Erscheint täglich mit Ausnahme der Sonn- und Festtage,
Preis vierteljährlich hier 1.10 mit Trägerlohn 1.20 im Bezicks-
und 10 Xm.-Berkehr 1.25 im übrigen Württemberg 1.35 -6, Monatsabonnemcnts nach Verhältnis.
Fernsprecher Nr. 39.
LA
N Kit WmnitsWlk Nligck.
88. Jahrgang.
Fernsprecher Nr. 29.
Anzeigen-Gebühr jur die einjpall. Zeile aus gewöhnlicher Schrift oder deren Raum bei einmal. Einrückung 10 A bei mehrmaliger entsprechend Rabatt.
Beilagen: Plaudersttdchrn, Fllustr. SonMagsblatt und
Schwäb. Landwirt.
.-U 198
Kreitag, dm 25. August
1911
Seine Königliche Majestät haben am 30. Juli d. Fs. allergnädigst geruht, die evangelische Pfarrei Gültstein, Dekanats Herrenberg, dem bfarrcr Hang in Schützingen, Dekanats Knittlingen, zu übertragen.
AwlschmaLts-Wustk.
Berlin, 24. August.
Die lockenden, wiegenden, weichen Geigentöne, mit denen man in der Wilhelmstraße zu dem Duett zwischen Germania und Gallig aufspielte, sind verstummt. Kider- len-W achter, der Dirigent, und Hammann, der Primgeiger, sind auf Urlaub und erholen sich von den Anstrengungen. Denn dieser letzten Tage Qual war groß. Wenn Herr v. Ktderlen-Wächter jetzt in Bcatcnbcrg die karg- bemessene Erholungszeit im Kreise seiner nächsten Anverwandten genießt, mag er sich unwillkürlich des Horazschen .. Ueatus illo gut prveat vox-ottis" erinnern. Für ihn wird allerdings bald die Stunde der Abreise kommen, die ihn der Arbeit wieder Zuführt.
Inzwischen hat man sich in Paris und London beeilt, die Zwischenaktsmusik zu stellen, die das internationale Publikum während der Pause angenehm unterhalten soll. Weder hier noch dort ist jedoch die Auswahl der Kapelle sonderlich glücklich. In Paris glaubt man mit einem Trompeterkorps, das Fanfaren bläßt, den stärksten Eindruck zu machen, und vergißt dabei ganz, daß uns trotz der Fortissimoklänge die nervöse Erregung nicht verborgen bleibt, die deutlich bemerkbar ist. Allen voran die mißtönende Lärmtrompete des „Matin", der als Organ der Marokko- Spekulanten die Pflicht hat, jeden Tag gegen Deutschland zu Hetzen, weil deutsche Querköpse dem französisch-englischen Syndikat das einträgliche Monopol in Marokko nicht so ohne weiteres überlassen wollen. Das Boulevardblatt, das der französischen Diplomatie am Quai d'Orsay seine eigenen Instruktionen gibt, meint, Frankreich habe kaum jemals eine günstigere politische Stellung eingenommen als jetzt. Das Heer sei niemals besser gewesen als gerade gegenwärtig, die Flotte beginne dank den bewundernswerten Bemühungen Delcassös ihren Rang unter den großen Flotten der Welt wieder einzunehmen. Die moralische Stimmung im Volke sei vorzüglich, und keine Macht besitze ein Kleeblatt von Diplomaten mit so viel Kenntnis und Erfahrung, wie die beiden Lambons und Barere, die augenblicklich zum Kriegsrat in Paris versammelt sind. Namentlich die Anwesenheit Paul Cambons, des französischen Botschafters in London, ist bezeichnend für die Situation. Man könnte den „Matin" parodieren und sagen, niemals ist die Abhängigkeit der französischen Diplomatie von fremden Einflüssen größer gewesen als gerade in diesen Wochen und Tagen.
