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Bewegung keinen Anteil genommen. Die Geschäftslokale und die Banken seien geschloffen, man glaube aber, die Regierung werde die aufständische Bewegung unterdrücken können.
— Die „Agence Havar" meldet vom 17. aus Rio de Janeiro, der Kaiser werde in seinem Palais gefangen gehalten, und habe auf die Anzeige, daß er des Thrones entsetzt sei, aber eine Dotation erhalten werde, erwidert, er werde nur der Gewalt weichen.
Rio de Janeiro, 16. Nov. Die provisorische Regier» ung hatte heute Mittag ein Manifest erlaffen. in welchem sie die Monarchie für abgeschafft erklärt und ihre Absicht kund thut, jede Unordnung vermeiden zu wollen.
— Nach einem an die Red. d. Bl. heute nachm. >/z4 Uhr eingetroffenen Telegramm hat sich der Kaiser von Brasilien am Sonntag nach Europa eingeschifft.
Gcrges-Weuigkeiten.
* Calw, 16. Nov. „EinRundganq durch die Ruinen von Athen" war da» Thema, welches Hr. Rektor Dr. Weizsäcker von hier für seinen höchst anziehenden Vortrag am Freitag abend im Hörsaale des Georgenäums gewählt hatte. Der gelehrte Redner führte mit kundiger Hand die Zuhörer im Geiste in da» attische Land, in das altehrwürdige Athen und in die Heiligtümer der Griechen. Aus der reichen Fülle des vorgetragenen Stoffs teilen wir den Lesern in Nachfolgendem das Wichtigste mit. Die Beziehungen Deutschlands zu Athen, einem Kleinod unter den Städten, sind schon alt, kein Volk hat mehr zur Erforschung griechischen Bodens und griechischer Kunst und Wissenschaft betgetragen als das deutsche. Athen, auf einer teraffenförmtg aufsteigenden Höhe gelegen und umr -hmt von den attischen Gebirgen, etwa 8 km vom Meere entfernt, war mit dem Hafenort Peträeus durch eine lange Mauer verbunden. Nach den Perserkriegen umgab Themi» stokleS die Stadt mit einem Mauerring. Verschiedene Thore dienten als Verkehrswege; das wichtigste befand sich auf der nordwestlichen Seite und wurde Doppelthor genannt. Um die Mauer herum führte eine 11m breite Straße, an deren beiden Seiten viele Grabdenkmäler aufgestellt waren. Schöne und ergreifende Scenen sind auf diesen abgebildet. An der Straße nach der Akademie befand sich der Friedhof für verdiente Männer. Hier waren Solon, Perikles und andere Große begraben. Der oberste Kriegsherr hielt an dieser Stätte eine öffentliche Gedenk» und Trauerfeier für die gefallenen Heldensöhne ab. Prächtig waren die Cimon'schen Gartenanlagen, Akademie genannt, mit schönen Oeldäumen und freien Plätzen. Hier trug Plato seine epochemachenden Lehren vor, Cicero und Horaz waren da gelehrige Schüler; der Altar des Prometheus stand ebenfalls hier. Da« Doppelthor war von Natur am schwächsten geschützt, weshalb es durch Stütz, mauern bedeutend verstärkt wurde. Durch das Doppelthor kam man zunächst in das Töpferviertel, in eine stattliche, breite Straße, die Hauptstraße, welche von herrlichen Säulenhallen eingefaßt war. Diese Straße führte zum Markt» platz. Bei der Einmündung zu diesem befand sich ein großes Triumphthor; im Vordergründe hatte man die herrlichen Gebäude des Marktplatzes, im Hintergründe die Akropolis. Rings um den Markt her war eine Straße mit den Hermensäulen. Auf dem Markt herrschte der lebhafteste Verkehr; Nahrungsmittel wurden hier gekauft, Geldwechsler trieben hier ihre Geschäfte, das öffentliche Leben kam hier zum Ausdruck; bekanntlich hatte hier auch Paulus seine Unterredung mit den Stoikern; an Festtagen trug der Marktplatz ein besonders feierliches Gepränge. Südöstlich von der Burg Akropolis war eine Plattform, auf welcher der Tyrann Pisistratu« einen Tempel des Zeus zu bauen angefangen hatte, der aber erst von Hadrian vollendet wurde. Auf der Südseite der Burg war das Heiligtum des Bacchus; von dem Dionysostheater führte sodann eine Halle zu dem Odeon des Herodes Attikus, eine Halle, die zu musikalischen Aufführungen diente.
