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Fernsprecher Nr. 29.

86. Jahrgang.

Fernsprecher Nr. 29.

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Schwäb. Landwirt.

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Kienslag, dm 27. Aunt

1911

Württembergischer Landtag, p Stuttgart, 26. Juni. Nachdem die allgemeine Erörterung des Kultetats am Samstag noch zum Ab­schluß gebracht worden war, setzte die Abgeordneten­kammer in ihrer heutigen Nachmittagssitzung die zweite Beratung des Kultetats fort. Sommer (3.) bemängelte die infolge der Durchführung des neuen Volksschulgesetzes in vielen Gemeinden notwendig gewordenen Ambauten, die mit unverhältnismäßig hohen Kosten verknüpft seien. Mi­nister von Fleischhauer gab die Erklärung ab, er werde dafür sorgen, daß den Gemeinden keine zu weitgehenden Auslagen gemacht werden. Nachdem Löchner (Bp.) gerügt hatte, daß neue Pfarrhäuser vielfach zu groß gebaut würden, wurde Kapitel 47 (Beiträge an bedürftige Gemeinden zu Baukosten für Kirchen, Parrhäuser und Bolksschulgebäude) gegen die Stimmen der Sozialdemokratie genehmigt. Bei Kapitel 49 kam Haußmann (Dp.) gelegentlich einer An­frage, wie sich das neue Volksschulgesetz mit Bezug auf die evangelischen Geistlichen eingeführt habe, auf den Fall Fatho zu sprechen, wobei Präsident v. Payer die vom Hause mit Heiterkeit aufgenommene Bemerkung machte, er halte es vom Standpunkt der Geschäftslage für ein Glück, daß der Fall Fatho nicht bei uns vorgekommen sei. Auf die Anfrage Haußmann erwiderte der Kultminister, daß die Aufhebung der geistlichen Schulaufsicht zu irgend welchen Anständen nicht geführt habe. Genehmigt wurden sodann noch Kapitel 50 und 51 (evangelische Seminare), wobei der Kultminister mitteilte, daß die Hausordnung in den Seminaren einer Revision unterzogen worden sei.

Tages-Neuigkeiten.

Aus Stadt und Land.

Nagold, 27. Fun! 1911.

* Besichtigung des Genesungsheims Rötenbach.

Der Ausschuß sowie das Borstandskollegium der Versiche­rungsanstalt Württemberg werden am Donnerstag mit einer Besichtigungsreise nach den verschiedenen Genesungs- und Krankenheimen des Landes beginnen. An der Fahrt be­teiligen sich ca. 40 Personen worunter: der Vorsitzende des K. Landesversicherungsamtes Präsident o. Nestle, ferner Be­amte des Vorstands der Versicherungsanstalt u. a. der Bor­standsoorsitzende Präsident von Hilbert sowie Vertreter der Arbeitgeber und der Versicherten. Am 29. ds. wird zunächst das Bad Rötenbach besichtigt. Die Fahrt geht von Stutt­gart aus über Böblingen, Herrenberg, Oberjettingen nach dem Bad Rötenbach und führt weiter über Nagold, Alten­steig, Erzgrube. Urnagold, Gompelscheuer, Enzklösterle nach Wildbad zwecks Besichtigung des Krankenheims Wildbad. Abends erfolgt noch die Rückfahrt nach Stuttgart. Der 2. Tag ist der Besichtigung der Lungenheilstätte Wilhelms­heim und des Genesungsheims Lorch gewidmet. Endstation ist am 30. ds. Isny. Von hier aus findet am 1. Juli die Weiterfahrt nach Großholzleute zwecks Besichtigung der Heilstätte Uberruh 'statt. Die Rückfahrt nach Stuttgart wird «über Leutkirch, Wurzach, Biberach, Ehingen, Neckar­tailfingen genommen.

* Zum Grundstückswucher. In letzter Feit nimmt die Güterzerstückelung (Hofmetzgerei) im Oberland in ge­radezu erschreckendem Maße zu. Insbesondere in einem Teile des Oberamtsbezirkes Ravensburg (Zoklerland) be­reisen zur Zeit, wie dem Wochenblatt für Landwirtschaft geschrieben wird, zwei GLterhändler oft wöchentlich mehr­mals einzelne Gemeinden, um bäuerliche Anwesen ihren, Besitzern seil zu machen und erstere sodann zu zerstückeln und einzeln etwaigen Liebhabern aufzuschwätzen. Diese Händler treiben den Güterhandel geradezu im Umherziehen (Hausieren). Ein solches Treiben muß jeden, der es mit der Landwirtschaft gut meint, aufs schmerzlichste berühren, denn der Grundstückswucher wirkt nationalökonomisch weit verderblicher und schädlicher als die Zigeuner- und Land- streicherplage, die man durch entsprechende Verordnungen und Verfügungen mehr und mehr losgeworden ist. Freilich hat der württembergische Gesetzgeber schon durch das Gesetz vom 23. Juni 1853 und nach dessen Aushebung durch das Bürgerliche Gesetzbuch, durch die Bestimmungen der Artikel 172 bis 174 des Ausführungsgesetzes zum Bürgerlichen Gesetzbuch diesem verderblichen Gllterhandel Einhalt zu ge­bieten versucht, leider mit im wesentlichen negativem Erfolg, wie in einem Aufsatz dieses Blattes in der Nr. vom 30. Juni 1906 anschaulich und durchaus zutreffend geschildert ist. Die Güterhändler wissen sich nämlich den Berbotsbestimm- ungen des Artikels 172 genannten Gesetzes auf alle Weise zu entziehen, denn es gibt leider immer gefällige Advokaten, welche ihnen Mittel und Wege an die Hand geben, die nicht sehr glücklich gefaßten Bestimmungen dieses Artikels zu umgehen und dem Gesetz ein Schnippchen zu schlagen.

