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88. Jahrgang.
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Schwäb. Landwirt.
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Donnerstag, dm 22. Juni
1911
Württernbergischer Landtag.
p Stuttgart, 21. Juni. Die Abgeordnetenkammer hat heute den letzten Teil der Neuordnung der Bezüge der Staatsdiener, die Regelung der Gehalte der Geistlichen, beraten. Der Berichterstatter, Abg. Liesching (Dp.), führte aus, die gehaltlichen Ansprüche der katholischen Geistlichen seien infolge der Ehelosigkeit wesentlich geringer als die der verheirateten evangelischen Geistlichen. Wenn der Vorschlag der Regierung durchgegangen wäre, wären die Geistlichen der Minoritätskonfession die bestbezahlten katholischen Geistlichen in Deutschland gewesen, die Geistlichen der Majorttätskonfession dagegen die schlechtestbezahlten evangelischen Geistlichen im Reich. Im Interesse der Parität und im Interesse der Gerechtigkeit habe der Finanzausschuß nicht anders handeln können. Er ss zu dem Resultat gekommen, bei Aufbesserungen der Gehalte der Geistlichen beider Konfessionen in Zukunft nicht mehr ein starres Verhältnis der Seelenzahl (zur Zeit 100:44) zu Grunde zu legen, vielmehr müßte, wenn Aufbesserungen in Zukunft erfolgen sollten, das Bedürfnis auf beiden Seiten zuvor geprüft werden. Kultminister o. Fleischhauer trat dem vom Berichterstatter erhobenen Vorwurf der inparitätischen Behandlung beider Kirchen und zwar zu Ungunsten der evang. Kirche entgegen. Der Minister empfinde diesen schweren Vorwurf nicht nur als unbegründet, sondern auch als nicht ganz gerecht; er sei sich bewußt, in seinem Bestreben zur Herstellung wirklicher Parität soweit gegangen zu sein, daß er eher von andererer Seite einen Vorwurf wegen zu ungünstiger Behandlung erwartet hätte. Der Minister machte dann noch die interessante Mitteilung, baß er in der Frage der Abschaffung des Psründensystems an das Bischöfliche Ordinariat herangetreien sei, die Gehalte der katholischen Geistlichen nach dem gleichen System zu ordnen wie aus evangelischer Seite; er sei aber auf eine Ablehnung gestoßen mit der Begründung, daß das kanonische Recht eine derartige Aenderung nicht gestatte.
Die Zentrumsabg. Rembold-Gmünd und Vizepräsident v. Kiene traten entschieden für die Berechtigung der in der Regierungsvorlage vorgesehenen Erhöhung der katholischen Geistlichen ein und auch der Abg. Wolfs (BK.) hielt die Streichung der Regierungsforderung für ungerechtfertigt. Schließlich wurden, nachdem noch der Abg. Heymann (Soz.) erklärt hatte, daß ferne Fraktion die Vorlage ab- lchne, in der Gcsamtabstünmung die Anträge des Finanzausschusses gegen die Stimmen der Sozialdemokratie angenommen. — Das Haus ging dann über zur Beratung des Iustizetats. Dabei brachte der Abg. Elsas (Vp.) eine Reihe von Wünschen und Beschwerden vor, auf die Justiz- minister o. Schmivlin zum Teil einging. Nächste Sitzung Donnerstag.
p Stuttgart, 21. Juni. In der heutigen Sitzung der Ersten Kammer wurde das lebenslängliche Mitglied General der Infanterie Frhr. v. Bilsinger eingeführt und beeidigt. — Der Finanzausschuß der Ersten Kammer hat beschlossen, dem Beschluß der Zweiten Kammer, „die Regierung zu ersuchen, den durch Schluß des letzten Landtags
nicht zur Erledigung gekommenen Gesetzesentwurf betr. den Waffengebrauch der Landjäger, baldigst und zwar bei der Zweiten Kammer wieder einzubringen", sowie den Anträgen auf Förderung der Arbeitslosenversicherung und Leistung von Beiträge für Rechtsauskunftsstellen nicht beizutreten.
Tages-NeuigLeiten.
Aus Stadt und Land.
