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85. Jahrgang.
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Illustr. Sonnmgsblatt und
Schwäb. Landwirt.
1S0
Mltwoch, dm 16 . August
1911
Tages-Neuigkeiten.
AoS Stadt und Land.
Nagold, 16. August 1911.
r Vorsicht mit Fünfzigern! Fünfzigpfennigslücke -er älteren Geprägeformen sind nach einer Bekanntmachung des Justizministeriums beim Eingang an den Reichs- und Landeskassen durch Zerschlagen oder Einschneiden für den Umlauf unbrauchbar zu machen und alsdann dem Einzahler zurückzugeben. Es sind dies die Fünfziger mit der Wertangabe „50 Pfennig".
Haiterbach, 15. Aug. (Korr.) Vergangenen Sonntag fand vom schönsten Wetter begünstigt das jährliche Schauturnen des Turnvereins statt, welches einen befriedigenden Verlauf genommen hatte. Um 2 Uhr nachmittags hatte sich die fröhliche Turnerschar mit Begleitung der hiesigen Musik auf den Turnplatz begeben, wo sogleich nach Ankunft mit dem Turnen begonnen wurde. Die Leistungen der jungen Turner können als sehr gute bezeichnet werden. Auf dem Platz entwickelte sich alsbald ein reges Leben, was beweisen dürfte, daß seitens des Vereins nicht weniger als 1500 > Bier verzapft wurden, obwohl von den benachbarten Vereinen keiner anwesend war. Gegen 8 Uhr begab sich dann der Verein ins Lokal Lamm, wo noch einige Stunden bei Sang und Klang zugebracht wurden. Daß der noch junge Verein Heuer wiederum schöne Erfolge zu verzeichnen hat, geht daraus hervor, daß bei dem Gauturnsest in Altensteig zwei Kränze und vier Zöglingspreise nach Haiterbach fielen. Aber auch der Verein selbst steht nicht an letzter Stelle, da derselbe im Vereinswetturiren den 7. Preis errang, obwohl er das Jahr hindurch unter der Ungunst der Witterung sehr zu leiden hat, was bei den benachbarten Vereinen z. B. Nagold nicht der Fall ist, weil diesem eine Turnhalle zur Verfügung steht. Die Erfolgs sollten jeden Turner wieder anspannen, alles aufzubieten um den noch jungen Verein höher zu bringen und noch mehr Erfolge zu erzielen. Den verehrt. Luftkurgästen, deren wir auch in Haiterbach alljährlich viele haben und welche dem Fest zahlreich anwohnten. sei auch an dieser Stelle herzlich gedankt.
r Horb, 15. Aug. (Brand). In Vierlingen hief. Oberamts brach diesen Morgen 3 Uhr auf bis jetzt unerklärliche Weise Feuer aus. Zwei sehr große Scheuern, die sogen. Psarr- und Hofscheuer sind dem Element zum Opfer gefallen.
r Stuttgart, 14. Aug. (Ein Nachspiel.) Der Prozeß gegen den früheren Oberleutnant Gramm wegen Beleidigung des Generalmajors von Berrer und des Majors Weller, der im Oktober v. I. vor der hiesigen Strafkammer zur Verhandlung kam, hatte heute ein Nachspiel vor dem Kriegsgericht der 26. Division. Im Verlaus des Prozesses gegen Oberleutnant Gramm kamen durch frühere Angehörige der 8. Komp, des Inf.-Regts. Nr. 180 Verfehlungen zur Sprache, die sich Major Weller als damaliger Kompaniechef hat zuschulden kommen lassen. Auf Grund der Aussagen dieser Zeugen, wurde gegen Major Weller z. Zt. im preußischen Inf.-Reg. Nr. 132 ein Verfahren wegen Mißhandlung und Beleidigung Untergebener eingeleiter. Zu der heutigen Verhandlung gegen Major Weller war eine größere