Was soll es auch nützen, wenn oft nach, monatelang ge­führter Voruntersuchung Geldstrafen von sage 20 ^ gegen solche Güterhändler erkannt zu werden pflegen? Da lachen die Herren Güterhändler darüber. Wenn es dem Gesetz­geber ernst ist mit der Unterdrückung des Güterhandels, muß er ganz andere Bestimmungen treffen und einfach er­klären :Der gewerbsmäßige Gllterhandel und die gewerbs­mäßige Vermittlung des Kaufs und Tauschs von Grund­stücken ist verboten. Jede Zuwiderhandlung wird mit Ge­fängnis von nicht unter einem Monat und im Wieder­holungsfall bis zu einem Jahr und mit Geldstrafe bis zu 1000 bestraft." Man würde sehr bald sehen, wie rasch der Güterhandel bei solchen Bestimmungen ganz von der Bildfläche verschwinden würde. Zur Vermittlung eines reellen Güterkaufs sollten, wenn Landwirtschaftsinspektor und Darlehenskassen nicht mehr genügen, besondere Kom­missionen unter dem Vorsitz des ersteren oder einer sonstigen geeigneten Persönlichkeit gebildet werden. Solche würden die allerdings manchmal notwendige Aufteilung eines länd­lichen Anwesens in die richtigen Bahnen leiten und ver­hindern, daß der durch ungünstige Verhältnisse zum Ver­kauf seines Anwesens gezwungene Landwirt in die Hände von gewissenlosen Grundstückswucherern fällt und dadurch verarmt, während der Güterhändler, wie die tägliche Er­fahrung lehrt, enormen Gewinn erzielt und ohne nennens­werte Mühe durch oft mehr als zweifelhafte Mittel zum reichen Mann wird. Es ist geradezu betrübend, mit an- sehen zu müssen, welch äußerliches Ansehen solche Güter­händler in gewissen Kreisen der Bevölkerung nicht selten genießen und wie sie auch an einzelne ländliche Ortsoor­steher mit Geldanerbieten herantreten, um solche zur Unter­stützung, jedenfalls aber Duldung ihrer Manipulationen beim Güterhandel geneigt zu machen. , > < . ,

ff Rohrdorf, 25. Juni. Nachdem bereits im Januar d. I. sich hier ein Turnverein provisorisch gegründet hatte, fand heute in der Sonne in stark besuchter Versammlung die offizielle Gründung statt. Der 2. Gauturnwart, Herr Riederer-Ebhausen begrüßte die Anwesenden und legte in kurzen Zügen Zweck und Ziele des deutschen Turnerbundes klar, dem der neue Verein beitritt. Den beifällig aufge­nommenen Ausführungen folgten die Neuwahlen und freund­liche, ermuntemde Worte, die Herr Fabrikant A. Koch an die Turner richtete.

r Für Schwarzwaldreisende. Die Generaldirektion der Staatseisenbahnen macht Reisende nach dem Schwarz­wald auf den seit 1. Juni laufenden Bormittags-Eilzug aufmerksam: Abfahrt in Stuttgart Hbf. 7.41 V., Ankunft in Freudenstadt 9.24 Uhr, Hausach 10.14, Strahlung 11.44 Uhr. Dieser Eilzug führt einen durchgehenden Wagen 1., 2., 3. Klasse von Stuttgart bis Straßburg, Umsteigen in Eutingen ist daher nicht nötig. Der nachfolgende Berlin Mailänder Schnellzug I) 38 führt nicht mehr, wie in früheren Jahren, direkte Wagen nach Freudenstadt und hat in Eutingen (an 9.10 Uhr) nur Anschluß an den um 9.27 B. abgehenden Personenzug 259, der erst um 10.22 in Freudenstadl und um 11.50 in Haufach eintrifft.

Tobias Witt.

Von Johann Jakob Engel.