Nagold. 22. Juni ISIt.
S Evang. Arbeiterverein. Der Dortrag des Herrn Arbeitersekretärs Springer über seine Reise nach Italien war gut besucht. Er führte seine Zuhörer, denen er zugleich schöne Lichtbilder vorsührte, über Mailand, Rom und Neapel nach Sizilien. Bon Palermo aus unternahm er seine Streifzüge, erzählte von den Hohenstaufengräbern aus der Zeit Friedrichs II, von den christlichen Kirchen in Moscheengestalt, von den Katakomben eines Kapuzinerklosters und besonders eingehend das Schicksal der vom Erdbeben heimgesuchten Stadt Messina, das noch heute Tausende von Toten unter seinen Trümmern birgt und mit seinen 90 000 Einwohnern schon wieder einem neuen Aufschwung entgegengeht. Da der Redner noch einen Abstecher nach Tunis in Afrika gemacht hatte, so führte er die Einwohner dieser Stadt und der Umgegend — meist im Bilde vor — die Araber, Berber, Beduinen, Juden, auch eine schwäbische Bäckerfamilie, die dort ihr gutes Fortkommen hat; eine arabische Gerichtssitzung, welcher der Vortragende anwohnte, den Besuch des französischen Präsidenten Fallieres; auch die Ruinen Karthagos. Er hat auch die Schwefelbergwerke Siziliens mit ihrem Iugendkraft und Menschengesundheit grausam verzehrenden Betriebe besucht. Der Redner gab als ein Ergebnis seiner an geschichtlichen, volkswirtschaftlichen, Kunst- und Naturfreude spendenden Eindrücken reichen, öwöchigen Reise das Urteil ab: daß unser Volk mit seiner guten Ordnung in Gesetzgebung, Regierung und Derwaliung, besonders in der Fürsorge und Erziehung des Menschen einen höheren Stand der Kultur zeigt als das schöne Italien.
r Bom Heere. Die Kommandierung des bisherigen Kommandeurs des Feldartillerie-Regiments v. Peucker (1. Schlesisches Nr. 6), des württ. Obersten o. Wundt, nach Preußen ist, wie schon mitgeteilt, verlängert worden. Durch seine Ernennung zum Kommandeur der 9. Feldartilleriebrigade in Glogau hat das württembergische Artillerie-Offizierkorps nunmehr fünf Generalstellen besetzt, die beiden eigenen etatmäßigen in Württemberg selbst und drei in Preußen. Württemberg, das über 15 etatmäßige Generalstellen verfügt, hat aber 18 Truppenkommandos der Armee in Generalstellungen besetzt, darunter 8 zurzeit in Preußen, wo hingegen nur ein einziger preußischer General als Divisionskommandeur in Württemberg kommandiert ist. Ein anderes, wenig bekanntes Entgegenkommen Preußens liegt, wie die Kölnische Zeitung schreibt, auf einem andern Gebiet. In keinem Lande ist der Andrang zur Osfizierslaufbahn fortlaufend so erfreulich stark, wie gerade in Württemberg, der Andrang ist so groß, daß eine entsprechende Anzahl von Offizieren außeretatsmäßig mit dem Gehalte eines Fähnrichs
oder noch geringeren Bezügen ernannt werden muß. Die
Bezüge eines Fähnrichs sind aber sehr gering, sie erinnern fast an die Kompetenzen des überkompletten Junkers zu Zetten Friedrich Wilhelms II. Seit Jahren und Jahrzehnten, so selten auch eine Gehalts- und Löhnungsänderung herauskam, stereotyp heißt es jedesmal: „Die Löhnungssätze der Portepeefähnriche bleiben unverändert". Man kann sich also die wenig beneidenswerte Lage eines dergestalt besoldeten jungen Offiziers mit allen den dienstlichen und außerdienstlichen Verrichtungen eines Leutnants unschwer denken. Gleichwohl ist diesem Uebelstande auf weit hinaus oorge- beugt worden. Preußen ist auch hier unter die württ. Nothelfer gegangen, es hat diese „Ueberkompletten", ohne daß sie nach Preußen kommandiert würden, auf seinen neubesetzten Etat übernommen. Wetter verdient heroorgehoben zu werden, daß die württ. Offiziere nicht nur zu allen Kommandos auf dem Gebiete des Militärbildungswesens, sondern auch zu den verschiedensten hochinteressanten und lehrreichen, wie bildenden Dienstleistungen zu Wasser und zu Lande ausgiebig herangezogen werden.
