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Fernsprecher Nr. 28.

85. Jahrgang. Fernsprecher Nr. 29.

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Schmäb. Landwirt.

.-R 161

Donnerstag, dm 13. Juli

1911

Württernbergischer Landtag.

p Stuttgart, 12. Juli. Nachdem die Zweite Kam­mer gestern die Beratung des Postetats beendet hatte, wurde heute die Beratung des Sportelgesetzes ange­fangen. Ein Vorschlag des Präsidenten v. Payer verschie­dene Nummern des Gesetzes zusammensassend zu behandeln, wurde vom Hause nach kurzer Geschäftsordnungsdebatte angenommen. Es wurden zunächst die Titel 1 (Adel), Titel 2 (Adelsmatrikel), 23 a (Familienfideikommisse). 46, 74 und 93 behandelt. Der Abg. Kraut (B.K.) äußerte Bedenken gegen die Bespöttelung der Familienfideikommisse, weil dadurch die Gründung bäuerlicher Fideikommisse und Stammgüter, die zur Seßhaftmachung der Bauern dienen, erschwert werde. Der Abg. Keil (Soz.) empfahl eine Er­höhung der Einkommensteuer, die aber, wie der Finanz- minister v. Geßler sofort bemerkte, bei dem jetzigen Stand der Sache gar nicht mehr in Frage kommen könne. Der Abg. Dr. Elsas (Bp.) hielt dann eine lange Rede, in der er eine Reihe allgemeiner Fragen eingehend behandelte, bis ihn schließlich der Präsident daran erinnern mußte, daß das Haus bereits in die Einzelberatung des Entwurfs einge­treten sei. Elsas wandte sich besonders gegen die verdeckten und offenen Berkehrssteuern. Gegenüber den Ausführungen dieses volksparteilichen Abgeordneten betonte der Abg. Gröber (Z.), daß der Finanzausschuß abgesehen von De- tailpunkten mit dem Sportelgesetz einverstanden gewesen sei und daß man im Finanzausschuß von den Schwierigkeiten über die Berkehrssteuern, wie sie der Abg. Elsas geschildert habe, nichts gehört habe. Dann sprach der Finanzminister o. Geßler, der sich in der Hauptsache gegen den Abg. Elsaß wandte und gegen die persönlichen Angriffe, die dieser gegen ihn gerichtet hatte. Der Minister versicherte, daß es ihm persönlich durchaus nicht leicht geworden sei, der Revision des Sportelgesetzes näherzutreten, die Finanzlage des Lan­des habe aber ein anderes Mittel zur Bereinigung der großen Ausgaben nicht zugelassen. Gegenüber einer Be­merkung des Abg. Elsaß betonte der Minister, daß die Presse von einer Belastung mit Sporteln bisher freigeblieben sei und frei bleiben werde. Zu Titel 23 n lag ein Antrag des Abg. Graf-Heidenheim (B.K.) vor. wonach in Fällen, in denen die sofortige Einziehung von Sporteln mit Hätten verbunden sei, eine Stundung oder eine ratenweise Bezahlung eintreten zu lassen. Der Antragsteller begründete diesen Antrag und führte dabei aus. daß die Bildung landwirt­schaftlicher Familienfideikommisse und Stammgüter mit allen Mitteln begünstigt werden müsse. Nach wetteren Ausfüh­rungen des Abg. Keil (S.) wegen der Erhöhung der Ein­kommensteuer und des Finanzministers erhob der Bericht­erstatter, Abg. Hoffner ,im Namen der Mehrheit des Finanzausschusses Einspruch gegen die Behauptung des Abg. Elsaß, als ob im Finanzausschuß eine Besportelungslust geherrscht hätte. Die Ausschußanträge zu Titel 1, 2, 23 a, 46, 74 und 93 wurden sodann angenommen, ebenso der

Antrag Graf-Heidenheim mit 40 gegen 38 Stimmen in namentlicher Abstimmung. Sodann wurde in der Beratung nach einzelnen Nummem fottgefahren und bis einschließlich Titel 7 nach den Kommisstonsbeschlüssen genehmigt. Zum Schluß gab es noch eine Auseinandersetzung zwischen dem Bund der Landwitte und dem Abg. Wieland (n.) und Käß (Bp.) wegen der starken Belastung von Industrie, Gewerbe und Handwerk, die von den beiden letztgenannten Abgeordneten besonders heroorgehoben wurde.