Anzahl früherer Untergebener als Zeugen geladen. Die Anklage lautete auf 18 Verbrechen der Mißhandlung Untergebener und 21 Vergehen der Beleidigung Untergebener. Den Vorsitz führte Oberst von Ferling, Berhandlungsleiter war Kriegsgerichtsrat Bühner, Verteidiger Rechtsanwalt Dr. Sick. Festgestellt wurde durch die Beweisaufnahme, daß der Angeklagte dem Musketier Schneckenburger eine Ohrfeige versetzt hat, dem Musketier Schairer in die Backe gekniffen und dabei geäußert hat: „Ich schlage dir die Backenzähne hinein". Eine Untergebener wurde von ihm in den Rücken gestoßen, ein anderer mit der Faust aus die Brust, sodaß er zurücktaumelte. Den Musketier Oettle ließ er so lange Kniebeuge machen, bis er Schmerzen verspürte und dem Musketier Stegmaier schlug er mit dem Degen auf den Helm. Ein Untergebener wurde von ihm „Rothaariges Borstenvieh" geheißen, ein anderer mehrmals „Verfluchtes Aas" und ein dritter „Verfluchter Pechhengst". Mehrere Zeugen bekundeten, daß sie die Stoße geschmerzt hätten, andere dagegen haben keine Schmerzen verspürt. Die meisten Zeugen waren gerne in der Kompanie des Angeklagten. Hauptmann Weller habe wie ein Vater für die Mannschaft gesorgt und sie wären für ihn durchs Feuer gegangen, sie seien stolz daraus gewesen, in der 8. Kompanie zu dienen. Oberleutnant Laurösch bekundete, daß die Behandlung streng war, daß damit aber ein weitgehendes Wohlwollen verbunden gewesen sei. Als Hauptmann Weller die Kompanie übernommen habe, sei sie sehr heruntergekommen gewesen, und es sei deshalb notwendig gewesen, daß die Mannschaft hart angefaßt wurde. Die Kompanie habe später als die beste gegolten. Beim Abschied des Hauptmanns Weller von der Kompanie seien die Leute sehr gerührt gewesen. Der Vertreter der Anklage führte aus, das Verfahren habe gezeigt, daß die Militärbehörde keinen Anlaß gehabt habe, etwas zu vertuschen. Die Verfehlungen habe sich der Angeklagte in der Hitze des Gefechtes zuschulden kommen lassen, und sie seien veranlaßt worden, durch ein schwerfälliges Material. Der Anklagevertreter hielt die Anklage in den meisten Fällen aufrecht und beantragte 4 Wochen Stubenarrest. Das Kriegsgericht verurteilte den Angeklagten wegen 13 Verbrechen der Mißhandlung und 9 Vergehen der Beleidigung Untergebener zu 3 Wochen Stubenarrest. In 12 Fällen erfolgte Freisprechung. Bei der Strafbemessung wurde berücksichtigt, daß die Verfehlungen hervorgegangen seien aus dem Bestreben die Mannschaft in der Ausbildung zu fördern. Der Vertreter der Anklage und der Verteidiger wiesen darauf hin, daß die Verfehlungen des Angeklagten in den Darstellungen der Presse vielfach übertrieben worden seien.
r Volksfest. Für das diesjährige Volksfest, das am Samstag, den 23. September beginnt und bis Mittwoch, den 27. September dauert wurde als Haupttag, Montag, den 25. September bestimmt.
Stuttgart, 15. August. Die Abfahrt des Luftschiffs „Schwaben" erfolgt am Donnerstag früh von Baden-Baden um */z7 Uhr. Der Weg geht über Pforzheim nach Stuttgart, wo die Ankunft etwa um 9 Uhr erfolgen dürste. Bei der Rückfahrt am Freitag hängt es von der Witterung ab, ob der Weg wieder über Stuttgart oder den Rhein entlang genommen wird.
x Stuttgart, 15. August. Am Samstag sind am Fluchthorn die Herren Stadtschultheißenamtssekretär Fremd- Stuttgart, stud. med. Heine-Tübingen und Herr Harr- Ellwangen, die eine Tour aus das Fluchthorn untemommen hatten, dabei abgestürzt. Alle drei trugen Riß- und Quetschwunden davon. Nach dem Schw. Merkur wurde jedoch keiner lebensgefährlich verletzt. Einer der Verunglückten wurde nach Galtür gebracht, wo er sich noch befindet, während die zwei anderen ihre Reise fortsetzen konnten.