Der langwierige Gang der Verhandlungen in Berlin ist nicht zuletzt auf den heimlichen Widerstand zurückzuführen, den die englische Regierung den deutschen Wünschen in Paris entgegensetzt. Man darf ruhig sagen, daß jede neue Wendung in der Konversation zwischen Kider- len und Cambon in brüderlichem Eifer von Frankreich nach England kolportiert und dort der Begutachtung durch das
Kabinett von St. James unterworfen wird. Oder man zieht den britischen Botschafter Bertie am Quai d'Orsay zurate, wenn Eile nottut. Ob dieser stete Appell der Grande Nation an Greater Britain besonders ehrenvoll ist, darüber können wir uns in Deutschland unsere eigenen Gedanken machen. Zweifellos wären wir mit Frankreich schon weiter, wenn die Regierung in Paris nicht ihren Rückhalt in London suchte und fände, wo man ängstlich bemüht ist, eine Verständigung zwischen Deutschland und Frankreich, die sogar über Marokko hinausgehen könnte, hintanzuhalten'. Das eine ist sicher — mögen die Verhandlungen mit Frankreich zu einem Ende kommen oder abgebrochen werden —, wir werden in Deutschland nicht so bald die Rolle vergessen, die England in dieser Affäre gespielt hat, von den Reden der Minister Asquith und Lloyd George an gerechnet, bis zum letzten Hetzartikel der Londoner Presse.
Die Londoner Zwischenaktsmusik klingt — nach dieser ministeriellen Ouvertüre — noch weniger ansprechend für unsere Ohren. Die Dudelsackpfeifer machen einen kriegerisch klingenden Lärm und suchen den Eindruck zu erwecken, als ob Deutschland der Störenfried der Ruhe Europas sei. Dabei ist nirgends die Haltung der Presse maßvoller und ernsthafter gewesen als bei uns, die wir uns wohl gehütet haben, in das gleiche Horn zu blasen. Natürlich können auch die russischen Blätter, deren Liberalismus sich in Deutschfeindlichkeit äußert, nicht ohne ein bißchen Katzenmusik sein. Sie machen eben mit, obwohl ihnen Marokko genau so fern liegt wie — Großbritannien. Wir werden uns jedoch durch die internationalen Disharmonien in unserer Taktsestigkeit nicht beirren lassen, und legen auch nicht, wie damals in Kreta, stillschweigend die Flöte aus den Tisch. Wenn aber schon nachher der Kehraus gespielt werden muß, dann haben wir unsere Militärmusik, die zum Tanze aufspielen kann. (Nat.-Ztg.)
Tages-Nemgkeiten.
Aus Stadt uud Land.
Nagold, 25. August I9II.
Evang. Arbeiterverein. (Mitgeteilt.) Die aus gestern abend in das Gasthaus zur „Traube" einberufene Versammlung von Milchkonsumenten war gut besucht. Der Vorsitzende wies auf das ungerechtfertigte Verlangen der hiesigen Milchproduzenten hin, worauf eine lebhafte Aussprache seitens der Versammelten folgte. Man kam zu dem Beschluß, eine Kommission einzusetzen, welche die Einfuhr auswärtiger Milch bewerkstelligt u. damit der Einwohnerschaft um den seitherigen Preis, eventuell noch billiger, Milch ins Haus liefern kann. Die Kommission wurde aus Männern des Beamten- und Arbeiterstandes zusammengesetzt und ihr das Vertrauen ausgesprochen.
—t. Versammlung. Gestern nachmittag fand unter dem Vorsitz von Schultheiß Dengler von Ebhausen im Gasthaus z. Anker hier eine Versammlung von Vertretern sämtlicher Darlehenskassenvereine des Bezirks statt behufs Besprechung über den gemeinschaftlichen Einkauf von Most
obst, Futter- und Streumitteln. Als Einkausskommission wurden die seitherigen bewährten Vertrauensmänner: Vorsitzender Frauer von Wildberg, Gemeindepsleger Schüttle von Ebhausen, Waldmeister Walz von Rohrdorf, Schultheiß Dürr von Mindersbach und für den verstarb. Schultheiß Schumacher von Oberschwandors Schultheiß Weimer von Pfrondorf bestimmt. Der Bedarf an Mostobst beziffert sich auf etwa 50 Waggons für sämtliche Darlehenskassenvereine. Bei der Dertreteroersammlung wurde betont, überall in den Gemeinden darauf hinzuwirken, daß die Landwirte ihren Biehstand möglichst erhalten sollen durch Auskauf von Futter- und Streumittel.