* Vom Tage. Die Einquartierung von einigen Kompagnien des Telegraphenbataillons Nr. 4 aus Karlsruhe ist gestern vormittag erfolgt.
Rotfelde«, 21. Juni. (Korr.). Liebliche Blumen und freundliche Farben von Fahnen und bunten Mützen hatten gestem als freundliches Bild das Rotselder Pfarrhaus umgeben: doch die Gesichter der Menschen gaben von tiefem Schmerz Kunde. Galt es doch dem Pfarrer W. Köhler das letzte Geleite zu geben, der in 11 Jahren sich die Liebe der beiden Gemeinden Rotfelden und Wenden erworben hat. Nach einer kurzen Hausandacht wurde der Sarg unter Vorantritt der Schulkinder und des Kriegeroereins zur nahen Kirche gebracht, wo Herr Dekan Pfleiderer an die Gemeinden und Kollegen eine ernste Ansprache hielt. Nach einem Gesang der Schulkinder wurde das Wichtigste aus dem Leben des Verstorbenen mitgeteilt, der besonders auch durch seine musikalische Begabung von den Kollegen und Freunden hoch geschätzt war. Nachdem die Gemeinde noch einen Vers gesungen hatte, wurde der Sarg des Entschlafenen von der Stätte seiner Wirksamkeit zum Friedhof gebracht. Unterwegs fang der Gesangverein, dessen Leiter der Verstorbene war. Auf dem Friedhof begrüßten die Kinder ihren verstorbenen Religionslehrer durch einen Choral, woraus Herr Pfarrer Erhardt-Wart die Grabrede hielt. Dann wurden viele Kränze niedergelegt von den Behörden der beiden Gemeinden. Tiefergreifend waren die Worte des Herrn Hauptlehrer Rentschler, der auf das Grab seiner jungen Frau hinwies, die erst vor 8 Tagen dem Verstorbenen im Tod vorangegangen ist. Nach herzlichen Worten des Herrn Pfarrer Morstatt-Effringen im Namen der Geistlichen, legte noch der Vorstand des Gesangvereins in poetischen Worten Zeugnis ab von der Liebe, die man dem Entschlafenen entgegenbrachte. Endlich erinnerten noch die Vertreter seiner student. Verbindung an die Jugendzeit des Verstorbenen, worauf die ganze Gemeinde von ihrem treuen Seelsorger mit einem Choralgesang Abschied nahm.
Neue Bismarckiana.
(Nachdr. verb.)
Binnen kurzem erscheint im Verlag von Carl Konegen in Wien der dritte und abschließende Band der großen Sammlung von Bismarck-Gesprächen, die Heinrich von Poschinger unter dem Mel „Also sprach Bismarck" herausgegeben hat. Die Reichhalligkett, Sorgsamkeit und Bedeutung dieser Sammlung ist anläßlich der früheren Bände so allgemein anerkannt morden, daß das Interesse auch diesem Schlußband nicht fehlen kann. Er setzt mit dem Regierungsantritt Kaiser Friedrichs ein und führt bis zum Ableben des Kanzlers, umfaßt also jene, man kann wohl sagen, tragische Periode seines großen Lebens, die ihren Stempel durch seine Entlassung erhalten hat. Auch in diesem Band hat Poschinger es wieder verstanden, selbst das entlegenste Material heranzuziehen, daneben auch manches noch Unbekannten habhaft zu werden, und dank der Anlage des Buches, das Bismarck überall als persönlich Sprechenden emfichrt, gewährt der Band beinahe einen Eindruck, wie man ihn in solcher Lebendigkeit sonst wohl nur von einem Drama empfängt. Durch das freundliche Entgegenkommen des Verlages sind wir in den Stund gesetzt, aus den Aushängebogen des Bandes schon jetzt einige Abschnitte zu bringen, die teils bisher noch völlig unveröffentlicht, teils aber zu ihrer Zeit an so entlegenen Stellen bekannt gemacht worden sind, daß sie für die weitesten Kreise als neu bezeichnet werden dürfen.
