Erscheint lügüch niit Ausnahme der Lonn- und Festtage.
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und 10 Lw.-Derkchr 1.25 ^»t, im übrigen Württemberg 1.35 M onatsabonnemcnts nach Verhältnis.
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Beilagen: Plaudrrstübchen, Illustr. Eonntagsblatt und
Schwäb. Landwirt.
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Montag, dm 26. Juni
1911
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ist das Lesebedürfnis geringer wie im Winter. Man hat nicht die langen Abende zur Verfügung, die man mit Lektüre aussüllen will, und auch der eifrigste Zeitungsleser benützt die Zeit, in welcher die Parlamente und damit auch das politische Leben ruhen, zu eigener Erholung, den Aufenthalt im Freien der schwülen Ztmmerluft vorziehend, wogegen der Landwirt hen langen Tag mit angestrengter Arbeit ausfüllt.
Und doch wäre es falsch, auch in einer solchen Zeit sich nicht über die wichtigsten Ereignisse des politischen, wirtschaftlichen, kulturellen und öffentlichen Lebens zu unterrichten. Im modernen Zeitalter kann niemand, sei er Beamter, Geschäftsmann, Landwirt, Arbeiter oder Privatier, eine Zeitung entbehren, wenn er nicht in der Beurteilung der Zeitverhältnisse zurückkommen will. Entbehren kann er daneben auch nicht ein Blatt, das ihn rasch und zuverlässig orientiert über die Erscheinungen und Vorkommnisse an seinem Wohnsitz und aus der nächsten Umgebung. Ein jeder, sei er auch nur vorübergehend hier, hat Beziehungen irgend welcher Art zur Stadt und deren Bezirk, sowie deren Bevölkerung. Und diese Interessen zu wahren und zu pflegen, dazu gehört in erster Linie die Lektüre eines guten
Lokal- und Familrenblattes
das die Gesamtintereffen der Bevölkerung vertritt und nicht zuletzt in seinem Inseratenteil die Entwicklung des geschäftlichen Lebens und die Familienereignisse wiedergibt. Eine solche Zeitung ist daher auch für den Parteimann
unerläßlich,
wenn er nicht von vornherein darauf verzichtet, von einer Reihe lokaler Ereignisse unterrichtet zu werden, die eine rein politische Zeitung in der gleichen Ausführlichkeit nicht bieten kann. Und diese Eigenschaften vereinigt in sich der
Gesellschafter*,
welcher eine starke Verbreitung in allen Schichten der Bevölkerung Nagolds und des Oberamtsbezirks gefunden hat. Diese Verbreitung verdankt er dem überaus billigen Abonnementspreis, der jedermann, auch dem wirtschaftlich Schwächsten, es ermöglicht, sich eine Zeitung zu halten. Der Gesellschafter kostet frei ins Haus in der Stadl vierteljährlich nur 1.3« Mk., das ist monatlich 40 Pfg., oder täglich noch nicht einmal 1^/s Pfg. In diesem Preis inbegriffen sind die Gratisbeigaben das „Plauderstübchen" und das „Illustrierte Sonntagsblatt", sowie der „Schwäbische Landwirt", der sich bei unserer Landbevölkerung besonderer Beliebtheit erfreut.
Wir laden die hiesige und umwohnende Bevölkerung zu einem Abonnement freundlichst ein. Und die zahlreichen Freunde und Leser des Gesellschafters bitten wir, uns auch fernerhin durch Abonnement und Weiterempsehlung unterstützen zu wollen.
Maklm md Verlas des Gesellschafters.
A. Hberarnt Wagokd.
Bekanntmachung betr. die Einfuhr von Schlachtvieh nach Pforzheim.
Es kommt immer wieder vor, daß Landwirte und Händler Schlachtvieh nach Pforzheim ohne das dort nötige Amtstierärztliche Zeugnis einführen. Die Folge ist strafrechtliche Verfolgung seitens der badischen Behörden.