Auf der Westseite der Burg befand sich der einzige Aufstieg. Perikles erbaute hier vom Marktplatz aufwärts einen großen Thorbau, da« Prachtgebäude der Propyläen mit der Pinakothek. Beim Austritt aus diesem stand man auf der Akropolis, der Schatzkammer griechischer Kunst. Ein ganzer Wald von Statuen ergötzte das Auge des Besuchers. Die schönsten Tempel, das Parthenon und Erechtheion, mit den vorzüglichsten Relief» und Götterbildern (darunter die von Phetdias aus Elfenbein und Gold gearbeitete Göttin Athene) zeugten von der hohen Kulturstufe des griechischen Volke» und seiner Künstler; aber trotz aller Kunst haben die Griechen das Eine Kleinod, das vor allem Licht, Leben und wahre Weisheit verleiht, nicht gefunden und Paulus mußte sie auf dem Areopag eines Bessern belehren und sie auf die höchste Weltweisheit, auf das alleingilttge Evangelium Hinweisen.
* Calw. Am gestrigen Sonntag wurde da» Ernte» und Herbst« dankfest gefeiert. Vom Turm der evang. Stadtkirche erscholl in der Frühe der Choral „Lobe den Herren, den mächtigen König der Ehren"; vor dem Gottesdienst sang der sehr gut geschulte Singchor de« Hrn. Schullehrers Roos die schöne Zstimmige Arie „Das ist je gewißlich wahr", komponiert von C. Stein. Die Festpredigt, in welcher besonders auch der armen Hagelbeschädigten gedacht wurde, hielt Hr. Dekan Braun. Der Altar war mit Früchten der Gärten und Felder auf« sinnigste geschmückt. — Wie vom Geistlichen verkündigt wurde, wird in hiesiger Stadt eine nochmalige HauS- kollekte für die Hagelbeschädigten unterbleiben, da eine solche schon diesen Sommer stattgefunden hat. Die Ktrchengemeinderäte und Geistlichen sind aber gerne bereit, Gaben für die vom Hagel so schwer betroffenen Gemeinden in Empfang zu nehmen und weiterzubefördern.
— Seit einigen Wochen hat Hr. Fabrikant H. F. Baumann hier in dem bis vor Kurzem Hrn. Wöhrle gehörigen Fabrikanwesen elektrische Beleuchtung eingeführt. Die Anlage ist von C. E. Fetn in Stuttgart gemacht und funktioniert, wie wir vernehmen, vorzüglich. Die Die Räumlichkeiten erhellen 4 Bogenlampen und etwa 1 Dutzend Glühlampen. Der Kraftverbrauch berechnet sich auf etwas über 4 Pferdekräfte.
— Aus Stuttgart wird uns geschrieben: Die gestrige Aufführung des Lutherfestspiels erhielt ein besonders festliches Gepräge durch die Anwesenheit II. KK. Hoheiten Prinz und Prinzessin Wilhelm, S. H. Prinz Wilhelm zu Sachsen-Weimar und anderer hoher Herrschaften, welche in der eigens erbauten Hofloge der Aufführung bis zum Schluffe anwohnten und sich außerordentlich günstig über dieselbe aussprachen. Der Zudrang de» Publikums zu den Aufführungen des Herrig'schen Lutherfestspieles hat sich in einer Weise gesteigert, daß für die anfänglich geplanten 6 Aufführungen die Karten längst vergriffen sind. Da indessen die Anfragen und Bestellungen von ollen Seiten fortdauern, so hat sich das Komitee entschlossen, in der nächsten Woche zunächst noch zwei Aufführungen zu veranstalten, nachdem sich die Mitwirkenden in aufopfernder Weise hierzu bereit erklärt haben. Diese Ausführungen finden am Mittwoch den 20. und Freitag den 22. Nov. je abends um 7Uhr statt.
— Das Befinden der bei dem Eisenbahnunglück bei der Wildparkstation am 1. Okt. Verletzten ist fortgesetzt ein befriedigendes. Die Verletzungen, meisten« Beinbrüche, sind derart, daß die Heilung derselben, trotz der sorgfältigsten Behandlung, langsam vor sich geht, so daß immer noch einige Wochen vergehen werden, bis die meisten noch in ärztlicher Behandlung befindlichen Verletzten dieselbe entbehren können. Von den im Katharinenhospital Untergebrachten konnten seit dem letzten Bericht zwei entlassen werden, nämlich der schwer verletzte Bahnmeister Käpplinger, welcher bei Verwandten vollends genesen wird, und Frau Apoth. Dörr, welche vollständig wieder hergestellt ist. Im Kathartnenhospital befinden sich jetzt noch 8 Personen, darunter noch Frau Wurster. Der Gesundheitszustand Sämtlicher ist erfreulicherweise ein guter, was namentlich auch von Frau Wurster gesagt werden kann. Der Verlauf der Krankheit des Hrn. Major Dedekind, welcher sich im Ludwigsspital befindet, ist ein normaler. Die
„Erst zwei Tage bist Du hier und schon hast Du eine Liebschaft hinter meinem Rücken! Und wer ist die Auserwählte? Die schöne Rosa Albrecht!"