Tages-Neuigketten.

Aus Stadt uvd Land.

Naqold, 13. Juli IS11.

* Konzert. Dem Bericht über das Konzert des Herrn Stadtpfarrer Werner ist nachzutragen, daß zur Ausschmük- kung des Saales ein von Herrn Seminaroberlehrer Bachs Künftlerhand gefertigtes, wohlgelungenes Doppelbild von Möricke und Wolf diente.

Dramatische Aufführungen. Am kommenden Samstag und Sonntag, den 15. und 16. Juli, gedenken mehrere Seminaristen der (Ältesten) Klasse V in der Turn­halle ein Lustspiel von GoetheDer Bürgergeneral" und das historisch-volkstümliche SchauspielHie gut Wirtemberg" von Karl Oesterlen aufzusühren. Der Inhalt der Stücke ist folgender:

Das LustspielDer Bürgergeneral" schrieb Goethe im April 1793. In Frankreich wütete die Revolution. Goethe sah beängstigt, daß man sich in Deutschland spielend mit Reoolutionsideen unterhielt. Er fürchtete, auch bei uns würden solch schlechte Elemente wie in Frankreich ans Ruder kommen. Darum stellt er in die Mitte dieses Stücks den nichtstuenden, großmäuligen, feigen, aber genialen Barbier Schnaps. Goethe macht ihn zum Apostel des Jakobiner­tums. Ein Mantelsack mit echten französischen Uniformstücken liefert die Mittel zur Ausstattung des Bürgergenerals. Der neugierige, leichtgläubige Märten muß ihm glauben, auch wenn ihn Schnaps schon oft angelogen hat. Schnaps unterrichtet Märten in der Freiheit und Gleichheit, bis er durch die Exempcl, die er zu dieser Belehrung braucht, dem Märten eine saure Milch zum Frühstück abgejagt hat. Märten vermag sich dem aufdringlichen Schnaps nicht zu widersetzen. Da kommt Görge, Märtens Schwiegersohn. Dieser steht mit Schnaps schon lange auf dem Kriegsfuß, prügelt ihn ordentlich durch und rettet dadurch Märten aus seiner peinlichen Lage. Dabei geht es aber sehr laut zu, so daß es die Nachbarn hören, die dann zum Richter laufen. Dieser kommt und findet eine Jakobinermütze und eine Nationalkokarde und glaubt, hier den Sitz der Verschworenen entdeckt zu haben. Glücklicherweise kommt auch der Edelmann, der gleich merkt, daß es sich nicht um ein Staatsverbrechen, sondem nur um einen Streich von Schnaps handle, wodurch alles einen harmonischen Ausgang nimmt.

Hie gut Wirtemberg": König Rudolf von Habsburg, verbündet mit Kurfürst Heinrich von Isni, Erz­bischof von Mainz, sucht im Jahr 1286 Stuttgart und damit den alten, hartnäckigen Kriegshelden, den Grafen Eberhard den Erlauchten, in seine Hand zu bekommen; aber alle Versuche scheitern. Endlich sind beide Parteien des Krieges müde und Gras Eberhard kommt mit seinem Sohn ins König!. Lager, um unter günstigen Bedingungen Frieden zu schließen. Mit Freuden geht der König darauf ein, jedoch nur unter der Bedingung, daß die Mauem Stuttgarts geschleift werden. Eberhard will durchaus nichts davon wissen und lieber den Kampf von neuem beginnen: aber er stößt ganz unerwartet aus den Widerstand seines Sohnes Ulrich. Dieser hatte in der Gräfin Irmgard von Hohenberg, der Nichte des Königs Rudolf, eine Braut gefunden, deren kluger Überredungskunst es gelingt, daß Gras Eberhard in die Schleifung der Mauern Stuttgarts einwilligt: bekommt er doch dafür eine treue Schwiegertochter, ein echtes Schwaben­kind. Was König Rudolfs Waffen, was des Erzbischofs wohlüberlegter Staatskunst nicht gelang, erreicht sie spielend, nämlich einen wettvollen Friedensschluß und obendrein für sich den besten Ehegemahl.