Stuttgart, 15. Aug. Zu dem Großfeuer in der Pianofortefabrik von Lipp L Sohn ist noch zu berichten: Das Feuer konnte um 2 Uhr als gelöscht gelten, ein Teil der Feuerwehr zog ab, als gegen 3 Uhr in einem Hintergebäude der Brand von neuem ausbrach und Helle Flammen aus den Fenstern schlugen. Außer zwei Schuppen mit wertvollen Holzvorräten sind zwei Hinter- und Stallgebäude abgebrannt. Das Hintere Fabrikgebäude ist zum Teil ausgebrannt und die dort aufgestellten fertigen Klaviere durch Wasser und Feuer so beschädigt, daß sie unbrauchbar geworden sind. Ein Teil des Maschinensaals steht unter Wasser. Die Entstehungsursache ist unbekannt, der Nachtwächter der Fabrik will auf seinem Rundgang nichts verdächtiges bemerkt haben. Einige der im Hintergebäude wohnende Leute sind nur ungenügend versichert. Die Aufregung im ganzen Viertel dauette bis zum Morgen, kleine Kinder liefen barfuß in dem Wasser auf den Straßen herum, Wirtschaftsgegenstände lagen herum und wurden in einigen Wirtschaften untergebracht. Die Pferde in den Ställen konnten gerettet werden. Der Schaden kann noch nicht abgeschätzt werden, ist aber sehr groß.
r Gmünd, 15. Aug. Die Gmünder Verletzten bei dem Starnberger Eisenbahnunglück sind: Die Mechanikersfrau Rosa Wolf, die an einen Türrahmen geschleudert und mit einer Gehirnerschütterung bewußtlos aus dem Wagen getragen wurde. Noch vor dem Eintreffen im Krankenhaus kehrte ihr das Bewußtsein wieder zurück, und sie wird in einigen Tagen das Krankenhaus wieder verlassen können. Ferner der Gatte der Mechanikerssrau, Kilian Wolf (Kontusionen am Kopf und Prellungen), der Kutschereibesttzer Joseph Maier (starke Schnittwunden an der Stirn), und der Juwelier Karl Kuhnle (erhebliche Quetschungen an den Armen und zwei Kopfverletzungen). Sie wurden heute aus dem Krankenhaus entlassen. Leichter verletzt sind Franz Droa, Goldschmied. Emil Barth, Graveur, Klara Barth, Schneiderin, Thekla Bretzler, Arbeiterstochter) Herm. Bretzler, Hammerarbeiter, Bincenz Stadelmaier, Kabinettmeister, Hermann Niederberger, Juwelier, Hermann Mayer und Joseph Steiner, Schneidermeister mit Frau. Die Personen, die zumeist im letzten oder vorletzten Wagen saßen, haben sich Wunden am Kopf, Hautabschürfungen oder Prellungen zugezogen. Sie konnten aber alle die Fahrt nach München sortsetzen. Dort wurden sie in der Sanitätsstation des Hauptbahnhofs von fünf Leuten der Sanitätskolonne, die mit einem Automobil und drei Krankenwagen ausgerückt waren, verbunden.
r Rieslings«, 15. August. Der neue Eisenbahnerverband hielt hier eine Versammlung ab, in der Verbands- sekretär Groß aus Stuttgart einen Vortrag über Ziele und Zwecke des neuen und alten Verbandes hielt. Die Versammlung nahm einen ruhigen und sachlichen Verlaus.
Verschiedenes.
Eine Modenepistel.
Bor wenigen Wochen bereitete ich mich zur Reise in eine deutsche Residenzstadt vor. Es war dies und jenes notwendig um die Toilette „großstadtwürdig" zu machen und vor allem mußten verschiedene neue Handschuhe angeschafft werden. Bei den alten hatten die Finger schon wieder Guck- fensterchen bekommen. Zum weißen Kleid fehlten weiße, zur Cremebluse cremefarbene und zum Reisekleid graue. Das würde mit den alten zusammen schon ausretchen, eventuell uounte man sich ja in B. welche kaufen. Im Geheimen 'ch dag Gefühl als packte ich einige Zwangsjacken in meinen Koffer. Doch still! — so etwas sagt man nicht, man wird doch nicht wie ein Dienstmädel ohne, oder gar mit Halbftngerhandschuhen anrücken.