r Die Beschränkung der Wanderlager. 3m Herbst werden bei dem zuständigen Reichsamt Beratungen stattfinden, die sich auf eine Beschränkung der Wanderlager beziehen. Seitens der preußischen Regierung sind zur Bekämpfung der Auswüchse aus dem Gebiete des Wanderlagerwesens bereits vor einiger Zeit entsprechende Anträge bei der Reichsregierung gestellt worden, und die jetzt vorliegenden Erklärungen der anderen Bundesregierungen lassen erkennen, daß die Mehrzahl der Bundesstaaten in dieser Frage den Standpunkt Preußens im wesentlichen teilt. Die preußischen Anträge bewegeil sich in der Richtung, daß in die Gewerbeordnung eine Bestimmuna aufzunehmen ist, die es ermöglicht, die Wanderlager von einer besonderen Erlaubnis abhängig zu machen und diese Erlaubnis zu versagen, wenn ein Bedürfnis für den Betrieb nicht vorliegt. Bei den bevorstehenden Beratungen wird es sich in der Hauptsache um die Frage handeln, ob ein Gesetzentwurf auszuarbeiten ist, der den § 160 der Reichsgewerbeordnung entsprechend ergänzt. Zu erwägen wird ferner sein, ob der Betrieb eines Wanderlagers auf die Dauer von 14 Tagen zu beschränken ist, und außerdem, ob Aussührungsanweisungen, zu geben sind, nach denen die Genehmigung zu Beginn eines Wanderlagers mindestens 8 Tage vorher bei der Ortspolizeibehörde nachzufuchen ist mit Angabe der Zeit und des Ortes, wo sich die Verkaufsgegenstände bis zum Derkaufstermin befinden. _
x Zur Lage der Landwirtschaft in Württemberg äußert sich Freiherr G. v. Wöllwarth-Lauterburg aus Hohenraden im Schwäbischen Merkur folgendermaßen: „Es ist geradezu Sünde, wenn man im allgemeinen von einer Notlage der Landwirtschaft in Württemberg redet und schreibt, und wenn man das Jahr 1897 mit dem heurigen Jahrgang vergleicht. Heuer war die Heuernte eine an Qualität und Quantität sehr gute, und der Wert der heurigen Heuemte ist 50°/o höher als der Wert von Heu und Oehmd zusammen im vorigen Jahr. Leider haben sich viele, namentlich kleine Bauern, verleiten lassen, aus Mangel an Platz und Geld das Heu gleich nach der Ernte um 1 ^ 70 ^ den Zentner zu verkaufen; es sind um 1 70 ^
und 2 ^ Hunderte von Zentnern auf der Eisenbahn verladen worden, was, da in anderen Reichsländern zum Teil Mißernte ist, ein großer Fehler war. Der zweite Schnitt läßt allerdings sehr viel zu wünschen übrig; Wiesen und Kleefelder werden zum Teil gar nicht gemäht, sondern nur
Zur Geschichte der Lotterie.
Don W. Widmann.
(Nachdr. verb.j
Dem Glücksspiel wurde schon in grauer Vorzeit eifrig gefrönt. Ueber den alten Germanen hatte (nach Tacitus) die Spielleidenschaft eine solche Gewalt, daß er imstande war, sein Weib, ja schließlich sich selbst zu verspielen. Das kam auch im Mittelalter noch vor. In Stuttgart wurde Anno 1455 ein Bürger bestraft, weil er nach dem Verlust seiner Habe noch „sich selber ob dem Spil verhandelt hat". Bevor die richtigen Lotterien auskamen, befriedigten die Spiellustigen im Würfel- und Kartenspiel, in Glückshäsen und Wetten ihre Leidenschaft. Die Bezeichnung Lotterie kam erst anfangs des 16. Jahrhunderts in Brauch, die Sache selbst aber reicht viel weiter zurück. Sauval bezeichnet in seiner „vissortstion our tos lotörivs" Egypten als das Land, in welchem das Lotteriespiel in uralter Zeit entstanden sei; andere Gelehrte betrachten die Geschenkverteilungen der römischen Kaiser unter das Volk mittels Zetteln oder Täfelchen, deren Inschriften verschiedenerlei Gaben anwiesen, als die ersten Keime der Lotterie. Aus den römischen Losspielen entwickelten sich später in Italien die „Glückshäfen" und „Glückstöpfe", die den Uebergang zur Warenlotterie bildeten. Auf die Warenlotterie folgte endlich die reine Geldlotterie mit Geldbeträgen als Einsätze und Gewinne. Die Stadt Florenz genießt den bedenklichen Ruhm. 1530 behufs Aufbesserung der Finanzen die
erste Geldlotterie veranstaltet zu haben. In Deutschland fand die erste namhafte Geldlotterie 1614 in Hamburg statt. Die Klassenlotterie, zuerst in Holland in Brauch und dämm auch „holländische Lotterie" genannt, fand im 17. Jahrhundert in Hamburg, Leipzig und Nürnberg zuerst Eingang; in Berlin kam sie erst 1740 auf.