Ldu. Eßbare Pilze. In Rußland zählen die Pilze zu den wichtigsten Bolksnahrungsmitteln, ebenso in Italien. Auch im Osten Deutschlands finden sie Wettschätzung, wäh­rend sie in den übrigen Gegenden weniger Anklang haben. Da sie hohe Nährwette besitzen und in gesundem Zustande ein sehr bekömmliches Nahrungsmittel sind, so ist es sehr zu bedauern, daß jährlich Millionen von Mark Wertes in Gestalt von Pilzen in unseren Wäldern vermodern. Ur­sache hierfür ist die leider nicht unberechtigte Furcht vor Vergiftungen, denn alle Pilze haben Doppelgänger, die ihnen ziemlich ähnlich und dabei giftig sind, wodurch selbst solche Leute, die einige Kenntnis der Pilze haben, vor Vergiftung nicht unbedingt gesichert sind. Der einzige Schutz besteht darin, daß man sich in den Besitz eines kleinen, mit guten farbigen Illustrationen versehenen Pilzbuches setzt, sich das Bild jedes eßbaren Schwammes und auch das seines giftigen Doppelgängers genau einprägt und dieses Büchlein bei seinen Touren durch Feld und Wald stets bei sich führt. Solche Pilzbücher sind zu billigen Preisen durch jede Buchhand­lung zu beziehen. Die bekanntesten in Mitteleuropa oor- kommenden eßbaren Schwämme sind: Champignon, Stein­pilz, Morchel, Trüffel, Parasol, Pfifferling, echter Reizker, Ziegenbart, Lauchschwamm. Sie sind zwar nicht alle gleich­wertig, denn man kann z. B. den Pfifferling kaum mit der Morchel oder gar der Trüffel oder dem Champignon vergleichen, trotzdem ist von all den genannten Schwämmen für uns der Pfifferling der wichtigste, denn er tritt massen­weise auf, hat wenig Abfall und erfordert infolge seines kräftigen Eigengeschmackes die wenigsten Zutaten.

t. Ebhauscn, 12. Juli. In den letzten 1820 Jahren wurden nicht bloß eine Reihe von Straßen angelegt, so daß der Verkehr mit den Nachbarorten, wesentlich er-

Mit Porsim Diaz an Bord der Mmga.

Don der denkwürdigen Fahrt, die Mexikos greisen vertriebenen Präsidenten Porfirio Diaz unlängst auf einem Hamburger Dampfer über das Weltmeer nach Europa ge­bracht hat, eine Fahrt, die wohl für immer die großartige politische Wirksamkeit des bedeutenden Mannes in seinem Vaterlands abgeschlossen hat, erzählt ein Mitpassagier, Herr Cornelius Jakobs, in einem Briese, der am 17. Juni an Bord des Hapag-DampfersPpiranga" geschrieben wurde und seines interessanten Gegenstandes wegen wohl wert ist, milgeteilt zu werden. Der Brief lautet:

Diaz refft als einfacher Passagier mit seiner ganzen Familie nach Paris, wo bereits für Unterkunft gesorgt ist; er bewohnt mir seiner Gattin die Räume des Kapitäns, die dieser ihm bereitwilligst zur Verfügung gestellt hat. Frau Diaz ist über 30 Jahre jünger als ihr Gatte; sie ist von hoher, majestätischer Gestalt und macht noch einen jugendlich frischen Eindruck. Sie pflegt den alten Herrn mit rührender Sorgfalt und ist stets bemüht, ihm über die Beschwerden des Alters und der Reise hinwegzuhelfen.

