeordneten, Dekan Groß in Leonberg gestern hier tagte, wurde mit einem Gottesdienst im Vereins- Hause eröffnet, in welchem Pfarrer Haller-Walddorf eine ansprechende und die Arbeit der Geistlichen wie der Kirchen­gemeinderäte ins rechte Licht rückende Predigt über I.Kor. 16, 13 u. 14 hielt. Der Bericht des Vorsitzenden über das kirchliche Leben in der Diözese beleuchtete auch die Arbeit, die der Bezirk aus den verschiedensten Gebieten der Wohltätigkeit und inneren Mission leistet. Den übrigen Teil der Verhandlungen nahm die Besprechung des neuen Gesangbuchsentwurfs in Anspruch. Dekan Groß von Leon­berg, Ersatzmitglied der Gesangbuchskommission, gab ein­leitend die Gesichtspunkte wieder, welche die Landessynode zu der Anlage eines neuen Gemeindebuchs besümmte und sie dabei leitete. In die Tiefen der textlichen Neugestaltung führte Pfarrer Widmann-Gültlingen ein, während Pfarrer und Bezirksschulinspektor S ch o t t-Altensteig-Dorf als Mit­glied der Gesangbuchskommission in der Lage war, bei Vorführung und Besprechung der musikalischen Seite des Buches ganz aus dem Vollen schöpfen und mit gesanglicher Unterstützung durch Stadtpfarrer Werner-Berneck die neuen Melodien in ihrer Eigenart charakterisieren zu können.

* Unfall. Mit Bedauern haben wir zu verzeichnen, daß Herr Stadtbaumeister Lang bei der Aufsichtsührung am Schulhausneubau durch Abstürzen verunglückte und den Fuß brach.

Die Wartezeit der Militäranwärter. Infolge der in letzter Zeit erheblich gewachsenen Anmeldungen der Militäranwärter, die sich besonders für die oberen Stellen der Bekleidungsämter bemerkbar gemacht haben, hat die Militärbehörde bekannt gemacht, daß die Wartezeit sich doch bedeutend länger stellen wird, als bisher. Gegenwärtig beträgt sie bereits sieben Jahre, und eine Verlängerung der Dauer muß notwendigerweise eine Ueberalterung der An­wärter herbeisühren, die weder in deren Interesse noch in dem der Verwaltung liegen. Es ist daher bestimmt worden, daß die Bekleidungsämter die Zahl der in Betracht kom­menden Militäranwärter der Vorgesetzten Behörde namhaft machen, die nunmehr bestimmen wird, wieviel Anwärter zu der Laufbahn zuzulassen sind. Durch diese Kontingen­tierung, die die freiwerdenden Stellen in ein richtiges Ver­hältnis zu den Bewerbern setzt, soll einer Ueberalterung vorgebeugt werden. _

Abgabe von Waldstreu.

Um einer Streunot zu begegnen und die Heranziehung der vorhandenen Stcohoorräte zu Fütterungszwecken zu er­möglichen, hat das Finanzministerium einen Erlaß hinaus gegeben, durch welchen die Forstämter zu einer weitgehen­den Abgabe von Waldstreu (Laub-, Gras-, Moos-und Nadelholzstreu) an die Gemeinden ermächtigt werden. Bei den hierdurch genehmigten außerordentlichen Streunutzungen hat in den Körperschaftswaldungen die Nutzung in der Regel in der Weise zu erfolgen, daß die Streu, soweit nicht deren Aufbereitung durch die Waldarbeiter der körperschaft­lichen Verwaltungsbehörden erfolgt, durch die von den Nutzungsempfängern zu stellenden Personen gemeinschaftlich unter genügender Aufsicht gewonnen und auf gleich große Hausen zusammengebracht wird und daß alsdann die Haufen, sofem nicht deren Versteigerung von der körperschaftlichen Behörde beschlossen wird, durch das Los unter die Streu- bedürftigen verteilt werden. Soweit Privat-, Gemeinde-