Herr Tobias Witt war aus einer nur mäßigen Stadt gebürtig und nie weit über die nächsten Dörfer gekommen. Dennoch hatte er mehr von der Welt gesehen als mancher, der sein Erbteil in Paris oder Neapel verzehrt hat. Er erzählte gern allerhand kleine Geschichtchen, die er sich hie und da aus eigener Erfahrung gesammelt hatte. Poetisches Verdienst hatten sie wenig, aber desto mehr praktisches, und das Besonderste an ihnen war, daß ihrer je zwei und zwei zusammengehörten.

Einmal lobte ihn ein junger Bekannter. Herr Till, seiner Klugheit wegen. Ei! fing der alte Witt an und schmunzelte: Wär' ich denn wirklich so klug?

Die ganze Welt sagt's, Herr Witt. Und weil ich es auch gern würde-

Je nun! wenn Er das werden will, das ist leicht. Er muß nur fleißig acht geben, Herr Till, wie es die Narren machen.

Was! wie es die Narren machen?

Ja, Herr Till! Und muß es dann anders machen wie die.

Als zum Exempel?

Als zum Exempel, Herr Till: So lebte dahier in meiner Jugend ein alter Arithmetikus; ein dürres, grämliches Männ­chen, Herr Veit mit Namen. Der ging immer herum und murmelte vor sich selbst; in seinem Leben sprach er mit

keinem Menschen. Und einem ins Gesicht sehen; das tat er noch weniger: immer guckt' er ganz finster in sich hinein. Wie meint Er nun wohl, Herr Till, daß die Leute den hießen?

Fa, es hat sich wohl! Einen Narren! Hui! dacht' ich da bei mir selbst denn der Titel stand mir nicht an wie der Herr Veit muß man's nicht machen. Das ist nicht fein. In sich selbst hineinsehen: das taugt nicht; sieh du den Leuten dreist ins Gesicht! Oder gar mit sich selbst sprechen: pfui! sprich du lieber mit andern! Nun, was dünkt Ihm, Herr Till? Hatt' ich da recht?

Ei ja wohl! Allerdings!

Aber ich weiß nicht. So ganz doch wohl nicht. Denn da lies noch ein anderer herum; das war der Tanz­meister Herr Flink: der guckte aller Welt ins Gesicht und plauderte mit allem, was nur ein Ohr hatte, immer die Reihe herum. Und den, Herr Till wie meint Er wohl, daß die Leute den wieder hießen?

Einen lustigen Kopf?

Beinahe! Sie hießen ihn auch einen Narren. Hui, dacht' ich da wieder; das ist doch drollig! Wie mußt du's denn machen, um klug zu heißen? Weder ganz, wie der Herr Beit, noch ganz, wie der Herr Flink. Erst siehst du den Leuten hübsch dreist ins Gesicht, wie der eine, und dann siehst du hübsch bedächtig in dich hinein, wie der andere. Erst sprichst du laut mit den Leuten, wie der Herr Flink, und dann insgeheim mit dir selbst, wie der Herr Veit. Sieht Er, Herr Till? So Hab' ich's gemacht, und das ist das ganze Geheimnis.

Ein andermal besuchte ihn ein junger Kaufmann, Herr Flau, der gar sehr über sein Unglück klagte. Ei was? fing der alte Witt an und schüttelte ihn: Er muß danach aus sein.

Das bin ich ja lange; aber was hilft's? Immer kommt ein Streich über den andern! Künftig leg' ich die Hände lieber gar in den Schoß und bleibe zu Hause.

Ach nicht doch! nicht doch, Herr Flau! Gehn muß er immer danach, aber sich nur hübsch in acht nehmen, wie ers Gesicht trägt.

Was? Wie ich's Gesicht trage?

Ja! Herr Flau! Wie Er's Gesicht trägt. Ich will's Ihm erklären. Als da mein Nachbar zur Linken sein Haus baute, so lag einst die ganze Straße voll Balken und Steine und Sparren: und da kam unser Bürgermeister ge­gangen, Herr Trick: damals noch ein blutjunger Ratsherr; der rannte, mit von sichgeworfnenArmen, insGelaghinein und hielt den Nacken so steif, daß die Nase mit den Wolken so ziemlich gleich war. Pump! lag er da, brach ein Bein und hinkt noch heutiges Tags davon. Was will ich nun damit sagen, lieber Herr Flau?

Ei! die alte Lehre! Du sollst die Nase nicht allzu hoch tragen.

Ja sieht Er? Aber auch nicht allzu niedrig. Denn nicht lange danach kam noch ein anderer gegangen; das war der Stadtpoet, Herr Schall: der mußte entweder Berse oder Haussorgen im Kopfe haben; denn er schlich ganz trübsinnig einher und guckte in den Erdboden, als ob er hineinsinken wollte. Krach! riß ein Seil; der Balken