Die beteiligten Kreise werden daher wiederholt daraus hingewiesen, daß seitens der badischen Behörden die Einfuhr von Vieh nur mit einem Zeugnis eines beamteten Tierarztes über die Seuchenfreiheit der Tiere zugelassen ist. Nagold, den 24. Juni 1911. M a y esr, Amtmann.
Politische Ueberficht.
Reichstagspräsident Gras von Schwerin-Löwitz
hat vor einigen Tagen in einer Rede, die er in seinem Wahlkreis hielt, erklärt: „Sollte ich jemals in die Lage kommen, eine Stichwahlparole ausgeben zu müssen, so würde ich immer und unter allen Umständen auch den schlimmsten bürgerlichen Demokraten doch noch mit aller Entschiedenheit gegen jeden Sozialdemokraten unterstützen". Demgegenüber schreibt die „Deutsche Tageszeitung", sie sei in der Lage, mitzuteilen, daß die Mehrzahl der bei der Leitung der konservativen Partei beteiligten Herren in diesem Punkt vom Grafen Schwerin-Löwitz abweiche und der Ansicht sei, man müsse von Fall zu Fall entscheiden und direkten Bundesgenossen der Sozialdemokratie gegenüber wie gegen diese selbst auch bei den Stichwahlen verfahren.
r Die Kommission des preußischen Abgeordnetenhauses hat das allgemeine Zweckverbandsgesetz in der Fassung des Herrenhauses angenommen.
Ein russischer Ministerrat hat beschlossen, Bestimmungen Uber die Vorbereitung der Jugend zur Militärpflicht der kaiserlichen Sanktion zu unterbreiten. Es werden Abteilungen von Knaben, die nicht älter als 15 Jahre sind, gebildet werden, die sich mit militärischen Uebungen befassen dürfen, ohne aber Schießwaffen zu benutzen. Der Eintritt in die Abteilungen ist vom Willen der Eltern abhängig, ihre Organisation von vertrauenswürdigen Personen, hauptsächlich Offizieren,, erlaubt. Staatszuschüsse sind ausgeschlossen. — Der ehemalige Handelsminister Timirjasew hatte als Vertreter der industriellen Fraktion der Duma und des Reichsrats eine Unterredung mit dem obersten Leiter der landwirtschaftlichen Organisationen Kriwoschein über neue Handelsverträge mit Deutschland und Oesterreich-Ungarn. Die Handelsvertragssrage wurde auch vom Bureau der Kongresse der Vertreter von Industrie und Handel beraten. Reichsrat Awdawkow berichtete dabei über Unterredungen, die er mit Stolypin und den Ministern Timaschew und Kokowtzow gehabt hatte, und betonte, die Regierung verhalte sich sympathisch gegenüber den Wünschen der Organisationen des Handels und der Industrie.
Ueber die Wahlvorbereitungen in Württemberg
bringt die „Frkf. Ztg." aus der Feder ihres Korrespondenten eine Zusammenstellung, der wir folgendes entnehmen: Mit der Aufstellung eines Kandidaten im 10. Wahlkreis
(Göppingen-Gmünd) hat die Fortschritt!. Bolkspartei Württembergs im ganzen Unterland in den ihr durch das oolksparteilich-liberale Wahlabkommen zugefallenen Wahlkreisen die Kandidaten ausgestellt. Es kandidieren für sie die bisherigen Reichstagsabgeordneten Naumann-Heilbronn, Paye r-Reutlingen-Tübingen, Schweickha r dt-Herrenberg- Calw, Haußmann-Balingen-Tuttlingen; neu kandidieren Landtagsabg. Liesching an Stelle des bisherigen volksparteilichen Abg. Wagner in Freudenstadt-Oberndors, Gastwirt Gemeinderat Gaußer statt des volksparteilichen Abg. Wieland in Göppingen-Gmünd, Landtagsabg. Schock in Hall-Oehringen und Rechtsanwalt Hähnle in Ulm- Heidenheim. Nur im letztgenannten Wahlkreis stehen sich ein volksparteilicher und ein liberaler Bewerber gegenüber. So hat die Volkspartei nur mehr die beiden Bezirke Mün- singen, das Gröber (Z.) vertritt, und Biberach, dessen Abg. Erzberger ist, zu besetzen. Nicht ganz so weit wie die Bolkspartei ist die Deutsche Partei. Sie hat als Kandidaten aufgestellt im zweiten Wahlkreis: Cannstatt- Ludwigsburg den Medizinalrat Kreuser, in Böblingen den Schriftsteller Keinath, in Eßlingen Rechtsanwalt List und in Ulm-Heidenheim den Handelskammersekretär Dr. Ke hm. Es fehlen ihr also noch Kandidaten im ersten Wahlkreis (Stuttgart), im zwölften (Crailsheim-Mergentheim) und in dem oberschwäbischen Wahlkreis Ravensburg. Dagegen konnte die Sozialdemokratie ihre Kandidatenliste (bis aus eine Zählkandidatur im Oberland) schon vor einiger Zeit schließen.