Im Schwabenland kam das Lotteriegeschäft in Blüte, als der berüchtigte Finanzmann Süß Oppenheimer als Berater des Herzogs Karl Alexander gewissenlos wirtschaftete. Zu Gunsten der herzoglichen und seiner eigenen Kasse veranstaltete er während der Faschingsseste große Warenlotterien, durch die das Volk schändlich ausgebeutet wurde. Damals lief der Spottoers um:
„Was ist denn, Süß, dein Karneval Mit deinen Lottereyen"
Es ist ein sehr verrufner Ball Mit lauter Bubereyen!
O wärst du doch ein Teil davon,
Daß dich als Niete ziehen Der Henker müßt zu feinem Lohn,
In zahlen sein Bemühen!"
Die erste Klassenlotterie in Württemberg führte Herzog Karl 1762 ein; sie bestand aus 75000 Losen mit 5 Klassen und insgesamt 85000 Treffern. Die Einlage betrug für alle 5 Klassen 25 Gulden, Hauptgewinne waren: 20000, 10000, 8000, 6725 und 6000 Gulden; alle 6 Wochen fand eine Ziehung auf dem Landfchaftshaus? statt. Dieser Klassenlotterie folgte 1772 das weit verderblichere, heutzutage nur noch in Italien und Oesterreich geduldete
Lotto, das eine Kombination von Lotterie und Wette darstellt und von Genua aus sich verbreitet hatte. In Württemberg bestand dieses verderbliche Glücksspiel, bei dem die Gewinne nicht von vornherein ziffernmäßig festgelegt sind, sondern (ähnlich wie beim Roulettespiel) in einem Mehrfachen des Einsatzgeldes bestehen, 6 Jahre lang, 1772 bis 1778, und brachte viele Familien an den Bettelstab. Erst nach mehrmaligen Vorstellungen der Landstände hob der Herzog durch Reskript vom 19. April 1779 die Anstalt aus, mit der Begründung, daß sie „auf das Publikum und auf die Wohlfahrt der Unterthanen in mancherley Betracht einen sehr nachteiligen Einfluß habe und allgemeine Zerrüttung anrichte" und daß „dieses Unwesen auch schon zu fast unersetzlichen schlimmen Ausbrüchen angestiegen sey und in die höchste Landespolizey-Berfassung so tief eingegriffen habe". Zugleich mit Aufhebung dieser Stuttgarter Anstalt erging ein strenges Verbot des Einsetzens in auswärtige Zahlenlotterien. Dieses Verbot wurde mehrmals erneut und hinsichtlich der Skasen verschärft; trotzdem trugen die Spiellusligen ihr Geld noch lange in auswärtige Zahlenlotterien. Im „Journal von und für Deutschland" wird 1784 berichtet: In Schwaben herrscht die verderbliche Lotterieseuche immer noch, zwar nur im Stillen, denn es sind obrigkeitliche Verbote vorhanden. Diese Seuche findet unter dem Pöbel vorzüglich durch Träume Nahrung. Wenn hie und da einem Lotteriefreund, bald in dieser, bald in jener Verbindung, eine Zahl im Traum erscheint, so wird diese für eine göttliche Anweisung gehalten, auf die Zahl in der Lotterie zu setzen, und wenn unter hundertmal der Zufall einmal dem Träumenden entspricht,