Als Bismarck nach seiner Entlassung seine Uebersiedel- ung nach Friedrichsruh vorbereitete, hatte er Ende März 1890 die folgende Unterredung mit dem Juwelier seiner Familie betreffend die Aufbewahrung seiner Orden. Bor der Abreise nach Friedrichsruh ließ Bismarck seinen Juwelier zu sich rufen, um den Geldwert seiner Orden schätzen zu lassen. Der Hauptgrund, weshalb Bismarck den Wert seiner Auszeichnungen fesigestellt haben wollte, war der, „daß ihm in Friednchsruh kein absolut feuer- und diebessicherer Raum zur Verfügung stehe, und er sich doch nicht gelegentlich von irgendeiner Bande ausplündern lassen möchte". Uebrigens belief sich der Wert seiner Orden allem auf weit über 100000 dies kam daher, weil ihm von fast allen Souveränen die betreffenden höchsten Auszeichnungen regelmäßig „in Brillanten" verliehen worden waren. Während sonst alle Auszeichnungen nach dem Tod des Besitzers zu- .rückziigeben sind, verbleiben diejenigen „in Brillanten" den Erben des also Ausgezeichneten. Don den Orden im Besitz des Fürsten gingen nach seinem Tod. wie er selbst äußerte, nur die Kette zum schwarzen Adler-Orden und das goldene Vließ zurück; alle übrige» blieben bei der Familie. Außerdem zeigie Bismarck dem Juwelier seine Ehrenbecher, Schilde usw., die er — dem Rat des Juweliers folgend — aller Wahrscheinlichkeit nach ebenso wie die Orden bei der Berliner Reichsbank ins Depositum geben wollte. Im Lauf der Unterhaltung fiel die Aeußerung: „Ich werde — auf die Kette des schwarzen Adler-Ordens zeigend — diesen nicht mehr anlegen. In Berlin werden Sie mich nicht mehr sehen. Wenn ich überhaupt einmal genötigt sein sollte, mich
offiziell sehen zu lassen, werde ich den Frack tragen und darauf das Johanniter- oder das Eiserne Kreuz. In Uniform werde ich wohl nicht mehr hineinkrauchen."
Noch im. selben Jahr hatte der Fürst mit einem Deutschen aus Siebenbürgen, dem Geheimen Kirchenrat Dr. Pank, eine Unterredung, in der einige Aeußcrungen fielen, die auf seine damalige, tief wehmütige Stimmung ein Licht werfen. Der Besucher sagte: „Durchlaucht müssen doch eine eigenartige Empfindung haben, vor wenig Wochen noch lenkten Sie die Geschicke Europas und gingen ganz in diesen Gedanken und Arbeiten auf — und jetzt...!" Bismarck: „Jetzt habe ich andere Dinge, die mich ganz beschäftigen und in Anspruch nehmen. Sehen Sie, heute nacht sind mir von meinen fünf Schwänen zwei abhanden gekommen. Ich kann von den Gedanken daran nicht loskommen, wo sie wohl hin sein mögen!" Bei einem hierauf untemommenen Spaziergang durch den Park kam Bismarck mit Dr. Pank zum Schwanenteich, durch den in der Mitte ein Drahtgitter gezogen war. „Sehen Sie, früher habe ich mir oft Mühe gegeben, solche Gitter zu ziehen, etwa im Osten Europas. Jetzt habe ich hier ein Gitter ziehen lassen, um meine Schwäne von meinen Enten zu trennen. Auch das war das Ergebnis langen Nachdenkens." Bei einer anderen Gelegenheit, wo Pank bei Bismarck zu Gast war, machte der Kanzler chm das Geständnis, daß er sich eines gewissen Gefühles der Bangigkcii nicht erwehren könne, so oft er einen größeren Kreis von Gästen bei sich sähe. In ganz besonderer Stärke aber beschleiche ihn dies Gefühl, wenn er feinen Gästen eine Tischrede halten solle. Auch ein interes-