Aus der Rechten sind die Parteien vorerst zurückhaltender. Das Zentrum schweigt über seine Kandidaturen. Anzunehmen ist, daß es seine bisherigen Vertreter: Gröber, Erzberger, Leser, und Schneider wieder aufstellen wird. Wichtiger ist, was es in den Kreisen Ulm, Balingen, in Göppingen, Freudenstadt, Reutlingen, Heilbronn usf. tun wird. Wahlkreise, in denen es über nicht unbeträchtliche Minderheiten verfügt und die Entscheidung beeinflussen kann. Die Taktik des Zentrums wird in diesen Wahlkreisen mitbestimmt von dem Bauernbund und den Konservativen, und diese sind mit der Aufstellung noch sehr weit zurück. Sicher ist, daß die beiden fränkischen „Vögte", Vogt-Hall und Vogt-Crailsheim wieder kandidieren werden; in Heilbronn wird der frühere Reichstagsaba. Dr. Wolfs wieder sein Heil versuchen, der neugewählte Landtagsadge- ordnete für Leonberg, Rechtsanwalt Roth-Böblingen aber wird sich nach vorliegenden Meldungen nicht mehr aufstellen lassen, und im 5. (Eßlingen), im 14. (Ulm) werden zwar die Namen der Abg. Hiller und Graf genannt, eine Entscheidung ist aber nicht getroffen; von Kandidaturen in anderen Wahlkreisen ist es ganz still.
Württembergischer Landtag.
p Stuttgart, 24. Juni. Die Zweite Kammer beschäftigte sich heute zunächst mit dem 4. Nachtrag zum Hauptfinanzetat betr. den Neubau der Kunstgewerbeschule und der Lehr- und Bersuchswerkstätte. Der Abg. Kübel (Natl.) sprach zwar grundsätzlich die Zustimmung seiner Pattei zu der Forderung aus, ließ es aber an Bedenken gegen den Plan auch nicht fehlen. Diesen Ausführungen Kübels traten die Abg. Körner (B.K.), v. Kiene
Eine Krönung in London vor 9v Zähren.
Nach dem am 29. Jan. 1820 erfolgten Tode seines in Geisteszerrüttung und körperlicher Blindheit verfallenen Vaters Georg lll. wurde der wegen seines skandalösen Lebenswandels beim Volke sehr unbeliebte Georg IV., nachdem er seit dem 29. Jan. 1811 die Regentschaft geführt hatte, zum König ausgerufen und am 19. Juli 1821 gekrönt. Im Hinblick aus die Krönung König Georgs V. ist der Bericht von Interesse, den uns Captain Gronow in seinen Sittenschilderungen „Aus der großen Welt" 1810—1860, Verlag R. Lutz, Stuttgart, von jener vor 90 Jahren stattgehabten Feier überliefert hat. Er erzählt dort:
Bei dieser prunkvollen Feierlichkeit hatte ich Dienst als wachhabender Offizier auf der großen Tribüne, bei welcher der Krönungszusi auf seinem Wege zur Westminsterabtei vorbei mußte. Das Gedränge auf dem engen Raum überstieg alles, was ich bis dahin erlebt hatte: alles war Drängen, Stoßen, Schreien, Lachen. Der kleine Townshend, der oberste Polizeibeamte von Bowstreet; mit seiner Flachsperücke und dem breitrandigen Hut rannte voll ungeheurer Wichtigkeit fortwährend von einem Ende der Tribüne zum anderen. Als der Prunkwagen nahte, rief plötzlich der kleine dicke Herr mit aller Kraft seiner Lungen:
„Meine Herren und Damen, geben Sie acht auf Ihre Taschen, denn Sie sind von Dieben umzingelt."