Mit seinem Vater reist auch der Sohn, Porfiria Diaz junior, nebst Frau und 6 Kindern, darunter ein Baby, das im zarten Alter von IO Tagen bereits feine erste Seereise antrat; ferner haben sich angeschlossen: ein Schwarzer mit Familie, der frühere Finanzminister Runez nebst Familie, jetzt Privatsekretär des Präsidenten, sowie der General Gonzalez, früher Kriegsminister und zuletzt Gouverneur der Provinz Mexiko; dieser General, Sohn des früheren Prä­sidenten GonMez, ist zweifellos einer der fähigsten Köpfe

unter den Beratern des Präsidenten. Der alte Präsident selbst macht mit seiner hohen, markigen Gestalt, dem stark entwickelten Kinn und der etwas heroortretenden Unterlippe den Eindruck unbeugsamer Energie; man kann sich denken, daß dieser Mann das Zeug in sich hatte, sich zum höchsten Posten seines Landes hinaufzuarbeiten, und man kann sich vorstellen, welche Ueberwindung es ihn gekostet haben muß, nachdem er über 30 Jahre nahezu unumschränkter Herrscher eines großen, reichen Landes gewesen ist, diese Macht ge­zwungenermaßen aus den Händen zu geben. In der äußeren Erscheinung des Expräsidenten findet sich entscheiden eine Aehnlichkeit mit Bismarck. Diaz ist auch jetzt mit seinen 81 Jahren noch von hoher, stattlicher Statur und würde­voller Haltung, er ist eine geborene Herrschernatur.

Das Leben auf dem Schiff steht natürlich ganz unter dem Eindruck der Gegenwart des Präsidenten und seiner Reisegesellschaft, die im ganzen etwa dreißig Köpfe zählt: bei schönem Wetter pflegt der alte Herr auf dem Prome­nadendeck zu spazieren, er bewegt sich dann ganz zwanglos unter den Passagieren, spricht in freundlicher Weise nicht nur init den ihm bekannten mexikanischen Familien, sondern auch mit den ihm fremden Passagieren, und scheinbar in bester Laune, so daß man ihm nicht ansieht, welche Kämpfe er erst vor wenigen Wochen hat durchmachen müssen und wahrscheinlich in seinem Innern noch täglich durchmacht. Neulich beteiligte sich der alte Herr sogar an einem Bordfest und amüsierte sich sichtlich darüber, wie Erwachsene und Kinder sich beim Tanzen auf dem festlich geschmückten Deck vergnügten. Auch an sonstigen Deckspielen, wie Ringwerfen usw., beteiligt sich der alte Herr gelegentlich mit seinen Kindern und Enkeln.

Gelegentlich äußert sich die gute Laune des Präsiden­ten in humoristischen Bemerkungen; als z. B. kürzlich ein Passagier vom Zwischendeck in momentaner Verwirrung über Bord sprang, dann aber sofort kräftig um Hilfe schrie und sich so lange über Wasser hielt, bis er ins Boot gezogen werden konnte, meinte der alte Herr, der den ganzen Vor­gang eifrig verfolgt hatte, der Mann hätte wahrscheinlich geglaubt, daß das Seewasser süßer wäre. Diese Rettung war übrigens ein Meisterstück der Schiffsleitung, alles funk­tionierte tadellos. Die Nachtrettungsboje (Ring mit brennender Naphthakerze, die sich automatisch an Wasser entzündet), die sofort nach dem Unfall ins Wasser geworfen wurde, lag unmittelbar neben dem Schwimmenden; dieser konnte daher ohne Mühe gefunden werden und war in genau 10 Minuten nach dem verhängnisvollen Sprung an Bord des Rettungs­bootes: er mußte seine unüberlegte Tat mit dem Verlust seiner Freiheit bezahlen, denn er wurde für den Rest der Reise eingespertt. Alle Passagiere (außer Deutschen meist Engländer, Mexikaner und Spanier) waren des Lobes voll über diese schnelle Rettung, und der Präsident gratulierte dem Kapitän in anerkennenden Watten. Kapitän v. Hoff ist ganz der Typus eines deutschen Kapitäns der alten Schule, ein echter Hamburger von der Waterkant: er ist immer auf dem Posten und kommt oft tagelang nicht von der Kommandobrücke herunter, dabei stets Humor und guter Laune, unablässig bemüht, seinen Gästen die lange Reise so angenehm wie möglich zu machen.

Die zwölf Tage von Havanna bis Vigo, während der nur einige kleine Segelschiffe in Sicht kamen, sind verhält­nismäßig schnell vergangen. In Vigo kamen der mexikanische Gesandte und andere offizielle Personen zur Begrüßung an