„Mehr als das," erwiederte ich ebenso heiter, „sie ist meine Braut und ich komme, mir Deine Einwilligung, Deinen Segen zu erbitten!"
Trotz seiner Schmerzen setzte sich der Onkel im Bette auf und starrte mich so verblüfft an, als habe ich ihm etwas Unerhörtes mitgeteilt.
„Du — und — Rosa? — Na, Du hast Deine Zeit gut benutzt! — Und ihre Eltern?" -
„Sind vollkommen damit einverstanden, das ist schon Alles abgemacht! — Wichtiger ist mir, daß auch Du Deine Zustimmung giebst. Bist Du doch nach dem Tode meiner geliebten Mutter noch der einzige Verwandte, dessen Einwilligung ich an Stelle meiner Eltern zu erbitten habe."
„Höre, mein lieber Constantin," damit ließ er mich neben sich auf den Rand des Bettes niedersitzen, „die Wahl, die Du getroffen, macht mir eine unbändige Freude und ich kann sie in jeder Weise nur billigen, wie sie Deine gute Mutter gebilligt haben würde, wenn sie noch am Leben wäre. Der alte Albrecht ist ein gut situierter, hochgeachteter Mann, und seine Frau aus guter Familie, eine tüchtige Hausfrau. Beide gaben ihrem einzigen Kinde eine Erziehung, wett über ihren Stand hinaus, aber Rosa blieb auch bei ihrer Zurückkunft aus der Pension stets das einfache, hellere, liebenswürdige Wesen, wie Du sie richtig erkannt hast. Uebrigens weiß Du wohl," fuhr er herzlich lachend fort, „daß ich es war, der Dich zuerst auf diesen Engel aufmerksam machte? Wer sollte da nicht an ein Fatum glauben."
„Du hast Recht, lieber Onkel," rief ich, denn die Scene am Fenster fiel mir wieder ein, „und ich müßte nachträglich recht eifersüchtig auf Dich werden, wenn ich dazu Anlagen hätte."
„Nun, und wenn beabsichtigst Du denn die Braut heimzuführen?"
„Ach, lieber Onkel, das vermag ich heute noch nicht zu bestimmen."
„Zögere nur nicht zu lange! Du weißt ja, jung und rasch gefreit, hat noch nie gereut; und wenn es Dir dabei an irgend Etwas fehlen sollte, so verfüge nur über mich. Was ich habe, gehört doch nur den Söhnen meiner Schwester Dori».
Wollte Gott, ich hätte mich durch die feindliche Haltung Deines Vaters nicht abhalten lassen, Euch schon früher näher zu treten! Nun, es ist noch nicht zu spät!
— Und die Hochzeit richte ich aus, das müssen sich Albrechts gefallen lassen! Ach, mein Junge, wie vergnügt wollen wir da sein! Ich werde wieder jung werden in
Deinem Glück, in Deiner-" Er zuckte plötzlich zusammen und sank ächzend in
die Kiffen zurück, während sich das Gesicht schmerzlich verzog.
„O, diese unbarmherzige Gicht" flüsterte er. „Ich könnte Dich um Deine Frische und Gesundheit beneiden, wenn ich Dich nicht so lieb hätte."
„Soll ich nach dem Arzt schicken?" rief ich besorgt und erschreckt, „oder kann ich etwas für Dich thun?"
„Nein, nein! — Es wird vorübergehen — wie dieses Unwetter draußen vorübergehen wird, — eS will nur seine Zeit. Der beste und einzige Doktor in diesem Höllenschmerz ist mein alter Ignatz, der kennt mich und wird mir Linderung schaffen.
— Ruf ihn und laß mich mit ihm allein."
Er schloß die Augen und lag wie leblos da. Erschreckt verließ ich das Zimmer, den treuen Diener aufzusuchen, der mich indessen mit der Versicherung beruhigte, daß der Zustand zwar schmerzlich aber ungefährlich sei; ich möge nur auf mein Zimmer gehen, wo Christel ihn heute vertreten werde.
War es die freudige Auflegung im Albrechtschen Hause, die noch in mir nachklang oder war es die Besorgnis meines lieben Onkels, dessen so gütevolles Wesen, dessen stets muntere Laune mir fehlte, — ich ließ an der verspäteten Tafel, zum Leidwesen der dicken Christel, eine Schüssel nach der andern kaum berührt an mir vorübergehen.
Ich zündete die Lampe an, denn das unaufhörliche Schneetreiben hüllte das Zimmer noch immer in Dämmerung, und setzte mich an den Schreibtisch; es drängte mich, meinen Brüdern von mir und meinem Glück Nachricht zu geben, und dazu war das Wetter ganz besonders geeignet.
(Fortsetzung folgt.)