Ein herzliches Gelächter belohnte Townshends heilsamen Rat. Als die Prozession herankam, und besonders als die königliche Staatskutsche vorbeischwankte, da versuchten die Leute unter der Tribüne mit aller Macht hcraufzuklettern, um den Herrscher zu sehen zu Kriegen. Von der Verwirrung in diesem Augenblick kann man sich kaum einen Begriff machen, geschweige denn sie beschreiben. Die Taschendiebe machten sich das natürlich zunutze, und in einem Augenblick waren mehr Uhren und Börsen aus den Taschen von Seiner Majestät getreuesten Untertanen weggeschnappt, als vielleicht je zuvor.
Plötzlich erhob aus dem Gedränge ein ehrenwerter alter Herr aus dem Fürstentums seine Stimme und rief in un- vorfälschem walliser Dialekt:
„Mister Townshend, Mister Townshend, mir ist meine goldene Uhr gestohlen und meine Börse noch dazu mit allem meinem Geld drin! Was soll ich anfangen? Wie soll ich wieder nach Hause kommen? Ich bin 300 Meilen gereist, um meinen König zu sehen, und anstatt was zu sehen und gastlich ausgenommen zu werden, werde ich von diesen Halsabschneidern, dem sogen, süßen Pöbel, ausgeplündert!"
Diese beredte Aussprache hatte einen ganz anderen Erfolg, als der arme Welsche erwartete, denn plötzlich wurde von tausend Stimmen der Refrain von „Sweet Home" gebrüllt. Dann wieder rief man: „Geh heim zu deinen Ziegen, mein guter Junge!" Der unglückliche Gentleman wurde
geradezu unwürdig behandelt und sah erbärmlich aus, als
der Königswagen vorüber war: der Hut war ihm über die Ohren geschlagen, Rock, Halsbinde usw. waren ihm in Fetzen vom Leibe gerissen. Alle anständigen Leute, die dies mitansahen, waren empört. Aber es war nichts dabei zu machen: Polizei gab es in jenen Tagen nicht; außer ein paar Konstablern und den wenigen Soldaten war Kerne bewaffnete Macht vorhanden, um das Volk in Schranken zu halten Der süße Mob hätte ungehindert die Riesenstadt an allen Ecken anzünden können, wenn er aus den Einsall gekommen wäre, sich diesen Genuß leisten zu wollen.
Schwäbische Gedenktage.
Am 20. Juni 1798 wurde im Herzogtum Württemberg die Einimpfung der Kindsblattern angeordnet, ein Gedenktag. der besonders die Impsgegner interessieren dürfte.
Am 22. Juni 1624 starb der Jurist Phil. Camerarius (Camerer). Er war der Sohn des bekannten Philologen Joachim Camerarius. Aus einer Reise nach Italien fiel der deutsche Professor der Inquisition in die Hände und nur der Fürsprache deutscher Fürsten hatte er es zu danken, daß er mit dem Leben davonkam.
Am 23. Juni 1677 starb nach kaum dreijähriger Regierung im Kloster Hirsau Herzog Wilhelm Ludwig von Württemberg und hinterließ sein Land dem unmündigen Eberhard Ludwig. Der Herzog suchte sich von allen poli-