In der Bahn kamen mir freilich meine „Grauen" sehr zustatten. Wohin man griff, alles schwarz in schwarz, Ruß und Staub, davor schützten sie meine Hände.
vor B. versenkte ich sie in meinen Koffer, stülpte die Glaces über und glaubte nun, vollkommen allen Ansprüchen zu genügen. — Sonderbar, als Fräulein F. mich am Bahnhof in Empfang nahm, galt ihr erster Blick meinen Händen. Hatte sie erwartet, daß — ? Nein, man ist doch kein Bauer! Doch was sehe ich? sie selbst ohne Handschuhe?
Ich staune, vergesse jedoch über dem Bielen, bald die Handschuhaffäre.
Tags daraus will ich mit meiner Koustne ausgehen. Bitte, Carla, einen Augenblick, meine Handschuhe! Schon bin ich mit den schönen Weißen zurück, doch was war das? Carla geht nicht, sondern stellt sich vor mich hin, sieht mich von oben bis unten an. in ihre Mundwinkel zieht ein Lächeln und zuletzt lacht sie voll und ganz übermütig.
Aber Carla!
Aber Mädel! gibt sie zurück. Na, was ist denn los? Carla! Sie sind ganz neu und doch sehr hübsch, nicht?
Na ja, Kind, weist Du denn wirklich noch nicht, daß Damen schon seit ca 3 Monaten auf der Straße ohne, hörst Du, ohne Handschuhe gehen!!! Natürlich, wer häßliche Arme oder Hände hat, tut das nicht, der steckt sie in möglichst dichte, aber du hast ja ganz hübsche Arme! Dienstmädel tragen Handschuhe, runter mit, rasch komm, dabei zog und zerrte sie, bis sie weg waren und um zu beweisen, daß sie recht habe, rief sie in die Küche: „Kitte, Katinka, hier haben Sie Handschuhe, das gnädige Fräulein schenkt sie Ihnen! Käte schien diese Handlung schon zu kennen, sie lachte, dankte und verschwand in ihrem Heiligtum. — Während ich meinen schönen Neuen nachstarrte, war Carla verschwunden, kam jedoch sofort mit einem blau eingerahmten Zeitungsartikel zurück. „Da lies, du Unschuld vom Lande, lies, lies! Und wirklich hier stand es groß und deutlich: „Sensation in der Damenwelt!*
Nach neuesten Modeberichten ist das Tragen von Handschuhen auf der Straße, bei Spaziergängen, Konzerten im Freien rc. gänzlich verpönt. Warum die hübschen Arme und Händchen in Hüllen stecken, warum sie neidisch dem Anblick entziehen? Wer häßliche hat. mag sie verstecken, wenn es ihn freut, veil, aber schöne Hände sollen ihre freie Bewegung behalten, nicht ihre Grazie durch glacöes verlieren. Zur Schonung der Haut, wenden Sie zaghaft ein, nein, Verehrteste, weiße zarte Händchen sind nicht mehr „en haut". Es ist viel feiner braun zu sein, dazu geht man an die See, in's Gebirge, gesund soll man aussehen, System Müller, — System! Das ist modern! Sie sind sicher in den Ferien zu Hause geblieben, sie sind nicht braun! na, so etwas läßt man sich nicht gerne nachsagen. —
Also zurück zu den Handschuhen.
Um die Handschuhfabriken nicht ganz trocken zu legen, hieß es weiter, trägt man im Konzert und Theater sehr fe ne, seidene und im Winter vorzüglich wildledeme oder dänische Handschuhe. Natürlich gilt die „Mode der Handschuhlosig- keit" nur für den Sommer, man kann doch dem zarten Geschlecht nicht zumuten, aus Schönheitssinn und Sparsamkeit die Finger zu erfrieren. Doch denke ich, daß in der heißen Zeit, diese Neuerung mit Freuden begrüßt wird, ist es doch, abgesehen von dem ersparten Toilettengeld, viel bequemer, ohne Handschuhe zu gehen. — Was konnte mehr nach meinem Geschmack sein. Ich versenkte rasch sämtliche